Eine Villa in der Hauptstadt, eine Farm auf dem Land - der betagte K. K. Harouni ist ein vermögendes und einflußreiches Mitglied der pakistanischen Landbesitzerklasse. Verständlich, daß seine Beziehung zu einer Frau, die gesellschaftlich weit unter ihm steht, bei seiner Familie auf wenig Begeisterung stößt. Nach Harounis Tod wird sie dorthin verstoßen, wo sie herkam: auf die Straße.Um den Clan dieses Patriarchen und seine Angestellten kreisen acht faszinierende Erzählungen: über Harounis Neffen, der sich in eine Amerikanerin verliebt; über Nawab, den Elektriker, unentbehrliche Arbeitskraft auf Harounis Besitztümern und immer auf der Suche nach neuen Einnahmequellen; über Saleema, die sich als Küchenhilfe durchschlägt, bis sie Harounis Diener Rafik begegnet und ihr Leben plötzlich ganz anders zu werden verspricht. Doch das Glück ist meist von kurzer Dauer in Mueenuddins Pakistan.Daniyal Mueenuddins Debüt war bereits vor seinem Erscheinen ein Ereignis und machte Furore mit Vorabdrucken im New Yorker und in Salman Rushdies Best American Short Stories. Mitreißend, tragisch, elegisch und humorvoll webt es die Lebensgeschichten von Menschen ineinander und öffnet den Blick auf eine Welt, die man so schnell nicht vergißt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.08.2011Brauche sofort eine Million
Daniyal Mueenuddins packende Stories aus Pakistan
Es ist ein gigantisches, doch zerfallendes Imperium, das der greise K. K. Harouni hinterlässt. Er und seine verzweigte Sippe hatten sich daran gewöhnt, über beinahe unbegrenzte Mengen Geldes zu verfügen, und obwohl die Familie nicht einmal hundert Jahre in der Gegend im Punjab wurzelt, hielt der Latifundienbesitzer seine Untertanen für unbedingt loyal. Weit gefehlt! Telegramme wie "Brauche sofort fünfzigtausend" setzen eine Kette von Transaktionen in Gang, bei denen der Verwalter Jaglani sich sukzessive die Filetstücke der Ländereien mittels Strohmännern unter den Nagel reißt und den anderen Teil gegen Schmiergelder an korrupte Beamte und Militärs verschachert. Den Alten kümmert es ohnehin nicht.
Eine Welt zerbricht, und sie ist keine Träne wert. Korruption, Nepotismus, Verschwendungssucht, Ignoranz gegenüber den sozialen und wirtschaftlichen Missständen des Landes höhlen die Macht der alten Eliten aus, Elend und Hilflosigkeit dominieren den Alltag einer wie Leibeigene gehaltenen Dienerschaft. Die Aussichten sind düster.
Als brutalen, fragmentierten Ort, an dem nichts funktioniert, beschrieb Daniyal Mueenuddin neulich in einem Interview seine Heimat Pakistan, ein Land, in dem Macht allein darüber definiert sein kann, ob das Haus über Elektrizität verfügt oder die Auffahrt asphaltiert ist. Seit dem Ende der britischen Kolonialmacht herrsche ein Vakuum, und keine zivile Kraft sei in Sicht, die sich dem Chaos entgegenstellen könnte. Entsprechend hoffnungslos sind die emotionalen Landschaften - zumal die zwischen den Geschlechtern - in diesem hochgelobten Debüt.
Ähnlich wie in Turgenjews "Aufzeichnungen eines Jägers" oder in Balzacs "Menschlicher Komödie" kreisen die acht Erzählungen um ein durch den alten Harouni und seine Dienerschaft verbundenes Figurenensemble. Mit dieser ebenso konventionellen wie eleganten Methode gelingt Mueenuddin ein Querschnitt durch die pakistanische Gesellschaft und ein deprimierendes Sittenbild eines Landes, in dem es stets um Macht und Einfluss, überraschenderweise aber nie um Religion geht.
Die eigene Biographie lieferte reichlich Material. Als Sohn eines pakistanischen Politikers und Landbesitzers und einer Amerikanerin 1963 in Los Angeles geboren, wuchs Daniyal Mueenuddin in Pakistan auf, bis die Mutter nach der Trennung vom Vater in die Vereinigten Staaten zurückkehrte, wo er am Dartmouth College studierte und nach einem Intermezzo in Pakistan in Yale Jura studierte. Es folgten Jahre als Anwalt in New York. Heute lebt der Weltenbürger als freier Autor wieder im Süden des Punjab, wo er die vom Vater geerbte Farm nach westlichen Unternehmensmethoden zu führen sucht.
Die Sprache und Metaphorik des Erzählers passt sich chamäleonartig seinen Helden an, etwa bei der Magd, die sich zum Schutz erst dem Koch und dann dem Verwalter an den Hals wirft, bis dieser zu seiner Frau zurückkehrt und die junge Frau und das gemeinsame Kind dem Elend überlässt. Bei den oberen Zehntausend geht es zwar mit der Nonchalance eines Fitzgerald oder Capote zu, doch unter der eleganten, im Ausland geschulten Lebensart lauern Klassendünkel und Machtinstinkt, wie eine amerikanische Studentin in Paris beim Treffen mit ihren pakistanischen Schwiegereltern in spe erfahren muss. Die Freiheit ist immer anderswo, nur nicht in Pakistan. Für die einen ist Glück eine Atempause im Überlebenskampf, für die anderen eine Auszeit von den Fesseln des Clans. Am Ende der Träume steht nicht die Enttäuschung, sondern eine deprimierende Leere - in den Hütten wie in den Palästen.
SABINE BERKING.
Daniyal Mueenuddin: "Andere Räume, andere Träume".
Aus dem Englischen von Brigitte Heinrich. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 290 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Daniyal Mueenuddins packende Stories aus Pakistan
Es ist ein gigantisches, doch zerfallendes Imperium, das der greise K. K. Harouni hinterlässt. Er und seine verzweigte Sippe hatten sich daran gewöhnt, über beinahe unbegrenzte Mengen Geldes zu verfügen, und obwohl die Familie nicht einmal hundert Jahre in der Gegend im Punjab wurzelt, hielt der Latifundienbesitzer seine Untertanen für unbedingt loyal. Weit gefehlt! Telegramme wie "Brauche sofort fünfzigtausend" setzen eine Kette von Transaktionen in Gang, bei denen der Verwalter Jaglani sich sukzessive die Filetstücke der Ländereien mittels Strohmännern unter den Nagel reißt und den anderen Teil gegen Schmiergelder an korrupte Beamte und Militärs verschachert. Den Alten kümmert es ohnehin nicht.
Eine Welt zerbricht, und sie ist keine Träne wert. Korruption, Nepotismus, Verschwendungssucht, Ignoranz gegenüber den sozialen und wirtschaftlichen Missständen des Landes höhlen die Macht der alten Eliten aus, Elend und Hilflosigkeit dominieren den Alltag einer wie Leibeigene gehaltenen Dienerschaft. Die Aussichten sind düster.
Als brutalen, fragmentierten Ort, an dem nichts funktioniert, beschrieb Daniyal Mueenuddin neulich in einem Interview seine Heimat Pakistan, ein Land, in dem Macht allein darüber definiert sein kann, ob das Haus über Elektrizität verfügt oder die Auffahrt asphaltiert ist. Seit dem Ende der britischen Kolonialmacht herrsche ein Vakuum, und keine zivile Kraft sei in Sicht, die sich dem Chaos entgegenstellen könnte. Entsprechend hoffnungslos sind die emotionalen Landschaften - zumal die zwischen den Geschlechtern - in diesem hochgelobten Debüt.
Ähnlich wie in Turgenjews "Aufzeichnungen eines Jägers" oder in Balzacs "Menschlicher Komödie" kreisen die acht Erzählungen um ein durch den alten Harouni und seine Dienerschaft verbundenes Figurenensemble. Mit dieser ebenso konventionellen wie eleganten Methode gelingt Mueenuddin ein Querschnitt durch die pakistanische Gesellschaft und ein deprimierendes Sittenbild eines Landes, in dem es stets um Macht und Einfluss, überraschenderweise aber nie um Religion geht.
Die eigene Biographie lieferte reichlich Material. Als Sohn eines pakistanischen Politikers und Landbesitzers und einer Amerikanerin 1963 in Los Angeles geboren, wuchs Daniyal Mueenuddin in Pakistan auf, bis die Mutter nach der Trennung vom Vater in die Vereinigten Staaten zurückkehrte, wo er am Dartmouth College studierte und nach einem Intermezzo in Pakistan in Yale Jura studierte. Es folgten Jahre als Anwalt in New York. Heute lebt der Weltenbürger als freier Autor wieder im Süden des Punjab, wo er die vom Vater geerbte Farm nach westlichen Unternehmensmethoden zu führen sucht.
Die Sprache und Metaphorik des Erzählers passt sich chamäleonartig seinen Helden an, etwa bei der Magd, die sich zum Schutz erst dem Koch und dann dem Verwalter an den Hals wirft, bis dieser zu seiner Frau zurückkehrt und die junge Frau und das gemeinsame Kind dem Elend überlässt. Bei den oberen Zehntausend geht es zwar mit der Nonchalance eines Fitzgerald oder Capote zu, doch unter der eleganten, im Ausland geschulten Lebensart lauern Klassendünkel und Machtinstinkt, wie eine amerikanische Studentin in Paris beim Treffen mit ihren pakistanischen Schwiegereltern in spe erfahren muss. Die Freiheit ist immer anderswo, nur nicht in Pakistan. Für die einen ist Glück eine Atempause im Überlebenskampf, für die anderen eine Auszeit von den Fesseln des Clans. Am Ende der Träume steht nicht die Enttäuschung, sondern eine deprimierende Leere - in den Hütten wie in den Palästen.
SABINE BERKING.
Daniyal Mueenuddin: "Andere Räume, andere Träume".
Aus dem Englischen von Brigitte Heinrich. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 290 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Großes Leseglück hat Daniyal Mueenuddin mit seinem Debüt der Rezensentin Shirin Sojitrawalla beschert. Wie sie erklärt, erzählt der pakistanische Autor in hier in verschiedenen Episoden von den Verwandten und Angestellten des einflussreichen Landbesitzer K.K. Harouni, die bei allen sozialen Unterschieden eines eint: Ihre Träume erfüllen sich nicht: die aufstiegsorientierte Saleema steht nach ihrer Heirat noch schlechter da als zuvor, die verwöhnte Society-Tochter endet auf einem einsamen Landgut, am bewegendsten fand Rezensentin Sojitrawalla jedoch die Liebesgeschichte zwischen einem Wanderarbeiter und einem schwachsinnigen Mädchen. Aber auch hier wartet offenbar kein Happy End. Mit "professioneller Mitleidlosigkeit" beobachte Mueenuddin seine Helden beim Scheitern, betont Sojitrawalla, die auch die Unerbittlichkeit der pakistanischen Klassengesellschaft in diesem Buch sehr unaufgeregt, präzise und ziemlich trostlos dargestellt fand.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Von der Liebe zum Land künden diese Erzählungen ... auf jeder Seite. Man riecht und schmeckt und sieht. Vor allem aber zaubert Mueenuddin Menschen aus Fleisch und Blut vor uns hin, aus einer Welt, die uns fremd sein müsste, uns aber plötzlich ganz nahe erscheint.«
Claudia Kramatschek, Neue Zürcher Zeitung 11.08.2010
Claudia Kramatschek, Neue Zürcher Zeitung 11.08.2010