Der Nobelpreisträger Wolfgang Pauli (1900-1958) hat durch seine wissenschaftskritischen Einsichten zum Umsturz des naturwissenschaftlichen Weltbilds beigetragen. Träumender Physiker und kritischer Humanist: ein Forscher, der die Nachtseiten der Wissenschaft ernst nahm und die Risiken des 'Abenteuers Erkenntnis' deutlich machte. Ein spannendes Portrait - und wertvolle Impulse auf dem Weg zu einer Neubestimmung unserer Wirklichkeit.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.09.2000An Mut gebricht es im Umgang mit den Klassikern der Physik
Der Odysseus der Naturwissenschaft: Wolfgang Pauli suchte den Weg zwischen Humbug und Ratio
Zu Lebzeiten saß er gerne in Kneipen und Kinos; heute thront er im Pantheon der Physik. Wolfgang Pauli war ein Nachttier und ein Großstadtmensch, ein gänzlich anderer Charakter als der ein Jahr jüngere, natur- und jugendbewegte Heisenberg. Ein komplementäres Kommilitonen- und Kollegenpaar, wenn man ein Schlagwort aus den Debatten um die von beiden mitbegründete Quantentheorie bemühen will. Doch während Heisenberg, nicht anders als Bohr und Einstein, der Öffentlichkeit ein Begriff ist, blieb Pauli bislang ein weitgehend Unbekannter.
Der Konstanzer Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer vermutet, daß es noch immer an "geistigem Mut" fehle, um sich mit Pauli ernsthaft auseinanderzusetzen. Zu entdecken gilt es nämlich vor allem das nichtphysikalische Denken des großen Physikers, oder genauer: sein Nachdenken über jene Aspekte, die Pauli selbst als seiner wissenschaftlichen Tätigkeit zugrunde liegend betrachtete. In der einzigen Publikation zu Paulis hundertstem Geburtstag gibt Fischer vor allem einen Einblick in diese "Hintergrundsphysik".
Paulis physikalische Verdienste sind unbestritten. Seine unerbittliche Kritik in Sachfragen trug ihm den Ehrentitel "das Gewissen der Physik" ein, und gefürchtet war sein bissiger Humor. Als er sich wieder einmal über Heisenbergs Weltformel-Rhetorik ärgerte, kommentierte Pauli in einem Brief an den Kollegen Gamow den Zustand des Heisenbergschen Projekts. Er zeichnete ein leeres Viereck auf das Papier und schrieb dazu: "Das soll der Welt zeigen, daß ich wie Tizian malen kann. Es fehlen nur technische Details."
Zu Paulis wichtigsten physikalischen Beiträgen zählen die Postulierung des Neutrinos, das erst ein Vierteljahrhundert später experimentell nachgewiesen werden konnte, sowie die Formulierung des Ausschließungsprinzips, für das er 1945 den Nobelpreis erhielt. Nach dem Pauli-Prinzip ist es ausgeschlossen, daß sich zwei Elektronen im gleichen Quantenzustand befinden. Daraus erklärt sich die sukzessive Auffüllung der Energieniveaus im Atom und somit auch die unterschiedliche Beschaffenheit der chemischen Elemente. In seiner allgemeinen Form gilt das Pauli-Prinzip für alle Elementarteilchen mit halbzahligem Spin, die sogenannten Fermionen.
Einen Schlüssel zu seinen wissenschaftlichen Antrieben, bei denen der Glaube an Symmetrieprinzipien eine zentrale Rolle spielte, glaubte Pauli in seinen Träumen zu finden. Der von dem romantischen Philosophen Gotthilf Heinrich Schubert geprägte und von Fischer aufgegriffene Begriff der "Nachtseite der Naturwissenschaft" ist hier also durchaus wörtlich zu verstehen. Pauli bemerkt, "daß meine Träume oft moderne physikalische Begriffe benützen, um psychologische Sachverhalte und Prozesse auszudrücken". In Anlehnung an die Alchemie bezeichnete er die "fast unauflösbare Verquickung von seelischen und physikalischen Vorgängen in den Bildern des Hintergrundes" einmal scherzhaft als "Alphysik".
Eine für die Ideengeschichte glückliche Fügung wollte es, daß Pauli während seiner Züricher Zeit - er war seit 1928 dort Professor für Theoretische Physik - mit Carl Gustav Jung in Kontakt kam. Um das Jahr 1930 durchlitt der Naturwissenschaftler eine Lebenskrise und wandte sich an Jung, der ihn zunächst in die Obhut seiner Schülerin Erna Rosenbaum gab. Paulis akribisch aufgezeichnete Träume dienten dem Analytiker als unschätzbarer Fundus. In "Psychologie und Alchemie" erwähnt Jung (ohne Pauli namentlich zu nennen) das reichhaltige Material, das er "aus über tausend Träumen und visuellen Eindrücken eines wissenschaftlichen gebildeten jüngeren Mannes" gewonnen habe. Außerdem führten Analytiker und Patient einen regen, erst 1992 edierten Briefwechsel.
Die Grundzüge dieses "Pauli-Jung-Dialogs", zu dem Hans Primas und andere 1995 einen wichtigen Band herausgegeben haben, werden von Fischer allgemein verständlich nachgezeichnet. Dennoch bleiben viele Fragezeichen, denn wenn dieser "Weg zum schöpferischen Gleichgewicht der Gegensatzpaare", zur Verbindung von Physischem und Psychischem, kein Holzweg ist, dann muß er erst noch beschritten werden. Pauli selbst erschien er als "ein schmaler Weg der Wahrheit zwischen der Scylla eines blauen Dunstes von Mystik und der Charybdis eines sterilen Rationalismus", und er war sich bewußt, "daß hier die drohende Gefahr eines Rückfalls in primitivsten Aberglauben besteht". Mit Parapsychologie, Spiritismus oder Horoskopen wollte er nicht in Verbindung gebracht werden, sondern an rationalen Kriterien unbedingt festhalten. Dennoch begab sich Pauli zuweilen in die Nähe der Zahlenmystik und glaubte wohl selbst an den unter seinen Kollegen berüchtigten "Pauli-Effekt": Wo immer Pauli auftrat, so hieß es, ging etwas schief.
Fischers Darstellung empfiehlt sich als knappe Einführung in Paulis Leben und Hinführung zu seinem Denken. Eine Auswahl der zahlreichen über den Physiker kursierenden Anekdoten lockert den Text auf; gehemmt wird der Lesefluß lediglich durch wiederholte Verweise auf Ausführungen in späteren Kapiteln. Das Buch verleugnet nicht den Charakter einer Skizze, die um so neugieriger macht auf eine große, noch zu schreibende Pauli-Biographie, in der auch die Grenzen des Denkens ihren Platz haben müßten.
ACHIM BAHNEN
Ernst Peter Fischer: "An den Grenzen des Denkens". Wolfgang Pauli - Ein Nobelpreisträger über die Nachtseiten der Wissenschaft. Herder Verlag, Freiburg 2000. 189 S., Abb., br., 18,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Odysseus der Naturwissenschaft: Wolfgang Pauli suchte den Weg zwischen Humbug und Ratio
Zu Lebzeiten saß er gerne in Kneipen und Kinos; heute thront er im Pantheon der Physik. Wolfgang Pauli war ein Nachttier und ein Großstadtmensch, ein gänzlich anderer Charakter als der ein Jahr jüngere, natur- und jugendbewegte Heisenberg. Ein komplementäres Kommilitonen- und Kollegenpaar, wenn man ein Schlagwort aus den Debatten um die von beiden mitbegründete Quantentheorie bemühen will. Doch während Heisenberg, nicht anders als Bohr und Einstein, der Öffentlichkeit ein Begriff ist, blieb Pauli bislang ein weitgehend Unbekannter.
Der Konstanzer Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer vermutet, daß es noch immer an "geistigem Mut" fehle, um sich mit Pauli ernsthaft auseinanderzusetzen. Zu entdecken gilt es nämlich vor allem das nichtphysikalische Denken des großen Physikers, oder genauer: sein Nachdenken über jene Aspekte, die Pauli selbst als seiner wissenschaftlichen Tätigkeit zugrunde liegend betrachtete. In der einzigen Publikation zu Paulis hundertstem Geburtstag gibt Fischer vor allem einen Einblick in diese "Hintergrundsphysik".
Paulis physikalische Verdienste sind unbestritten. Seine unerbittliche Kritik in Sachfragen trug ihm den Ehrentitel "das Gewissen der Physik" ein, und gefürchtet war sein bissiger Humor. Als er sich wieder einmal über Heisenbergs Weltformel-Rhetorik ärgerte, kommentierte Pauli in einem Brief an den Kollegen Gamow den Zustand des Heisenbergschen Projekts. Er zeichnete ein leeres Viereck auf das Papier und schrieb dazu: "Das soll der Welt zeigen, daß ich wie Tizian malen kann. Es fehlen nur technische Details."
Zu Paulis wichtigsten physikalischen Beiträgen zählen die Postulierung des Neutrinos, das erst ein Vierteljahrhundert später experimentell nachgewiesen werden konnte, sowie die Formulierung des Ausschließungsprinzips, für das er 1945 den Nobelpreis erhielt. Nach dem Pauli-Prinzip ist es ausgeschlossen, daß sich zwei Elektronen im gleichen Quantenzustand befinden. Daraus erklärt sich die sukzessive Auffüllung der Energieniveaus im Atom und somit auch die unterschiedliche Beschaffenheit der chemischen Elemente. In seiner allgemeinen Form gilt das Pauli-Prinzip für alle Elementarteilchen mit halbzahligem Spin, die sogenannten Fermionen.
Einen Schlüssel zu seinen wissenschaftlichen Antrieben, bei denen der Glaube an Symmetrieprinzipien eine zentrale Rolle spielte, glaubte Pauli in seinen Träumen zu finden. Der von dem romantischen Philosophen Gotthilf Heinrich Schubert geprägte und von Fischer aufgegriffene Begriff der "Nachtseite der Naturwissenschaft" ist hier also durchaus wörtlich zu verstehen. Pauli bemerkt, "daß meine Träume oft moderne physikalische Begriffe benützen, um psychologische Sachverhalte und Prozesse auszudrücken". In Anlehnung an die Alchemie bezeichnete er die "fast unauflösbare Verquickung von seelischen und physikalischen Vorgängen in den Bildern des Hintergrundes" einmal scherzhaft als "Alphysik".
Eine für die Ideengeschichte glückliche Fügung wollte es, daß Pauli während seiner Züricher Zeit - er war seit 1928 dort Professor für Theoretische Physik - mit Carl Gustav Jung in Kontakt kam. Um das Jahr 1930 durchlitt der Naturwissenschaftler eine Lebenskrise und wandte sich an Jung, der ihn zunächst in die Obhut seiner Schülerin Erna Rosenbaum gab. Paulis akribisch aufgezeichnete Träume dienten dem Analytiker als unschätzbarer Fundus. In "Psychologie und Alchemie" erwähnt Jung (ohne Pauli namentlich zu nennen) das reichhaltige Material, das er "aus über tausend Träumen und visuellen Eindrücken eines wissenschaftlichen gebildeten jüngeren Mannes" gewonnen habe. Außerdem führten Analytiker und Patient einen regen, erst 1992 edierten Briefwechsel.
Die Grundzüge dieses "Pauli-Jung-Dialogs", zu dem Hans Primas und andere 1995 einen wichtigen Band herausgegeben haben, werden von Fischer allgemein verständlich nachgezeichnet. Dennoch bleiben viele Fragezeichen, denn wenn dieser "Weg zum schöpferischen Gleichgewicht der Gegensatzpaare", zur Verbindung von Physischem und Psychischem, kein Holzweg ist, dann muß er erst noch beschritten werden. Pauli selbst erschien er als "ein schmaler Weg der Wahrheit zwischen der Scylla eines blauen Dunstes von Mystik und der Charybdis eines sterilen Rationalismus", und er war sich bewußt, "daß hier die drohende Gefahr eines Rückfalls in primitivsten Aberglauben besteht". Mit Parapsychologie, Spiritismus oder Horoskopen wollte er nicht in Verbindung gebracht werden, sondern an rationalen Kriterien unbedingt festhalten. Dennoch begab sich Pauli zuweilen in die Nähe der Zahlenmystik und glaubte wohl selbst an den unter seinen Kollegen berüchtigten "Pauli-Effekt": Wo immer Pauli auftrat, so hieß es, ging etwas schief.
Fischers Darstellung empfiehlt sich als knappe Einführung in Paulis Leben und Hinführung zu seinem Denken. Eine Auswahl der zahlreichen über den Physiker kursierenden Anekdoten lockert den Text auf; gehemmt wird der Lesefluß lediglich durch wiederholte Verweise auf Ausführungen in späteren Kapiteln. Das Buch verleugnet nicht den Charakter einer Skizze, die um so neugieriger macht auf eine große, noch zu schreibende Pauli-Biographie, in der auch die Grenzen des Denkens ihren Platz haben müßten.
ACHIM BAHNEN
Ernst Peter Fischer: "An den Grenzen des Denkens". Wolfgang Pauli - Ein Nobelpreisträger über die Nachtseiten der Wissenschaft. Herder Verlag, Freiburg 2000. 189 S., Abb., br., 18,80 DM.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Sehr angetan ist Achim Bahnen von diesem Buch über den Physiker Wolfgang Pauli. Er empfiehlt es als "knappe Einführung" in Paulis Leben und Denken und lobt die vielen Anekdoten, die das ganze angenehm auflockerten. Der wichtige Austausch des Physikers mit C. G. Jung, der bereits in einem anderen Buch aufgearbeitet worden sei, werde von Autor allgemeinverständlich referiert. Allerdings stört sich Bahnen an den vielen Verweisen auf Darlegungen in späteren Kapitel - dies behindere den Textfluss erheblich. Doch alles in allem macht diese "Skizze" neugierig und lässt den Rezensenten auf eine noch ausstehende Biografie Paulis hoffen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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