Platz 1 der Sachbuch-Bestenliste von Die Zeit, Deutschlandfunk und ZDF: «Marina Münkler entwirft das Panorama einer revolutionären Epoche. Lehrreich und mitreißend zugleich.»
Im 16. Jahrhundert ändert sich die Welt von Grund auf. Als Christoph Kolumbus 1492 einen bis dahin unbekannten Erdteil entdeckt, entsteht zugleich der Anspruch einer europäischen Herrschaft über diese «neue» Welt; das Christentum wird zu einer globalen Religion. Gleichzeitig steht die Alte Welt unter dem enormen Druck der tief nach Europa expandierenden Osmanen, und wenig später zerfällt mit dem Thesenanschlag Martin Luthers ihre religiöse Einheit. Marina Münkler durchmisst dieses dramatische Zeitalter der Entdeckungen und Konflikte, erzählt von den «Wilden» der Neuen Welt und den «Heiligen» der Alten ebenso wie von den Auseinandersetzungen um die «Türken». Münkler schildert die Medienrevolution des Buchdrucks und die Reformation, die das Verhältnis jedes Einzelnen nicht nur zur Kirche, sondern auch zu Glauben und Heilsgewissheit vollkommen veränderte, die Geburt der modernen Naturforschung, aber auch Bauernkriege und Hexenverbrennungen. Ein Jahrhundert, das in jeder Hinsicht grundstürzend war - und das, wie Marina Münkler zeigt, viel mit uns verbindet. Ein großes Geschichtswerk über den Anbruch einer neuen Zeit, unserer Zeit.
Im 16. Jahrhundert ändert sich die Welt von Grund auf. Als Christoph Kolumbus 1492 einen bis dahin unbekannten Erdteil entdeckt, entsteht zugleich der Anspruch einer europäischen Herrschaft über diese «neue» Welt; das Christentum wird zu einer globalen Religion. Gleichzeitig steht die Alte Welt unter dem enormen Druck der tief nach Europa expandierenden Osmanen, und wenig später zerfällt mit dem Thesenanschlag Martin Luthers ihre religiöse Einheit. Marina Münkler durchmisst dieses dramatische Zeitalter der Entdeckungen und Konflikte, erzählt von den «Wilden» der Neuen Welt und den «Heiligen» der Alten ebenso wie von den Auseinandersetzungen um die «Türken». Münkler schildert die Medienrevolution des Buchdrucks und die Reformation, die das Verhältnis jedes Einzelnen nicht nur zur Kirche, sondern auch zu Glauben und Heilsgewissheit vollkommen veränderte, die Geburt der modernen Naturforschung, aber auch Bauernkriege und Hexenverbrennungen. Ein Jahrhundert, das in jeder Hinsicht grundstürzend war - und das, wie Marina Münkler zeigt, viel mit uns verbindet. Ein großes Geschichtswerk über den Anbruch einer neuen Zeit, unserer Zeit.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Mit großem Interesse liest Rezensent Markus Friedrich Marina Münklers "eloquente Darstellung" des sechzehnten Jahrhunderts. Die Autorin konzentriert sich besonders auf "Globalisierungserfahrungen" und "religiöse Pluralität", weshalb Umbrüche in der Kunst oder Sozialstrukturen wenig Beachtung finden, erklärt Friedrich. Die Expansion Europas wird so der Kritiker, vor allem als Konflikt zwischen "Entdecker- und Erobererperspektive" verhandelt - dem Umstand, dass diese oft "eng miteinander verwoben", trägt die Autorin Rechnung, erwähnt Friedrich. Beim Thema Religion behandelt Münkler zum Einen die Reformation unter Martin Luther, zum Anderen den Aufstieg des Osmanischen Reichs. Dass der erstarkende Katholizismus in dieser "Aufbruchsgeschichte" kaum Erwähnung findet, kann Friedrich nicht nachvollziehen. Innovativ findet Friedrich die Einbindung der Sultane in der Herrschaftsgeschichte Europas dar, mit der Münkler neue Perspektiven eröffnet. Münkler hat ein "anregendes Panorama" dieser Zeitepoche geschaffen, lobt der Kritiker, auch wenn man ihm anmerkt, dass es von einer zeitgenössischen Perspektive her gedacht ist.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.04.2024Spiegel
unserer Zeit
Neue Imperien, tiefe Spaltungen,
umkämpfte Handelsrouten:
Die Kulturhistorikerin Marina Münkler
porträtiert das 16. Jahrhundert.
VON LOTHAR MÜLLER
Alles gärt, gerät in Bewegung. Die Rhetorik des Hasses schäumt auf, Grenzen werden verschoben, Imperien formieren sich, Spaltungen werden vertieft, Handelsrouten umkämpft und ausgeweitet. In Edelmetallen stecken Massaker. So präsentiert Marina Münkler in ihrem neuen Buch das 16. Jahrhundert als „eine durch und durch dramatische Epoche“. Das milde Licht, das Etikettierungen wie „Spätrenaissance“ verbreiten, indem sie Assoziationen an große Kunst und glänzende Transformationen der Antike auslösen, gibt es bei ihr nicht.
Ins Zentrum ihrer Darstellung stellt sie drei miteinander verflochtene Konfliktstränge: die europäische Expansion in die „Neue Welt“, die für deren Bewohner nicht neu war und von den Europäern erst langsam als solche begriffen wurde, die Spannung zwischen dem Aufstieg des Osmanischen Reichs und den imperialen Ansprüchen Habsburgs und drittens die innereuropäische Spaltung der christlichen Konfessionen.
Marina Münkler wurde 1960 in Bad Nauheim geboren und ist seit 2010 Professorin für Ältere und frühneuzeitliche Literatur und Kultur am Institut für Germanistik der TU Dresden. Sie hat Bücher über Marco Polo geschrieben, über die Faustbücher des 16. bis 18. Jahrhunderts und über die Beschreibung Ostasiens in europäischen Augenzeugenberichten des 13. und 14. Jahrhundert und ist als Literaturwissenschaftlerin eine Spezialistin exakter Lektüren. Als Historikerin kommt ihr das nun zugute. Sie zeichnet die Konfliktlinien zwischen Spanien und Portugal in der europäischen Expansion nach, hat den Indischen Ozean und Vasco da Gama im Blick, während sie die Aufbrüche des Kolumbus nach Westen verfolgt, hebt den Technologietransfer hervor, den Import nordosteuropäischer Schiffstypen nach Südeuropa, der in die Expansion einging, bilanziert Warenströme.
Zugleich und vor allem aber liest sie immer wieder die Texte zentraler Akteure wie Kolumbus, Amerigo Vespucci oder Hernán Cortés, verfolgt die Selbstdeutungen, mit denen die Gleichzeitigkeit von Entdeckung und Inbesitznahme vollzogen wird. Was war gemeint, welche rechtlichen und theologischen Implikationen hatte es, wenn in den Augenzeugenberichten von Barbaren, Heiden oder Monstern die Rede war? Wie entstand der Begriff „Kannibale“? Welche Rolle spielte in den völkerrechtlichen Debatten über die Unterwerfung der „Indios“ die Berufung auf Aristoteles’ Begriff der „Sklaven von Natur“, welche das Argument, Unterwerfung zur Verhinderung von Menschenopfern sei legitim Gegen die Legitimationstraktate der Landnahmen in „Westindien“ setzt Münkler ein genaue Lektüre der Verteidigung der Indigenen in den Schriften des Dominikaners und Theologen Bartolomé de Las Casas, des Augenzeugen und Kritikers der Konquistadoren und ihrer Bluthunde.
Bei der Darstellung der europäischen Expansion in die „Neue Welt“, der von den Portugiesen vorangetriebenen Erschließung des Seewegs nach Indien bewegt sich Münkler auf gut erforschtem Terrain. Sie hat ihrem Buch mehrere Karten beigegeben, darunter eine Weltkarte, schreibt aber keine Globalgeschichte des „namenlosen“ Jahrhunderts. Die Weltumsegler Magellan und Francis Drake kommen nur ganz am Rande vor. Ihr eigener Akzent ist die systematische Verknüpfung der Energiestränge und Konfliktzonen der Epoche.
Starke innereuropäische Rivalitäten wie die zwischen Karl V. als Protagonist des Habsburger Imperiums und Frankreich unter Franz I. treten dabei hinter die Parallelität von europäischer Expansion, Konfessionsspaltung und Aufstieg des Osmanischen Reichs zurück. Schon manchen Zeitgenossen war die Dynamik dieser Ereignisse bewusst. Der spanische Philosoph und Hofchronist Juan Ginés de Sepúlveda trat sowohl mit Blick auf die spanischen Eroberungen in der „Neuen Welt“ als auch angesichts der Bedrohung durch die „Türken“ kompromisslos für die Überlegenheit der europäischen Christenheit ein.
Münkler nimmt die Augenzeugenberichte und das diskursive und mediale Gestöber der Epoche mindestens so wichtig wie die Taten und Verlautbarungen der Herrscherfiguren. Es gibt bei ihr keine großen Einzelporträts von Karl V. oder Philipp II., eher schon von Süleyman I. und seinem Großwesir Ibrahim Pascha. Wichtiger als die großen Männer sind ihr Militärtechnik und –taktik, die Risikofinanzierung von Expeditionen, Bürokratie und Elitenselektion, auf denen imperiale Ambitionen beruhen. Allenfalls eine Nebenrolle spielt, trotz gelegentlicher Auftritte der Humanisten und des Erasmus, gegen dessen Friedensschrift Juan Ginés de Sepúlveda polemisiert, die Ideengeschichte. Es ist ein 16. Jahrhundert ohne Montaigne, trotz seines Kannibalen-Essays. Das Verblassen der Ritterromane und der in ihnen gefeierten Tugenden taucht auch deshalb auf, weil die Tradition der Ritterbilder für die Europäer auf den realen Kriegsschauplätzen des 16. Jahrhunderts zum Nachteil wird. Zu den Lieblingsoperationen Münklers zählt die Aufdeckung von Illusionen, die sich die Europäer über sich selbst oder andere machen. Die Portugiesen blamieren sich bei ihrer Expansion im Indischen Ozean mit kümmerlichen Gastgeschenken, mit denen sie asiatische Herrscher über große Reiche und Handelsnetze zu gewinnen suchen.
Noch vor gar nicht so langer Zeit hätte ein deutsches Buch über das 16. Jahrhundert mit dem Paukenschlag der Reformation, Luthers Thesenanschlag am 31. Oktober 1517 begonnen. Bei Münkler ist die Konfessionsspaltung von Beginn an anwesend, wird aber erst in den letzten Kapiteln zum Thema. Im Anschluss an viele neuere Darstellungen erscheint sie als epochaler Großauftritt des noch jungen Buchdrucks, nicht nur im Brückenschlag zwischen Bibel und Flugschrift, sondern auch im papiergestützten Ablasshandel. Vor allem aber findet sie in dem historischen Raum statt, der zuvor ausgemessen wurde. Mindestens so ausführlich wie auf Luther in Worms, Luther und die deutsche Fürsten, Luther und den Papst, Luther und den Bauernkrieg geht Münkler auf die Kontroversen um Luthers Schriften zum Krieg gegen die Türken ein, auf die Verschmelzung von Lutheranern, Türken und aufständischen Rotten in der katholischen Polemik gegen die Reformation. An die Seite des innereuropäischen Aufstands der Niederlande gegen die spanischen Habsburger tritt der gescheiterte Traum eines calvinistischen Brasilien.
Die Heiligenfiguren, die durch die Reformation unter Verdacht geraten, gewinnen in der „Neuen Welt“ – allen voran die Madonna – als Instrumente der Kombination von Missionierung und Herrschaftssicherung neues Gewicht. Am Ende des Jahrhunderts wie des Buches steht die erste große Welle der Hexenverfolgungen. Eines ihrer Opfer ist Katharina Kepler, die Mutter des Astronomen Johannes Kepler, einer Schlüsselfigur der kopernikanischen Wende.
Man tut gut daran, den Untertitel „das dramatische 16. Jahrhundert“ und das Buch selbst so zu lesen wie man „das städtische 16. Jahrhundert“ lesen und dabei „das ländliche 16. Jahrhundert“ im Kopf haben würde. Denn es gab ja auch das undramatische 16. Jahrhundert, in dem sich die neue Zeit nicht eruptiv, gewaltförmig, Bahn brach, sondern in der chromatischen Umstellung von Alltagsroutinen. Es wird im Epilog in Ansätzen sichtbar, gelegentlich erwähnt, bleibt aber weitgehend Hintergrundvoraussetzung.
Das 16. Jahrhundert war aber eben doch auch der Beginn der Akten und Registraturen, die sich von den Urkunden lösten. Der stille Aufstieg der Sekretäre begleitete den der Konquistadoren und Piraten. Wer das akustische Relief des 16. Jahrhunderts nachzeichnen wollte, dürfte über dem Kanonendonner das Posthorn nicht vergessen, den von Karl V. vorangetriebenen Aufbau der Reichspost. Diese andere Seite hört auf den nüchternen Namen „Infrastruktur“. In ihr entstehen Fahrpläne und kommen Taschenuhren auf. Mit der Gewaltgeschichte des Jahrhunderts ist diese andere Seite auf Schritt und Tritt verknüpft, führt aber dennoch ein Eigenleben. Marina Münkler wäre ein Komplementärbuch mit dem Untertitel „Das undramatische 16. Jahrhundert“ durchaus zuzutrauen. Den Obertitel könnte sie beibehalten.
Seit 2010 ist Marina Münkler Professorin für Ältere und frühneuzeitliche Literatur und Kultur an der TU Dresden.
Foto: Amac Garbe/Rowohlt
Marina Münkler:
Anbruch der neuen Zeit. das dramatische
16. Jahrhundert.
Rowohlt Berlin, Berlin 2024. 539 Seiten,
32 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
unserer Zeit
Neue Imperien, tiefe Spaltungen,
umkämpfte Handelsrouten:
Die Kulturhistorikerin Marina Münkler
porträtiert das 16. Jahrhundert.
VON LOTHAR MÜLLER
Alles gärt, gerät in Bewegung. Die Rhetorik des Hasses schäumt auf, Grenzen werden verschoben, Imperien formieren sich, Spaltungen werden vertieft, Handelsrouten umkämpft und ausgeweitet. In Edelmetallen stecken Massaker. So präsentiert Marina Münkler in ihrem neuen Buch das 16. Jahrhundert als „eine durch und durch dramatische Epoche“. Das milde Licht, das Etikettierungen wie „Spätrenaissance“ verbreiten, indem sie Assoziationen an große Kunst und glänzende Transformationen der Antike auslösen, gibt es bei ihr nicht.
Ins Zentrum ihrer Darstellung stellt sie drei miteinander verflochtene Konfliktstränge: die europäische Expansion in die „Neue Welt“, die für deren Bewohner nicht neu war und von den Europäern erst langsam als solche begriffen wurde, die Spannung zwischen dem Aufstieg des Osmanischen Reichs und den imperialen Ansprüchen Habsburgs und drittens die innereuropäische Spaltung der christlichen Konfessionen.
Marina Münkler wurde 1960 in Bad Nauheim geboren und ist seit 2010 Professorin für Ältere und frühneuzeitliche Literatur und Kultur am Institut für Germanistik der TU Dresden. Sie hat Bücher über Marco Polo geschrieben, über die Faustbücher des 16. bis 18. Jahrhunderts und über die Beschreibung Ostasiens in europäischen Augenzeugenberichten des 13. und 14. Jahrhundert und ist als Literaturwissenschaftlerin eine Spezialistin exakter Lektüren. Als Historikerin kommt ihr das nun zugute. Sie zeichnet die Konfliktlinien zwischen Spanien und Portugal in der europäischen Expansion nach, hat den Indischen Ozean und Vasco da Gama im Blick, während sie die Aufbrüche des Kolumbus nach Westen verfolgt, hebt den Technologietransfer hervor, den Import nordosteuropäischer Schiffstypen nach Südeuropa, der in die Expansion einging, bilanziert Warenströme.
Zugleich und vor allem aber liest sie immer wieder die Texte zentraler Akteure wie Kolumbus, Amerigo Vespucci oder Hernán Cortés, verfolgt die Selbstdeutungen, mit denen die Gleichzeitigkeit von Entdeckung und Inbesitznahme vollzogen wird. Was war gemeint, welche rechtlichen und theologischen Implikationen hatte es, wenn in den Augenzeugenberichten von Barbaren, Heiden oder Monstern die Rede war? Wie entstand der Begriff „Kannibale“? Welche Rolle spielte in den völkerrechtlichen Debatten über die Unterwerfung der „Indios“ die Berufung auf Aristoteles’ Begriff der „Sklaven von Natur“, welche das Argument, Unterwerfung zur Verhinderung von Menschenopfern sei legitim Gegen die Legitimationstraktate der Landnahmen in „Westindien“ setzt Münkler ein genaue Lektüre der Verteidigung der Indigenen in den Schriften des Dominikaners und Theologen Bartolomé de Las Casas, des Augenzeugen und Kritikers der Konquistadoren und ihrer Bluthunde.
Bei der Darstellung der europäischen Expansion in die „Neue Welt“, der von den Portugiesen vorangetriebenen Erschließung des Seewegs nach Indien bewegt sich Münkler auf gut erforschtem Terrain. Sie hat ihrem Buch mehrere Karten beigegeben, darunter eine Weltkarte, schreibt aber keine Globalgeschichte des „namenlosen“ Jahrhunderts. Die Weltumsegler Magellan und Francis Drake kommen nur ganz am Rande vor. Ihr eigener Akzent ist die systematische Verknüpfung der Energiestränge und Konfliktzonen der Epoche.
Starke innereuropäische Rivalitäten wie die zwischen Karl V. als Protagonist des Habsburger Imperiums und Frankreich unter Franz I. treten dabei hinter die Parallelität von europäischer Expansion, Konfessionsspaltung und Aufstieg des Osmanischen Reichs zurück. Schon manchen Zeitgenossen war die Dynamik dieser Ereignisse bewusst. Der spanische Philosoph und Hofchronist Juan Ginés de Sepúlveda trat sowohl mit Blick auf die spanischen Eroberungen in der „Neuen Welt“ als auch angesichts der Bedrohung durch die „Türken“ kompromisslos für die Überlegenheit der europäischen Christenheit ein.
Münkler nimmt die Augenzeugenberichte und das diskursive und mediale Gestöber der Epoche mindestens so wichtig wie die Taten und Verlautbarungen der Herrscherfiguren. Es gibt bei ihr keine großen Einzelporträts von Karl V. oder Philipp II., eher schon von Süleyman I. und seinem Großwesir Ibrahim Pascha. Wichtiger als die großen Männer sind ihr Militärtechnik und –taktik, die Risikofinanzierung von Expeditionen, Bürokratie und Elitenselektion, auf denen imperiale Ambitionen beruhen. Allenfalls eine Nebenrolle spielt, trotz gelegentlicher Auftritte der Humanisten und des Erasmus, gegen dessen Friedensschrift Juan Ginés de Sepúlveda polemisiert, die Ideengeschichte. Es ist ein 16. Jahrhundert ohne Montaigne, trotz seines Kannibalen-Essays. Das Verblassen der Ritterromane und der in ihnen gefeierten Tugenden taucht auch deshalb auf, weil die Tradition der Ritterbilder für die Europäer auf den realen Kriegsschauplätzen des 16. Jahrhunderts zum Nachteil wird. Zu den Lieblingsoperationen Münklers zählt die Aufdeckung von Illusionen, die sich die Europäer über sich selbst oder andere machen. Die Portugiesen blamieren sich bei ihrer Expansion im Indischen Ozean mit kümmerlichen Gastgeschenken, mit denen sie asiatische Herrscher über große Reiche und Handelsnetze zu gewinnen suchen.
Noch vor gar nicht so langer Zeit hätte ein deutsches Buch über das 16. Jahrhundert mit dem Paukenschlag der Reformation, Luthers Thesenanschlag am 31. Oktober 1517 begonnen. Bei Münkler ist die Konfessionsspaltung von Beginn an anwesend, wird aber erst in den letzten Kapiteln zum Thema. Im Anschluss an viele neuere Darstellungen erscheint sie als epochaler Großauftritt des noch jungen Buchdrucks, nicht nur im Brückenschlag zwischen Bibel und Flugschrift, sondern auch im papiergestützten Ablasshandel. Vor allem aber findet sie in dem historischen Raum statt, der zuvor ausgemessen wurde. Mindestens so ausführlich wie auf Luther in Worms, Luther und die deutsche Fürsten, Luther und den Papst, Luther und den Bauernkrieg geht Münkler auf die Kontroversen um Luthers Schriften zum Krieg gegen die Türken ein, auf die Verschmelzung von Lutheranern, Türken und aufständischen Rotten in der katholischen Polemik gegen die Reformation. An die Seite des innereuropäischen Aufstands der Niederlande gegen die spanischen Habsburger tritt der gescheiterte Traum eines calvinistischen Brasilien.
Die Heiligenfiguren, die durch die Reformation unter Verdacht geraten, gewinnen in der „Neuen Welt“ – allen voran die Madonna – als Instrumente der Kombination von Missionierung und Herrschaftssicherung neues Gewicht. Am Ende des Jahrhunderts wie des Buches steht die erste große Welle der Hexenverfolgungen. Eines ihrer Opfer ist Katharina Kepler, die Mutter des Astronomen Johannes Kepler, einer Schlüsselfigur der kopernikanischen Wende.
Man tut gut daran, den Untertitel „das dramatische 16. Jahrhundert“ und das Buch selbst so zu lesen wie man „das städtische 16. Jahrhundert“ lesen und dabei „das ländliche 16. Jahrhundert“ im Kopf haben würde. Denn es gab ja auch das undramatische 16. Jahrhundert, in dem sich die neue Zeit nicht eruptiv, gewaltförmig, Bahn brach, sondern in der chromatischen Umstellung von Alltagsroutinen. Es wird im Epilog in Ansätzen sichtbar, gelegentlich erwähnt, bleibt aber weitgehend Hintergrundvoraussetzung.
Das 16. Jahrhundert war aber eben doch auch der Beginn der Akten und Registraturen, die sich von den Urkunden lösten. Der stille Aufstieg der Sekretäre begleitete den der Konquistadoren und Piraten. Wer das akustische Relief des 16. Jahrhunderts nachzeichnen wollte, dürfte über dem Kanonendonner das Posthorn nicht vergessen, den von Karl V. vorangetriebenen Aufbau der Reichspost. Diese andere Seite hört auf den nüchternen Namen „Infrastruktur“. In ihr entstehen Fahrpläne und kommen Taschenuhren auf. Mit der Gewaltgeschichte des Jahrhunderts ist diese andere Seite auf Schritt und Tritt verknüpft, führt aber dennoch ein Eigenleben. Marina Münkler wäre ein Komplementärbuch mit dem Untertitel „Das undramatische 16. Jahrhundert“ durchaus zuzutrauen. Den Obertitel könnte sie beibehalten.
Seit 2010 ist Marina Münkler Professorin für Ältere und frühneuzeitliche Literatur und Kultur an der TU Dresden.
Foto: Amac Garbe/Rowohlt
Marina Münkler:
Anbruch der neuen Zeit. das dramatische
16. Jahrhundert.
Rowohlt Berlin, Berlin 2024. 539 Seiten,
32 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.05.2024In die Reihe der Renaissancefürsten gehören auch die Sultane
Epochenbild der frühen Neuzeit mit Seitenblick auf die Gegenwart: Marina Münkler bahnt sich einen Weg durch das sechzehnte Jahrhundert
Periodisierung, das Abtrennen von Epochen und Perioden, ist ein elementarer Bestandteil aller historischen Selbstvergewisserung. Anfänge und Enden werden gesetzt, Epochen definiert, um Vergangenheit erzählbar zu machen und in Geschichte zu überführen. Warum also eine Geschichte des sechzehnten Jahrhunderts? Marina Münklers Antwort lautet, in ihm läge der "Anbruch der Neuen Zeit". Ihr Buch trägt emphatisch die These vor, dieses Jahrhundert sei ein "alchemistisches Labor" gewesen, aus dem heute noch aktuelle "neue Lebensformen und Wissensordnungen" hervorgegangen seien. Deshalb sei es auch heute noch "besonders aktuell". Damit steht sie in einer langen Deutungstradition, welcher die Zeit um 1500 als wichtige Phase des Umbruchs auf dem Weg zur Moderne gilt, und setzt in ihrem Buch entsprechende Akzente.
Marina Münkler schreibt keine enzyklopädische Gesamtgeschichte der Zeit. So gut wie nichts ist zu lesen zu den dramatischen Umbrüchen von Renaissance und Humanismus, kaum etwas zu Sozialgeschichte oder Nationalstaatsbildung, wenig zum epochalen Wandel in Astronomie, Medizin oder Kunst. Stattdessen läuft das Epochenbild dieses Buches in bemerkenswerter Geradlinigkeit vor allem auf zwei große Themen zu: Globalisierungserfahrungen und religiöse Pluralität.
Das religionsgeschichtliche Thema ist noch einmal zweigeteilt. Zum einen behandelt Münkler ausführlich die europäische Reformation, zum anderen stellt sie den Aufstieg des Osmanischen Reichs zur Großmacht im sechzehnten Jahrhundert dar und analysiert diesen Aufstieg ausdrücklich als Bestandteil der europäischen Geschichte.
Die europäische Expansion stellt die Autorin zunächst in ihren wesentlichen Schritten dar, ehe sie sich vor allem auf die Frage konzentriert, wie die Europäer die neuen sozialen, kulturellen und politischen Eindrücke aus Übersee intellektuell verarbeiteten. Dazu unterscheidet sie analytisch zwischen der "Entdecker"- und der "Eroberer"-Perspektive, ohne dabei zu übersehen, dass beide meist engstens miteinander verwoben waren. Neben intellektueller Neugier stand vor allem das Bemühen, die europäische Herrschaft über die neu zugänglichen Menschen und Ressourcen zu legitimieren. Unter weitgehender Ausblendung der frühneuzeitlichen Literatur über Asien kulminiert Münklers Diskussion hier in einer Darstellung der berühmten spanischen Gelehrtendebatten über den Umgang mit den Ureinwohnern Amerikas.
Münklers Behandlung der Reformation konzentriert sich auf Martin Luther und seine Konfession. Der Calvinismus kommt nur dann ins Spiel, wenn es um den Export europäischer Religionskonflikte in die neuen Kolonien und um die Beschreibung ausgewählter Religionskriege geht. Theologische und kulturelle Unterschiede zwischen den protestantischen Konfessionen stehen nicht im Zentrum von Münklers Interesse. Sie erzählt die Reformation entlang eines Kernthemas, der Kritik am traditionellen Heiligenkult. Das wird anschaulich beschrieben, wenngleich in starker Verknappung. Der wiedererstarkte Katholizismus nach dem Konzil von Trient spielt dagegen in Münklers Version vom Aufbruchscharakter des sechzehnten Jahrhunderts nur eine Nebenrolle, obwohl doch gerade er in globalisierungsgeschichtlicher Perspektive von überragender Bedeutung war.
Während die Themen Reformation und europäische Expansion klassische Bestandteile auch älterer Darstellungen sind, stellt Münklers Einbeziehung des Osmanischen Reichs eine willkommene und überzeugend akzentuierte Innovation dar. Im Rückgriff auf aktuelle Forschungstrends, die die Sultane des sechzehnten Jahrhunderts mittlerweile als Renaissancefürsten wie Franz I. von Frankreich oder Maximilian I. von Habsburg begreifen, werden die Osmanen hier ausführlich als Teil der europäischen Geschichte thematisiert. Das öffnet neue Horizonte und sollte auch jenseits des Fachdiskurses wahrgenommen werden.
Insgesamt basiert Marina Münklers eloquente Darstellung auf grundsätzlich bekannten Zügen, die in prägnanter und pointierter Weise zu einem anregenden Panorama verbunden werden. Elegant flicht sie zahlreiche eigenständige Beobachtungen und überraschende Details in die Hauptstränge ihrer Erzählung ein. Nur am Ende, als auch die Hexenverfolgungen noch unter der Kapitelüberschrift "Religionskriege" subsumiert werden sollen, wirkt die Anbindung etwas gewollt.
Münklers Einschätzung, dass die drei ausgewählten Hauptthemen von besonderer Bedeutung für den weiteren Fortgang der Geschichte waren, wird kaum jemand widersprechen. Dass eine solche Auswahl aber dem sechzehnten Jahrhundert insgesamt gerecht wird, wird man bezweifeln dürfen. Dies ist ein sechzehntes Jahrhundert, das emphatisch für das 21. Jahrhundert erzählt wird. Aber so ist das mit Periodisierungen: sie sind Kreationen von Historikern, geschaffen vor allem im Lichte ihrer eigenen, gegenwärtigen Erfahrungen. MARKUS FRIEDRICH
Marina Münkler: "Anbruch der neuen Zeit". Das dramatische 16. Jahrhundert.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2024.
544 S., Abb., geb., 34,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Epochenbild der frühen Neuzeit mit Seitenblick auf die Gegenwart: Marina Münkler bahnt sich einen Weg durch das sechzehnte Jahrhundert
Periodisierung, das Abtrennen von Epochen und Perioden, ist ein elementarer Bestandteil aller historischen Selbstvergewisserung. Anfänge und Enden werden gesetzt, Epochen definiert, um Vergangenheit erzählbar zu machen und in Geschichte zu überführen. Warum also eine Geschichte des sechzehnten Jahrhunderts? Marina Münklers Antwort lautet, in ihm läge der "Anbruch der Neuen Zeit". Ihr Buch trägt emphatisch die These vor, dieses Jahrhundert sei ein "alchemistisches Labor" gewesen, aus dem heute noch aktuelle "neue Lebensformen und Wissensordnungen" hervorgegangen seien. Deshalb sei es auch heute noch "besonders aktuell". Damit steht sie in einer langen Deutungstradition, welcher die Zeit um 1500 als wichtige Phase des Umbruchs auf dem Weg zur Moderne gilt, und setzt in ihrem Buch entsprechende Akzente.
Marina Münkler schreibt keine enzyklopädische Gesamtgeschichte der Zeit. So gut wie nichts ist zu lesen zu den dramatischen Umbrüchen von Renaissance und Humanismus, kaum etwas zu Sozialgeschichte oder Nationalstaatsbildung, wenig zum epochalen Wandel in Astronomie, Medizin oder Kunst. Stattdessen läuft das Epochenbild dieses Buches in bemerkenswerter Geradlinigkeit vor allem auf zwei große Themen zu: Globalisierungserfahrungen und religiöse Pluralität.
Das religionsgeschichtliche Thema ist noch einmal zweigeteilt. Zum einen behandelt Münkler ausführlich die europäische Reformation, zum anderen stellt sie den Aufstieg des Osmanischen Reichs zur Großmacht im sechzehnten Jahrhundert dar und analysiert diesen Aufstieg ausdrücklich als Bestandteil der europäischen Geschichte.
Die europäische Expansion stellt die Autorin zunächst in ihren wesentlichen Schritten dar, ehe sie sich vor allem auf die Frage konzentriert, wie die Europäer die neuen sozialen, kulturellen und politischen Eindrücke aus Übersee intellektuell verarbeiteten. Dazu unterscheidet sie analytisch zwischen der "Entdecker"- und der "Eroberer"-Perspektive, ohne dabei zu übersehen, dass beide meist engstens miteinander verwoben waren. Neben intellektueller Neugier stand vor allem das Bemühen, die europäische Herrschaft über die neu zugänglichen Menschen und Ressourcen zu legitimieren. Unter weitgehender Ausblendung der frühneuzeitlichen Literatur über Asien kulminiert Münklers Diskussion hier in einer Darstellung der berühmten spanischen Gelehrtendebatten über den Umgang mit den Ureinwohnern Amerikas.
Münklers Behandlung der Reformation konzentriert sich auf Martin Luther und seine Konfession. Der Calvinismus kommt nur dann ins Spiel, wenn es um den Export europäischer Religionskonflikte in die neuen Kolonien und um die Beschreibung ausgewählter Religionskriege geht. Theologische und kulturelle Unterschiede zwischen den protestantischen Konfessionen stehen nicht im Zentrum von Münklers Interesse. Sie erzählt die Reformation entlang eines Kernthemas, der Kritik am traditionellen Heiligenkult. Das wird anschaulich beschrieben, wenngleich in starker Verknappung. Der wiedererstarkte Katholizismus nach dem Konzil von Trient spielt dagegen in Münklers Version vom Aufbruchscharakter des sechzehnten Jahrhunderts nur eine Nebenrolle, obwohl doch gerade er in globalisierungsgeschichtlicher Perspektive von überragender Bedeutung war.
Während die Themen Reformation und europäische Expansion klassische Bestandteile auch älterer Darstellungen sind, stellt Münklers Einbeziehung des Osmanischen Reichs eine willkommene und überzeugend akzentuierte Innovation dar. Im Rückgriff auf aktuelle Forschungstrends, die die Sultane des sechzehnten Jahrhunderts mittlerweile als Renaissancefürsten wie Franz I. von Frankreich oder Maximilian I. von Habsburg begreifen, werden die Osmanen hier ausführlich als Teil der europäischen Geschichte thematisiert. Das öffnet neue Horizonte und sollte auch jenseits des Fachdiskurses wahrgenommen werden.
Insgesamt basiert Marina Münklers eloquente Darstellung auf grundsätzlich bekannten Zügen, die in prägnanter und pointierter Weise zu einem anregenden Panorama verbunden werden. Elegant flicht sie zahlreiche eigenständige Beobachtungen und überraschende Details in die Hauptstränge ihrer Erzählung ein. Nur am Ende, als auch die Hexenverfolgungen noch unter der Kapitelüberschrift "Religionskriege" subsumiert werden sollen, wirkt die Anbindung etwas gewollt.
Münklers Einschätzung, dass die drei ausgewählten Hauptthemen von besonderer Bedeutung für den weiteren Fortgang der Geschichte waren, wird kaum jemand widersprechen. Dass eine solche Auswahl aber dem sechzehnten Jahrhundert insgesamt gerecht wird, wird man bezweifeln dürfen. Dies ist ein sechzehntes Jahrhundert, das emphatisch für das 21. Jahrhundert erzählt wird. Aber so ist das mit Periodisierungen: sie sind Kreationen von Historikern, geschaffen vor allem im Lichte ihrer eigenen, gegenwärtigen Erfahrungen. MARKUS FRIEDRICH
Marina Münkler: "Anbruch der neuen Zeit". Das dramatische 16. Jahrhundert.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2024.
544 S., Abb., geb., 34,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine eloquente Darstellung ... prägnant und pointiert. Frankfurter Allgemeine Zeitung