Eine von Smog und Verachtung vergiftete Stadt, teure Autos, billige Beziehungen, hohe Ansprüche und niederste Instinkte. Kamil träumt von einer Karriere als Rapper, wohnt aber noch bei der Mutter in einer Warschauer Plattenbauwohnung. Er dealt mit Rauschgift, jobbt als Klempner und lässt sich von seiner Kundin Iwona halb verführen, halb bezahlen. Sie lebt unglücklich mit ihrem Ehemann Maciej und dem kleinen Sohn Leon in einer von Mauern geschützten Immobilie. Ihr Mann begehrt sie nicht mehr, hat eine Geliebte. Iwona schüttet ihre Sorgen bei der ukrainischen Putzfrau aus, während Kamil wiederum, ohne es zu ahnen, Maciej Drogen verkauft - und so schließt sich der Kreis zwischen den Personen, entsteht ein Kaleidoskop aus Liebe und Betrug, Begierde und Eitelkeit.
Dorota Maslowska erzählt in einer schillernden Sprache, mitreißend und provokant, einfühlsam und drastisch - und mit einem abgrundtief schwarzen Humor, der dem Leser noch bei der grausamsten Wahrheit das Lachen aus dem Halse kitzelt. Ihr Roman ist wie eine Versuchsanordnung, eine explosive Mischung, in der die Jedermänner und Jedefrauen ihr Innerstes nach außen kehren. Am Ende steht die Frage: Die anderen Leute - sind das womöglich wir selbst?
Dorota Maslowska erzählt in einer schillernden Sprache, mitreißend und provokant, einfühlsam und drastisch - und mit einem abgrundtief schwarzen Humor, der dem Leser noch bei der grausamsten Wahrheit das Lachen aus dem Halse kitzelt. Ihr Roman ist wie eine Versuchsanordnung, eine explosive Mischung, in der die Jedermänner und Jedefrauen ihr Innerstes nach außen kehren. Am Ende steht die Frage: Die anderen Leute - sind das womöglich wir selbst?
buecher-magazin.deEin Buch wie ein rasanter Rap durch das Leben einiger Menschen im gegenwärtigen Polen: Verlierertyp Kamil lebt mit seiner trinkenden Mutter und streitsüchtigen Schwester im Plattenbau in Warschau, träumt von einer Karriere als Rapper, dealt gelegentlich und jobbt als Handwerker. Dabei hat er die reiche Iwona kennengelernt, die ihn zum Sex zu sich nach Hause bestellt. Iwona ist hübsch, einsam und depressiv, sie glaubt, ihr Mann Maciej betrügt sie, Xanax helfen nicht immer, sie will, dass ihr Körper berührt wird. Tatsächlich ist Maciej untreu, er sehnt sich nach einer Frau, die ihm zuhört – und die hat er gefunden. Es ist eine funkelnde, poetisch-ruppige Sprache, in der von den „anderen Leuten“ erzählt wird – und man sich zugleich fragt, wer diese eigentlich sind. Immer wieder schalten sich zufällig Anwesende wie ein antiker Chor kommentierend in das Geschehen ein oder geben die Halluzinationen und Fieberträume der Figuren wieder. Dadurch entsteht ein hämmernder Rhythmus und es entfalten sich bittere und provokante Wahrheiten über zerplatzte Träume und Lebenslügen, über männliche Müdigkeit angesichts aufmüpfiger Frauen und über Desillusionen in der polnischen Gegenwart, in der Menschen aus der Ukraine die billigen Jobs machen. Ein mutiges Buch, herausfordernd zu lesen.
© BÜCHERmagazin, Sonja Hartl (sh)
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.01.2020Pelz auf den Synapsen
Dorota Masłowska, in der polnischen Literatur zuständig fürs Provokante, liefert neuen Stoff
Eigentlich ist Dorota Masłowska eine stockkonservative Autorin: „Der Tag gerade erst angebrochen und schon verkackt.“ Was an einem solchen Satz konservativ ist? Die ganze Haltung, sowohl die der Figur Kamil als auch die der Autorin. Phänotypisch mag Masłowskas Sprache den agent provocateur mimen, tatsächlich ist sie aber nicht einmal mehr das.
Oder provoziert ein Text wie ihr neuer Roman „Andere Leute“ tatsächlich noch in Polen? Kaum vorstellbar. Dieser Roman wird nichts anderes angestoßen haben als höchstens die üblichen Erregungsmechanismen, wie man sie auch in Deutschland bis zum Überdruss kennt, siehe erst kürzlich: Handke. Genau das ist Dorota Masłowskas Thema: der dämliche Stillstand, die doofen Leute.
Als sie 2002 mit „Schneeweiß und Russenrot“ debütierte, sie war gerade erst 18 Jahre alt, wirkte das noch anders: rotzig und gefährlich souverän. Sie wurde als Stimme einer hoffnungslosen Jugend gefeiert (die Einen), als Ende der Literatur verdammt (die Anderen). Ihre von Olaf Kühl damals schon unverwechselbar rhythmisiert ins deutsche Fäkalfach übertragene und mit einem hochliterarischem Sound unterlegte Sprache, ließ aufhorchen. Auch den Rap „Die Reiherkönigin“ nahm man ihr ein paar Jahre später noch ab.
Schon ihr erstes Theaterstück aber nicht mehr. „Zwei arme, polnisch sprechende Rumänen“ wirkte müde. So müde, wie die Figur aus einer „Black Mirror“-Folge, die als Abweichlerin zur Hoffnungsfigur aufsteigt und dann gnadenlos ins übliche Spiel hineingezogen und auf furchtbare Weise gebrochen wird. In ihrem neuen Roman „Andere Leute“ zitiert Dorota Masłowska diese Serie, wie auch den ganzen Serien-Hype, seinen affirmativen Gestus.
Masłowskas „Andere Leute“ sind Kamil (sexy, aber abgehängt), Anetta (studentische Aufsteigerin, die wie die weißen Töchter aus besserem Hause in Dany Lafferières Romanen ihr Profil durch sexuelle Orientierung nach unten schärft), Iwona (reich, aber unglücklich), Maciej (Iwonas Mann, ein zynischer Realist). Mit diesem Personal und einigen Statisten und Chor-Figuren, darunter Jesus Christus, startet eine Farce, in der Iwona Kamil sexuell ausbeutet, Kamil zum Trost Anetta vögelt, Maciej von Kamil Stoff kauft und Anetta Iwona die Kondome an der Rossmann-Kasse überreicht. Das Ganze spielt am Jahresbeginn in Warschau in einer schalen Atmosphäre hochfliegender Träume und gescheiterter Hoffnungen: „Als er aus dem Plattenbau kommt, sieht er graue Wolken. Dräuend zusammengezogen über dem Block wie Gottes Brauenbogen. Oder die Brauen von jemand anderem. (...) Sein Schritt ist unleidlich, überall diese Werbetafeln, Horden verfickter Plays, feixende Diebesfressen.“ Dorota Masłowskas Texte sind Echo-Kammern, aus denen herausschallt, was andere hineinrufen. An ihren Werken kann man ablesen, dass sich die Verhältnisse seit 2002 nicht verändert haben.
Ihre Figuren sind „todunglücklich, weil wieder lebend erwacht“. Sie dröhnen sich zu: mit Xanax, mit anderen Downern und Uppern, mit Sex, mit den Druckerzeugnissen des polnischen Papstes und dem Wohlfühl-Konsum der gehobenen Mittelschicht: „Grießbrei, entsäuert. Weiche Sofadecken, aus Fairtrade-Baumwolle neue Vorhänge. Sie adoptieren einen Flüchtling... Nein, nicht übertreiben, wo soll der auf die Dauer bleiben, aber einmal nach Hause einladen können sie einen ... vielleicht.“ Die Sozialkritik ist also ganz schön billig. Trash. Olaf Kühl liefert die deutsche Sprache dazu, reimt „Möse“ auf „Böse“, „geschwitzt“ auf „gewitzt“, verhunzt die Winterreise („Alt ist er eingestiegen, alt sieht er wieder aus.“), holt Stefan George von seinem hohen Ton herunter und versteht es, uns klar zu machen, dass „Andere Leute“ nur die Spitze des Zauberbergs ist. Auch Clawdia Chauchat hat einen Travestie-Auftritt. Ist die Lektüre vergnüglich? Den polnischen Selbsthass, den Masłowska hier inszeniert, steigert sie noch durch die fiesen, kleinen in den Text eingebauten Wendungen gegen die Deutschen und deren Polen-Bild. Es ist der „Kohlrübenkontext“, den Dorota Masłowska in ihren Werken immer wieder aufruft: „Auch wenn du selbst auf einem gewissen Niveau lebst, ziehen dich all diese frisch vom Acker geholten Polacken wieder runter“, lässt sie Maciej jammern.
Der Geschmack von solchen Kohlrüben-Hologrammen legt sich als Pelz auf die Synapsen und verhindert ihre Verbindungsbildung. Das kennt man auch in anderen Ländern der Europäischen Union. Wer daraus aber folgert „Die Anderen, das bin ja ich!“, und das für eine Erkenntnis hält, dem ist wohl auch nicht mehr zu helfen. Nein, das ist nicht die Moral von der Geschicht. Sie hat nämlich keine. Bloß diese eine, kleine, müde Geste: „Ich würd auch gern mal jemandem in die Eier treten, stattdessen muss ich immer beten.“
INSA WILKE
Dorota Masłowska: Andere Leute. Roman. Aus dem Polnischen von Olaf Kühl. Rowohlt Berlin, Berlin 2019. 160 Seiten, 18 Euro.
Gilt seit ihrem Debütroman
als umstritten: Dorota Masłowska. Foto: imago/ZUMA Press
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Dorota Masłowska, in der polnischen Literatur zuständig fürs Provokante, liefert neuen Stoff
Eigentlich ist Dorota Masłowska eine stockkonservative Autorin: „Der Tag gerade erst angebrochen und schon verkackt.“ Was an einem solchen Satz konservativ ist? Die ganze Haltung, sowohl die der Figur Kamil als auch die der Autorin. Phänotypisch mag Masłowskas Sprache den agent provocateur mimen, tatsächlich ist sie aber nicht einmal mehr das.
Oder provoziert ein Text wie ihr neuer Roman „Andere Leute“ tatsächlich noch in Polen? Kaum vorstellbar. Dieser Roman wird nichts anderes angestoßen haben als höchstens die üblichen Erregungsmechanismen, wie man sie auch in Deutschland bis zum Überdruss kennt, siehe erst kürzlich: Handke. Genau das ist Dorota Masłowskas Thema: der dämliche Stillstand, die doofen Leute.
Als sie 2002 mit „Schneeweiß und Russenrot“ debütierte, sie war gerade erst 18 Jahre alt, wirkte das noch anders: rotzig und gefährlich souverän. Sie wurde als Stimme einer hoffnungslosen Jugend gefeiert (die Einen), als Ende der Literatur verdammt (die Anderen). Ihre von Olaf Kühl damals schon unverwechselbar rhythmisiert ins deutsche Fäkalfach übertragene und mit einem hochliterarischem Sound unterlegte Sprache, ließ aufhorchen. Auch den Rap „Die Reiherkönigin“ nahm man ihr ein paar Jahre später noch ab.
Schon ihr erstes Theaterstück aber nicht mehr. „Zwei arme, polnisch sprechende Rumänen“ wirkte müde. So müde, wie die Figur aus einer „Black Mirror“-Folge, die als Abweichlerin zur Hoffnungsfigur aufsteigt und dann gnadenlos ins übliche Spiel hineingezogen und auf furchtbare Weise gebrochen wird. In ihrem neuen Roman „Andere Leute“ zitiert Dorota Masłowska diese Serie, wie auch den ganzen Serien-Hype, seinen affirmativen Gestus.
Masłowskas „Andere Leute“ sind Kamil (sexy, aber abgehängt), Anetta (studentische Aufsteigerin, die wie die weißen Töchter aus besserem Hause in Dany Lafferières Romanen ihr Profil durch sexuelle Orientierung nach unten schärft), Iwona (reich, aber unglücklich), Maciej (Iwonas Mann, ein zynischer Realist). Mit diesem Personal und einigen Statisten und Chor-Figuren, darunter Jesus Christus, startet eine Farce, in der Iwona Kamil sexuell ausbeutet, Kamil zum Trost Anetta vögelt, Maciej von Kamil Stoff kauft und Anetta Iwona die Kondome an der Rossmann-Kasse überreicht. Das Ganze spielt am Jahresbeginn in Warschau in einer schalen Atmosphäre hochfliegender Träume und gescheiterter Hoffnungen: „Als er aus dem Plattenbau kommt, sieht er graue Wolken. Dräuend zusammengezogen über dem Block wie Gottes Brauenbogen. Oder die Brauen von jemand anderem. (...) Sein Schritt ist unleidlich, überall diese Werbetafeln, Horden verfickter Plays, feixende Diebesfressen.“ Dorota Masłowskas Texte sind Echo-Kammern, aus denen herausschallt, was andere hineinrufen. An ihren Werken kann man ablesen, dass sich die Verhältnisse seit 2002 nicht verändert haben.
Ihre Figuren sind „todunglücklich, weil wieder lebend erwacht“. Sie dröhnen sich zu: mit Xanax, mit anderen Downern und Uppern, mit Sex, mit den Druckerzeugnissen des polnischen Papstes und dem Wohlfühl-Konsum der gehobenen Mittelschicht: „Grießbrei, entsäuert. Weiche Sofadecken, aus Fairtrade-Baumwolle neue Vorhänge. Sie adoptieren einen Flüchtling... Nein, nicht übertreiben, wo soll der auf die Dauer bleiben, aber einmal nach Hause einladen können sie einen ... vielleicht.“ Die Sozialkritik ist also ganz schön billig. Trash. Olaf Kühl liefert die deutsche Sprache dazu, reimt „Möse“ auf „Böse“, „geschwitzt“ auf „gewitzt“, verhunzt die Winterreise („Alt ist er eingestiegen, alt sieht er wieder aus.“), holt Stefan George von seinem hohen Ton herunter und versteht es, uns klar zu machen, dass „Andere Leute“ nur die Spitze des Zauberbergs ist. Auch Clawdia Chauchat hat einen Travestie-Auftritt. Ist die Lektüre vergnüglich? Den polnischen Selbsthass, den Masłowska hier inszeniert, steigert sie noch durch die fiesen, kleinen in den Text eingebauten Wendungen gegen die Deutschen und deren Polen-Bild. Es ist der „Kohlrübenkontext“, den Dorota Masłowska in ihren Werken immer wieder aufruft: „Auch wenn du selbst auf einem gewissen Niveau lebst, ziehen dich all diese frisch vom Acker geholten Polacken wieder runter“, lässt sie Maciej jammern.
Der Geschmack von solchen Kohlrüben-Hologrammen legt sich als Pelz auf die Synapsen und verhindert ihre Verbindungsbildung. Das kennt man auch in anderen Ländern der Europäischen Union. Wer daraus aber folgert „Die Anderen, das bin ja ich!“, und das für eine Erkenntnis hält, dem ist wohl auch nicht mehr zu helfen. Nein, das ist nicht die Moral von der Geschicht. Sie hat nämlich keine. Bloß diese eine, kleine, müde Geste: „Ich würd auch gern mal jemandem in die Eier treten, stattdessen muss ich immer beten.“
INSA WILKE
Dorota Masłowska: Andere Leute. Roman. Aus dem Polnischen von Olaf Kühl. Rowohlt Berlin, Berlin 2019. 160 Seiten, 18 Euro.
Gilt seit ihrem Debütroman
als umstritten: Dorota Masłowska. Foto: imago/ZUMA Press
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Eine Leseerfahrung wie eine grandiose, harte, dreckige Droge. Pascal Fischer SWR 2 "Lesenswert" 20200205