Die Beiträge des vorliegenden Sammelbandes sind im wesentlichen im Rahmen des von der Volkswagenstiftung geförderten und noch laufenden Projektes "Die Parteiführung der SED und ihr zentraler Apparat. Zur Struktur, Funktion und Entwicklung der politischen Machtzentrale in der SBZ/DDR" entstanden. Sie untersuchen Aspekte der Entwicklung und Struktur der Parteizentrale während der Zeit der Sowjetischen Besatzungszone in Deutschland (SBZ), als der zentrale Parteiapparat noch nicht die wirkliche politische Macht- und Schaltzentrale in der SBZ war.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.04.1998Der Weg in den Okkupationssozialismus
Die Machtergreifung leiteten Stalins Kader in Deutschland schon 1945 ein
Manfred Wilke (Herausgeber): Anatomie der Parteizentrale. Die KPD/SED auf dem Weg zur Macht. Studien des Forschungsverbundes SED-Staat an der FU Berlin. Akademie Verlag, Berlin 1998. 584 Seiten, 78,- Mark.
Wer die Geschichte der DDR erforschen will, hat die zentralen Institutionen der SED zum Gegenstand struktureller und personeller Analysen zu machen, sonst werden Entstehung, Aufbau und Sicherung der Diktatur, die immerhin über vier Jahrzehnte dauerte, nicht begreiflich. Eine Untersuchung des zentralen Parteiapparats der KPD/SED und ihrer Kaderpolitik in ihrer Bedeutung für die Strategie und Taktik der kommunistischen Machteroberung im besetzten Deutschland nach dem nationalsozialistischen Desaster war überfällig. Allerdings konnte diese Arbeit erst geleistet werden, nachdem sich Historikern und Politologen, die bis dahin auf westliche Archive angewiesen waren, auch die Archive der SED, zumal das Zentrale Parteiarchiv, und des MfS öffneten, ferner andere staatliche Archive der früheren DDR und, zum Teil wenigstens, Partei- und Staatsarchive in Moskau. Die zehn Studien, die in dem vorliegenden Sammelband vereinigt sind, verfaßt von wissenschaftlichen Mitarbeitern des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin, stützen sich auf die so wesentlich erweiterte Materialbasis und erschließen Neuland.
Einleitend steckt Manfred Wilke in einer historisch weit ausholenden Betrachtung die Rahmenbedingungen ab, die dem Kommunismus nach 1945 für politisches Handeln in Deutschland gegeben waren. Der Aufbau des Parteiapparates der KPD/SED in (Ost-)Berlin war in diesem Zusammenhang von entscheidender Bedeutung, weil die sowjetische Führungsspitze damit bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit in ihrer Besatzungszone über eine erste zentralistisch organisierte politische deutsche Institution verfügte, mit einer über die SBZ scheinbar hinausweisenden Perspektive. In der Tat verstand sich die 1945 in Berlin wiedererstandene KPD von Anfang an als "Reichspartei" auf dem Weg zur Macht in ganz Deutschland.
Zwar war die Parteizentrale der KPD in den ersten Nachkriegsmonaten noch alles andere als ein politisches Machtzentrum. Alle Entscheidungsgewalt lag zunächst bei der Okkupationsmacht, die als Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) in Erscheinung trat. Um jedoch die Partei "in ein schlagkräftiges und zuverlässiges Instrument der sowjetischen Deutschlandpolitik zu verwandeln", wurde in der SBZ früh mit dem Aufbau eines politischen Apparates begonnen. "Der Aufbau des Apparates und sein Weg zur Kommandozentrale der SBZ/DDR ist nicht zu trennen von den alliierten Entscheidungen über das besetzte Deutschland und dem Aufbau der Transformationsdiktatur in der SBZ, die von der sowjetischen Besatzungsmacht gewollt und vom zentralen Parteiapparat von KPD/SED organisiert wurde", resümiert Wilke. In einem zweiten Beitrag, einer speziellen Untersuchung über den politischen Führungsanspruch der Sozialdemokratie gegenüber der KPD in der Nachkriegszeit, arbeitet Wilke die Gründung der SED als Zäsur der deutschen Teilungsgeschichte heraus.
Konkret und detailliert wird der Aufbau des zentralen Parteiapparates der KPD/SED in den beiden ersten Nachkriegsjahren von Michael Kubina untersucht. Wichtig ist sein Nachweis, daß die Parteizentrale nicht erst mit der "geeinten Partei" entstand. Vielmehr existierte ein "in seinen wesentlichen Elementen funktionstüchtiger zentraler Parteiapparat der KPD" bereits vor der Fusion der KPD mit der SPD. "In die Vereinigung mit der SPD brachte die KPD einen im Prinzip arbeitsfähigen Apparat ein, der in Struktur und personeller Besetzung dabei im wesentlichen unverändert blieb, allerdings erheblich mit Personal, jetzt auch aus der SPD und Neuzugängen zur SED ,aufgefüllt' wurde." Ein halbes Jahr nach Schaffung der SED waren bereits über 300 hauptamtliche Mitarbeiter in der Zentrale beschäftigt - nicht gerechnet das technische Personal.
Es liegt auf der Hand, daß beim Aufbau der Parteizentrale die sogenannten Moskau-Kader eine besondere Rolle gespielt haben, jene deutsche Kommunisten also, die das nationalsozialistische Zwangsregime (und Stalins Säuberungsterror) im sowjetischen Exil überlebt hatten. Peter Erler widmet dieser Gruppe eine Analyse. Erstmals werden von ihm die Moskau-Kader als Entscheidungsträger definiert und quantifiziert. Von Anfang an nahmen sie in der SBZ/DDR Schlüsselpositionen ein, der Aufbau der Partei erfolgte unter ihrer Kontrolle, sie gaben die programmatische und politische Linie vor, freilich nicht eigenständig: "Stalin befaßte sich zumindest bei wichtigen Weichenstellungen für die Politik in Deutschland beziehungsweise der deutschen Partei bis ins Detail gehend persönlich mit allen relevanten Fragen." Die Dominanz der Moskau-Kader läßt sich auch an der Führungsspitze zeigen. Von den vier wichtigsten Männern in der Zentrale waren drei in die Sowjetunion Stalins exiliert: Walter Ulbricht, Anton Ackermann und Wilhelm Pieck. Nur Franz Dahlem hatte die NS-Zeit im westlichen Exil, später im KZ überlebt. Unter den sechzehn Unterzeichnern des Aufrufs zur Wiederbegründung der KPD vom 11. Juni 1945 waren nur drei, die nicht aus dem Lande Stalins heimkehrten. Insgesamt beziffert Erler die 1945 in der SBZ eingesetzten Moskau-Kader auf zirka 450. Sie zeigten sich als willige Vollstrecker des Roten Zaren. "In der SBZ half die KPD/SED bei der ,Verwirklichung sozialistischer Okkupationspolitik'", räumte einst sogar ein Historiker im Parteiauftrag ein. Umgekehrt hatten die deutschen Kommunisten freilich ohne Stalin auch kaum die Macht erringen können. Ihre Diktatur in der SBZ/DDR ließ sich nur als "Okkupationssozialismus" realisieren.
Mit dem Aufbau der Parteizentrale entstanden zugleich konspirative Apparate der KPD/SED, deren Strukturen Michael Kubina für den Zeitraum 1945 bis 1949 seziert. Erstmals werden in seiner materialreichen Analyse Richard Stahlmanns "Grenzapparat", in der Zentrale als Abteilung Verkehr getarnt, wissenschaftlich erforscht, ebenso der von dem Sabotagespezialisten Ernst Wollweber und späteren Stasi-Chef (1953 bis 1957) aufgebaute Nachrichtenapparat der KPD/SED sowie ein innerparteilicher Abwehrapparat unter Leitung von Bruno Haid. Mit der Existenz dieser "apparativen Strukturen" wurden die institutionellen und personellen Voraussetzungen der gegen Westdeutschland gerichteten Aktivitäten der SED in den fünfziger Jahren geschaffen. Ohne sie wären die spätere Westkommission beim Politbüro der SED ebenso wenig denkbar gewesen wie die Hauptverwaltung Aufklärung des Minsteriums für Staatssicherheit.
Damit werden die Wechselbeziehungen von legaler und illegaler Parteiarbeit einerseits, geheimpolizeilicher und geheimdienstlicher Arbeit andererseits ein Thema. In der Nachkriegszeit waren es zunächst die sowjetischen "Organe", die in der SBZ tätig wurden. Unterstützt von V. V. Sacharov und D. N. Filippovych, zwei russischen Historikern, ergänzt Michael Kubina seine Arbeiten zu den "Apparaten" der KPD/SED sinnvollerweise, indem er auch Aufgaben und Tätigkeit der sowjetischen Geheimpolizei- und Sicherheitsapparate in der SBZ bis zur Gründung der DDR in seine Untersuchungen einbezieht. In der Tat ist das eine vom anderen nicht zu trennen. Was bislang zu mutmaßen, aber nicht zu belegen war, daß nämlich in der SBZ mit dem Aufbau eines verzweigten, aus Deutschen bestehenden Agenten- und Spitzelnetzes sofort nach Beendigung der Kampfhandlungen begonnen wurde, wird nun konkret nachgewiesen. "Die ,Vertrauensleute' wurden schwerpunktmäßig aus den Reihen der Kommunisten, aber auch unter kompromittierten früheren Nationalsozialisten rekrutiert." Ende Mai 1945 verfügte die sowjetische Geheimpolizei in der SBZ nach Aktenlage über 246 geworbene deutsche Agenten, im März 1946 betrug ihre Gesamtzahl bereits 3083. Mit Recht konstatiert Kubina, daß "sich dieser Spitzelapparat zu einem wichtigen Instrument der sowjetischen Geheimdienste bei der Überwachung der gesellschaftlich-politischen Prozesse der SBZ" entwickelt hat. Zur Unterdrückung nationalsozialistischer Aktivitäten in der frühen Nachkriegszeit gesellte sich bald auch die Überwachung der politischen Parteien in der Sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR einschließlich der KPD/SED selbst und potentieller, zumal linksoppositioneller Abweichler. Die weiteren Beiträge des Sammelbandes, die insgesamt übrigens inhaltlich besser hätten aufeinander abgestimmt werden können, die zum Teil auch sprachliche Mängel aufweisen, können nachstehend nur kurz referiert werden. Friederike Sattler behandelt mit gewohnter Gründlichkeit die Bündnispolitik der KPD als politisch-organisatorisches Problem des zentralen Parteiapparates, und zwar bezogen auf den Umgang sowohl mit der SPD bis zur Vereinigung als auch mit der CDU und LDP in der SBZ. Die Taktik der KPD und ihr Zusammenwirken mit der SMAD werden am Beispiel der "Einheitsfront-" und "Blockpolitik", aber auch des Konflikts mit den beiden bürgerlichen Parteien in der Bodenreformfrage herausgearbeitet. Letzterer führte bekanntlich zum Sturz der beiden CDU-Vorsitzenden Andreas Hermes und Walther Schreiber und des LDP-Vorsitzenden Waldemar Koch aufgrund sowjetischer Intervention. Hans-Peter Müller analysiert die Funktion der kommunistisch geleiteten Innenministerien der Länder in der sowjetischen Zone bei der Machtergreifung. Frühzeitig verkamen sie zu Instrumenten, mit deren Hilfe kommunistische Kader die ursprünglich auch in der SBZ aktuellen föderalistischen Strukturen im Staatsaufbau liquidiert haben.
Der finnische Politologe Heikki Larmola wendet sich in einer vergleichenden Analyse der historisch interessanten Fragestellung zu, warum Finnland im Gegensatz zur Tschechoslowakei der Nachkriegszeit in der Neutralisierung eine Alternative zur Sowjetisierung besitzen sollte. In einem abschließenden Kapitel entwickelt Klaus Schroeder, der gemeinsam mit Manfred Wilke den Forschungsverbund leitet, im Rückgriff auf Hannah Arendt eine theoretische Verortung der DDR als "(spät-)totalitäre Gesellschaft". Die Gelegenheit, sich in diesem Zusammenhang noch einmal kritisch mit den Defiziten der westdeutschen DDR-Forschung bis 1989 zu befassen, ließ er sich nicht nehmen. Seine Mahnung, daß wissenschaftliche Theorie "nicht die empirische zeitgeschichtliche Forschung prädominieren oder gar determinieren" darf, kann nur bekräftigt werden. KARL WILHELM FRICKE
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Die Machtergreifung leiteten Stalins Kader in Deutschland schon 1945 ein
Manfred Wilke (Herausgeber): Anatomie der Parteizentrale. Die KPD/SED auf dem Weg zur Macht. Studien des Forschungsverbundes SED-Staat an der FU Berlin. Akademie Verlag, Berlin 1998. 584 Seiten, 78,- Mark.
Wer die Geschichte der DDR erforschen will, hat die zentralen Institutionen der SED zum Gegenstand struktureller und personeller Analysen zu machen, sonst werden Entstehung, Aufbau und Sicherung der Diktatur, die immerhin über vier Jahrzehnte dauerte, nicht begreiflich. Eine Untersuchung des zentralen Parteiapparats der KPD/SED und ihrer Kaderpolitik in ihrer Bedeutung für die Strategie und Taktik der kommunistischen Machteroberung im besetzten Deutschland nach dem nationalsozialistischen Desaster war überfällig. Allerdings konnte diese Arbeit erst geleistet werden, nachdem sich Historikern und Politologen, die bis dahin auf westliche Archive angewiesen waren, auch die Archive der SED, zumal das Zentrale Parteiarchiv, und des MfS öffneten, ferner andere staatliche Archive der früheren DDR und, zum Teil wenigstens, Partei- und Staatsarchive in Moskau. Die zehn Studien, die in dem vorliegenden Sammelband vereinigt sind, verfaßt von wissenschaftlichen Mitarbeitern des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin, stützen sich auf die so wesentlich erweiterte Materialbasis und erschließen Neuland.
Einleitend steckt Manfred Wilke in einer historisch weit ausholenden Betrachtung die Rahmenbedingungen ab, die dem Kommunismus nach 1945 für politisches Handeln in Deutschland gegeben waren. Der Aufbau des Parteiapparates der KPD/SED in (Ost-)Berlin war in diesem Zusammenhang von entscheidender Bedeutung, weil die sowjetische Führungsspitze damit bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit in ihrer Besatzungszone über eine erste zentralistisch organisierte politische deutsche Institution verfügte, mit einer über die SBZ scheinbar hinausweisenden Perspektive. In der Tat verstand sich die 1945 in Berlin wiedererstandene KPD von Anfang an als "Reichspartei" auf dem Weg zur Macht in ganz Deutschland.
Zwar war die Parteizentrale der KPD in den ersten Nachkriegsmonaten noch alles andere als ein politisches Machtzentrum. Alle Entscheidungsgewalt lag zunächst bei der Okkupationsmacht, die als Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) in Erscheinung trat. Um jedoch die Partei "in ein schlagkräftiges und zuverlässiges Instrument der sowjetischen Deutschlandpolitik zu verwandeln", wurde in der SBZ früh mit dem Aufbau eines politischen Apparates begonnen. "Der Aufbau des Apparates und sein Weg zur Kommandozentrale der SBZ/DDR ist nicht zu trennen von den alliierten Entscheidungen über das besetzte Deutschland und dem Aufbau der Transformationsdiktatur in der SBZ, die von der sowjetischen Besatzungsmacht gewollt und vom zentralen Parteiapparat von KPD/SED organisiert wurde", resümiert Wilke. In einem zweiten Beitrag, einer speziellen Untersuchung über den politischen Führungsanspruch der Sozialdemokratie gegenüber der KPD in der Nachkriegszeit, arbeitet Wilke die Gründung der SED als Zäsur der deutschen Teilungsgeschichte heraus.
Konkret und detailliert wird der Aufbau des zentralen Parteiapparates der KPD/SED in den beiden ersten Nachkriegsjahren von Michael Kubina untersucht. Wichtig ist sein Nachweis, daß die Parteizentrale nicht erst mit der "geeinten Partei" entstand. Vielmehr existierte ein "in seinen wesentlichen Elementen funktionstüchtiger zentraler Parteiapparat der KPD" bereits vor der Fusion der KPD mit der SPD. "In die Vereinigung mit der SPD brachte die KPD einen im Prinzip arbeitsfähigen Apparat ein, der in Struktur und personeller Besetzung dabei im wesentlichen unverändert blieb, allerdings erheblich mit Personal, jetzt auch aus der SPD und Neuzugängen zur SED ,aufgefüllt' wurde." Ein halbes Jahr nach Schaffung der SED waren bereits über 300 hauptamtliche Mitarbeiter in der Zentrale beschäftigt - nicht gerechnet das technische Personal.
Es liegt auf der Hand, daß beim Aufbau der Parteizentrale die sogenannten Moskau-Kader eine besondere Rolle gespielt haben, jene deutsche Kommunisten also, die das nationalsozialistische Zwangsregime (und Stalins Säuberungsterror) im sowjetischen Exil überlebt hatten. Peter Erler widmet dieser Gruppe eine Analyse. Erstmals werden von ihm die Moskau-Kader als Entscheidungsträger definiert und quantifiziert. Von Anfang an nahmen sie in der SBZ/DDR Schlüsselpositionen ein, der Aufbau der Partei erfolgte unter ihrer Kontrolle, sie gaben die programmatische und politische Linie vor, freilich nicht eigenständig: "Stalin befaßte sich zumindest bei wichtigen Weichenstellungen für die Politik in Deutschland beziehungsweise der deutschen Partei bis ins Detail gehend persönlich mit allen relevanten Fragen." Die Dominanz der Moskau-Kader läßt sich auch an der Führungsspitze zeigen. Von den vier wichtigsten Männern in der Zentrale waren drei in die Sowjetunion Stalins exiliert: Walter Ulbricht, Anton Ackermann und Wilhelm Pieck. Nur Franz Dahlem hatte die NS-Zeit im westlichen Exil, später im KZ überlebt. Unter den sechzehn Unterzeichnern des Aufrufs zur Wiederbegründung der KPD vom 11. Juni 1945 waren nur drei, die nicht aus dem Lande Stalins heimkehrten. Insgesamt beziffert Erler die 1945 in der SBZ eingesetzten Moskau-Kader auf zirka 450. Sie zeigten sich als willige Vollstrecker des Roten Zaren. "In der SBZ half die KPD/SED bei der ,Verwirklichung sozialistischer Okkupationspolitik'", räumte einst sogar ein Historiker im Parteiauftrag ein. Umgekehrt hatten die deutschen Kommunisten freilich ohne Stalin auch kaum die Macht erringen können. Ihre Diktatur in der SBZ/DDR ließ sich nur als "Okkupationssozialismus" realisieren.
Mit dem Aufbau der Parteizentrale entstanden zugleich konspirative Apparate der KPD/SED, deren Strukturen Michael Kubina für den Zeitraum 1945 bis 1949 seziert. Erstmals werden in seiner materialreichen Analyse Richard Stahlmanns "Grenzapparat", in der Zentrale als Abteilung Verkehr getarnt, wissenschaftlich erforscht, ebenso der von dem Sabotagespezialisten Ernst Wollweber und späteren Stasi-Chef (1953 bis 1957) aufgebaute Nachrichtenapparat der KPD/SED sowie ein innerparteilicher Abwehrapparat unter Leitung von Bruno Haid. Mit der Existenz dieser "apparativen Strukturen" wurden die institutionellen und personellen Voraussetzungen der gegen Westdeutschland gerichteten Aktivitäten der SED in den fünfziger Jahren geschaffen. Ohne sie wären die spätere Westkommission beim Politbüro der SED ebenso wenig denkbar gewesen wie die Hauptverwaltung Aufklärung des Minsteriums für Staatssicherheit.
Damit werden die Wechselbeziehungen von legaler und illegaler Parteiarbeit einerseits, geheimpolizeilicher und geheimdienstlicher Arbeit andererseits ein Thema. In der Nachkriegszeit waren es zunächst die sowjetischen "Organe", die in der SBZ tätig wurden. Unterstützt von V. V. Sacharov und D. N. Filippovych, zwei russischen Historikern, ergänzt Michael Kubina seine Arbeiten zu den "Apparaten" der KPD/SED sinnvollerweise, indem er auch Aufgaben und Tätigkeit der sowjetischen Geheimpolizei- und Sicherheitsapparate in der SBZ bis zur Gründung der DDR in seine Untersuchungen einbezieht. In der Tat ist das eine vom anderen nicht zu trennen. Was bislang zu mutmaßen, aber nicht zu belegen war, daß nämlich in der SBZ mit dem Aufbau eines verzweigten, aus Deutschen bestehenden Agenten- und Spitzelnetzes sofort nach Beendigung der Kampfhandlungen begonnen wurde, wird nun konkret nachgewiesen. "Die ,Vertrauensleute' wurden schwerpunktmäßig aus den Reihen der Kommunisten, aber auch unter kompromittierten früheren Nationalsozialisten rekrutiert." Ende Mai 1945 verfügte die sowjetische Geheimpolizei in der SBZ nach Aktenlage über 246 geworbene deutsche Agenten, im März 1946 betrug ihre Gesamtzahl bereits 3083. Mit Recht konstatiert Kubina, daß "sich dieser Spitzelapparat zu einem wichtigen Instrument der sowjetischen Geheimdienste bei der Überwachung der gesellschaftlich-politischen Prozesse der SBZ" entwickelt hat. Zur Unterdrückung nationalsozialistischer Aktivitäten in der frühen Nachkriegszeit gesellte sich bald auch die Überwachung der politischen Parteien in der Sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR einschließlich der KPD/SED selbst und potentieller, zumal linksoppositioneller Abweichler. Die weiteren Beiträge des Sammelbandes, die insgesamt übrigens inhaltlich besser hätten aufeinander abgestimmt werden können, die zum Teil auch sprachliche Mängel aufweisen, können nachstehend nur kurz referiert werden. Friederike Sattler behandelt mit gewohnter Gründlichkeit die Bündnispolitik der KPD als politisch-organisatorisches Problem des zentralen Parteiapparates, und zwar bezogen auf den Umgang sowohl mit der SPD bis zur Vereinigung als auch mit der CDU und LDP in der SBZ. Die Taktik der KPD und ihr Zusammenwirken mit der SMAD werden am Beispiel der "Einheitsfront-" und "Blockpolitik", aber auch des Konflikts mit den beiden bürgerlichen Parteien in der Bodenreformfrage herausgearbeitet. Letzterer führte bekanntlich zum Sturz der beiden CDU-Vorsitzenden Andreas Hermes und Walther Schreiber und des LDP-Vorsitzenden Waldemar Koch aufgrund sowjetischer Intervention. Hans-Peter Müller analysiert die Funktion der kommunistisch geleiteten Innenministerien der Länder in der sowjetischen Zone bei der Machtergreifung. Frühzeitig verkamen sie zu Instrumenten, mit deren Hilfe kommunistische Kader die ursprünglich auch in der SBZ aktuellen föderalistischen Strukturen im Staatsaufbau liquidiert haben.
Der finnische Politologe Heikki Larmola wendet sich in einer vergleichenden Analyse der historisch interessanten Fragestellung zu, warum Finnland im Gegensatz zur Tschechoslowakei der Nachkriegszeit in der Neutralisierung eine Alternative zur Sowjetisierung besitzen sollte. In einem abschließenden Kapitel entwickelt Klaus Schroeder, der gemeinsam mit Manfred Wilke den Forschungsverbund leitet, im Rückgriff auf Hannah Arendt eine theoretische Verortung der DDR als "(spät-)totalitäre Gesellschaft". Die Gelegenheit, sich in diesem Zusammenhang noch einmal kritisch mit den Defiziten der westdeutschen DDR-Forschung bis 1989 zu befassen, ließ er sich nicht nehmen. Seine Mahnung, daß wissenschaftliche Theorie "nicht die empirische zeitgeschichtliche Forschung prädominieren oder gar determinieren" darf, kann nur bekräftigt werden. KARL WILHELM FRICKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main