Der Ganges ist die Lebensader Indiens. Ilija Trojanow hat den großen Fluss von der Mündung, wo er aus dem ewigen Eis bricht, bis in die großen Städte bereist, mit dem Boot, dem Bus, in überfüllten Bahnen. Eine farbige Reportage und Erzählung über ein Land zwischen einer uralten Tradition und einer höchst ungewissen Moderne und über den heiligen Fluss, der es über Hunderte von Kilometern durchzieht.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.01.2004Wer der Ganga die Zunge löst
Ilija Trojanow reist entlang des indischen Pilgerstroms
Inzwischen ist er auf drei Kontinenten zu Hause. In Bulgarien 1965 geboren, floh Ilija Trojanow mit seiner Familie nach Deutschland und wanderte früh nach Ostafrika aus, doch kehrte er zum Studium nach Deutschland zurück. Seine Liebe zu Afrika pflegte er mit der Gründung eines deutschsprachigen Verlags für afrikanische Literatur, den er abgab, als er sich nach Indien aufmachte. Vier Jahre lang hat er in Bombay gelebt - wenn er nicht gerade unterwegs war, und das war häufig. Beeindruckend, mit welch energischer, weit offener, intelligenter Sympathie sich Trojanow fremde Lebensweisen erschließt. Kaum in Indien angekommen, begann er auch schon Zeitungsreportagen und Reiseberichte zu veröffentlichen, die er vor zwei Jahren in dem beachtlichen Band "Der Sadhu an der Teufelswand" versammelte.
Von anderen Indien-Reisenden unterscheidet er sich durch eine vorsichtige Annäherung ans indische Leben, die Vorurteile und hastige Urteile vermeiden möchte. Ihm fehlt der zynische, herablassende Zungenschlag angesichts einer oft unverständlich-bizarren Wirklichkeit, ebenso jedes Betroffenheitsgetue gegenüber dem Elend. Er weiß, daß sich mit solchen Gesten kein einziger Armer einen Teller Reis kaufen kann, daß sie eher den freien Blick auf die Realität der Armut verstellen.
Unlängst hat Ilija Trojanow, begleitet von seiner Ehefrau, einer deutschen Diplomatin, eine Reise von der Quelle bis zur Mündung des Ganges unternommen (F.A.Z. vom 31. Juli und 1. August 2002). Zuerst wanderten sie zu Fuß; und sobald es der Fluß zuließ, setzten sie ein Schlauchboot darauf und paddelten weiter, bis die Strömung zu reißend wurde. Den langen Rest reisten sie in Zügen und Bussen an den "inneren Ufern" entlang. Dabei kamen sie an einigen der berühmten Wallfahrtsorte der Hindus vorbei, an Haridwar und Benares und Allahabad, sie besuchten Dörfer sowie Städte wie Kanpur und Kalkutta, bis sie die Reise an der Mündung, am Tempel des Kapil Muni auf der Sagar-Insel, abschlossen.
Die Idee einer Reise entlang der Ganga ist nun nicht eben originell, sie beschreibt eine der uralten Pilgerrouten der Hindus. Darüber sind Dokumentarfilme gedreht und Bildbände fotografiert und fromme Beschreibungen geschrieben worden. Trojanow mußte sich etwas einfallen lassen, um diesem Stoff frische Würze abzupressen. Seine Lösung ist ein Nebeneinander von Reisereportage, mythologischer Erzählung und gesellschaftlichem Kommentar. Diese Stränge klug miteinander verwebend, gelingt es dem Autor, die Bedeutung dieses Stroms anschaulich zu machen. Er erzählt die Mythen nach, die vom Ursprung des Flusses Ganga berichten; immer wieder setzt diese Geschichte neu ein, nimmt lokale Variationen auf und schließt an der Mündung mit der dramatischen Szene von dem Herabsturz der Flußgöttin auf die Erde ab.
Ein zweiter roter Faden ist die leidenschaftliche Verehrung der Hindufrommen für diesen Fluß, dessen Wasser, mag es noch so verschmutzt sein, als rein und reinigend, als heilig gilt. Und wie gefährlich es ist, dokumentiert der Autor, wenn er vom modernen, industriellen Indien schreibt, das sich an den Ufern ausbreitet. Das Paar besuchte Kläranlagen, Gerbereien, deren giftige Abwässer ungefiltert abfließen, Umweltprojekte zur Säuberung des Flusses, unterhielt sich mit bekannten Umweltaktivisten ebenso wie etwa mit dem Leiter eines städtischen Wasserversorgungswerkes. Trojanow notiert die Meinungen von Bahnhofsvorstehern und Teeladenbesitzern, von Bauern, deren Felder das Ufer säumen, und Fährleuten, die am Strom und von ihm leben. Auf diese Weise beginnt Ganga, die Göttin, vielstimmig zu sprechen, wird zu einem zungenfertigen Wesen, das Charakter annimmt und Charakter zeigt.
Der Autor ist darauf bedacht, diesen Chor nicht mit eigenen essayistischen Einschüben zu stören. Erklärungen, die unerläßlich sind, bleiben knapp und en passant. Ansonsten keine gesellschaftlichen Analysen, keine eigene Empörung, keine Gefühlsoffenbarungen. Die Sprache ist griffig, in den Metaphern stimmig und originell - schlackenlos, sehr im Gegensatz zum mythisch breit dahinrollenden Strom. Diese Art mögen manche Leser für impressionistisch-oberflächlich halten. Wer sich jedoch bewußt ist, wie schwer es gerade beim Schreibgegenstand Indien ist, sämtliche Klischees und exotischen Erwartungen zu umschiffen, der weiß diese verwunderte Distanz, diese europäisch anmutende Art der Darstellung zu schätzen.
Diese Frage drängt sich nämlich unter Indern immer wieder auf: In welcher Haltung kann man Europäern deren oft befremdende Eigenart nahebringen? Trojanow hält sich fern von allem mystelnden Brimborium. Allerdings will er eben nicht voyeuristisch die Oberfläche abschildern, als sei ihre Tiefendimension doch nicht verständlich oder nicht der Mühe wert, verstanden zu werden. Statt dessen steuert Trojanow einen Mittelkurs: Er schildert seine Reise durchaus mit Blick auf die interessant-skurrilen Details bei den Menschenbegegnungen, um dem Buch eine volksnahe Farbe zu geben. Er tut es im Tonfall amüsierten Wohlwollens, ohne mißbilligendes Kopfschütteln, beinahe immer ohne Ärger. Ihm gelingt es dabei meist, einen Gefühlskontakt zu seinem "Publikum", den Einheimischen, herzustellen, auch noch, wenn sie das Paar umringen, begaffen, ausfragen, anbetteln, sich ihm anbiedern, es mit überschwenglichen Versuchen der Gastfreundschaft belästigen und belustigen.
Wie sich zeigt, ist für Europäer diese Pilgertour durchaus ungewöhnlich und führt auf Terrain, das Ausländer kaum begehen, darum diese geradezu aggressive Anteilnahme. Sie mag den Reisenden auch deutlich gemacht haben, wie wenig sie trotz aller Sympathie und gewünschten Nähe zum heiligen Wasser und zu seinen Ufern von der ursprünglichen Pilgerschaft verwirklichen konnten. So beschreibt sich Trojanow wiederholt und leicht irritiert selbst als Schauobjekt. Dieses Buch ist der Bericht von einem uralten indischen Pilgerweg und erzählt zugleich von der Unmöglichkeit, diese Pilgerschaft als moderne Europäer wahr zu machen. Nicht zuletzt aus dieser Spannung empfängt es seinen Wert. Inzwischen hat sich Ilija Trojanow in Kapstadt niedergelassen. Er ist zurückgekehrt nach Afrika und an jenen Fels, den die Seefahrer einst auf der Suche nach dem sagenhaften Indien umschifft haben.
MARTIN KÄMPCHEN
Ilija Trojanow: "An den inneren Ufern Indiens". Eine Reise entlang des Ganges. Carl Hanser Verlag, München und Wien 2003. 200 S., geb., 14,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ilija Trojanow reist entlang des indischen Pilgerstroms
Inzwischen ist er auf drei Kontinenten zu Hause. In Bulgarien 1965 geboren, floh Ilija Trojanow mit seiner Familie nach Deutschland und wanderte früh nach Ostafrika aus, doch kehrte er zum Studium nach Deutschland zurück. Seine Liebe zu Afrika pflegte er mit der Gründung eines deutschsprachigen Verlags für afrikanische Literatur, den er abgab, als er sich nach Indien aufmachte. Vier Jahre lang hat er in Bombay gelebt - wenn er nicht gerade unterwegs war, und das war häufig. Beeindruckend, mit welch energischer, weit offener, intelligenter Sympathie sich Trojanow fremde Lebensweisen erschließt. Kaum in Indien angekommen, begann er auch schon Zeitungsreportagen und Reiseberichte zu veröffentlichen, die er vor zwei Jahren in dem beachtlichen Band "Der Sadhu an der Teufelswand" versammelte.
Von anderen Indien-Reisenden unterscheidet er sich durch eine vorsichtige Annäherung ans indische Leben, die Vorurteile und hastige Urteile vermeiden möchte. Ihm fehlt der zynische, herablassende Zungenschlag angesichts einer oft unverständlich-bizarren Wirklichkeit, ebenso jedes Betroffenheitsgetue gegenüber dem Elend. Er weiß, daß sich mit solchen Gesten kein einziger Armer einen Teller Reis kaufen kann, daß sie eher den freien Blick auf die Realität der Armut verstellen.
Unlängst hat Ilija Trojanow, begleitet von seiner Ehefrau, einer deutschen Diplomatin, eine Reise von der Quelle bis zur Mündung des Ganges unternommen (F.A.Z. vom 31. Juli und 1. August 2002). Zuerst wanderten sie zu Fuß; und sobald es der Fluß zuließ, setzten sie ein Schlauchboot darauf und paddelten weiter, bis die Strömung zu reißend wurde. Den langen Rest reisten sie in Zügen und Bussen an den "inneren Ufern" entlang. Dabei kamen sie an einigen der berühmten Wallfahrtsorte der Hindus vorbei, an Haridwar und Benares und Allahabad, sie besuchten Dörfer sowie Städte wie Kanpur und Kalkutta, bis sie die Reise an der Mündung, am Tempel des Kapil Muni auf der Sagar-Insel, abschlossen.
Die Idee einer Reise entlang der Ganga ist nun nicht eben originell, sie beschreibt eine der uralten Pilgerrouten der Hindus. Darüber sind Dokumentarfilme gedreht und Bildbände fotografiert und fromme Beschreibungen geschrieben worden. Trojanow mußte sich etwas einfallen lassen, um diesem Stoff frische Würze abzupressen. Seine Lösung ist ein Nebeneinander von Reisereportage, mythologischer Erzählung und gesellschaftlichem Kommentar. Diese Stränge klug miteinander verwebend, gelingt es dem Autor, die Bedeutung dieses Stroms anschaulich zu machen. Er erzählt die Mythen nach, die vom Ursprung des Flusses Ganga berichten; immer wieder setzt diese Geschichte neu ein, nimmt lokale Variationen auf und schließt an der Mündung mit der dramatischen Szene von dem Herabsturz der Flußgöttin auf die Erde ab.
Ein zweiter roter Faden ist die leidenschaftliche Verehrung der Hindufrommen für diesen Fluß, dessen Wasser, mag es noch so verschmutzt sein, als rein und reinigend, als heilig gilt. Und wie gefährlich es ist, dokumentiert der Autor, wenn er vom modernen, industriellen Indien schreibt, das sich an den Ufern ausbreitet. Das Paar besuchte Kläranlagen, Gerbereien, deren giftige Abwässer ungefiltert abfließen, Umweltprojekte zur Säuberung des Flusses, unterhielt sich mit bekannten Umweltaktivisten ebenso wie etwa mit dem Leiter eines städtischen Wasserversorgungswerkes. Trojanow notiert die Meinungen von Bahnhofsvorstehern und Teeladenbesitzern, von Bauern, deren Felder das Ufer säumen, und Fährleuten, die am Strom und von ihm leben. Auf diese Weise beginnt Ganga, die Göttin, vielstimmig zu sprechen, wird zu einem zungenfertigen Wesen, das Charakter annimmt und Charakter zeigt.
Der Autor ist darauf bedacht, diesen Chor nicht mit eigenen essayistischen Einschüben zu stören. Erklärungen, die unerläßlich sind, bleiben knapp und en passant. Ansonsten keine gesellschaftlichen Analysen, keine eigene Empörung, keine Gefühlsoffenbarungen. Die Sprache ist griffig, in den Metaphern stimmig und originell - schlackenlos, sehr im Gegensatz zum mythisch breit dahinrollenden Strom. Diese Art mögen manche Leser für impressionistisch-oberflächlich halten. Wer sich jedoch bewußt ist, wie schwer es gerade beim Schreibgegenstand Indien ist, sämtliche Klischees und exotischen Erwartungen zu umschiffen, der weiß diese verwunderte Distanz, diese europäisch anmutende Art der Darstellung zu schätzen.
Diese Frage drängt sich nämlich unter Indern immer wieder auf: In welcher Haltung kann man Europäern deren oft befremdende Eigenart nahebringen? Trojanow hält sich fern von allem mystelnden Brimborium. Allerdings will er eben nicht voyeuristisch die Oberfläche abschildern, als sei ihre Tiefendimension doch nicht verständlich oder nicht der Mühe wert, verstanden zu werden. Statt dessen steuert Trojanow einen Mittelkurs: Er schildert seine Reise durchaus mit Blick auf die interessant-skurrilen Details bei den Menschenbegegnungen, um dem Buch eine volksnahe Farbe zu geben. Er tut es im Tonfall amüsierten Wohlwollens, ohne mißbilligendes Kopfschütteln, beinahe immer ohne Ärger. Ihm gelingt es dabei meist, einen Gefühlskontakt zu seinem "Publikum", den Einheimischen, herzustellen, auch noch, wenn sie das Paar umringen, begaffen, ausfragen, anbetteln, sich ihm anbiedern, es mit überschwenglichen Versuchen der Gastfreundschaft belästigen und belustigen.
Wie sich zeigt, ist für Europäer diese Pilgertour durchaus ungewöhnlich und führt auf Terrain, das Ausländer kaum begehen, darum diese geradezu aggressive Anteilnahme. Sie mag den Reisenden auch deutlich gemacht haben, wie wenig sie trotz aller Sympathie und gewünschten Nähe zum heiligen Wasser und zu seinen Ufern von der ursprünglichen Pilgerschaft verwirklichen konnten. So beschreibt sich Trojanow wiederholt und leicht irritiert selbst als Schauobjekt. Dieses Buch ist der Bericht von einem uralten indischen Pilgerweg und erzählt zugleich von der Unmöglichkeit, diese Pilgerschaft als moderne Europäer wahr zu machen. Nicht zuletzt aus dieser Spannung empfängt es seinen Wert. Inzwischen hat sich Ilija Trojanow in Kapstadt niedergelassen. Er ist zurückgekehrt nach Afrika und an jenen Fels, den die Seefahrer einst auf der Suche nach dem sagenhaften Indien umschifft haben.
MARTIN KÄMPCHEN
Ilija Trojanow: "An den inneren Ufern Indiens". Eine Reise entlang des Ganges. Carl Hanser Verlag, München und Wien 2003. 200 S., geb., 14,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"So nah wie selten ist Rezensentin "str." Indien in diesem Buch gekommen. Dies liegt vor allem daran, dass sie den Autor nicht in die "Fallen des handelsüblichen Entsetzens" über Elend und Tod, Not und Pracht, Heiligkeit und Barbarei tappen sieht. Auch sei die vermeintliche Abgeklärtheit, mit der Autor Trojanow seine Reise von der Quelle bis zur Mündung des Ganges beschreibe, weder "Arroganz und mangelnde Sensibilität", sondern eine Selbstzähmung, die erst den Blick auf das Innere Indiens hinter der Fassade aus Faszination und Abscheu erlaube.
© Perlentaucher Medien GmbH"
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