Frankfurter Allgemeine ZeitungGedruckte Legende
Ein Bericht über die Presse
Machtmissbrauch beschäftigte das amerikanische Wirtschaftsmagazin "Fortune" 1936: Eine Umfrage der Zeitschrift sollte die Vorbehalte der Bevölkerung kartieren. Die Auswahl gab mögliche Schuldige vor: Presse, Radio, Banken, Veteranen, Geistliche. Überraschend fiel das Ergebnis aus. Die Banker führten, anders als erwartet, die Tabelle nicht an. Unrühmliche Spitzenwerte gab es für die Presse selbst - mit 42 Prozent landete sie auf dem ersten Platz in Sachen Korruptionsverdacht.
Wie "Time" und "Life" erschien "Fortune" im Verlag von Henry Luce. Schon zu Lebzeiten wurde der Mann, der den Slogan vom "amerikanischen Jahrhundert" geprägt hatte, zur fiktiven Gestalt. Als Louis Baron nur dürftig verschleiert, ließ er im Schlüsselroman von Charles Wertenbaker die progressiven Hoffnungen seiner jungen Redakteure platzen: "Die Herren der öffentlichen Meinung", im Original "The Death of Kings", erschienen 1954, spielt im Jahrzwölft zwischen 1938 und 1950.
Explosiv war das Buch, wenn auch ästhetisch eher trocken. Als historisch verquere "liberale Seifenoper" verspottete der New-York-Intellectual Dwight Macdonald die Geschichte. Anders die deutsche Publizistin Margret Boveri: Sie wertete das "Bild der Meinungsdiktatur im Luce-Empire" als Protest gegen den Verrat am Journalismus. Um die Freiheit der Presse ging es auch in einem ungewöhnlichen Forschungsprojekt, das Luce anstieß und finanzierte. Der Medienwissenschaftler Stephen Bates von der University of Nevada in Las Vegas hat es nun detailliert aus den Archiven rekonstruiert ("An Aristocracy of Critics". Luce, Hutchins, Niebuhr, and the Committee That Redefined Freedom of the Press. Yale University Press, New Haven 2020. 336 S., 19 Abb., 28,- $).
Pressegeschichte ohne Namen ist kaum vorstellbar: Entsprechend ist das Buch von Bates ein Who's who der vierziger und fünfziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts. 1938, zwei Jahre nach der "Fortune"-Umfrage und einige politische Briefwechsel über die Notwendigkeit von Presseregularien später, trat der Verleger Luce an die Columbia University heran: Er könnte ein Projekt finanzieren, dass die Einstellungen der Bevölkerung zur Presse untersuchen würde. Die New Yorker Universität lehnte ab. Ein zweiter Anlauf folgte vier Jahre später.
Auch Robert Maynard Hutchins, der 1929 mit gerade dreißig Jahren Präsident der University of Chicago geworden war, dort das Curriculum umfassend reformiert hatte, war zunächst skeptisch, ließ sich jedoch überzeugen: Das war die Geburtsstunde einer interdisziplinären Kommission, die Freiheit und Verantwortung der Presse evaluieren sollte. Unter den Mitgliedern waren der Theologe Reinhold Niebuhr und der Historiker Arthur M. Schlesinger sr. Der deutsche Emigrant Kurt Riezler wurde als Berater für den transatlantischen Vergleich hinzugezogen. 1947 legte die Kommission ihren Bericht vor, der zu großen Teilen aus der Feder von Hutchins stammte. Andere Kommissionsmitglieder brachten ergänzende Publikationen heraus.
Der Kreis schloss sich: "Fortune" publizierte auch diesen Report, doch nicht nur Luce hatte Einwände. Schrill machte sich der Ton der anbrechenden McCarthy-Ära bemerkbar: So wurde die von der Kommission als Norm postulierte Verantwortlichkeit als Synonym für Zensur verstanden. Erst als der antikommunistische Sturm abzuflauen begann, fand der Ansatz schrittweise Einzug in den Theoriekanon amerikanischer Journalistenschulen und in die Praxis ihrer Absolventen.
Doch Bates schaut keineswegs mit ausgeruhtem, ideengeschichtlichem Blick auf die Konstellation. Ihn motiviert der Schrecken einer amerikanischen Gegenwart, in der die seriösen, pluralistischen Medien an Einfluss verlieren. Gerade weil es Parallelen gibt, überzeugt der aktualistische Ansatz nicht: Glattgebürstet werden nicht nur die historischen Differenzen, sondern auch die intellektuellen Kontroversen.
Die dreizehnköpfige Hutchins-Kommission, die Bates zur homogenen Gruppe stilisiert, war in Wahrheit in vielen Fragen gespalten. Waren die wachsenden Medienimperien eine Gefahr für die freie Meinungsäußerung oder geradezu ihre Garanten, weil nur eine gewisse Größe vor staatlichen Eingriffen schütze? Erzwang die in der Verfassung garantierte Redefreiheit juristische Beschränkungen, oder erforderte sie im Gegenteil besondere Flexibilität? Uneinig war man auch grundlegend über die richtige Schriftform für triftige Befunde zum Thema: Braucht es juristische Gutachten, philosophische Traktate oder empirische Forschung?
Zugegeben: Wer Anknüpfungspunkte für gegenwärtige "Blasen"-Diagnosen finden will, wird nicht enttäuscht. Demokraten hören nur auf Demokraten, Republikaner nur auf Republikaner, wie einer der hinzugezogenen Experten vortrug. Debattiert wurde über Rederechte und Boykottdrohungen. In den ideengeschichtlichen und methodischen Disputen liegt jede Menge intellektueller Zündstoff, auch für die Gegenwart.
Bei Bates ist der Alarmismus freilich gepaart mit Pessimismus: Die großen Denker sterben aus, verkündet der kulturkritische Abgesang auf den letzten Seiten. "Die ,große, gute' Sache" war das letzte Kapitel in Wertenbakers Presseroman überschrieben und etwas kleiner: "Der alternde Romantiker". Die goldene Zeit der amerikanischen Presse hat es nie gegeben.
HENDRIKJE SCHAUER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Bericht über die Presse
Machtmissbrauch beschäftigte das amerikanische Wirtschaftsmagazin "Fortune" 1936: Eine Umfrage der Zeitschrift sollte die Vorbehalte der Bevölkerung kartieren. Die Auswahl gab mögliche Schuldige vor: Presse, Radio, Banken, Veteranen, Geistliche. Überraschend fiel das Ergebnis aus. Die Banker führten, anders als erwartet, die Tabelle nicht an. Unrühmliche Spitzenwerte gab es für die Presse selbst - mit 42 Prozent landete sie auf dem ersten Platz in Sachen Korruptionsverdacht.
Wie "Time" und "Life" erschien "Fortune" im Verlag von Henry Luce. Schon zu Lebzeiten wurde der Mann, der den Slogan vom "amerikanischen Jahrhundert" geprägt hatte, zur fiktiven Gestalt. Als Louis Baron nur dürftig verschleiert, ließ er im Schlüsselroman von Charles Wertenbaker die progressiven Hoffnungen seiner jungen Redakteure platzen: "Die Herren der öffentlichen Meinung", im Original "The Death of Kings", erschienen 1954, spielt im Jahrzwölft zwischen 1938 und 1950.
Explosiv war das Buch, wenn auch ästhetisch eher trocken. Als historisch verquere "liberale Seifenoper" verspottete der New-York-Intellectual Dwight Macdonald die Geschichte. Anders die deutsche Publizistin Margret Boveri: Sie wertete das "Bild der Meinungsdiktatur im Luce-Empire" als Protest gegen den Verrat am Journalismus. Um die Freiheit der Presse ging es auch in einem ungewöhnlichen Forschungsprojekt, das Luce anstieß und finanzierte. Der Medienwissenschaftler Stephen Bates von der University of Nevada in Las Vegas hat es nun detailliert aus den Archiven rekonstruiert ("An Aristocracy of Critics". Luce, Hutchins, Niebuhr, and the Committee That Redefined Freedom of the Press. Yale University Press, New Haven 2020. 336 S., 19 Abb., 28,- $).
Pressegeschichte ohne Namen ist kaum vorstellbar: Entsprechend ist das Buch von Bates ein Who's who der vierziger und fünfziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts. 1938, zwei Jahre nach der "Fortune"-Umfrage und einige politische Briefwechsel über die Notwendigkeit von Presseregularien später, trat der Verleger Luce an die Columbia University heran: Er könnte ein Projekt finanzieren, dass die Einstellungen der Bevölkerung zur Presse untersuchen würde. Die New Yorker Universität lehnte ab. Ein zweiter Anlauf folgte vier Jahre später.
Auch Robert Maynard Hutchins, der 1929 mit gerade dreißig Jahren Präsident der University of Chicago geworden war, dort das Curriculum umfassend reformiert hatte, war zunächst skeptisch, ließ sich jedoch überzeugen: Das war die Geburtsstunde einer interdisziplinären Kommission, die Freiheit und Verantwortung der Presse evaluieren sollte. Unter den Mitgliedern waren der Theologe Reinhold Niebuhr und der Historiker Arthur M. Schlesinger sr. Der deutsche Emigrant Kurt Riezler wurde als Berater für den transatlantischen Vergleich hinzugezogen. 1947 legte die Kommission ihren Bericht vor, der zu großen Teilen aus der Feder von Hutchins stammte. Andere Kommissionsmitglieder brachten ergänzende Publikationen heraus.
Der Kreis schloss sich: "Fortune" publizierte auch diesen Report, doch nicht nur Luce hatte Einwände. Schrill machte sich der Ton der anbrechenden McCarthy-Ära bemerkbar: So wurde die von der Kommission als Norm postulierte Verantwortlichkeit als Synonym für Zensur verstanden. Erst als der antikommunistische Sturm abzuflauen begann, fand der Ansatz schrittweise Einzug in den Theoriekanon amerikanischer Journalistenschulen und in die Praxis ihrer Absolventen.
Doch Bates schaut keineswegs mit ausgeruhtem, ideengeschichtlichem Blick auf die Konstellation. Ihn motiviert der Schrecken einer amerikanischen Gegenwart, in der die seriösen, pluralistischen Medien an Einfluss verlieren. Gerade weil es Parallelen gibt, überzeugt der aktualistische Ansatz nicht: Glattgebürstet werden nicht nur die historischen Differenzen, sondern auch die intellektuellen Kontroversen.
Die dreizehnköpfige Hutchins-Kommission, die Bates zur homogenen Gruppe stilisiert, war in Wahrheit in vielen Fragen gespalten. Waren die wachsenden Medienimperien eine Gefahr für die freie Meinungsäußerung oder geradezu ihre Garanten, weil nur eine gewisse Größe vor staatlichen Eingriffen schütze? Erzwang die in der Verfassung garantierte Redefreiheit juristische Beschränkungen, oder erforderte sie im Gegenteil besondere Flexibilität? Uneinig war man auch grundlegend über die richtige Schriftform für triftige Befunde zum Thema: Braucht es juristische Gutachten, philosophische Traktate oder empirische Forschung?
Zugegeben: Wer Anknüpfungspunkte für gegenwärtige "Blasen"-Diagnosen finden will, wird nicht enttäuscht. Demokraten hören nur auf Demokraten, Republikaner nur auf Republikaner, wie einer der hinzugezogenen Experten vortrug. Debattiert wurde über Rederechte und Boykottdrohungen. In den ideengeschichtlichen und methodischen Disputen liegt jede Menge intellektueller Zündstoff, auch für die Gegenwart.
Bei Bates ist der Alarmismus freilich gepaart mit Pessimismus: Die großen Denker sterben aus, verkündet der kulturkritische Abgesang auf den letzten Seiten. "Die ,große, gute' Sache" war das letzte Kapitel in Wertenbakers Presseroman überschrieben und etwas kleiner: "Der alternde Romantiker". Die goldene Zeit der amerikanischen Presse hat es nie gegeben.
HENDRIKJE SCHAUER
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