An unforgettable novel about finding a lost piece of yourself in someone else. Khaled Hosseini, the #1 New York Times-bestselling author of The Kite Runner and A Thousand Splendid Suns, has written a new novel about how we love, how we take care of one another, and how the choices we make resonate through generations. In this tale revolving around not just parents and children but brothers and sisters, cousins and caretakers, Hosseini explores the many ways in which families nurture, wound, betray, honor, and sacrifice for one another; and how often we are surprised by the actions of those closest to us, at the times that matter most. Following its characters and the ramifications of their lives and choices and loves around the globe—from Kabul to Paris to San Francisco to the Greek island of Tinos—the story expands gradually outward, becoming more emotionally complex and powerful with each turning page.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.10.2013Dieses süße Gift des Vergessens
Khaled Hosseini ist durch "Drachenläufer" weltberühmt geworden. Jetzt erscheint sein neuer Roman "Traumsammler", und er ist noch besser.
Von Anja Hirsch
Der Weg nach Kabul ist beschwerlich für den Vater mit seinen beiden Kindern. Immer ferner rückt ihr Heimatdorf, wo man Brot im Tandoor backt, wo man im Lehmziegelhaus wohnt und die harten Winter kaum übersteht. Vor kurzem erst ist ein anderes Mitglied der Familie gestorben, Omar, noch ein Baby. Jetzt sitzt die vierjährige Pari in einem Karren, ihr älterer Bruder Abdullah läuft nebenher, der Vater zieht. Am Abend noch hat er den Kindern eine Geschichte erzählt, der Vater erzählt wunderbar. Aber es liegt ein Schatten über der kleinen Karawane, die ihren Weg fortsetzt durch die Wüste, vorbei an kupferroten Schluchten und Sandsteinklippen, winzige Menschen, hingegossen wie auf Großleinwand.
Wanderungen in ein anderes Leben sind die Grundbewegung der Romane von Khaled Hosseini, der vom großen Erfolg seines Debüts "Drachenläufer" (2003) selbst überrascht war. Nach "Tausend strahlende Sonnen" legt er jetzt seinen dritten Roman vor, "Traumsammler", noch eindringlicher erzählt. Auch hier kann man nicht anders, als sofort Schritt zu halten mit den Figuren, mit den Kindern, die bald die Stadt erreichen.
Was für eine andere Welt. Sie besuchen eine angesehene Familie, die dem Vater Arbeit vermitteln soll. Sie bestaunen die vielen Kekssorten und die ovalen Manschettenknöpfe aus Lapislazuli. Dann nimmt sie die mondäne Frau des Hauses mit auf den Basar. Pari bekommt gelbe Schuhe, und Abdullah protestiert, obwohl alles verführerisch schön ist, aber auch falsch und verstörend unter dem Make-up dieser schlanken Frau. Er erinnert sich, wie er einmal sein einziges Paar Schuhe gegen eine schöne Feder eintauschte, die er Pari schenkte, und wie glücklich sie war. Niemand bereitet einen auf das vor, was der Autor schon weiß und der Junge ahnt: dass die kleine Pari an jenem Tag bei dieser Frau bleiben wird, weil es "das Beste" wäre. Und dass sie diesen älteren Bruder, der alles für sie tut, irgendwann vergessen haben wird. Ihr bleibt nur das unbestimmte Gefühl, dass etwas fehlt. Ein Leben vergeht, bis sie wieder aufeinandertreffen.
Das Überlebenmüssen, das immer mitschwingt, bewahrt diese Prosa davor, ins Sentimentale abzugleiten. Sie handelt vom Verlieren und Wiederfinden und erzählt die beklemmende Geschichte von Krieg und Frieden, so schön und schrecklich und wechselhaft sie ist. Hosseini, 1965 in Kabul geboren, verließ Afghanistan mit der Familie 1976, und zog zunächst nach Paris. Als sein Vater in Amerika um politisches Asyl ersuchte, war er fünfzehn. Er wurde Internist und schrieb morgens vor der Arbeit. "Drachenläufer" erschien in siebzig Ländern und wurde millionenfach verkauft. Inzwischen hat Hosseini eine Stiftung ins Leben gerufen. Als Sonderbotschafter der Vereinten Nationen spricht er für Flüchtlinge und reist viel. Die Wirklichkeit hat sich in seine Literatur eingegraben.
Pari, das verkaufte Mädchen, verlieren wir lange aus den Augen. Khaled Hosseini interessiert sich für alle Akteure, für die innere Architektur dieser kriegsgeschüttelten Welt. Da ist ein griechischer Arzt, der nach Kabul geht und dort Jahre bleibt - warum eigentlich? Oder zwei Cousins, die fliehen mussten und in Amerika ein neues Leben haben. Die Neugier, die Sehnsucht, die Ohnmacht und vielleicht noch ein paar andere unbestimmte Motive treiben sie nach Kabul zurück, wo sie ein Krankenhaus besichtigen - der eine schon mit einem Bein wieder im Westen, der andere ganz im Bann des Erlebten.
Da liegt Roshi mit der Kopfwunde, ein kleines Mädchen. Der Onkel hatte wegen Grundbesitzstreitigkeiten nach der Axt gegriffen und ihre Familie getötet. Roshi überlebte. Eine Operation könnte sie retten. Aber Roshis Gesicht, ihr Lachen, ihre Zuneigung zum neu gewonnenen Freund, der sie täglich besucht, verblassen, als der wieder in Kalifornien ist. "Im Laufe eines Monats ist Roshi für ihn so abstrakt geworden wie die Figur eines Theaterstücks." Wie ein beruhigendes Gift legt sich das Vergessen in den gefüllten Tag.
Manchmal verliert sich eine Spur, und man ertappt sich dabei, wie man nach einer dieser Figuren sucht. Obwohl Hosseini so lebendig erzählt, bleibt im Nachhall vor allem das Nicht-Erzählte, das Abgerissene. Man will wissen, wie es diesem und jenem geht. Man muss aber ständig loslassen und seine Meinung neu justieren. Nali zum Beispiel, die neue Mutter von Pari, "das Beste" fürs afghanische Dorfmädchen, erweist sich als ziemlich erdrückend. Die Freiheit, die sie predigt und schenkt, erkauft sie durch emotionalen Druck. Aber dann blendet Hosseini ein langes, berührendes Interview ein, das die alkoholkranke Lyrikerin einer Zeitschrift gibt. Sie erzählt, was ihr vor Jahrzehnten zugefügt wurde, und alles ist wieder anders, als man denkt. "Jenseits unserer Vorstellungen / Von guten und schlechten Taten / Erstreckt sich ein Feld. / Dort werde ich dich treffen." Diese Verse des Dichters Dschalaluddin Rumi aus dem dreizehnten Jahrhundert stellt Khaled Hosseini seinem Roman voran. Ebendies ist das Feld, das er selbst hier bestellt.
Die Eröffnungsgeschichte ist dabei wie ein geheimer Schlüssel, den man immer wieder dreht und wendet. Sie handelt von einem Dämon, der jedes Jahr aus einer Familie ein Kind wegholt. Man spürt den unendlichen Schmerz eines Vaters, der seinen Jüngsten ziehen lässt, sein Lieblingskind, weil es das Los so entschied. Irgendwann folgt er dem Dämon nach. Er will mit ihm kämpfen. Aber der Dämon zeigt ihm den Sohn, spielend und glücklich inmitten eines Paradieses. Der Vater könnte ihn sofort mitnehmen, zurück in das arme Dorf, aber das Kind dürfte nie mehr ins Paradies. Der Vater zerbricht abermals über dieser Entscheidung, aber er lässt den Sohn dort. Einen Trank, um zu vergessen, den der Dämon ihm dann gnädigerweise gibt, hätten einige der Figuren in Hosseinis Roman bitter nötig.
Stattdessen müssen sie wachsen und kämpfen und manchmal eben sehr kompliziert lieben. Khaled Hosseini hat ein aufklärerisches und zutiefst menschliches Buch geschrieben, klangprächtig wie eine große Partitur, die man lesend erweckt. Nur zu.
Khaled Hosseini: "Traumsammler". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Henning Ahrens. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2013. 443 S., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Khaled Hosseini ist durch "Drachenläufer" weltberühmt geworden. Jetzt erscheint sein neuer Roman "Traumsammler", und er ist noch besser.
Von Anja Hirsch
Der Weg nach Kabul ist beschwerlich für den Vater mit seinen beiden Kindern. Immer ferner rückt ihr Heimatdorf, wo man Brot im Tandoor backt, wo man im Lehmziegelhaus wohnt und die harten Winter kaum übersteht. Vor kurzem erst ist ein anderes Mitglied der Familie gestorben, Omar, noch ein Baby. Jetzt sitzt die vierjährige Pari in einem Karren, ihr älterer Bruder Abdullah läuft nebenher, der Vater zieht. Am Abend noch hat er den Kindern eine Geschichte erzählt, der Vater erzählt wunderbar. Aber es liegt ein Schatten über der kleinen Karawane, die ihren Weg fortsetzt durch die Wüste, vorbei an kupferroten Schluchten und Sandsteinklippen, winzige Menschen, hingegossen wie auf Großleinwand.
Wanderungen in ein anderes Leben sind die Grundbewegung der Romane von Khaled Hosseini, der vom großen Erfolg seines Debüts "Drachenläufer" (2003) selbst überrascht war. Nach "Tausend strahlende Sonnen" legt er jetzt seinen dritten Roman vor, "Traumsammler", noch eindringlicher erzählt. Auch hier kann man nicht anders, als sofort Schritt zu halten mit den Figuren, mit den Kindern, die bald die Stadt erreichen.
Was für eine andere Welt. Sie besuchen eine angesehene Familie, die dem Vater Arbeit vermitteln soll. Sie bestaunen die vielen Kekssorten und die ovalen Manschettenknöpfe aus Lapislazuli. Dann nimmt sie die mondäne Frau des Hauses mit auf den Basar. Pari bekommt gelbe Schuhe, und Abdullah protestiert, obwohl alles verführerisch schön ist, aber auch falsch und verstörend unter dem Make-up dieser schlanken Frau. Er erinnert sich, wie er einmal sein einziges Paar Schuhe gegen eine schöne Feder eintauschte, die er Pari schenkte, und wie glücklich sie war. Niemand bereitet einen auf das vor, was der Autor schon weiß und der Junge ahnt: dass die kleine Pari an jenem Tag bei dieser Frau bleiben wird, weil es "das Beste" wäre. Und dass sie diesen älteren Bruder, der alles für sie tut, irgendwann vergessen haben wird. Ihr bleibt nur das unbestimmte Gefühl, dass etwas fehlt. Ein Leben vergeht, bis sie wieder aufeinandertreffen.
Das Überlebenmüssen, das immer mitschwingt, bewahrt diese Prosa davor, ins Sentimentale abzugleiten. Sie handelt vom Verlieren und Wiederfinden und erzählt die beklemmende Geschichte von Krieg und Frieden, so schön und schrecklich und wechselhaft sie ist. Hosseini, 1965 in Kabul geboren, verließ Afghanistan mit der Familie 1976, und zog zunächst nach Paris. Als sein Vater in Amerika um politisches Asyl ersuchte, war er fünfzehn. Er wurde Internist und schrieb morgens vor der Arbeit. "Drachenläufer" erschien in siebzig Ländern und wurde millionenfach verkauft. Inzwischen hat Hosseini eine Stiftung ins Leben gerufen. Als Sonderbotschafter der Vereinten Nationen spricht er für Flüchtlinge und reist viel. Die Wirklichkeit hat sich in seine Literatur eingegraben.
Pari, das verkaufte Mädchen, verlieren wir lange aus den Augen. Khaled Hosseini interessiert sich für alle Akteure, für die innere Architektur dieser kriegsgeschüttelten Welt. Da ist ein griechischer Arzt, der nach Kabul geht und dort Jahre bleibt - warum eigentlich? Oder zwei Cousins, die fliehen mussten und in Amerika ein neues Leben haben. Die Neugier, die Sehnsucht, die Ohnmacht und vielleicht noch ein paar andere unbestimmte Motive treiben sie nach Kabul zurück, wo sie ein Krankenhaus besichtigen - der eine schon mit einem Bein wieder im Westen, der andere ganz im Bann des Erlebten.
Da liegt Roshi mit der Kopfwunde, ein kleines Mädchen. Der Onkel hatte wegen Grundbesitzstreitigkeiten nach der Axt gegriffen und ihre Familie getötet. Roshi überlebte. Eine Operation könnte sie retten. Aber Roshis Gesicht, ihr Lachen, ihre Zuneigung zum neu gewonnenen Freund, der sie täglich besucht, verblassen, als der wieder in Kalifornien ist. "Im Laufe eines Monats ist Roshi für ihn so abstrakt geworden wie die Figur eines Theaterstücks." Wie ein beruhigendes Gift legt sich das Vergessen in den gefüllten Tag.
Manchmal verliert sich eine Spur, und man ertappt sich dabei, wie man nach einer dieser Figuren sucht. Obwohl Hosseini so lebendig erzählt, bleibt im Nachhall vor allem das Nicht-Erzählte, das Abgerissene. Man will wissen, wie es diesem und jenem geht. Man muss aber ständig loslassen und seine Meinung neu justieren. Nali zum Beispiel, die neue Mutter von Pari, "das Beste" fürs afghanische Dorfmädchen, erweist sich als ziemlich erdrückend. Die Freiheit, die sie predigt und schenkt, erkauft sie durch emotionalen Druck. Aber dann blendet Hosseini ein langes, berührendes Interview ein, das die alkoholkranke Lyrikerin einer Zeitschrift gibt. Sie erzählt, was ihr vor Jahrzehnten zugefügt wurde, und alles ist wieder anders, als man denkt. "Jenseits unserer Vorstellungen / Von guten und schlechten Taten / Erstreckt sich ein Feld. / Dort werde ich dich treffen." Diese Verse des Dichters Dschalaluddin Rumi aus dem dreizehnten Jahrhundert stellt Khaled Hosseini seinem Roman voran. Ebendies ist das Feld, das er selbst hier bestellt.
Die Eröffnungsgeschichte ist dabei wie ein geheimer Schlüssel, den man immer wieder dreht und wendet. Sie handelt von einem Dämon, der jedes Jahr aus einer Familie ein Kind wegholt. Man spürt den unendlichen Schmerz eines Vaters, der seinen Jüngsten ziehen lässt, sein Lieblingskind, weil es das Los so entschied. Irgendwann folgt er dem Dämon nach. Er will mit ihm kämpfen. Aber der Dämon zeigt ihm den Sohn, spielend und glücklich inmitten eines Paradieses. Der Vater könnte ihn sofort mitnehmen, zurück in das arme Dorf, aber das Kind dürfte nie mehr ins Paradies. Der Vater zerbricht abermals über dieser Entscheidung, aber er lässt den Sohn dort. Einen Trank, um zu vergessen, den der Dämon ihm dann gnädigerweise gibt, hätten einige der Figuren in Hosseinis Roman bitter nötig.
Stattdessen müssen sie wachsen und kämpfen und manchmal eben sehr kompliziert lieben. Khaled Hosseini hat ein aufklärerisches und zutiefst menschliches Buch geschrieben, klangprächtig wie eine große Partitur, die man lesend erweckt. Nur zu.
Khaled Hosseini: "Traumsammler". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Henning Ahrens. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2013. 443 S., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.12.2013Treffpunkt im Unendlichen
Khaled Hosseini erzählt in seinem neuen Roman „Traumsammler“ von einem Geschwisterpaar,
das gewaltsam getrennt wird – im Schicksal der Kinder spiegelt sich die ganze Tragödie Afghanistans
VON JOACHIM KÄPPNER
Ich fand eine kleine, traurige Fee
Im Schatten eines Baums am See.
Ich weiß eine kleine, traurige Fee,
Die wurde vom Wind davongeweht.
Das ist das Kinderlied, das die Mutter dem siebenjährigen Abdullah abends zum Einschlafen vorsang. „Die Mutter, deren Gesicht er kaum noch in Erinnerung hatte, seine Mutter, die sein Gesicht mit beiden Händen umfasst und gegen ihre Brust gezogen, allabendlich vor dem Einschlafen seine Wange gestreichelt hatte.“ Doch diese Mutter ist tot, und Abdullah, ein Junge aus einem afghanischen Dorf, wird am Anfang des neuen Romans von Khaled Hosseini einen womöglich noch traumatischeren Verlust erleiden: Seine kleine Schwester Pari wird an ein reiches Städterpaar verkauft.
Erinnerung und Sehnsucht, der Wunsch nach Glück inmitten all des Unglücks: Das sind die Grundmotive von „Traumsammler“, einer großen Erzählung über die afghanische Tragödie. Hosseini, 1965 in Kabul geboren, ging als Jugendlicher nach der sowjetischen Invasion mit der Familie ins Exil nach Amerika. Er fand, was er zu Hause nicht mehr hatte: ein freies Land, das ihm ein Medizinstudium und eine bürgerliche Existenz ermöglichte. Aber der Gedanke an all das Verlorene hat ihn nie losgelassen, und so begann der Internist Hosseini zu schreiben.
Es ist ein fast unglaublicher Aufstieg: Mit seinen Romanen „Drachenläufer“ (2003) und „Tausend strahlende Sonnen“ (2007) wurde Khaled Hosseini zur Stimme eines Afghanistans, das mehr, viel mehr ist als ein Land verrohter Fanatiker, der Clans und Drogenbarone und blutiger Kämpfe zwischen westlichen Soldaten und Taliban-Kämpfern. Die beiden ersten Werke erschienen in siebzig Ländern und verkauften sich 38 Millionen Mal – so viel zum prophezeiten Ende des gedruckten Buchs.
„Traumsammler“ hat es aus dem Stand erneut auf die internationalen Bestsellerlisten geschafft, und das aus gutem Grund. Es ist Khaled Hosseinis vielleicht reifstes, gewiss aber vielseitigstes und dramaturgisch raffiniertestes Werk; es beginnt mit der kleinen Fee, die der Wind davongeweht hat.
Am Anfang steht eine epische, biblisch anmutende Szene. Abdullahs Vater durchquert mit dem Sohn und der kleinen, erst drei Jahre alten Pari zu Fuß die Wüste. Der Junge spürt ein großes Unheil nahen. Ihr Heimatdorf Shadbag, die Geschichte spielt anfangs zu Beginn der Fünfzigerjahre, ist sehr arm, Kinder sterben an Kälte und Auszehrung. Aber Pari soll leben. Der Vater hat sich von seinem Bruder Nabi überreden lassen, sie nach Kabul zu bringen, zu einem reichen Ehepaar, einem seltsamen Eigenbrötler und seiner schönen Frau Nila, die sich so sehr Kinder wünscht, aber keine bekommen kann. Oder doch. Sie bekommt die kleine Pari, gegen Geld; offiziell heißt es, das Kind werde in Kabul betreut, weil seine Aussichten dort besser seien.
Abdullahs Welt versinkt, die Erinnerung an die geliebte Schwester wird zur Pein: „Es gab kein Vergessen. Egal, wo Abdullah sich aufhielt, immer hing Pari am Rand seines Blickfelds. Sie war in dem Schweigen, das zu Hause immer öfter eintrat, ein Schweigen, das zwischen den Wörtern aufquoll, einmal kalt und leer und dann wieder schwer von allem, was nicht ausgesprochen wurde, ein Schweigen wie eine dicke graue Regenwolke, die sich nie entlud.“
Hosseini scheut das Pathos nicht, sein Stil ist mitunter blumenreich, manchmal schwermütig, aber niemals peinlich oder aufgesetzt. Die Geschichte erinnert an die alten Lieder Afghanistans, die von tragischen Begebenheiten erzählen, verschlungen und in immer neuen Wandlungen, schön und schaurig zugleich. „Traumsammler“ ist aber nicht die Geschichte zweier Geschwister, die das Schicksal auseinanderreißt. Sie beginnt nur mit ihnen. Was in Kabul geschah, ein kleines Mädchen wird aus einer schmutzigen Steinhütte in eine elegante Vorstadtvilla gebracht, wird das Leben vieler Menschen bestimmen: von Abdullah und Pari, ihren Eltern, ihren Nachkommen. Die Schuld, die der Vater auf sich lud, und die Hoffnung, die er doch gleichzeitig hegte, beides begleitet die Menschen hier ein Leben lang. Sie alle lernen, wie schwer es ist, mit Schuld zu leben. Und dass Hoffnungen, selbst wenn sie sich erfüllen, immer etwas anderes, Erträumteres sind als das, was dann wirklich passiert.
Der Vater stirbt im Unglück. Abdullah schafft es in die USA; er betreibt ein Kebab-Haus und erstickt die eigene Tochter fast mit Liebe und Erwartungen, nennt sie Pari und fesselt sie bis ans Sterbebett an sich, als könnte er den Verlust der Schwester wieder gutmachen. Pari aus Shadbag wiederum zieht mit ihrer Mutter nach Frankreich, beide müssen mühsam lernen, wie man glücklich wird, aber sie haben nun wenigstens die Chance dazu. Jedes Kapitel fächert das Bild weiter auf, bis es zum großen Panorama eines von Krieg und Hass zerrissenen Landes und seiner Menschen wird, die dennoch von einem besseren Leben träumen, die „Traumsammler“ eben des deutschen Titels – selten genug, dass ein solcher besser ist als der des Originals („And the Mountains Echoed“).
Hosseini hat dem Roman einige Verse eines mittelalterlichen Poeten vorangestellt:
„Jenseits unserer Vorstellungen
von guten und schlechten Taten
erstreckt sich ein Feld.
Dort werde ich dich treffen.“
Das beschreibt den Inhalt seines neuen Buches sehr passend. Auf schillernde Weise wechselt es zwischen den Zeiten und Orten, es spielt im scheußlichen Palast eines afghanischen Warlords, in Amerika und Paris und immer wieder in jenem schönen alten Haus in Kabul, in dem es seinen Anfang nimmt: „Abdullah schätzte, dass mindestens die Hälfte aller Häuser Shadbags hineingepasst hätte. Er hatte das Gefühl, den Palast eines Dämons betreten zu haben. Der rückwärtige Garten war wunderschön: Blumenspaliere in allen nur denkbaren Farben, sauber beschnittene, kniehohe Büsche und überall Obstbäume.“
Das Haus wird zum Sinnbild Afghanistans, von einer erträumten Vergangenheit zur harten Realität. Am Ende ist es eine halb zerschossene Ruine und Treffpunkt ausländischer Helfer, die mit Sorge dem Abzug der westlichen Truppen entgegenblicken. Im Garten steht noch das Wrack des Straßenkreuzers, mit dem Nabi einst die Herrschaften gefahren hatte.
Khaled Hosseini ist ein großer Wurf gelungen – auch, vielleicht vor allem, weil er ein Massenpublikum für anspruchsvolle Literatur begeistert. Manch einer in Deutschland hält Erfolg noch immer für einen Makel. Der Spiegel etwa hat Hosseini vorgeworfen, er schreibe „marketingorientiert“ und „massenkompatibel“, als seien Verständlichkeit und Lesefreude irgendwie etwas Obszönes, für das sich ein Autor zu vornehm sein sollte. Hosseini aber denkt an seine Leser. Zum Glück.
Khaled Hosseini: Traumsammler. Roman. Aus dem Englischen von Henning Ahrens. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013. 448 Seiten, 19,99 Euro, E-Book 17,99 Euro.
Hosseini scheut das Pathos
nicht, aber sein blumiger Stil
wirkt niemals aufgesetzt
Afghanische Kinder in den Außenbezirken von Kabul, einem der Schauplätze des neuen Romans von Khaled Hosseini.
FOTO: RAHMAT GUL/AP PHOTO
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Khaled Hosseini erzählt in seinem neuen Roman „Traumsammler“ von einem Geschwisterpaar,
das gewaltsam getrennt wird – im Schicksal der Kinder spiegelt sich die ganze Tragödie Afghanistans
VON JOACHIM KÄPPNER
Ich fand eine kleine, traurige Fee
Im Schatten eines Baums am See.
Ich weiß eine kleine, traurige Fee,
Die wurde vom Wind davongeweht.
Das ist das Kinderlied, das die Mutter dem siebenjährigen Abdullah abends zum Einschlafen vorsang. „Die Mutter, deren Gesicht er kaum noch in Erinnerung hatte, seine Mutter, die sein Gesicht mit beiden Händen umfasst und gegen ihre Brust gezogen, allabendlich vor dem Einschlafen seine Wange gestreichelt hatte.“ Doch diese Mutter ist tot, und Abdullah, ein Junge aus einem afghanischen Dorf, wird am Anfang des neuen Romans von Khaled Hosseini einen womöglich noch traumatischeren Verlust erleiden: Seine kleine Schwester Pari wird an ein reiches Städterpaar verkauft.
Erinnerung und Sehnsucht, der Wunsch nach Glück inmitten all des Unglücks: Das sind die Grundmotive von „Traumsammler“, einer großen Erzählung über die afghanische Tragödie. Hosseini, 1965 in Kabul geboren, ging als Jugendlicher nach der sowjetischen Invasion mit der Familie ins Exil nach Amerika. Er fand, was er zu Hause nicht mehr hatte: ein freies Land, das ihm ein Medizinstudium und eine bürgerliche Existenz ermöglichte. Aber der Gedanke an all das Verlorene hat ihn nie losgelassen, und so begann der Internist Hosseini zu schreiben.
Es ist ein fast unglaublicher Aufstieg: Mit seinen Romanen „Drachenläufer“ (2003) und „Tausend strahlende Sonnen“ (2007) wurde Khaled Hosseini zur Stimme eines Afghanistans, das mehr, viel mehr ist als ein Land verrohter Fanatiker, der Clans und Drogenbarone und blutiger Kämpfe zwischen westlichen Soldaten und Taliban-Kämpfern. Die beiden ersten Werke erschienen in siebzig Ländern und verkauften sich 38 Millionen Mal – so viel zum prophezeiten Ende des gedruckten Buchs.
„Traumsammler“ hat es aus dem Stand erneut auf die internationalen Bestsellerlisten geschafft, und das aus gutem Grund. Es ist Khaled Hosseinis vielleicht reifstes, gewiss aber vielseitigstes und dramaturgisch raffiniertestes Werk; es beginnt mit der kleinen Fee, die der Wind davongeweht hat.
Am Anfang steht eine epische, biblisch anmutende Szene. Abdullahs Vater durchquert mit dem Sohn und der kleinen, erst drei Jahre alten Pari zu Fuß die Wüste. Der Junge spürt ein großes Unheil nahen. Ihr Heimatdorf Shadbag, die Geschichte spielt anfangs zu Beginn der Fünfzigerjahre, ist sehr arm, Kinder sterben an Kälte und Auszehrung. Aber Pari soll leben. Der Vater hat sich von seinem Bruder Nabi überreden lassen, sie nach Kabul zu bringen, zu einem reichen Ehepaar, einem seltsamen Eigenbrötler und seiner schönen Frau Nila, die sich so sehr Kinder wünscht, aber keine bekommen kann. Oder doch. Sie bekommt die kleine Pari, gegen Geld; offiziell heißt es, das Kind werde in Kabul betreut, weil seine Aussichten dort besser seien.
Abdullahs Welt versinkt, die Erinnerung an die geliebte Schwester wird zur Pein: „Es gab kein Vergessen. Egal, wo Abdullah sich aufhielt, immer hing Pari am Rand seines Blickfelds. Sie war in dem Schweigen, das zu Hause immer öfter eintrat, ein Schweigen, das zwischen den Wörtern aufquoll, einmal kalt und leer und dann wieder schwer von allem, was nicht ausgesprochen wurde, ein Schweigen wie eine dicke graue Regenwolke, die sich nie entlud.“
Hosseini scheut das Pathos nicht, sein Stil ist mitunter blumenreich, manchmal schwermütig, aber niemals peinlich oder aufgesetzt. Die Geschichte erinnert an die alten Lieder Afghanistans, die von tragischen Begebenheiten erzählen, verschlungen und in immer neuen Wandlungen, schön und schaurig zugleich. „Traumsammler“ ist aber nicht die Geschichte zweier Geschwister, die das Schicksal auseinanderreißt. Sie beginnt nur mit ihnen. Was in Kabul geschah, ein kleines Mädchen wird aus einer schmutzigen Steinhütte in eine elegante Vorstadtvilla gebracht, wird das Leben vieler Menschen bestimmen: von Abdullah und Pari, ihren Eltern, ihren Nachkommen. Die Schuld, die der Vater auf sich lud, und die Hoffnung, die er doch gleichzeitig hegte, beides begleitet die Menschen hier ein Leben lang. Sie alle lernen, wie schwer es ist, mit Schuld zu leben. Und dass Hoffnungen, selbst wenn sie sich erfüllen, immer etwas anderes, Erträumteres sind als das, was dann wirklich passiert.
Der Vater stirbt im Unglück. Abdullah schafft es in die USA; er betreibt ein Kebab-Haus und erstickt die eigene Tochter fast mit Liebe und Erwartungen, nennt sie Pari und fesselt sie bis ans Sterbebett an sich, als könnte er den Verlust der Schwester wieder gutmachen. Pari aus Shadbag wiederum zieht mit ihrer Mutter nach Frankreich, beide müssen mühsam lernen, wie man glücklich wird, aber sie haben nun wenigstens die Chance dazu. Jedes Kapitel fächert das Bild weiter auf, bis es zum großen Panorama eines von Krieg und Hass zerrissenen Landes und seiner Menschen wird, die dennoch von einem besseren Leben träumen, die „Traumsammler“ eben des deutschen Titels – selten genug, dass ein solcher besser ist als der des Originals („And the Mountains Echoed“).
Hosseini hat dem Roman einige Verse eines mittelalterlichen Poeten vorangestellt:
„Jenseits unserer Vorstellungen
von guten und schlechten Taten
erstreckt sich ein Feld.
Dort werde ich dich treffen.“
Das beschreibt den Inhalt seines neuen Buches sehr passend. Auf schillernde Weise wechselt es zwischen den Zeiten und Orten, es spielt im scheußlichen Palast eines afghanischen Warlords, in Amerika und Paris und immer wieder in jenem schönen alten Haus in Kabul, in dem es seinen Anfang nimmt: „Abdullah schätzte, dass mindestens die Hälfte aller Häuser Shadbags hineingepasst hätte. Er hatte das Gefühl, den Palast eines Dämons betreten zu haben. Der rückwärtige Garten war wunderschön: Blumenspaliere in allen nur denkbaren Farben, sauber beschnittene, kniehohe Büsche und überall Obstbäume.“
Das Haus wird zum Sinnbild Afghanistans, von einer erträumten Vergangenheit zur harten Realität. Am Ende ist es eine halb zerschossene Ruine und Treffpunkt ausländischer Helfer, die mit Sorge dem Abzug der westlichen Truppen entgegenblicken. Im Garten steht noch das Wrack des Straßenkreuzers, mit dem Nabi einst die Herrschaften gefahren hatte.
Khaled Hosseini ist ein großer Wurf gelungen – auch, vielleicht vor allem, weil er ein Massenpublikum für anspruchsvolle Literatur begeistert. Manch einer in Deutschland hält Erfolg noch immer für einen Makel. Der Spiegel etwa hat Hosseini vorgeworfen, er schreibe „marketingorientiert“ und „massenkompatibel“, als seien Verständlichkeit und Lesefreude irgendwie etwas Obszönes, für das sich ein Autor zu vornehm sein sollte. Hosseini aber denkt an seine Leser. Zum Glück.
Khaled Hosseini: Traumsammler. Roman. Aus dem Englischen von Henning Ahrens. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013. 448 Seiten, 19,99 Euro, E-Book 17,99 Euro.
Hosseini scheut das Pathos
nicht, aber sein blumiger Stil
wirkt niemals aufgesetzt
Afghanische Kinder in den Außenbezirken von Kabul, einem der Schauplätze des neuen Romans von Khaled Hosseini.
FOTO: RAHMAT GUL/AP PHOTO
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A story of love, separation, friendship, compassion, exile, memory and the troubled history of Afghanistan, spanning three continents and sixty years . Hosseini is a master storyteller The Times