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Im Zentrum des Buches steht das Verfahren, mit welchem dem Konstanzer Literaturwissenschaftler Hans Robert Jauß (1921-1997) fast zwei Jahrzehnte nach seinem Ableben von seiner Universität und der Öffentlichkeit seine jugendliche Teilnahme am Zweiten Weltkrieg als Offizier der Waffen-SS zum Vorwurf gemacht wird. Leichthin erhobene Behauptungen, verschwiegene Sachverhalte, Reflexe auf die Reizwörter Waffen-SS und Kriegsverbrecher waren dabei dominant, sie entfalteten schon bald ohne ausreichende Absicherung durch überzeugende Belege ein Eigenleben und steuerten die öffentliche Meinung.Der hier…mehr

Produktbeschreibung
Im Zentrum des Buches steht das Verfahren, mit welchem dem Konstanzer Literaturwissenschaftler Hans Robert Jauß (1921-1997) fast zwei Jahrzehnte nach seinem Ableben von seiner Universität und der Öffentlichkeit seine jugendliche Teilnahme am Zweiten Weltkrieg als Offizier der Waffen-SS zum Vorwurf gemacht wird. Leichthin erhobene Behauptungen, verschwiegene Sachverhalte, Reflexe auf die Reizwörter Waffen-SS und Kriegsverbrecher waren dabei dominant, sie entfalteten schon bald ohne ausreichende Absicherung durch überzeugende Belege ein Eigenleben und steuerten die öffentliche Meinung.Der hier vorgelegte Band ist hierzu die erste Gegenstimme überhaupt. Geschildert werden nicht nur die dazu zentralen Sachverhalte, in den Blickpunkt treten ebenso die Ursachen der Kampagne und deren Folgen für unser Geschichtsbild. Hier abgedruckte bislang unveröffentlichte bzw. nur schwer zugängliche Dokumente untermauern ein engagiertes Plädoyer für einen angemessenen Umgang mit diesem sensiblen Sujet.
Autorenporträt
Der Nachfahre des Philosophen Johann Caspar Lavater studierte nach dem Abitur 1955 zunächst Rechtswissenschaften in Heidelberg, Lausanne und Hamburg. Nach dem Assessorexamen war er zwischen 1965 und 1967 als Assistent an Juristischen Fakultät der Universität Hamburg tätig. Dort begann er während seiner rechtswissenschaftlichen Promotionsarbeit zudem mit einem Studium der Klassischen Altertumswissenschaften, der Ägyptologie und der Geschichte. 1967 wurde er in Hamburg über seine Arbeit zum Politischen Strafrecht in der DDR 1945-1963 zum Dr. jur. promoviert und ging nach Berlin, wo er das neu begonnene Studium beendete und sich 1971 in Alter Geschichte habilitierte. An der PH Berlin erhielt er darüber hinaus 1972 seine erste ordentliche Professur für Alte Geschichte. 1976 folgte er einem Ruf als Ordinarius an die Universität Konstanz, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2004 als Lehrstuhlinhaber für Alte Geschichte verblieb. Seit 1990 ist Schuller zudem Mitglied der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt. In der Forschung beschäftigte sich Schuller neben der Rechtswissenschaft auch mit der Geschlechtergeschichte und trat außerdem mit mehrfach aufgelegten Einführungswerken in die Antike hervor, u.a. als Verfasser des ersten Bandes der Reihe Oldenbourg Grundriss der Geschichte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.01.2018

Die Universität als Pranger

Heimlichkeiten statt Transparenz: Wolfgang Schuller über die postumen Debatten um seinen ehemaligen Konstanzer Kollegen Hans Robert Jauß

In mehreren Wellen ist über dem Romanisten Hans Robert Jauß (1921 bis 1997) der Skandal seiner Zugehörigkeit zur Waffen-SS zusammengeschlagen. Erst in den frühen achtziger Jahren, als in Aussicht gestellte akademische Auszeichnungen für den Mitbegründer der "Konstanzer Schule" zurückgezogen wurden; dann in den neunziger Jahren durch wiederholte Angriffe aus Amerika; und später, schon nach Jauß' Tod, durch eine mehrfach wieder aufflammende deutsche Debatte um die Bewertung dessen, was der frühere Reserveoffizier der Waffen-SS in der ersten Hälfte der vierziger Jahre konkret getan und verantwortet habe - und wie er mit dieser Vergangenheit als Hochschullehrer umgegangen ist.

Ernst war der Fall schon wegen des NS-Themas, das die Hochwassermarke deutscher Geschichtsdebatten darstellt, doch wer hätte gedacht, dass Jauß' Wikipedia-Eintrag heute fast doppelt so lang ist wie der des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß? Eine der letzten Aktualisierungen erfolgte vor anderthalb Jahren auf einer Veranstaltung im Berliner Centre Marc Bloch (F.A.Z. vom 16. Juni 2016). Vorgestellt wurden der Film "Die Antrittsvorlesung" von Didi Danquart und das Buch "Der Fall Jauss: Wege des Verstehens in eine Zukunft der Romanistik" von Ottmar Ette.

Die Verblüffung des Rezensenten darüber, dass man ein fiktionales Werk - den Film - umstandslos neben Ettes romanistische Untersuchung stellte, um aus beiden zusammen etwas Seriöses abzuleiten, schien niemand der Anwesenden zu teilen. Man sah den Film, der ermüdend war, denunziatorisch und ästhetisch enttäuschend; von Ette selbst erfuhr man Näheres zu seinem Buch, dessen Charakter verschwommen blieb; klar war nur die Absicht, Jauß auch als Romanisten zu desavouieren. Jauß-Verteidiger auf dem Podium fehlten; es hieß, niemand habe kommen wollen. Später wurde viel diskutiert, am Ende waren gut vier Stunden um.

Man muss das einmal so erzählen, um es deutlich zu fassen: Die Vergangenheit des vor zwanzig Jahren gestorbenen Hans Robert Jauß ist zu einer Knetmasse geworden, aus der so ziemlich alles geformt werden kann, und mit jedem Mal wird seine Reputation weiter beschädigt. Vor diesem Hintergrund erklärt sich das Buch, das der Konstanzer Althistoriker Wolfgang Schuller jetzt vorgelegt hat.

Schuller, ehemaliger Kollege des Angegriffenen, rekonstruiert darin die Jauß-Debatte zwischen 2013 und 2017, wie sie sich vor und hinter den Kulissen abgespielt hat. Er legt Heimlichkeiten, Ungereimtheiten, Entstellungen, Propaganda und interessierte Einflussnahme offen. Er tut das mit Geduld und größter Sorgfalt. Und vor allem mit zwei Mitteln: nachprüfbarer Dokumentation und eigenen Argumenten. Dazu befragt er Bücher, Zeitungsartikel und Interviews, und in einem mehr als vierzigseitigen Anhang liefert er teils unveröffentlichte Quellentexte, ohne welche die Jauß-Debatte kaum zu verstehen ist. Jeder, der vor den Augen der Öffentlichkeit am Pranger steht, würde sich so einen Verteidiger wünschen.

Am Anfang der Sache steht eine merkwürdige Verquickung: Die Universität Konstanz, Jauß' jahrzehntelanges Wirkungsfeld, erlaubte 2013 in ihrer Aula die Aufführung des Theaterstücks "Die Liste der Unerwünschten" des Konstanzer Rechtsanwalts und Autors Gerhard Zahner, auf dem der obenerwähnte Film basiert. Das Werk, gezeigt im November 2014, besteht aus dem Monolog einer einzigen Figur, Hans Robert Jauß, und ist unter dem Kunstmäntelchen eine Anklage der bürgerlichen Person. Das Stück wirft dem Gelehrten vor, so Schuller, "er habe im Kriege französische und wallonische Freiwillige auf ihre Eignung für den Dienst in der SS überprüft und die als nicht geeignet Befundenen in das furchtbare KZ Stutthof bei Danzig bringen lassen, wo sie zugrunde gingen; diese Ausgesonderten sind mit den ,Unerwünschten' im Titel des Stücks gemeint".

Mit anderen Worten: Einem der herausragenden Köpfe der Universität Konstanz sollte in den Räumen der Universität Konstanz postum ein Kriegsverbrechen zur Last gelegt werden, ohne das jemand den Vorwurf hätte prüfen können, und der Rektor der Universität Konstanz, Ulrich Rüdiger, fand das eine prima Idee. Er habe "relativ spontan zugesagt", bemerkte Rüdiger dazu später.

Ulrich Rüdiger ist Physiker, kein Historiker. Aber man darf annehmen, dass er wusste, was er genehmigte. Dem "Südkurier" sagte er einen Monat nach der Aufführung: "Ein Theaterstück ist ein Theaterstück. Dabei geht es nicht nur um Fakten, sondern es werden auch Dinge weggelassen und interpretiert." Rüdiger erwähnte nicht, dass auch Dinge erfunden wurden.

Als sich herausstellte, dass Jauß mit dem im Stück ausgebreiteten Vorgang nichts zu tun hatte, wurde diese Erkenntnis, wie Schuller belegt, verschwiegen. Auch der schriftliche Protest verschiedener Hochschullehrer wurde weder beachtet noch öffentlich gemacht, und es fällt schwer, dahinter keine Systematik zu vermuten. "Wir wollen nicht einfach moralisch urteilen, wir wollen wissen, wer Herr Jauß war", sagte Rektor Rüdiger. Aber wenn eines in Konstanz nicht zu haben war, dann Transparenz.

Als nachträgliche Rechtfertigung gab die Uni bei dem Militärhistoriker Jens Westemeier ein Gutachten zu Jauß' Waffen-SS-Vergangenheit in Auftrag. Es widerlegte den Kriegsverbrechensvorwurf des Theaterstücks, erhob aber - insbesondere in der Buchversion von 2016 - einen neuen: Jauß' Kompanie sei im Sommer und Herbst 1943 an "Sühneaktionen" gegen Partisanen in Kroatien beteiligt gewesen. Eine individuelle Beteiligung des späteren Romanisten sei zwar nicht nachzuweisen. Im Sinn neuer Rechtsprechung müsse man ihn jedoch wegen funktioneller Mittäterschaft als Kriegsverbrecher betrachten. "Ein hartes Wort", so Werner von Koppenfels in seiner Rezension des Buches in dieser Zeitung (F.A.Z. vom 7. Oktober 2016).

Schullers Absicht ist es nicht, Jauß pauschal von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen freizusprechen. Sondern Fairness und Genauigkeit walten zu lassen, auch und gerade in einem Fall, der reflexhaft Ablehnung hervorruft. Jauß hat seine Vergangenheit nicht verschwiegen, wie vielfach behauptet wurde. Aber er hat sich ihr auch nicht so gestellt, wie selbst seine Freunde es sich gewünscht hätten. In einer meisterhaften Passage über das Schweigen erläutert Schuller, welch vielfältige Motive es dafür geben könnte, den Mund zu halten. "Wir, die Nachfahren, können dem uns auferlegten Erfordernis der Aufhellung des im Dunkel Gelassenen nur durch äußerste Nüchternheit und ohne Anklagegestus nachkommen", schreibt er. "Dabei sollten wir versuchen, den jungen Mann zu verstehen, der sich irregeleitet auf etwas eingelassen hatte, das er erst im Laufe dieser Zeit als das Böse erkannte und mit dem er vor sich selbst nicht fertig wurde."

PAUL INGENDAAY.

Wolfgang Schuller: "Anatomie einer Kampagne". Hans Robert Jauß und die Öffentlichkeit.

Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2017. 207 S., br., 19,90 [Euro].

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