Chaos und Anarchie, Sex, Bullen, Bier und Rock 'n' Roll? Fehlanzeige! Hier geht's voll gesittet zu: Peter Julius Hein hat Angst vor dem Osten, und sein tablettensüchtiger Freund Dr. Hollenbach ist gar kein richtiger Arzt. Dennoch brettern die beiden jungen Altpunks mit einer illegal beschafften Staatskarosse ostwärts, um die Reste ihrer alten Band wieder zusammenzutrommeln - es droht nämlich ein unverhofftes Comeback. Die Motive der Mitspieler sind dabei höchst ehrenwert: Geldgier, Langeweile, Rache und Sehnsucht nach Liebe. Was in der BRD der Ära Kohl begann, soll in Merkels neuen Ländern seine Erfüllung finden: Peter Heins private Wiedervereinigung mit seiner alten Jugendliebe, der mirakulösen Sängerin Itty Lunatic. Wie in diesem ohnehin überschäumenden Gefühlschaos dann doch noch Bullen, Bier und Rock 'n' Roll zu ihrem Recht kommen, erzählt dieser weltweit erste "Punkroman für die besseren Kreise". Ein Road-Roman zum Einsteigen und Mitfahren, voller Witz und Ironie. Schmitts unkorrektes Debüt rauscht respektlos durch die gesamtdeutsche Realität von Rügen bis Chemnitz, durch die bewegte Punkgeschichte von damals bis heute.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.2006Das beste Konzert wurde nie gespielt
Punks scheitern schöner: Oliver Maria Schmitt hat eine Geständnisform gefunden
Deutschsprachige Autoren, die über heimische Unterhaltungsmusik schreiben, geraten leicht in Gefahr, provinzieller zu wirken, als sie sind. Das liegt an der mangelnden Reichweite deutscher Popmusik. Die Frage ist nur, wie man sich dazu verhält. Heinz Strunk hat mit "Fleisch ist mein Gemüse" gezeigt, daß sich aus einem vermeintlich niederen Gegenstand (Landeier-Musik) beeindruckende Literatur machen läßt. Schwieriger ist es, wenn die Musik, um die es geht, selber schon jene Daseinskritik transportiert, auf die der Autor aus ist. Rocko Schamonis "Dorfpunks" waren der Beweis dafür, daß man seine Jugend als Punker erzählen kann, ohne selber wie einer zu reden. Der Witz war freilich der, daß Schamoni uns zu verstehen gab, im Grunde nie ein richtiger Punker gewesen zu sein. Aber was heißt schon "richtig"? Bis heute weiß niemand so genau, was Punk überhaupt ist - das Einhorn der Popkultur.
Aus der unsicheren Erkenntnislage erwachsen jedenfalls Ironie und Understatement als adäquate Herangehensweisen. Oliver Maria Schmitts erster Roman "Anarchoshnitzel schrieen sie" ist ein weiterer Beleg dafür. Der "Punkroman für die besseren Kreise", wie der Untertitel mitteilt, verschreibt sich der Bewegung auf eine Weise, die jederzeit offenläßt, wie ernst man sie überhaupt nehmen kann. Der Ich-Erzähler Peter Hein - der Name ist geborgt bei dem "Fehlfarben"-Sänger, einem der ganz wenigen deutschen Punkmusiker von Rang - kontrastiert die Geschichte seiner aus der fingierten Stadt Hellingen (Schmitt kommt aus Heilbronn) stammenden "Gruppe Senf" mit den "Sex Pistols". Höher könnte die Fallhöhe nicht sein. Nun ist es so, daß sich auch die berühmtesten Punker in der Instrumentenbeherrschung kaum von den provinziellsten unterscheiden. Doch das wäre ein Spießerargument, auf das Schmitt sich nicht einläßt. Ihm geht es um den fürs Milieu freilich nicht schmeichelhaften Nachweis, daß auch die Profession des dumpf-unartikulierten Dagegenseins, der sich der Punk insgesamt verschrieb, den Mechanismen des Marktes ausgeliefert ist: Beratern, Fernsehanstalten, Verkaufsquoten.
Unter der Voraussetzung, daß auch die Ideologie, die Punk einmal war, irgendwann von dem absorbiert wird, was sie zu unterlaufen meint, läßt Schmitt ein sehr zeitgenössisches Road-movie abschnurren, das in Wirklichkeit ein historischer Roman ist: das Mutmaßen über das, was Punk einmal gewesen sein könnte, all die Legenden, unscharfen Erinnerungen und meistens nur herbeigewünschten Ereignisse, welche die Musik und die daran gekoppelte eigene Entwicklung geprägt haben.
Peter Hein und Dr. Hollenbach, zwei Männer in den Enddreißigern, machen sich im Herbst 2005 mit einem auf unsaubere Weise gemieteten Auto auf den Weg nach Ostdeutschland, um ihre Band wiederzubeleben, deren Ursprünge in die Anfänge der Kohl-Ära zurückreichen. Bereits mit diesem Rahmen trägt Schmitt der historischen Entwicklung Rechnung: Wo sich die Popmythen einst aus dem Schmerz über Auflösungserscheinungen oder frühe Tode bildeten, treiben heute die Wiedervereinigungen das Gespräch über sie an.
Schmitt schließt das Land mit seinem Punkmilieu kurz, wobei er als ehemaliger "Titanic"-Chefredakteur der Auffassung ist, daß politisch-geographisch sowieso nicht zusammenwachsen darf, was zusammengehört. Für die "Gruppe Senf" gilt das auch: Ihre Mitglieder reden so aneinander vorbei wie West- und Ostdeutschland, wobei, ebenfalls der "Titanic"-Tradition gehorchend, allerlei Ossi-Verunglimpfung unterläuft, die romanadäquat abgemildert ist. Es handelt sich hier weniger um Landeskunde als vielmehr um die mit einem geschickt arrangierten Stimmengewirr, einer an Henscheid erinnernden allgemeinen Großsprecherei bewältigte Rekonstruktion dessen, was Punk einmal bedeutete: Dissidenz und Scheitern. Die Bewegung speiste sich ja aus einem schlechthin negativen Daseinsbefund - deswegen war sie "gegen alles" -, den man über Adorno (Schmitt hat schon ein Buch über dessen Erben, die Neue Frankfurter Schule, geschrieben) bis zu Schopenhauer zurückverfolgen könnte. Darin, daß die Welt mit einer "Matrix aus Scheiße" überzogen ist, weiß Schmitt sich mit einem gewissen Heinz Halfpape (das ist: Strunk) einig. Fast in Reinkultur referiert ein Gruppenmitglied die von Schopenhauer formulierte Analogie zwischen Welt (Wille) und Musik, aus welcher der Punk die wohl schärfste Konsequenz gezogen hat: Musik ist, wie Zappa formulierte, dazu da, Scheußlichkeiten abzubilden.
Auch deswegen wirkt es stimmig, daß die heillos schlecht musizierende, aber mit einer für richtig gehaltenen Haltung ausgestattete "Gruppe Senf" sich damals nach einem Konzert und ohne Platte auflöste - ein in der Pophistorie klassischer Mythos. Die Gruppe soll schließlich in Köln ihre Wiedervereinigung feiern; dabei stellt sich heraus, daß der verschlagene Manager "NJN" sie für eine Sendung mit den "hundert beschissensten Rocksongs aller Zeiten" angemeldet hat. Und hier ist man, unter dem titelgebenden Namen "Anarchoshnitzel", plötzlich doch einmal Spitzenreiter. Peter Heins alte Liebe Itty Lunatic, die als geheimer Motor der Handlung dient, zitiert im Chaos Dylans Anweisung an seine elektrische Band beim Skandalauftritt 1965 in Newport: "Play fucking loud!" Hein greift sich das Mikrofon und singt, wie er noch nie gesungen hat: mit Würde.
Die Geschichte besteht aus großen Augenblicken; für den Helden war es nur ein "klitzekleiner": "Aber ich habe ihn erwischt." Wie der am Ende zitierte Gottfried Benn bei Nietzsche sein großes Erlebnis bezog, so ergeht es Hein mit dem Punk: "das Erdbeben der Epoche". Auch wenn es nur kurz währte, für ihn war es die größte Musik seit Beethoven. Der Größte war taub, die Größten können gar nicht spielen - die Musikgeschichte besteht aus lauter Paradoxen, so daß der Roman als solcher zum Verstoß gegen ungeschriebene Gesetze wird: "Die besten Auftritte sind doch die, die nie stattfinden." Es wäre bedauerlich gewesen, wenn Oliver Maria Schmitt sich diese Maxime für sein komisches, absurdes, in einer originell-handfesten Sprache verfaßtes Buch zu eigen gemacht hätte. Den deutschen Punk trieb auch nur die Sehnsucht nach dem richtigen Leben im falschen um. Jetzt hat er sein windschiefes, aber wetterfestes Denkmal.
Oliver Maria Schmitt: "Anarchoshnitzel schrieen sie". Ein Punkroman für die besseren Kreise. Rowohlt Berlin 2006. 350 S., geb., 19,90 [Euro].
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Punks scheitern schöner: Oliver Maria Schmitt hat eine Geständnisform gefunden
Deutschsprachige Autoren, die über heimische Unterhaltungsmusik schreiben, geraten leicht in Gefahr, provinzieller zu wirken, als sie sind. Das liegt an der mangelnden Reichweite deutscher Popmusik. Die Frage ist nur, wie man sich dazu verhält. Heinz Strunk hat mit "Fleisch ist mein Gemüse" gezeigt, daß sich aus einem vermeintlich niederen Gegenstand (Landeier-Musik) beeindruckende Literatur machen läßt. Schwieriger ist es, wenn die Musik, um die es geht, selber schon jene Daseinskritik transportiert, auf die der Autor aus ist. Rocko Schamonis "Dorfpunks" waren der Beweis dafür, daß man seine Jugend als Punker erzählen kann, ohne selber wie einer zu reden. Der Witz war freilich der, daß Schamoni uns zu verstehen gab, im Grunde nie ein richtiger Punker gewesen zu sein. Aber was heißt schon "richtig"? Bis heute weiß niemand so genau, was Punk überhaupt ist - das Einhorn der Popkultur.
Aus der unsicheren Erkenntnislage erwachsen jedenfalls Ironie und Understatement als adäquate Herangehensweisen. Oliver Maria Schmitts erster Roman "Anarchoshnitzel schrieen sie" ist ein weiterer Beleg dafür. Der "Punkroman für die besseren Kreise", wie der Untertitel mitteilt, verschreibt sich der Bewegung auf eine Weise, die jederzeit offenläßt, wie ernst man sie überhaupt nehmen kann. Der Ich-Erzähler Peter Hein - der Name ist geborgt bei dem "Fehlfarben"-Sänger, einem der ganz wenigen deutschen Punkmusiker von Rang - kontrastiert die Geschichte seiner aus der fingierten Stadt Hellingen (Schmitt kommt aus Heilbronn) stammenden "Gruppe Senf" mit den "Sex Pistols". Höher könnte die Fallhöhe nicht sein. Nun ist es so, daß sich auch die berühmtesten Punker in der Instrumentenbeherrschung kaum von den provinziellsten unterscheiden. Doch das wäre ein Spießerargument, auf das Schmitt sich nicht einläßt. Ihm geht es um den fürs Milieu freilich nicht schmeichelhaften Nachweis, daß auch die Profession des dumpf-unartikulierten Dagegenseins, der sich der Punk insgesamt verschrieb, den Mechanismen des Marktes ausgeliefert ist: Beratern, Fernsehanstalten, Verkaufsquoten.
Unter der Voraussetzung, daß auch die Ideologie, die Punk einmal war, irgendwann von dem absorbiert wird, was sie zu unterlaufen meint, läßt Schmitt ein sehr zeitgenössisches Road-movie abschnurren, das in Wirklichkeit ein historischer Roman ist: das Mutmaßen über das, was Punk einmal gewesen sein könnte, all die Legenden, unscharfen Erinnerungen und meistens nur herbeigewünschten Ereignisse, welche die Musik und die daran gekoppelte eigene Entwicklung geprägt haben.
Peter Hein und Dr. Hollenbach, zwei Männer in den Enddreißigern, machen sich im Herbst 2005 mit einem auf unsaubere Weise gemieteten Auto auf den Weg nach Ostdeutschland, um ihre Band wiederzubeleben, deren Ursprünge in die Anfänge der Kohl-Ära zurückreichen. Bereits mit diesem Rahmen trägt Schmitt der historischen Entwicklung Rechnung: Wo sich die Popmythen einst aus dem Schmerz über Auflösungserscheinungen oder frühe Tode bildeten, treiben heute die Wiedervereinigungen das Gespräch über sie an.
Schmitt schließt das Land mit seinem Punkmilieu kurz, wobei er als ehemaliger "Titanic"-Chefredakteur der Auffassung ist, daß politisch-geographisch sowieso nicht zusammenwachsen darf, was zusammengehört. Für die "Gruppe Senf" gilt das auch: Ihre Mitglieder reden so aneinander vorbei wie West- und Ostdeutschland, wobei, ebenfalls der "Titanic"-Tradition gehorchend, allerlei Ossi-Verunglimpfung unterläuft, die romanadäquat abgemildert ist. Es handelt sich hier weniger um Landeskunde als vielmehr um die mit einem geschickt arrangierten Stimmengewirr, einer an Henscheid erinnernden allgemeinen Großsprecherei bewältigte Rekonstruktion dessen, was Punk einmal bedeutete: Dissidenz und Scheitern. Die Bewegung speiste sich ja aus einem schlechthin negativen Daseinsbefund - deswegen war sie "gegen alles" -, den man über Adorno (Schmitt hat schon ein Buch über dessen Erben, die Neue Frankfurter Schule, geschrieben) bis zu Schopenhauer zurückverfolgen könnte. Darin, daß die Welt mit einer "Matrix aus Scheiße" überzogen ist, weiß Schmitt sich mit einem gewissen Heinz Halfpape (das ist: Strunk) einig. Fast in Reinkultur referiert ein Gruppenmitglied die von Schopenhauer formulierte Analogie zwischen Welt (Wille) und Musik, aus welcher der Punk die wohl schärfste Konsequenz gezogen hat: Musik ist, wie Zappa formulierte, dazu da, Scheußlichkeiten abzubilden.
Auch deswegen wirkt es stimmig, daß die heillos schlecht musizierende, aber mit einer für richtig gehaltenen Haltung ausgestattete "Gruppe Senf" sich damals nach einem Konzert und ohne Platte auflöste - ein in der Pophistorie klassischer Mythos. Die Gruppe soll schließlich in Köln ihre Wiedervereinigung feiern; dabei stellt sich heraus, daß der verschlagene Manager "NJN" sie für eine Sendung mit den "hundert beschissensten Rocksongs aller Zeiten" angemeldet hat. Und hier ist man, unter dem titelgebenden Namen "Anarchoshnitzel", plötzlich doch einmal Spitzenreiter. Peter Heins alte Liebe Itty Lunatic, die als geheimer Motor der Handlung dient, zitiert im Chaos Dylans Anweisung an seine elektrische Band beim Skandalauftritt 1965 in Newport: "Play fucking loud!" Hein greift sich das Mikrofon und singt, wie er noch nie gesungen hat: mit Würde.
Die Geschichte besteht aus großen Augenblicken; für den Helden war es nur ein "klitzekleiner": "Aber ich habe ihn erwischt." Wie der am Ende zitierte Gottfried Benn bei Nietzsche sein großes Erlebnis bezog, so ergeht es Hein mit dem Punk: "das Erdbeben der Epoche". Auch wenn es nur kurz währte, für ihn war es die größte Musik seit Beethoven. Der Größte war taub, die Größten können gar nicht spielen - die Musikgeschichte besteht aus lauter Paradoxen, so daß der Roman als solcher zum Verstoß gegen ungeschriebene Gesetze wird: "Die besten Auftritte sind doch die, die nie stattfinden." Es wäre bedauerlich gewesen, wenn Oliver Maria Schmitt sich diese Maxime für sein komisches, absurdes, in einer originell-handfesten Sprache verfaßtes Buch zu eigen gemacht hätte. Den deutschen Punk trieb auch nur die Sehnsucht nach dem richtigen Leben im falschen um. Jetzt hat er sein windschiefes, aber wetterfestes Denkmal.
Oliver Maria Schmitt: "Anarchoshnitzel schrieen sie". Ein Punkroman für die besseren Kreise. Rowohlt Berlin 2006. 350 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Christoph Schröder zeigt Disziplin. Nicht nur hat er Oliver Maria Schmitts Roman gelesen, sich von der Titanic-Humor-Zange und "konsequent durchgehaltenem" 80er-Jargon quälen lassen, er hat auch noch eine Rezension geschrieben. Die fällt gemischt aus. Einerseits weiß Schröder um die latente Nervigkeit des Punk, um dessen Quasi-Wiederbelebung es hier geht, andererseits findet er, Schmitt trage mitunter doch reichlich dick auf. Mit Schauplätzen (der tiefe Osten), mit Fragen (was ist Punk heute?), mit der Satire und mit der anarchoshnitzelmäßigen Sprache. Entspannende Lektüre? Für Schröder keineswegs.
© Perlentaucher Medien GmbH
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