Produktdetails
  • Verlag: Picador
  • ISBN-13: 9780330372671
  • Artikelnr.: 20962417
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.01.2000

Nichts als jung
Versager schreiben Tagebuch

Jede Generation muss einmal damit anfangen, ihre eigene Geschichte zu erzählen. Dabei ist es schwierig, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen. Liegen die Ereignisse zu weit zurück, kann man sich an die Details nicht mehr erinnern, sind sie grade erst vergangen, hat man noch keine Distanz. Dieses Problem stellt sich auch in dem schmalen Erstling des 1969 geborenen amerikanischen Autors Benjamin Anastas. Sein Ich-Erzähler, der "Versager" des Titels, entsinnt sich - in erheiternder Missachtung der psychoanalytischen Lehrmeinung, dass wir in unserer frühesten Kindheit ein Erinnerungsloch haben - der ersten Jahre auf das Genaueste, und es ist auch ziemlich lustig, ihm auf den ersten Etappen seiner Entwicklung zu folgen. "Mit vierzehn Wochen konnte Clive bereits seinen Kopf heben und mich anstarren. Meiner hingegen rollte plump zur Seite." Und so wird es bleiben. Clive, der um sieben Minuten ältere Zwillingsbruder, entwickelt sich auf das Prächtigste zu dem ziemlich erfolgreichen gattungstypischen US-Amerikaner seiner Generation, der der jüngere trotz aller ebenfalls gattungstypischen Bemühungen der Eltern (auch sie herzzerreißend gattungstypisch) nicht werden will.

Warum er in allem und jedem versagt und schließlich in der heruntergekommensten kalifornischen Sekte landet, die man sich vorstellen kann, versteht man eigentlich nicht. Er versteht es selber nicht. Und da gibt es in der Erzählung ein Problem: Irgendwo auf dem Weg zum Erwachsenwerden verliert man das Interesse an den vielfältigen Methoden des Helden, den Eintritt in die Welt der Erwachsenen nicht zu schaffen, obwohl ihm eigentlich niemand etwas in den Weg legt. Dieses erst mit der modernen Wohlstandsgesellschaft aufgetretene Problem - bis dahin konnte man immer Nachteile des Standes, der Religion oder der materiellen Verhältnisse im Elternhaus zur Erklärung heranziehen - bedürfte ja tatsächlich der literarischen Erhellung.

Benjamin Anastas erhellt es nicht, er konstatiert es bloß. Und da gerät die Zeichnung der beiden allzu verschiedenen Zwillinge und der frohsinnigen Eltern, die ihre mentale Grundausstattung aus den frühen sechziger Jahren niemals ablegen werden, denn doch etwas arg schematisch. Das heißt nicht, dass das "Tagebuch eines Versagers" (sehr anständig übersetzt von Christian Rochow) ein durchaus schlechtes Buch wäre. Es hätte sogar ein gutes werden können, wenn - vielleicht der Autor noch einige Jahre der Distanzierung, des Ausdenkens und des Ausfeilens daran verwendet hätte. So aber verlor der Rezensent sich am Ende in kultursoziologischen Überlegungen wie der, dass das Übergewicht der amerikanischen Kultur inzwischen schon sehr groß sein muss, wenn ein in jeder Hinsicht dünnes Büchlein wie dieses auf Deutsch erscheinen kann, während literarisch bedeutsame - und im epochenanalytischen Ansatz vergleichbare - wie Walter Kappachers "Ein Amateur" weithin unbeachtet bleiben.

WALTER KLIER

Benjamin Anastas: "Tagebuch eines Versagers". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Christian Rochow. Residenz Verlag, Salzburg und Wien 1999. 159 S., geb., 38,- DM.

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