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Am 19. Mai 2007 starb Hans Wollschläger. Dieser Band enthält seine letzte große öffentliche Rede, gehalten auf der Tagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt im Herbst 2006, die Nachrufe von Rolf-Bernhard Essig, Lothar Müller, Paul Ingendaay und Rudi Schweikert sowie die Trauerrede von Peter Horst Neumann.

Produktbeschreibung
Am 19. Mai 2007 starb Hans Wollschläger. Dieser Band enthält seine letzte große öffentliche Rede, gehalten auf der Tagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt im Herbst 2006, die Nachrufe von Rolf-Bernhard Essig, Lothar Müller, Paul Ingendaay und Rudi Schweikert sowie die Trauerrede von Peter Horst Neumann.
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Autorenporträt
Hans Wollschläger (1935-2007) war Übersetzer (u. a. James Joyce »Ulysses«), Schriftsteller, Historiker, Religionskritiker, Rhetor, Essayist und Literaturhistoriker. Er erhielt neben vielen anderen Auszeichnungen 1982 den erstmals vergebenen Arno-Schmidt-Preis. Posthum wurde ihm 2007 der August-Graf-von-Platen-Preis der Stadt Ansbach verliehen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.04.2008

Es gibt keinen Gott
Hans Wollschläger hält eine Grabrede auf sich selbst

Lebenszeit ist die härteste aller Valuten. Kredite in dieser Währung lassen sich nicht prolongieren. An Ultimo wartet der Tod. Um diesen definitiven Zahltag, um "das komplizierteste und unabsehbar implizierende Ernsteste Ding überhaupt" geht es in Hans Wollschlägers "Anderrede vom Weltgebäude herab", der "Kleinen Mauerschau des Alterns". Das Weltgebäude ist ein gewaltiger Bau, erstellt aus geistlichem Stoff: "O prächtig Weltgebäude, das Gott so schön gebauet" (Daniel Wilhelm Triller) oder: "Wenn ich nur dich, o starker Held / behalt in meinem Leide / so acht ich's nicht, wenn gleich zerfällt / das große Weltgebäude" (Paul Gerhardt). Der Titel enthält also weitreichende Anspielungen.

Vom Weltgebäude herab hat man einen weiten Blick ins Vergangene, aufs Gegenwärtige und in die Zukunft. Wollschläger hat es bestiegen. Er erzählt, was sich von dort oben erkennen lässt, auch auf der Seite, die der Gegenwart abgewandt ist. Seine eigene leibliche Zukunft sollte zu dem Zeitpunkt, an dem er diese Ansprache hielt, noch sieben Jahre währen. Eine erste Fassung wurde in dieser Zeitung am 6. Mai 2000 gedruckt. Am 19. Mai 2007 ist ihr Autor im Alter von zweiundsiebzig Jahren gestorben.

Die "Anderrede" ist ein Nekrolog Hans Wollschlägers auf sich selbst, des einen auf einen anderen Wollschläger. Ein Intellektueller von Graden buchstabiert hier sehr persönlich die altkirchliche Erkenntnis aus, der zufolge wir mitten im Leben vom Tode umfangen sind. "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen", sagt Ludwig Wittgenstein. Wollschläger schwieg nicht über das Schwerste überhaupt, über das eigene Sterben. Er spricht konzentriert, mitunter hochfahrend, manchmal preziös und mit großer sprachlicher Wucht über die Endphase seines Lebens. Beim Lesen holt man sich Schrammen und blaue Flecken.

Unübersehbar wird dieses letzte Ziel des Lebens ("absurd, empörend, unerhört" ist es) auf dem Lebensabschnitt, der Altern heißt. Wollschläger mustert in seiner "Mauerschau des Todes" das Gewesene und das Seiende vom erhöhten Standpunkt dessen aus, der das Kommende erkennt, kommen sieht. Es geht weniger um Altersgebrechen und Siechtum (das auch), sondern um das, was nach dem Tode eines Denkenden ungesagt bleiben wird.

Das ist das ungeschrieben bleibende Spät- und Alterswerk eines Mannes, dessen "Scheuern der Erkenntnis voll" sind. Wenigstens noch hundert Jahre brauchte er dafür, denn das, was er zu sagen (gehabt) hätte, bedürfte geistiger und sprachlicher Arbeit, die rascher nicht zu erledigen wäre. Bei einem, der "1000 Wörter denken muss, bevor 20 in der richtigen Ordnung dastehen", ist das nicht zu hoch gegriffen. Das Erkennen der Dinge sei übrigens nur ein "Alias und Synonym des Alterns, unabhängig davon, auf welcher Altersstufe es stattfindet". Die Welt verbessern zu wollen, die Menschheit als solche zu lieben, "politisch sein" zu wollen - das gibt sich beim Altern. Große Ideen, etwa "Europa" (ewiger Frieden, Menschheitsmorgen, alle Menschen werden Brüder und so fort), verlören ihren Reiz, wenn sichtbar geworden sei, dass "sie nur noch von Militärs und Fabrikanten definiert" würden. Ergraute Gutmenschen wären demnach, auf ihre Lebenszeit bezogen, nicht sehr helle.

Erbauliches über die Fülle des Lebens oder Sarkasmen über Freund Hein und seine Sense sind Wollschlägers Sache nicht. Sein Totentanz ist diesseitig. Die vanitas vanitatum hat kein transzendentales Ziel, das Ewige Leben ist ihm keine Option. Dass hier nach Lehren Arthur Schopenhauers philosophiert wird, braucht man nicht zu vermuten; auf ihn beruft sich Wollschläger mehrfach. Das "erste Blumenstück" in Jean Pauls "Siebenkäs", die "Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei", endet mit dem Satz: "Meine Seele weinte vor Glück, dass sie wieder Gott anbeten konnte." In Wollschlägers Rede gibt es keinen Gott.

Nachrufe von Paul Ingendaay, Lothar Müller, Rolf-Bernhard Essig und Rudi Schweikert beschließen das Bändchen. Sie alle sind 2007 in verschiedenen Feuilletons erschienen. Wollschlägers Nachrufer loben seinen scharfen und unbestechlichen Intellekt, seine sprachliche Meisterschaft, seine vielseitigen Begabungen. Sie referieren seine rätselhafte Liebe zu Karl May, seine eiserne Loyalität zu Arno Schmidt, seine Arbeit an der Gesamtausgabe der Schriften Friedrich Rückerts. Sie rühmen ihn als Meister des Essays. Das sei "seine eigentliche Form, seine Paradedisziplin, in der er zu den paar Großen der letzten Jahrzehnte gehörte" (Paul Ingendaay). Sie verneigen sich vor dem begnadeten Stilisten, dessen Übersetzung des "Ulysses" eine sprachliche Großtat war. Auch seine Verdeutschungen von Texten Edgar Allan Poes, Dashiell Hammetts und Raymond Chandlers werden rühmend erwähnt. Gebührend gewürdigt wird schließlich der Polyhistor Wollschläger und der praktizierende und theoretisierende Musiker, der er war. Und sie alle vermissen den zweiten Band seines Romans "Herzgewächse". So weit das Pflichtprogramm fürs Feuilleton.

Wirklich persönlich wird es in Peter Horst Neumanns Grabrede, gehalten in der Friedhofskapelle in Königsberg in Bayern. In einem Königsberger Dorf namens Dörflis verbrachte Wollschläger seine letzten Jahre. In dieser lutherischen Enklave im Würzburgischen wurde er am 1. Juni 2007 begraben. Die Trauergemeinde hat den Pfarrerssohn, dem der Glauben abhandengekommen war, mit einem Vaterunser in die dunkle Kammer des Weltgebäudes verabschiedet: Aus Trotz? Aus Traditionshörigkeit? Aus besserer Einsicht?

Neumanns Ansprache war in weiten Teilen eine Rezitation. Er las aus zwei Briefen Wollschlägers vor. Es geht dort um George Bush jr. und Saddam Hussein sowie um Dieter Bohlen als Kandidaten auf den Titel "Der größte Deutsche", aber auch um Johann Sebastian Bach und Hafis' Lyrik. Wollschläger schrieb an Neumann: "Ich komme mir manchmal nicht nur lebensendlich, sondern sozusagen aussterbend vor, als ,Art' - vielleicht schon ausgestorben längst." Mag sein, dass er damit recht hatte. Falls er aber unrecht hatte, ermutigt dieses Gedenkbüchlein dazu, seine intellektuelle Courage nicht nur zu bewundern, sondern ihn insoweit auch zu widerlegen.

HELMUT GLÜCK

Anderrede vom Weltgebäude herab. Hans Wollschläger zum Gedächtnis. Wallstein Verlag, Göttingen 2007. 43 S., br., 14,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Bei Helmut Glück hat diese Lektüre Schrammen hinterlassen. Erbauliches nämlich oder ein "transzendentales Ziel", einen Gott gar, sucht er in Hans Wollschlägers "Gedenkbüchlein", diesem "Nekrolog auf sich selbst", vergebens. Stattdessen schaut er mit dem Autor mitten im Leben den Tod, Vergangenes, Gegenwart und Zukunft und das, "was nach dem Tode eines Denkenden ungesagt bleiben wird". Erstaunlich, findet Glück, wie "konzentriert", mit welch "großer sprachlicher Wucht" der Autor hier spricht, und versteht dieses Vermächtnis nicht nur als reinen Schrein der Bewunderung, sondern als Ermutigung, solcher "intellektuellen Courage" nachzueifern, sie fortleben zu lassen.

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