Eine verhängnisvolle Affäre - leidenschaftlich und schockierend offen ...
Es ist nicht Liebe auf den ersten Blick, als Gina den Familienvater Seán Vallely bei einem Gartenfest kennenlernt. Doch dann treffen sie sich zufällig wieder, trinken zu viel, landen im Bett - und verfallen einander. So beginnt eine verhängnisvolle Affäre, die jahrelang vor den Ehepartnern geheim gehalten wird. Anfangs eine Beziehung voller Leidenschaft und Glück, hält langsam das Schweigen Einzug, Gewissensbisse, Vorwürfe, Schuld - ist es Liebe? Und darf man für diese Liebe das Seelenheil seines Kindes opfern?
Anne Enright ist für die schonungslose Unerbittlichkeit bekannt, mit der sie Beziehungslügen seziert - da reicht eine Geste, ein Blick, und schon ist klar: Die Liebenden steuern in den Abgrund der Alltagsnormalität. Mit "Anatomie einer Affäre" ist der Irin ein würdiger Nachfolger ihres preisgekrönten Romans "Das Familientreffen" gelungen: schockierend offen, scharfsinnig und von einer psychologischen Präzision, die kein Entrinnen zulässt.
Es ist nicht Liebe auf den ersten Blick, als Gina den Familienvater Seán Vallely bei einem Gartenfest kennenlernt. Doch dann treffen sie sich zufällig wieder, trinken zu viel, landen im Bett - und verfallen einander. So beginnt eine verhängnisvolle Affäre, die jahrelang vor den Ehepartnern geheim gehalten wird. Anfangs eine Beziehung voller Leidenschaft und Glück, hält langsam das Schweigen Einzug, Gewissensbisse, Vorwürfe, Schuld - ist es Liebe? Und darf man für diese Liebe das Seelenheil seines Kindes opfern?
Anne Enright ist für die schonungslose Unerbittlichkeit bekannt, mit der sie Beziehungslügen seziert - da reicht eine Geste, ein Blick, und schon ist klar: Die Liebenden steuern in den Abgrund der Alltagsnormalität. Mit "Anatomie einer Affäre" ist der Irin ein würdiger Nachfolger ihres preisgekrönten Romans "Das Familientreffen" gelungen: schockierend offen, scharfsinnig und von einer psychologischen Präzision, die kein Entrinnen zulässt.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.01.2012Man darf es ruhig
Liebe nennen
Anne Enrights Patchwork-Roman
„Anatomie einer Affäre“
Die Geschichte ist nicht sonderlich originell: Verheiratete Frau trifft verheirateten Mann; die beiden beginnen eine Affäre, die auffliegt. Die Frau trennt sich von ihrem Ehemann; nach einigen Komplikationen trennt sich auch der Mann von seiner Ehefrau. Und dann ist da noch ein Kind. Der ideale Stoff, um daraus einen Patchworkfamilienroman mit komödiantischen Anklängen zu basteln. Anne Enrights „Anatomie einer Affäre“ (im englischen Original heißt das Buch wesentlich eleganter „The Forgotten Waltz“) ist insofern ein weiterer Beweis dafür, dass es in der Literatur nicht um das Was, sondern um das Wie geht. Und dafür, dass Enright eine bei weitem komplexere Autorin ist, als es die Plot-Oberfläche ihrer Bücher zunächst vermuten lässt.
Gina heißt die Erzählerin des Romans, eine beruflich erfolgreiche Frau Anfang dreißig, verheiratet mit dem dezent tumben Connor. Auf einer Party ihrer Schwester lernt Gina den wesentlich älteren Seán kennen; man tauscht Blicke aus, man begegnet sich zufällig in professionellen Zusammenhängen – und kurz darauf ist aus der Bekanntschaft ein wöchentlicher Jour fixe in einem Dubliner Hotelzimmer geworden. Frappierend ist die Unbarmherzigkeit, mit der Gina sich und ihren emotionalen Sphären zu Leibe rückt; beinahe, als ginge es nicht um sie selbst. Keine Spur von Larmoyanz oder Fassungslosigkeit, lediglich ein selbstironisches und nonchalantes Erstaunen darüber, wie selbstverständlich und leicht all das vonstatten geht und wie unbemerkt das doch so Offensichtliche bleibt: „Auf irgendeiner Ebene müssen sie doch wissen, was da abläuft. Ich weiß, es klingt brutal, aber ich finde, wir sollten uns eingestehen, was wir wissen. Wir sollten wissen, warum wir etwas tun.“ Dass Gina nicht in der Lage ist, diese Erkenntnis auf sich selbst anzuwenden, gehört zu den Pointen des Romans. Sehr wohl allerdings weiß sie, dass alles, was gerade geschieht, nicht eben zum ersten Mal geschieht: Die Kapitelüberschriften bestehen aus Namen von Popsongs. Jede Handlung trägt ihr eigenes Klischee in sich.
Es ist ein ständiges Flackern zwischen Unruhe, Realität und Phantasie, zwischen Erinnerungszoom und Fremdprojektionen, aus dem sich ein Bild des Verhältnisses zwischen Gina und Seán zusammensetzt. Eines von vielen möglichen – schließlich ist alles, was hier erzählt wird, zunächst durch einen höchst unzuverlässigen und auch parteiischen Filter gegangen. Ob Seáns Ehefrau tatsächlich so unerträglich ist, wie er es angeblich geschildert hat, können wir nicht wissen (schließlich ist es nicht Seáns erster Seitensprung). Wir glauben es aber, weil Gina ein hohes Maß an sprachlicher Überzeugungskraft besitzt.
Wäre das alles, wäre es möglicherweise der Stoff für eine kurze Erzählung; ein Genre, das Anne Enright ausgezeichnet beherrscht. Doch die „Anatomie einer Affäre“ hat noch zwei weitere Ebenen, die recht geschickt miteinander verwoben sind. Zum einen protokolliert Enright ganz nebenher den Zusammenbruch der irischen Wirtschaft in den Jahren 2006 bis 2009 und ordnet ihre Figuren und deren mentale Dispositionen in das Szenario wachsender ökonomischer Zwänge ein. Zum anderen ist der Roman eine Reflexion über die Prüfungen der Institution Familie. Im Fall von Gina sind es die Erinnerungen an den alkoholkranken und patriarchalischen Vater und die Trauer um die vor kurzem verstorbene Mutter, die sie umtreiben; Seán wiederum hat eine an Epilepsie erkrankte Tochter, Evie, die im Verlauf der drei Jahre, auf die der Roman angelegt ist, eine zunehmende bedeutende Rolle spielt. Dass Enright in einer Art von psychologischem Kurzschluss den Vaterkomplex der Erzählerin und die Krankheitsgeschichte Evies miteinander verquickt, mag die einzige Sentimentalität sein, die sie sich gestattet.
Zu den Prüfungen gehört es auch zu akzeptieren, dass aus der bedingungslosen Leidenschaft einer improvisierten Affäre im Lauf der Zeit eine im Alltag routinierte und in ihren Erscheinungsformen ritualisierte Art der Beziehung werden muss. Man darf das trotzdem Liebe nennen. Exakt an diesem Punkt endet Ginas Erzählung, gerade rechtzeitig vor dem Umschlag in die bloße Abbildung des Banalen.
CHRISTOPH SCHRÖDER
ANNE ENRIGHT: Anatomie einer Affäre. Roman. Aus dem Englischen von Petra Kindler und Hans-Christian Oeser. Deutsche Verlagsanstalt, München 2011. 312 Seiten, 19,99 Euro.
Geschickt weitet die Autorin
die Ehebruchsgeschichte zu
einer grundsätzlichen Reflexion
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Liebe nennen
Anne Enrights Patchwork-Roman
„Anatomie einer Affäre“
Die Geschichte ist nicht sonderlich originell: Verheiratete Frau trifft verheirateten Mann; die beiden beginnen eine Affäre, die auffliegt. Die Frau trennt sich von ihrem Ehemann; nach einigen Komplikationen trennt sich auch der Mann von seiner Ehefrau. Und dann ist da noch ein Kind. Der ideale Stoff, um daraus einen Patchworkfamilienroman mit komödiantischen Anklängen zu basteln. Anne Enrights „Anatomie einer Affäre“ (im englischen Original heißt das Buch wesentlich eleganter „The Forgotten Waltz“) ist insofern ein weiterer Beweis dafür, dass es in der Literatur nicht um das Was, sondern um das Wie geht. Und dafür, dass Enright eine bei weitem komplexere Autorin ist, als es die Plot-Oberfläche ihrer Bücher zunächst vermuten lässt.
Gina heißt die Erzählerin des Romans, eine beruflich erfolgreiche Frau Anfang dreißig, verheiratet mit dem dezent tumben Connor. Auf einer Party ihrer Schwester lernt Gina den wesentlich älteren Seán kennen; man tauscht Blicke aus, man begegnet sich zufällig in professionellen Zusammenhängen – und kurz darauf ist aus der Bekanntschaft ein wöchentlicher Jour fixe in einem Dubliner Hotelzimmer geworden. Frappierend ist die Unbarmherzigkeit, mit der Gina sich und ihren emotionalen Sphären zu Leibe rückt; beinahe, als ginge es nicht um sie selbst. Keine Spur von Larmoyanz oder Fassungslosigkeit, lediglich ein selbstironisches und nonchalantes Erstaunen darüber, wie selbstverständlich und leicht all das vonstatten geht und wie unbemerkt das doch so Offensichtliche bleibt: „Auf irgendeiner Ebene müssen sie doch wissen, was da abläuft. Ich weiß, es klingt brutal, aber ich finde, wir sollten uns eingestehen, was wir wissen. Wir sollten wissen, warum wir etwas tun.“ Dass Gina nicht in der Lage ist, diese Erkenntnis auf sich selbst anzuwenden, gehört zu den Pointen des Romans. Sehr wohl allerdings weiß sie, dass alles, was gerade geschieht, nicht eben zum ersten Mal geschieht: Die Kapitelüberschriften bestehen aus Namen von Popsongs. Jede Handlung trägt ihr eigenes Klischee in sich.
Es ist ein ständiges Flackern zwischen Unruhe, Realität und Phantasie, zwischen Erinnerungszoom und Fremdprojektionen, aus dem sich ein Bild des Verhältnisses zwischen Gina und Seán zusammensetzt. Eines von vielen möglichen – schließlich ist alles, was hier erzählt wird, zunächst durch einen höchst unzuverlässigen und auch parteiischen Filter gegangen. Ob Seáns Ehefrau tatsächlich so unerträglich ist, wie er es angeblich geschildert hat, können wir nicht wissen (schließlich ist es nicht Seáns erster Seitensprung). Wir glauben es aber, weil Gina ein hohes Maß an sprachlicher Überzeugungskraft besitzt.
Wäre das alles, wäre es möglicherweise der Stoff für eine kurze Erzählung; ein Genre, das Anne Enright ausgezeichnet beherrscht. Doch die „Anatomie einer Affäre“ hat noch zwei weitere Ebenen, die recht geschickt miteinander verwoben sind. Zum einen protokolliert Enright ganz nebenher den Zusammenbruch der irischen Wirtschaft in den Jahren 2006 bis 2009 und ordnet ihre Figuren und deren mentale Dispositionen in das Szenario wachsender ökonomischer Zwänge ein. Zum anderen ist der Roman eine Reflexion über die Prüfungen der Institution Familie. Im Fall von Gina sind es die Erinnerungen an den alkoholkranken und patriarchalischen Vater und die Trauer um die vor kurzem verstorbene Mutter, die sie umtreiben; Seán wiederum hat eine an Epilepsie erkrankte Tochter, Evie, die im Verlauf der drei Jahre, auf die der Roman angelegt ist, eine zunehmende bedeutende Rolle spielt. Dass Enright in einer Art von psychologischem Kurzschluss den Vaterkomplex der Erzählerin und die Krankheitsgeschichte Evies miteinander verquickt, mag die einzige Sentimentalität sein, die sie sich gestattet.
Zu den Prüfungen gehört es auch zu akzeptieren, dass aus der bedingungslosen Leidenschaft einer improvisierten Affäre im Lauf der Zeit eine im Alltag routinierte und in ihren Erscheinungsformen ritualisierte Art der Beziehung werden muss. Man darf das trotzdem Liebe nennen. Exakt an diesem Punkt endet Ginas Erzählung, gerade rechtzeitig vor dem Umschlag in die bloße Abbildung des Banalen.
CHRISTOPH SCHRÖDER
ANNE ENRIGHT: Anatomie einer Affäre. Roman. Aus dem Englischen von Petra Kindler und Hans-Christian Oeser. Deutsche Verlagsanstalt, München 2011. 312 Seiten, 19,99 Euro.
Geschickt weitet die Autorin
die Ehebruchsgeschichte zu
einer grundsätzlichen Reflexion
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Nach der Lektüre von "Anatomie einer Affäre" weiß Rezensentin Felicitas von Lovenberg einmal mehr, warum Anne Enright längst zu renommiertesten Autorinnen ihrer Generation gehört. Auch in ihrem neuen Roman scheue sich die irische Autorin nicht in die Abgründe der menschlichen Seele zu schauen, so die Kritikerin. Sie begegnet hier Enrights zynischer und wenig sympathischer Ich-Erzählerin Gina, die eine Affäre mit dem verheirateten Sean begonnen hat und sich dabei vor allem mit dessen frühreifer, an Epilepsie erkrankter Tochter auseinandersetzen muss. Enright erzähle diese Geschichte ungeschönt und ohne moralische Beurteilungen und zeige, dass hinter der romantischen und geheimnisvollen Fassade einer Affäre meist "Verlorenheit, Ratlosigkeit und Schuldgefühle" stecken. Zugleich hat sich die Rezensentin bei der Lektüre dieses ebenso emotional unerbittlichen wie "temperamentvollen" Romans bestens amüsiert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Enrights Beobachtungsgabe besticht ebenso wie ihr bitterer Witz.« Welt am Sonntag, 04.12.2011