Produktdetails
- Verlag: Johns Hopkins University Press
- Seitenzahl: 140
- Englisch
- Abmessung: 225mm
- Gewicht: 360g
- ISBN-13: 9780801878411
- ISBN-10: 0801878411
- Artikelnr.: 12420887
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.2003Kein Betriebsunfall
Die Krise im Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und Europa
Klaus Emmerich: Atlantische Scheidung. Driften Amerika und Europa auseinander? Molden Verlag, Wien 2003. 263 Seiten, 22,80 [Euro].
Laurent Cohen-Tanugi: An Alliance at Risk. The United States and Europe since September 11. The Johns Hopkins University Press, Baltimore and London 2003. 140 Seiten, 15,- Pfund.
Amerika und kein Ende! Wer im Herbst 2003 durch die deutschen Buchhandlungen schlendert, stößt auf kaum mehr zu überschauende Haufen amerikakritischer Bücher. Bei den meisten handelt es sich um Übersetzungen linksliberaler oder -radikaler amerikanischer Autoren, die ihren seit langem wohlbekannten Unwillen an der rechtsrepublikanischen Bush-Administration, an den Neokonservativen, am American Empire und am Militarismus der Vereinigten Staaten artikulieren. Schon die Tatsache, daß Amerika in den deutschen Buchhandlungen gewissermaßen mit Amerika Krieg führt, zeigt, wie schief die Vorstellung ist, beim Konflikt über den Irak-Krieg gehe es um einen kritischen Diskurs zwischen den Vereinigten Staaten und "Europa". Es gibt auch kritische deutsche Autoren, doch ihre Bücher sind vielfach nur ein Echo auf die amerikanischen Kritiker.
Langsam wachen nun die Autoren eines anderen Lagers auf, die ihre sarkastische Kritik beiden Seiten dieser derzeit zerstrittenen Ehe zuteil werden lassen, der großen transatlantischen Republik, die wieder einmal überreagiert, und dem "aufgeblasenen ,Antiamerikanismus'" im "alten Europa", das sich vor und im Irak-Krieg so ganz über die Maßen erregt hat. Einer von diesen ist der Rundfunk- und Fernsehjournalist Klaus Emmerich. Er kennt Amerika aus langjähriger Erfahrung, ist aber auch mit den des Tageslichts ermangelnden Korridoren der EU-Bürokratien in Brüssel bestens vertraut. Zudem gehört er nicht nur zu den Kundigen, sondern sitzt auch am liebsten auf der Bank der Spötter. Seine mit leichter Hand hingeblätterten Beobachtungen sind zwar ernst, doch sie werden nicht bierernst dargeboten. Abgehandelt werden so gut wie alle Themen, die im derzeitigen transatlantischen Ehekrieg eine Rolle spielen: die Unterschiedlichkeit des Rechtsdenkens ("Trennungsfaktor Todesstrafe"), die Einstellung zum Thema Gewalt (Muskelspiel versus "sanfte Lösungen"), das Verhältnis zum Sozialstaat, die Arbeit ("Jobs: Amerika vermehrt, Europa vernichtet"), die Geneigtheit Europas, im Zusammenwirken hinterweltlerischer Theologen und ängstlicher Grüner die Biotechnologie zur Auswanderung nach Amerika zu zwingen, die Bilanzskandale bei den amerikanischen High-Tech-Unternehmen sowie die Call-Girl-Mentalität geldgieriger amerikanischer Volksvertreter, die Verschuldung Amerikas und so weiter und so weiter. Natürlich nimmt er sich auch ausführlich und gescheit die Dauerthemen der hohen Politik in den Jahren 2002/2003 vor: "Liegt Amerikas Autorität in Trümmern?" Und: "das Missionarische und Bush und Blair"; die strukturelle "Krähwinkelei" der "alten" Europäer, die aus amerikanischer Sicht "wie eine enttäuschte, verbrauchte Frau" erscheinen, "bar jeder Attraktivität"; "kleine Geister, die verschrobenen Ideen nachlaufen"; das Unbehagen vieler Polen darüber, "daß sich zwei ,Erzfeinde' wie Rußland und Deutschland europapolitisch in ein Separée begeben" et cetera. Alle bekommen ihr Fett ab, die machtvergessenen, bedenkenstarken Europäer mit ihren recht provinziellen Weltordnungsvorstellungen sogar noch etwas mehr als die Amerikaner. Der eigentliche Witz des kleinen, aber boshaften Buches besteht darin, daß Emmerich Tausende von Einzelbeobachtungen geschickt miteinander kombiniert, um daraus seine recht sorgenvollen Schlußfolgerungen zu ziehen. Schade nur, daß der Verfasser selbst oder der Verlag in diesem schmalen, aber gewichtigen Buch auf jede Belegstelle verzichtet hat.
Amerika und Europa, so meint Emmerich resümierend, sind "zwei unterschiedliche Welten". Fünfzig Jahre Kalter Krieg haben das verkleistert, doch nun treten die Bruchlinien hervor, und die beiderseitigen Eliten erweisen sich der Aufgabe einer Neuordnung der Beziehungen kaum gewachsen. Der Vorrat an Gemeinsamkeiten in der Nato sei weitgehend verbraucht. Doch noch sei von der vielbeschworenen europäischen "Sicherheitsidentität", welche die Pax americana ersetzen könnte, so gut wie nichts vorhanden.
An "europäischer Integrationsrabulistik" herrsche zwar kein Mangel, ohne daß aber die für Europa kennzeichnende "Komplexität aus Geschichte, Stolz, Eigensinn und Verunglimpfung" etwas irgendwie Zulängliches hervorbringe. Noch sei nicht alles entschieden, aber der zynische Wiener Komödiendichter Johann Nepomuk Nestroy könnte doch, so meint Emmerich, recht behalten: "An Scheidungsgründen fehlt es nie, wenn der gute Wille vorhanden ist."
Daß es in Frankreich noch ein paar Intellektuelle gibt, welche den Übertreibungen des Neogaullisten Chirac mit distanziertem Unverständnis begegnen, zeigt die gut durchdachte Studie des Publizisten Cohen-Tanugi. Nicht ganz so funkelnd und bissig wie bei Emmerich, eher akademisch werden hier dieselben Probleme analysiert. Auch für Cohen-Tanugi ist die Krise von 2002/2003 kein transatlantischer Betriebsunfall, vielmehr das Ergebnis langfristiger Entwicklungen. Im ganzen ist er etwas optimistischer als Emmerich. Europa - in erster Linie Frankreich, England und Deutschland - müsse Fähigkeiten zur gemeinsamen Außen- und Verteidigungspolitik entwickeln und in eine erneuerte atlantische Partnerschaft einbringen. Doch er weiß auch nicht zu sagen, wie man Frankreich dazu bringt, vom hohen UN-Weltordnungsrößchen herunterzusteigen und einen "neuen Atlantizismus" zu definieren, oder wie man die Deutschen davon überzeugt, daß sie viel mehr für die Verteidigung aufwenden müßten.
Wollte man einen kritischen Einwand gegen die Thesen beider Autoren richten, so am ehesten den, daß sie die Bedeutung der vielberufenen "Werte" im transatlantischen Verhältnis etwas zu hoch hängen. Bei genauerem Zusehen besteht einer der grundlegenden Fehler im amerikanisch-europäischen Verhältnis darin, diese primär als idealistische "Wertegemeinschaft" zu proklamieren. Vielleicht wäre es ratsam, viel konsequenter von einer recht egoistischen Interessengemeinschaft "fremder Nachbarn" zu sprechen, deren Gesellschaften ganz unterschiedlich ticken, aber mit weitgehend denselben Problemen und Gegnern konfrontiert sind. Etwas mehr Machiavelli, dafür etwas weniger Bergpredigt oder Kant würde der atlantischen Gemeinschaft ganz gut bekommen.
HANS-PETER SCHWARZ
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Krise im Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und Europa
Klaus Emmerich: Atlantische Scheidung. Driften Amerika und Europa auseinander? Molden Verlag, Wien 2003. 263 Seiten, 22,80 [Euro].
Laurent Cohen-Tanugi: An Alliance at Risk. The United States and Europe since September 11. The Johns Hopkins University Press, Baltimore and London 2003. 140 Seiten, 15,- Pfund.
Amerika und kein Ende! Wer im Herbst 2003 durch die deutschen Buchhandlungen schlendert, stößt auf kaum mehr zu überschauende Haufen amerikakritischer Bücher. Bei den meisten handelt es sich um Übersetzungen linksliberaler oder -radikaler amerikanischer Autoren, die ihren seit langem wohlbekannten Unwillen an der rechtsrepublikanischen Bush-Administration, an den Neokonservativen, am American Empire und am Militarismus der Vereinigten Staaten artikulieren. Schon die Tatsache, daß Amerika in den deutschen Buchhandlungen gewissermaßen mit Amerika Krieg führt, zeigt, wie schief die Vorstellung ist, beim Konflikt über den Irak-Krieg gehe es um einen kritischen Diskurs zwischen den Vereinigten Staaten und "Europa". Es gibt auch kritische deutsche Autoren, doch ihre Bücher sind vielfach nur ein Echo auf die amerikanischen Kritiker.
Langsam wachen nun die Autoren eines anderen Lagers auf, die ihre sarkastische Kritik beiden Seiten dieser derzeit zerstrittenen Ehe zuteil werden lassen, der großen transatlantischen Republik, die wieder einmal überreagiert, und dem "aufgeblasenen ,Antiamerikanismus'" im "alten Europa", das sich vor und im Irak-Krieg so ganz über die Maßen erregt hat. Einer von diesen ist der Rundfunk- und Fernsehjournalist Klaus Emmerich. Er kennt Amerika aus langjähriger Erfahrung, ist aber auch mit den des Tageslichts ermangelnden Korridoren der EU-Bürokratien in Brüssel bestens vertraut. Zudem gehört er nicht nur zu den Kundigen, sondern sitzt auch am liebsten auf der Bank der Spötter. Seine mit leichter Hand hingeblätterten Beobachtungen sind zwar ernst, doch sie werden nicht bierernst dargeboten. Abgehandelt werden so gut wie alle Themen, die im derzeitigen transatlantischen Ehekrieg eine Rolle spielen: die Unterschiedlichkeit des Rechtsdenkens ("Trennungsfaktor Todesstrafe"), die Einstellung zum Thema Gewalt (Muskelspiel versus "sanfte Lösungen"), das Verhältnis zum Sozialstaat, die Arbeit ("Jobs: Amerika vermehrt, Europa vernichtet"), die Geneigtheit Europas, im Zusammenwirken hinterweltlerischer Theologen und ängstlicher Grüner die Biotechnologie zur Auswanderung nach Amerika zu zwingen, die Bilanzskandale bei den amerikanischen High-Tech-Unternehmen sowie die Call-Girl-Mentalität geldgieriger amerikanischer Volksvertreter, die Verschuldung Amerikas und so weiter und so weiter. Natürlich nimmt er sich auch ausführlich und gescheit die Dauerthemen der hohen Politik in den Jahren 2002/2003 vor: "Liegt Amerikas Autorität in Trümmern?" Und: "das Missionarische und Bush und Blair"; die strukturelle "Krähwinkelei" der "alten" Europäer, die aus amerikanischer Sicht "wie eine enttäuschte, verbrauchte Frau" erscheinen, "bar jeder Attraktivität"; "kleine Geister, die verschrobenen Ideen nachlaufen"; das Unbehagen vieler Polen darüber, "daß sich zwei ,Erzfeinde' wie Rußland und Deutschland europapolitisch in ein Separée begeben" et cetera. Alle bekommen ihr Fett ab, die machtvergessenen, bedenkenstarken Europäer mit ihren recht provinziellen Weltordnungsvorstellungen sogar noch etwas mehr als die Amerikaner. Der eigentliche Witz des kleinen, aber boshaften Buches besteht darin, daß Emmerich Tausende von Einzelbeobachtungen geschickt miteinander kombiniert, um daraus seine recht sorgenvollen Schlußfolgerungen zu ziehen. Schade nur, daß der Verfasser selbst oder der Verlag in diesem schmalen, aber gewichtigen Buch auf jede Belegstelle verzichtet hat.
Amerika und Europa, so meint Emmerich resümierend, sind "zwei unterschiedliche Welten". Fünfzig Jahre Kalter Krieg haben das verkleistert, doch nun treten die Bruchlinien hervor, und die beiderseitigen Eliten erweisen sich der Aufgabe einer Neuordnung der Beziehungen kaum gewachsen. Der Vorrat an Gemeinsamkeiten in der Nato sei weitgehend verbraucht. Doch noch sei von der vielbeschworenen europäischen "Sicherheitsidentität", welche die Pax americana ersetzen könnte, so gut wie nichts vorhanden.
An "europäischer Integrationsrabulistik" herrsche zwar kein Mangel, ohne daß aber die für Europa kennzeichnende "Komplexität aus Geschichte, Stolz, Eigensinn und Verunglimpfung" etwas irgendwie Zulängliches hervorbringe. Noch sei nicht alles entschieden, aber der zynische Wiener Komödiendichter Johann Nepomuk Nestroy könnte doch, so meint Emmerich, recht behalten: "An Scheidungsgründen fehlt es nie, wenn der gute Wille vorhanden ist."
Daß es in Frankreich noch ein paar Intellektuelle gibt, welche den Übertreibungen des Neogaullisten Chirac mit distanziertem Unverständnis begegnen, zeigt die gut durchdachte Studie des Publizisten Cohen-Tanugi. Nicht ganz so funkelnd und bissig wie bei Emmerich, eher akademisch werden hier dieselben Probleme analysiert. Auch für Cohen-Tanugi ist die Krise von 2002/2003 kein transatlantischer Betriebsunfall, vielmehr das Ergebnis langfristiger Entwicklungen. Im ganzen ist er etwas optimistischer als Emmerich. Europa - in erster Linie Frankreich, England und Deutschland - müsse Fähigkeiten zur gemeinsamen Außen- und Verteidigungspolitik entwickeln und in eine erneuerte atlantische Partnerschaft einbringen. Doch er weiß auch nicht zu sagen, wie man Frankreich dazu bringt, vom hohen UN-Weltordnungsrößchen herunterzusteigen und einen "neuen Atlantizismus" zu definieren, oder wie man die Deutschen davon überzeugt, daß sie viel mehr für die Verteidigung aufwenden müßten.
Wollte man einen kritischen Einwand gegen die Thesen beider Autoren richten, so am ehesten den, daß sie die Bedeutung der vielberufenen "Werte" im transatlantischen Verhältnis etwas zu hoch hängen. Bei genauerem Zusehen besteht einer der grundlegenden Fehler im amerikanisch-europäischen Verhältnis darin, diese primär als idealistische "Wertegemeinschaft" zu proklamieren. Vielleicht wäre es ratsam, viel konsequenter von einer recht egoistischen Interessengemeinschaft "fremder Nachbarn" zu sprechen, deren Gesellschaften ganz unterschiedlich ticken, aber mit weitgehend denselben Problemen und Gegnern konfrontiert sind. Etwas mehr Machiavelli, dafür etwas weniger Bergpredigt oder Kant würde der atlantischen Gemeinschaft ganz gut bekommen.
HANS-PETER SCHWARZ
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main