Viele kennen Greg Graffin als Frontmann der Punkrockband Bad Religion. Nur wenige wissen, dass er ein naturwissenschaftliches Studium mit dem Doktorgrad abgeschlossen hat und an der Universität von Kalifornien in Los Angeles Evolutionsbiologie lehrt. In War Darwin ein Punk? schlägt Graffin eine Brücke zwischen Kunst und Wissenschaft. Als Jugendlicher - in einer Zeit, als er "jede Nacht Drogen, Sex und Ärger hätte haben können" - entdeckte Graffin, dass das Studium der Evolution ihm eine Grundstruktur für den Sinn des Lebens aufzeigte. In diesem provokanten und sehr persönlichen Buch beschreibt er seine Reifung als Künstler und die Entwicklung seiner naturalistischen Weltanschauung. Während der Streit zwischen Religion und Wissenschaft häufig aus extremen Blickwinkeln dargestellt wird, zeigt sein Buch neue, detaillierte Einsichten zu der immerwährenden Debatte um Atheismus und den Sinn des Lebens. Es ist ein Buch für jeden, der sich schon einmal gefragt hat, ob Gott wirklich existiert.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.10.2011War Darwin ein Punk?
Es gibt vermutlich wenige Phänomene, die den anarchischen Charakter der Evolution so gut belegen können wie der Oki-Dog. Der Oki-Dog ist eine Weiterentwicklung des Hot Dogs, die sich in den frühen achtziger Jahren an einer heruntergekommenen Imbissbude in West Hollywood als Grundnahrungsmittel der kalifornischen Skatepunkszene etablierte, ein Beleg für die teuflischen Kräfte der Globalisierung: Zwei Wiener Würstchen in einem Tortilla-Sandwich, gefüllt mit gegrilltem Pastrami, Chili und Käse. Mit Darwins Theorie der natürlichen Selektion jedenfalls lässt sich der Oki-Dog höchstens mit einer kleinen orthographischen Korrektur erklären: als "survival of the fattest".
Was das alles, einerseits, mit Darwin zu tun hat und andererseits mit Gott, der Welt und allem anderen, das möchte uns nun endlich einmal Greg Graffin erklären. Wogegen eigentlich nichts einzuwenden wäre, weil es sich bei dem Herrn ganz zweifellos um den Missing Link beider Fachgebiete handelt: Als Sänger von Bad Religion versuchte er erfolgreich, die Aggressivität des Punk mit der Energie der Westcoast zu kreuzen, daneben machte er Karriere als Evolutionsbiologe, lehrt heute an der Cornell University im Bundesstaat New York.
"Anarchie und Evolution" heißt sein Buch, welches zunächst unter dem etwas durchsetzungsfähigeren Titel "War Darwin ein Punk?" angekündigt war. Generisch handelt es sich bei Graffins experimenteller Mischung aus Memoir und naturwissenschaftlicher Analyse gewissermaßen um eine degenerierte Abart von Lévi-Strauss' "Traurige Tropen", inklusive Forschungsreise nach Brasilien. Der Münchner Riva-Verlag, nicht unbedingt die erste Adresse für evolutionstheoretische Fachbücher, wirbt für das Buch mit dem sachdienlichen Hinweis: "Mit vielen autobiographischen Schilderungen aus dem Leben der Punkrocklegende Greg Graffin".
Dass es am Ende Darwin doch nicht auf den Titel geschafft hat, mag daran liegen, dass Graffin zu der Frage auch nicht mehr einfällt als die These, dass beide Weltbilder eben sehr viel gemeinsam hätten, nicht nur "die Freude am Experiment" und das "Misstrauen gegenüber allgemein akzeptierten Vorstellungen", sondern auch das "Vertrauen in Vernunft und Beweiskraft" (wobei Graffin leider verschweigt, welche obskure Spielart des Punk er damit meinen könnte). Etwas gewagter wird es, wenn Graffin versucht, die Erkenntnisse der Evolution auf die Musik anzuwenden. Über die Entwicklung des Genres schreibt er: "Punk blieb am Leben wie ein Säugetier aus der Kreidezeit, geschützt durch einen abgelegenen Lebensraum, bis die Bedingungen wieder so waren, dass er erneut aufblühen konnte." Und über seine eigene Rolle: "Ich schuf mir eine einzigartige Nische in der Welt des Punk - als Sänger von sprachlich starken Songs mit einem naturwissenschaftlichen Subtext."
Solche kulturbiologischen Kurzschlüsse sind aber nur die Bonus-Tracks in einem Buch, dem es im Kern darum geht, die Philosophie des Naturalismus gegen eine hartnäckige Religiosität zu verteidigen, die, wie sich Graffin wundert, selbst unter amerikanischen Biologen noch nicht ganz ausgestorben ist. Ein Punk als Exorzist, das lässt natürlich Ungeheuerliches erwarten. Die gegenwärtige Atheismusdebatte gehört ja nicht unbedingt in die Abteilung Kuschelrock; und wenn schon Schreihälse wie Richard Dawkins und Christopher Hitchens mit dem christlichen Fundamentalismus Pogo tanzen, wie ungemütlich wird es dann erst, wenn der Frontmann von Bad Religion loslegt? Leider schleicht Graffin so behutsam durch die eingetretenen Kirchentüren, dass ihm in seiner Religionskritik auch noch das Einzige verlorengeht, was an den Schriften der neuen Atheisten interessant ist, nämlich ihr Furor. Die Lektionen, die Graffin von der Biologie lernt, haben eher Glückskeksformat: "Die Evolution ist voller Sackgassen, genau wie die Erfahrungen des menschlichen Lebens."
Mit der Wut des Punk jedenfalls hat das alles nicht mehr viel zu tun. Ganz offensichtlich unterliegt auch der Wissenschaftler Graffin jener Harmoniesucht, welche Freunde härterer Versionen des Genres am Sound von "Bad Religion" schon immer etwas unorthodox fanden. Von seinem Wunsch nach einem "fruchtbaren Dialog" ist da zu lesen, von der "Toleranz für unterschiedliche Weltbilder", vom Wert der Erziehung, des Sammelns von Gesteinsproben und des Sicherheitsgurtes. Nachdem er seitenlang sein Unverständnis über die anhaltende Popularität des Glaubens dahinsäuselte, schlägt er vor: "Es ist an der Zeit, die langweilige und endlose Debatte über die Existenz Gottes beiseitezulegen."
Noch immer tritt Graffin mit Bad Religion in erstaunlich ausverkauften Hallen auf. Vielleicht ist danach für wuchtige Thesen einfach keine Energie mehr übrig. Oder es war doch ein Oki-Dog zu viel.
Harald Staun
Greg Graffin: "Anarchie und Evolution". Riva-Verlag, 288 Seiten, 19,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Es gibt vermutlich wenige Phänomene, die den anarchischen Charakter der Evolution so gut belegen können wie der Oki-Dog. Der Oki-Dog ist eine Weiterentwicklung des Hot Dogs, die sich in den frühen achtziger Jahren an einer heruntergekommenen Imbissbude in West Hollywood als Grundnahrungsmittel der kalifornischen Skatepunkszene etablierte, ein Beleg für die teuflischen Kräfte der Globalisierung: Zwei Wiener Würstchen in einem Tortilla-Sandwich, gefüllt mit gegrilltem Pastrami, Chili und Käse. Mit Darwins Theorie der natürlichen Selektion jedenfalls lässt sich der Oki-Dog höchstens mit einer kleinen orthographischen Korrektur erklären: als "survival of the fattest".
Was das alles, einerseits, mit Darwin zu tun hat und andererseits mit Gott, der Welt und allem anderen, das möchte uns nun endlich einmal Greg Graffin erklären. Wogegen eigentlich nichts einzuwenden wäre, weil es sich bei dem Herrn ganz zweifellos um den Missing Link beider Fachgebiete handelt: Als Sänger von Bad Religion versuchte er erfolgreich, die Aggressivität des Punk mit der Energie der Westcoast zu kreuzen, daneben machte er Karriere als Evolutionsbiologe, lehrt heute an der Cornell University im Bundesstaat New York.
"Anarchie und Evolution" heißt sein Buch, welches zunächst unter dem etwas durchsetzungsfähigeren Titel "War Darwin ein Punk?" angekündigt war. Generisch handelt es sich bei Graffins experimenteller Mischung aus Memoir und naturwissenschaftlicher Analyse gewissermaßen um eine degenerierte Abart von Lévi-Strauss' "Traurige Tropen", inklusive Forschungsreise nach Brasilien. Der Münchner Riva-Verlag, nicht unbedingt die erste Adresse für evolutionstheoretische Fachbücher, wirbt für das Buch mit dem sachdienlichen Hinweis: "Mit vielen autobiographischen Schilderungen aus dem Leben der Punkrocklegende Greg Graffin".
Dass es am Ende Darwin doch nicht auf den Titel geschafft hat, mag daran liegen, dass Graffin zu der Frage auch nicht mehr einfällt als die These, dass beide Weltbilder eben sehr viel gemeinsam hätten, nicht nur "die Freude am Experiment" und das "Misstrauen gegenüber allgemein akzeptierten Vorstellungen", sondern auch das "Vertrauen in Vernunft und Beweiskraft" (wobei Graffin leider verschweigt, welche obskure Spielart des Punk er damit meinen könnte). Etwas gewagter wird es, wenn Graffin versucht, die Erkenntnisse der Evolution auf die Musik anzuwenden. Über die Entwicklung des Genres schreibt er: "Punk blieb am Leben wie ein Säugetier aus der Kreidezeit, geschützt durch einen abgelegenen Lebensraum, bis die Bedingungen wieder so waren, dass er erneut aufblühen konnte." Und über seine eigene Rolle: "Ich schuf mir eine einzigartige Nische in der Welt des Punk - als Sänger von sprachlich starken Songs mit einem naturwissenschaftlichen Subtext."
Solche kulturbiologischen Kurzschlüsse sind aber nur die Bonus-Tracks in einem Buch, dem es im Kern darum geht, die Philosophie des Naturalismus gegen eine hartnäckige Religiosität zu verteidigen, die, wie sich Graffin wundert, selbst unter amerikanischen Biologen noch nicht ganz ausgestorben ist. Ein Punk als Exorzist, das lässt natürlich Ungeheuerliches erwarten. Die gegenwärtige Atheismusdebatte gehört ja nicht unbedingt in die Abteilung Kuschelrock; und wenn schon Schreihälse wie Richard Dawkins und Christopher Hitchens mit dem christlichen Fundamentalismus Pogo tanzen, wie ungemütlich wird es dann erst, wenn der Frontmann von Bad Religion loslegt? Leider schleicht Graffin so behutsam durch die eingetretenen Kirchentüren, dass ihm in seiner Religionskritik auch noch das Einzige verlorengeht, was an den Schriften der neuen Atheisten interessant ist, nämlich ihr Furor. Die Lektionen, die Graffin von der Biologie lernt, haben eher Glückskeksformat: "Die Evolution ist voller Sackgassen, genau wie die Erfahrungen des menschlichen Lebens."
Mit der Wut des Punk jedenfalls hat das alles nicht mehr viel zu tun. Ganz offensichtlich unterliegt auch der Wissenschaftler Graffin jener Harmoniesucht, welche Freunde härterer Versionen des Genres am Sound von "Bad Religion" schon immer etwas unorthodox fanden. Von seinem Wunsch nach einem "fruchtbaren Dialog" ist da zu lesen, von der "Toleranz für unterschiedliche Weltbilder", vom Wert der Erziehung, des Sammelns von Gesteinsproben und des Sicherheitsgurtes. Nachdem er seitenlang sein Unverständnis über die anhaltende Popularität des Glaubens dahinsäuselte, schlägt er vor: "Es ist an der Zeit, die langweilige und endlose Debatte über die Existenz Gottes beiseitezulegen."
Noch immer tritt Graffin mit Bad Religion in erstaunlich ausverkauften Hallen auf. Vielleicht ist danach für wuchtige Thesen einfach keine Energie mehr übrig. Oder es war doch ein Oki-Dog zu viel.
Harald Staun
Greg Graffin: "Anarchie und Evolution". Riva-Verlag, 288 Seiten, 19,99 Euro
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