In seinem neuen Buch rekonstruiert Axel Honneth die Idee der Anerkennung in der Vielfalt der Bedeutungen, die sie seit Beginn der Moderne in Europa angenommen hat. Mit Blick auf drei wirkmächtige europäische Denktraditionen - die französische, die britische und die deutsche - zeichnet er nach, wie sie aufgrund unterschiedlicher politisch-sozialer Herausforderungen jeweils ganz verschiedene philosophische Interpretationen und gesellschaftspolitische Ausprägungen erfahren hat.
Während in Frankreich mit reconnaissance die Gefahr des individuellen Selbstverlustes assoziiert wird, gilt der Prozess der recognition in Großbritannien als Bedingung der normativen Selbstkontrolle; und hierzulande meint Anerkennung auch die Vollzugsform allen wahren Respekts unter Menschen. Erstaunlich ist, dass keine dieser drei Bedeutungen, deren Wurzeln bis ins 17. Jahrhundert zurückreichen, in der Gegenwart an Einfluss verloren hat. Ob sie sich heute eher ergänzen oder gegenseitig im Weg stehen, zeigt diese Studie, die auch einen Beitrag zur Klärung unseres aktuellen politisch-kulturellen Selbstverständnisses leistet.
Während in Frankreich mit reconnaissance die Gefahr des individuellen Selbstverlustes assoziiert wird, gilt der Prozess der recognition in Großbritannien als Bedingung der normativen Selbstkontrolle; und hierzulande meint Anerkennung auch die Vollzugsform allen wahren Respekts unter Menschen. Erstaunlich ist, dass keine dieser drei Bedeutungen, deren Wurzeln bis ins 17. Jahrhundert zurückreichen, in der Gegenwart an Einfluss verloren hat. Ob sie sich heute eher ergänzen oder gegenseitig im Weg stehen, zeigt diese Studie, die auch einen Beitrag zur Klärung unseres aktuellen politisch-kulturellen Selbstverständnisses leistet.
Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
Europäische Wege, Missachtung zu vermeiden, erkennt Eckart Goebel mit diesem Buch von Axel Honneth. Ein Exemplar des Buches würde Goebel schon aus diesem Grund gerne nach Brüssel schicken. Wenn der Autor seiner Beschäftigung mit dem steten Kampf um Anerkennung hier eine neue Wendung gibt, wie Goebel anmerkt, so wird für den Leser deutlich, dass das "Design" von Anerkennung je nach nationalem Kontext variiert. Der "elegante" wie "respektvolle" Vergleich zwischen Deutschland, England und Frankreich in dieser Hinsicht ergibt laut Rezensent erstens, dass England eine positive, Frankreich eine negative und Deutschland eine komplizierte Theorie der Anerkennung pflegen, und zweitens, dass ein realitätstaugliches Konzept von Anerkennung ein integratives sein müsste, ein europäisches eben.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.08.2018Dem Urteil anderer sind wir immer unterworfen
Axel Honneth untersucht die Herkunft seines sozialphilosophischen Grundbegriffs der Anerkennung auf nationalkulturelle Eigenheiten
Der in Frankfurt und seit einigen Jahren auch in New York lehrende Philosoph Axel Honneth hat 1992 in seinem wohl bekanntesten Buch, "Der Kampf um Anerkennung" die Auffassung entwickelt, dass Konflikte zwischen gesellschaftlichen Gruppen nicht allein Verteilungskonflikte um Güter und Chancen sind. Sozialer Wandel betrifft immer auch das wechselseitige moralische Verhältnis der Menschen zueinander. Die fundamentale Interaktion zwischen den Subjekten, die Gesellschaft erst möglich macht, ist demnach die gegenseitige Zuerkennung von Mitsprache darüber, welche Normen gelten sollen: zwischen Bürgern eines Staates ebenso wie zwischen Teilnehmern eines Marktes.
Warum nämlich können Menschen nicht bloß für sich frei sein, sondern nur in der Abhängigkeit von der Beurteilung anderer, ebenso freier Menschen? Weil erst die Selbstbeschränkung der eigenen Willkür zugunsten eines anderen dazu führt, dass die eigene Freiheit im anderen eine konkrete Gestalt gewinnt: Die Freiheit zweier Liebender zum Beispiel und ihre gegenseitige Rücksichtnahme sind nur Anschauungsweisen ein und desselben Tatbestandes. Nicht anders ist auch politische und soziale Freiheit nur innerhalb vernünftiger Anerkennungsverhältnisse zu denken. Anerkennung ist also das Bewusstsein reziproker Abhängigkeit.
Honneths Theorie entstammt einer bestimmten Tradition des Deutschen Idealismus, namentlich der Philosophie Fichtes und Hegels. Entspricht sie deshalb aber auch einem bestimmten, nämlich deutschen Gesellschaftsmodell? Sind seine Prämissen vielleicht gar nicht zu verallgemeinern? So lautet die Frage, die sich Honneth in seinem neuen, ausgesprochen gut zu lesenden Buch vorgenommen hat. Nach Honneth hat der Grundgedanke der reziproken Abhängigkeit menschlicher Freiheit in der europäischen Philosophie drei selbständige Ausdeutungen erfahren: Eine französische Tradition, die Honneth vom siebzehnten Jahrhundert über Jean-Jacques Rousseau bis zur Geschlechtertheorie Judith Butlers verfolgt, macht vor allem die Verlustrechnung der Anerkennung auf: Weil die Menschen aus Selbstliebe nach der Anerkennung durch andere streben, verlieren sie ihr freies Selbst und werden zu Getriebenen des fremden Blicks, der öffentlichen Meinung, der sozialen Normen.
Ganz anders die vorherrschende Auffassung in der englischsprachigen Moralphilosophie: Hier hatten schon David Hume und Adam Smith die Vorstellung entwickelt, dass die normative Beurteilung des eigenen Freiheitsgebrauchs durch andere eine funktionierende Gesellschaft überhaupt erst ermöglicht. Man nimmt die Urteile der anderen wie die eines fiktiven Richters in sich auf. Diese Internalisierung ist sozial höchst nützlich: Wenn alle Mitglieder einer Gesellschaft sich gegenseitig und deshalb selbst immerzu am Maßstab geteilter sozialer Normen messen, machen sie von ihrer Freiheit weniger egoistischen Gebrauch.
Warum aber haben die drei Nationalkulturen sich auf die Stellung des anerkennungsbedürftigen Menschen in der modernen Gesellschaft einen so unterschiedlichen Reim gemacht? Warum sahen französische Sozialphilosophen in der öffentlichen Meinung vornehmlich eine Gefahr für gelingende soziale Ordnung, in England hingegen gerade eine Voraussetzung, während es in Deutschland um 1800 möglich wurde, Intersubjektivität als eine der Gesellschaft vorausliegende Konsequenz menschlicher Freiheit zu denken?
Die Erklärungen, die Honneth hier anbietet, sind die üblichen: Frankreich war seit Beginn der Neuzeit zentralistisch verwaltet, der "soziale Konflikt um symbolische Distinktionen" hatte deswegen ungleich schärfere Konsequenzen. Der soziologische Grund für die Hochschätzung der Anerkennungsbeziehungen in der englischsprachigen Philosophie war nach Honneth die vergleichsweise frühe "Ausweitung kapitalistischer Mentalitäten". Gegenüber "Selbstsucht, Profitgier und sozialer Rücksichtslosigkeit" etabliert die erlernte freie Unterwerfung unter das Urteil anderer den Common Sense einer liberalen Bürgergesellschaft.
Und Deutschland? Honneth benennt bekannte sozialgeschichtliche Sachverhalte, macht sich aber nicht die Mühe zu erklären, wie genau sie mit der idealistischen Sozialontologie zusammenhängen: Der Zentralstaat und die starke Marktgesellschaft fehlten in Deutschland. Die Kleinstaaterei des Alten Reichs blieb lange stabil, das Bürgertum war politisch schwach, gab aber kulturell den Ton an.
Ist damit gemeint, dass die idealistische Anerkennungstheorie die notwendige moderne Radikalisierung des Problems menschlicher Sozialität in einer Gesellschaft war, in der sowohl die administrative wie die kapitalistische Variante der Gesellschaftsbildung nicht zu funktionieren schienen?
Bevor man auf solch abstrakte Fragen eine Antwort zu formulieren sucht, ließe sich Honneths Hypothese von der Herausbildung dreier nationaler Kulturen der sozialen Gegenseitigkeit vielleicht anders validieren. Dazu böte sich ein Feld an, das nationalen Besonderheiten stark verhaftet ist, nämlich das Recht. Dessen entscheidende Rolle für die Vorstellung von Gegenseitigkeit demonstriert Honneth an vielen Stellen, etwa in Humes Konzept der Internalisierung der Beobachtung in der Figur eines fiktiven Richters oder in Kants berühmter Bemerkung, die Achtung für eine andere Person sei eigentlich nur Achtung für das Gesetz.
Die täglich praktizierte juristische Form der Gegenseitigkeit ist nämlich der Vertrag. Ihn hat man in der Epoche, die Honneth interessiert, höchst unterschiedlich verstanden. So spielt, um nur ein Beispiel zu nennen, die für das kontinentale Rechtsdenken so wichtige Unterscheidung von Gesetz und Vertrag im englischen Recht keine große Rolle, schon weil es kein kodifiziertes Zivilrecht gibt. Die dahinterstehende Überlegung, dass soziale Anerkennungsverhältnisse in erster Linie durch Recht verwirklicht werden, verdanken wir für die Gegenwart freilich nicht zuletzt Axel Honneth.
FLORIAN MEINEL
Axel Honneth:
"Anerkenung".
Eine europäische
Ideengeschichte.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 237 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Axel Honneth untersucht die Herkunft seines sozialphilosophischen Grundbegriffs der Anerkennung auf nationalkulturelle Eigenheiten
Der in Frankfurt und seit einigen Jahren auch in New York lehrende Philosoph Axel Honneth hat 1992 in seinem wohl bekanntesten Buch, "Der Kampf um Anerkennung" die Auffassung entwickelt, dass Konflikte zwischen gesellschaftlichen Gruppen nicht allein Verteilungskonflikte um Güter und Chancen sind. Sozialer Wandel betrifft immer auch das wechselseitige moralische Verhältnis der Menschen zueinander. Die fundamentale Interaktion zwischen den Subjekten, die Gesellschaft erst möglich macht, ist demnach die gegenseitige Zuerkennung von Mitsprache darüber, welche Normen gelten sollen: zwischen Bürgern eines Staates ebenso wie zwischen Teilnehmern eines Marktes.
Warum nämlich können Menschen nicht bloß für sich frei sein, sondern nur in der Abhängigkeit von der Beurteilung anderer, ebenso freier Menschen? Weil erst die Selbstbeschränkung der eigenen Willkür zugunsten eines anderen dazu führt, dass die eigene Freiheit im anderen eine konkrete Gestalt gewinnt: Die Freiheit zweier Liebender zum Beispiel und ihre gegenseitige Rücksichtnahme sind nur Anschauungsweisen ein und desselben Tatbestandes. Nicht anders ist auch politische und soziale Freiheit nur innerhalb vernünftiger Anerkennungsverhältnisse zu denken. Anerkennung ist also das Bewusstsein reziproker Abhängigkeit.
Honneths Theorie entstammt einer bestimmten Tradition des Deutschen Idealismus, namentlich der Philosophie Fichtes und Hegels. Entspricht sie deshalb aber auch einem bestimmten, nämlich deutschen Gesellschaftsmodell? Sind seine Prämissen vielleicht gar nicht zu verallgemeinern? So lautet die Frage, die sich Honneth in seinem neuen, ausgesprochen gut zu lesenden Buch vorgenommen hat. Nach Honneth hat der Grundgedanke der reziproken Abhängigkeit menschlicher Freiheit in der europäischen Philosophie drei selbständige Ausdeutungen erfahren: Eine französische Tradition, die Honneth vom siebzehnten Jahrhundert über Jean-Jacques Rousseau bis zur Geschlechtertheorie Judith Butlers verfolgt, macht vor allem die Verlustrechnung der Anerkennung auf: Weil die Menschen aus Selbstliebe nach der Anerkennung durch andere streben, verlieren sie ihr freies Selbst und werden zu Getriebenen des fremden Blicks, der öffentlichen Meinung, der sozialen Normen.
Ganz anders die vorherrschende Auffassung in der englischsprachigen Moralphilosophie: Hier hatten schon David Hume und Adam Smith die Vorstellung entwickelt, dass die normative Beurteilung des eigenen Freiheitsgebrauchs durch andere eine funktionierende Gesellschaft überhaupt erst ermöglicht. Man nimmt die Urteile der anderen wie die eines fiktiven Richters in sich auf. Diese Internalisierung ist sozial höchst nützlich: Wenn alle Mitglieder einer Gesellschaft sich gegenseitig und deshalb selbst immerzu am Maßstab geteilter sozialer Normen messen, machen sie von ihrer Freiheit weniger egoistischen Gebrauch.
Warum aber haben die drei Nationalkulturen sich auf die Stellung des anerkennungsbedürftigen Menschen in der modernen Gesellschaft einen so unterschiedlichen Reim gemacht? Warum sahen französische Sozialphilosophen in der öffentlichen Meinung vornehmlich eine Gefahr für gelingende soziale Ordnung, in England hingegen gerade eine Voraussetzung, während es in Deutschland um 1800 möglich wurde, Intersubjektivität als eine der Gesellschaft vorausliegende Konsequenz menschlicher Freiheit zu denken?
Die Erklärungen, die Honneth hier anbietet, sind die üblichen: Frankreich war seit Beginn der Neuzeit zentralistisch verwaltet, der "soziale Konflikt um symbolische Distinktionen" hatte deswegen ungleich schärfere Konsequenzen. Der soziologische Grund für die Hochschätzung der Anerkennungsbeziehungen in der englischsprachigen Philosophie war nach Honneth die vergleichsweise frühe "Ausweitung kapitalistischer Mentalitäten". Gegenüber "Selbstsucht, Profitgier und sozialer Rücksichtslosigkeit" etabliert die erlernte freie Unterwerfung unter das Urteil anderer den Common Sense einer liberalen Bürgergesellschaft.
Und Deutschland? Honneth benennt bekannte sozialgeschichtliche Sachverhalte, macht sich aber nicht die Mühe zu erklären, wie genau sie mit der idealistischen Sozialontologie zusammenhängen: Der Zentralstaat und die starke Marktgesellschaft fehlten in Deutschland. Die Kleinstaaterei des Alten Reichs blieb lange stabil, das Bürgertum war politisch schwach, gab aber kulturell den Ton an.
Ist damit gemeint, dass die idealistische Anerkennungstheorie die notwendige moderne Radikalisierung des Problems menschlicher Sozialität in einer Gesellschaft war, in der sowohl die administrative wie die kapitalistische Variante der Gesellschaftsbildung nicht zu funktionieren schienen?
Bevor man auf solch abstrakte Fragen eine Antwort zu formulieren sucht, ließe sich Honneths Hypothese von der Herausbildung dreier nationaler Kulturen der sozialen Gegenseitigkeit vielleicht anders validieren. Dazu böte sich ein Feld an, das nationalen Besonderheiten stark verhaftet ist, nämlich das Recht. Dessen entscheidende Rolle für die Vorstellung von Gegenseitigkeit demonstriert Honneth an vielen Stellen, etwa in Humes Konzept der Internalisierung der Beobachtung in der Figur eines fiktiven Richters oder in Kants berühmter Bemerkung, die Achtung für eine andere Person sei eigentlich nur Achtung für das Gesetz.
Die täglich praktizierte juristische Form der Gegenseitigkeit ist nämlich der Vertrag. Ihn hat man in der Epoche, die Honneth interessiert, höchst unterschiedlich verstanden. So spielt, um nur ein Beispiel zu nennen, die für das kontinentale Rechtsdenken so wichtige Unterscheidung von Gesetz und Vertrag im englischen Recht keine große Rolle, schon weil es kein kodifiziertes Zivilrecht gibt. Die dahinterstehende Überlegung, dass soziale Anerkennungsverhältnisse in erster Linie durch Recht verwirklicht werden, verdanken wir für die Gegenwart freilich nicht zuletzt Axel Honneth.
FLORIAN MEINEL
Axel Honneth:
"Anerkenung".
Eine europäische
Ideengeschichte.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 237 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.07.2018Der Größte ist doch unser Hegel
Aber was wissen wir nun mehr? Axel Honneth skizziert eine europäische Ideengeschichte der „Anerkennung“
Axel Honneths neuestes Buch über die Idee der Anerkennung hätte mit einem Witz beginnen können: Treffen sich ein Deutscher, ein Engländer und ein Franzose und streiten darüber, welche Nation den besten Begriff der Anerkennung habe. Plötzlich kommt Honneth um die Ecke und sagt: „Die Deutschen, denn wir haben ja den Hegel!“ Da lachen der Deutsche, der Engländer und der Franzose und sagen: „Er hat recht, die Deutschen, denn sie haben ja den Honneth!“
Der Begriff der Anerkennung wurde in der Tat von Hegel eingeführt, um die Struktur menschlichen Selbstbewusstseins zu erfassen. Selbstbewusstsein, so heißt es in der „Phänomenologie des Geistes“, resultiere aus der „Bewegung des Anerkennens“, denn es könne nur zur Gewissheit seiner selbst gelangen, indem es ein anderes Selbstbewusstsein anerkenne, von dem es selbst anerkannt werde. Honneth aber war es, der „Anerkennung“ zu einem Schlüsselbegriff der Soziologie gemacht hat, indem er die Auseinandersetzungen zwischen sozialen Gruppen als einen „Kampf um Anerkennung“ deutete. Das geschah bereits 1992, und dieser Gedanke, dass nämlich soziale Konflikte nicht allein als ein Kampf um materielle Dinge, sondern auch als moralisch motiviert zu verstehen sind, wird seitdem im Fach diskutiert, vor allem im Umkreis des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, dessen geschäftsführender Direktor der verdiente Emeritus noch immer ist.
In der Diskussion ging und geht es eher um die Reichweite der Interpretation als um die Stichhaltigkeit. Dass neben der Habsucht und der Herrschsucht auch die Ehrsucht eine der konstituierenden Leidenschaften des bürgerlichen Menschen ist, hat schon Immanuel Kant behauptet. Und wer den inzwischen siebzigjährigen arabisch-israelischen Konflikt beobachtet, wird schnell davon überzeugt sein, dass dieser solange ungelöst bleiben wird, wie die jeweiligen Parteien sich nicht vorbehaltlos und vollständig anerkennen.
Auch im weniger dramatischen Alltag werden wir ständig mit Anerkennungsforderungen konfrontiert. Früher war es nur der Muttertag, der geehrt gehörte, heute ist es auch das Ehrenamt. Ob es das Gendersternchen ist oder die Leitkultur – alles, was nach Identität riecht, verlangt nach Anerkennung.
In der soziologischen Debatte über Anerkennung wurde allerdings auch klar, dass mit diesem Begriff kein geschichtsphilosophischer Paradigmenwechsel verbunden war, in der Art, dass die Menschheitsgeschichte nun eine der Anerkennungskämpfe wäre, so wie man früher gedacht hat, sie sei eine der Klassenkämpfe. Auch ist der Begriff alleine kaum stark genug, um zu erklären, was Gesellschaften denn nun zusammenhält.
Honneths neues Buch, eine „europäische Ideengeschichte der Anerkennung“, hat also selbst eine Vorgeschichte. Die Idee der Anerkennung war eine notwendige Korrektur von einseitig polit-ökonomischen Gesellschaftsanalysen, die sich auf die Welt von Kapital und Arbeit und ihre politischen Repräsentanzen konzentrierte. Sie steht auf den Schultern des Gedankens, dass Sprache und Kommunikation für soziale Integration, allerdings auch für ihr Misslingen wichtig sind. Nicht von ungefähr hat Honneth sein Buch Jürgen Habermas gewidmet.
Nun scheint es ihm darum zu gehen, diesen Gedanken ideengeschichtlich und europäisch zu fundieren. Die Idee der Anerkennung war demnach im aufgeklärten Europa schon immer zentral, man hat es nur nicht gebührend bemerkt. Und so gräbt er in Frankreich bei Jean-Jacques Rousseau und Jean-Paul Sartre; in Großbritannien bei David Hume und John Stuart Mill; und in Deutschland bei den üblichen Verdächtigen Kant und Hegel.
Der Begriff, der in Frankreich zum Träger der sozialen Idee der Anerkennung wurde, war der der amour propre. Er bedeutet in etwa „Geltungssucht“ und war damit negativ konnotiert, weil jene menschliche Eigenschaft in den Augen der Moralisten das gute Zusammenleben erschwere. Auch Sartre stellte sich in diese Negativtradition, als er meinte, dass Intersubjektivität eine Art von Selbstverlust bedeute. Auf der Insel entstand als Gegenbegriff zu den Lobpreisungen der angeblich segensreichen Wirkungen unseres Eigeninteresses der Begriff der sympathy, des Mitgefühls, als notwendige Voraussetzung der Anerkennungsidee. Die entfesselte Marktgesellschaft brauchte demnach eine Selbstkontrolle, die Hume in der zwischenmenschlichen Anerkennung positiv bewertete. Für Mill war das soziale Band, welches das Gemeinwesen zusammenhält, aus dem Stoff der gegenseitigen Anerkennung gewebt.
Im deutschen Vernunftidealismus schließlich vollendete sich die Idee der Anerkennung, indem eine ganze Theorie entstand: Weil die Menschen vernünftig sind oder sein können, verpflichten sie sich wechselseitig, sich in der ihnen allen zustehenden Autonomie zu respektieren. Das hatte sich Hegel ausgedacht – im krassen Widerspruch zum Verlauf der späteren deutschen Geschichte.
Die ideengeschichtliche Verwurzelung soll vielleicht den Verdacht zerstreuen, dass die Anerkennung der Anerkennung eine Frucht von Wohlstandsgesellschaften ist, in denen es für wichtig erachtet wird, wie sich die Menschen fühlen, ob sie einander wertschätzen und respektieren. Anerkennung wäre dann ein Produkt des post-materiellen Bewusstseins und der kommunikationstheoretischen Wende. Doch die Idee der Anerkennung ist in der Tat älter. Noch unter feudalen Vorzeichen musste jemand satisfaktionsfähig sein, um überhaupt als gesellschaftliches Subjekt zu zählen. Und beruht nicht jede Herrschaft auf der gegenseitigen Anerkennung von Herrschern und Beherrschten?
Axel Honneths philosophische Grabungen folgen einer guten Idee. Zudem sind sie gelehrt und lehrreich. Aber sie wirken gleichwohl konstruiert und bemüht, denn der eigentliche Begriff der Anerkennung kommt in der englischen Diskussion zum Beispiel gar nicht vor.
Die Querverbindungen zu den soziokulturellen Entwicklungen in Frankreich, Großbritannien und Deutschland sind holzschnittartig und entsprechen den historischen Klischees. Die Schrift wirkt wie eine akademische Fingerübung und nicht wie die Antwort auf ein drängendes Problem, das doch eigentlich zugrunde liegt. Es fehlt dem Buch auch ein starkes Argument, das die Perspektive verändert auf jene „europäische Ideengeschichte“ (welch ein großes Wort für eine Handvoll Philosophen aus drei Ländern).
Klar, die Idee der Anerkennung lag mit dem Denken der Aufklärung sozusagen „in der Luft“ beziehungsweise in den philosophischen Texten unserer großen Denker tief verborgen. Honneth hat den Schatz gehoben. Aber was wissen wir mehr?
Die französischen Moralisten und schottischen Aufklärer hatten andere Begriffe, die Ähnliches meinten, das sie unterschiedlich bewerteten. Nun, gut. Immerhin aber ist es jetzt bewiesen: Der größte Anerkennungsphilosoph ist tatsächlich unser Hegel! Das müssen auch der Franzose und der Engländer anerkennen, die, wie der Deutsche anerkennen muss, inzwischen besser Fußball spielen.
JÖRG SPÄTER
Axel Honneth: Anerkennung. Eine europäische Ideengeschichte. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 238 Seiten, 25 Euro.
Die Idee der Anerkennung war
eine notwendige Korrektur
einseitiger Gesellschaftsanalysen
Französische Moralisten und
schottische Aufklärer meinten mit
anderen Begriffen Ähnliches
Axel Honneth, 1949 in Essen geboren, wurde 2001 Direktor des Instituts für Sozialforschung.
Foto: imago stock&people
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Aber was wissen wir nun mehr? Axel Honneth skizziert eine europäische Ideengeschichte der „Anerkennung“
Axel Honneths neuestes Buch über die Idee der Anerkennung hätte mit einem Witz beginnen können: Treffen sich ein Deutscher, ein Engländer und ein Franzose und streiten darüber, welche Nation den besten Begriff der Anerkennung habe. Plötzlich kommt Honneth um die Ecke und sagt: „Die Deutschen, denn wir haben ja den Hegel!“ Da lachen der Deutsche, der Engländer und der Franzose und sagen: „Er hat recht, die Deutschen, denn sie haben ja den Honneth!“
Der Begriff der Anerkennung wurde in der Tat von Hegel eingeführt, um die Struktur menschlichen Selbstbewusstseins zu erfassen. Selbstbewusstsein, so heißt es in der „Phänomenologie des Geistes“, resultiere aus der „Bewegung des Anerkennens“, denn es könne nur zur Gewissheit seiner selbst gelangen, indem es ein anderes Selbstbewusstsein anerkenne, von dem es selbst anerkannt werde. Honneth aber war es, der „Anerkennung“ zu einem Schlüsselbegriff der Soziologie gemacht hat, indem er die Auseinandersetzungen zwischen sozialen Gruppen als einen „Kampf um Anerkennung“ deutete. Das geschah bereits 1992, und dieser Gedanke, dass nämlich soziale Konflikte nicht allein als ein Kampf um materielle Dinge, sondern auch als moralisch motiviert zu verstehen sind, wird seitdem im Fach diskutiert, vor allem im Umkreis des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, dessen geschäftsführender Direktor der verdiente Emeritus noch immer ist.
In der Diskussion ging und geht es eher um die Reichweite der Interpretation als um die Stichhaltigkeit. Dass neben der Habsucht und der Herrschsucht auch die Ehrsucht eine der konstituierenden Leidenschaften des bürgerlichen Menschen ist, hat schon Immanuel Kant behauptet. Und wer den inzwischen siebzigjährigen arabisch-israelischen Konflikt beobachtet, wird schnell davon überzeugt sein, dass dieser solange ungelöst bleiben wird, wie die jeweiligen Parteien sich nicht vorbehaltlos und vollständig anerkennen.
Auch im weniger dramatischen Alltag werden wir ständig mit Anerkennungsforderungen konfrontiert. Früher war es nur der Muttertag, der geehrt gehörte, heute ist es auch das Ehrenamt. Ob es das Gendersternchen ist oder die Leitkultur – alles, was nach Identität riecht, verlangt nach Anerkennung.
In der soziologischen Debatte über Anerkennung wurde allerdings auch klar, dass mit diesem Begriff kein geschichtsphilosophischer Paradigmenwechsel verbunden war, in der Art, dass die Menschheitsgeschichte nun eine der Anerkennungskämpfe wäre, so wie man früher gedacht hat, sie sei eine der Klassenkämpfe. Auch ist der Begriff alleine kaum stark genug, um zu erklären, was Gesellschaften denn nun zusammenhält.
Honneths neues Buch, eine „europäische Ideengeschichte der Anerkennung“, hat also selbst eine Vorgeschichte. Die Idee der Anerkennung war eine notwendige Korrektur von einseitig polit-ökonomischen Gesellschaftsanalysen, die sich auf die Welt von Kapital und Arbeit und ihre politischen Repräsentanzen konzentrierte. Sie steht auf den Schultern des Gedankens, dass Sprache und Kommunikation für soziale Integration, allerdings auch für ihr Misslingen wichtig sind. Nicht von ungefähr hat Honneth sein Buch Jürgen Habermas gewidmet.
Nun scheint es ihm darum zu gehen, diesen Gedanken ideengeschichtlich und europäisch zu fundieren. Die Idee der Anerkennung war demnach im aufgeklärten Europa schon immer zentral, man hat es nur nicht gebührend bemerkt. Und so gräbt er in Frankreich bei Jean-Jacques Rousseau und Jean-Paul Sartre; in Großbritannien bei David Hume und John Stuart Mill; und in Deutschland bei den üblichen Verdächtigen Kant und Hegel.
Der Begriff, der in Frankreich zum Träger der sozialen Idee der Anerkennung wurde, war der der amour propre. Er bedeutet in etwa „Geltungssucht“ und war damit negativ konnotiert, weil jene menschliche Eigenschaft in den Augen der Moralisten das gute Zusammenleben erschwere. Auch Sartre stellte sich in diese Negativtradition, als er meinte, dass Intersubjektivität eine Art von Selbstverlust bedeute. Auf der Insel entstand als Gegenbegriff zu den Lobpreisungen der angeblich segensreichen Wirkungen unseres Eigeninteresses der Begriff der sympathy, des Mitgefühls, als notwendige Voraussetzung der Anerkennungsidee. Die entfesselte Marktgesellschaft brauchte demnach eine Selbstkontrolle, die Hume in der zwischenmenschlichen Anerkennung positiv bewertete. Für Mill war das soziale Band, welches das Gemeinwesen zusammenhält, aus dem Stoff der gegenseitigen Anerkennung gewebt.
Im deutschen Vernunftidealismus schließlich vollendete sich die Idee der Anerkennung, indem eine ganze Theorie entstand: Weil die Menschen vernünftig sind oder sein können, verpflichten sie sich wechselseitig, sich in der ihnen allen zustehenden Autonomie zu respektieren. Das hatte sich Hegel ausgedacht – im krassen Widerspruch zum Verlauf der späteren deutschen Geschichte.
Die ideengeschichtliche Verwurzelung soll vielleicht den Verdacht zerstreuen, dass die Anerkennung der Anerkennung eine Frucht von Wohlstandsgesellschaften ist, in denen es für wichtig erachtet wird, wie sich die Menschen fühlen, ob sie einander wertschätzen und respektieren. Anerkennung wäre dann ein Produkt des post-materiellen Bewusstseins und der kommunikationstheoretischen Wende. Doch die Idee der Anerkennung ist in der Tat älter. Noch unter feudalen Vorzeichen musste jemand satisfaktionsfähig sein, um überhaupt als gesellschaftliches Subjekt zu zählen. Und beruht nicht jede Herrschaft auf der gegenseitigen Anerkennung von Herrschern und Beherrschten?
Axel Honneths philosophische Grabungen folgen einer guten Idee. Zudem sind sie gelehrt und lehrreich. Aber sie wirken gleichwohl konstruiert und bemüht, denn der eigentliche Begriff der Anerkennung kommt in der englischen Diskussion zum Beispiel gar nicht vor.
Die Querverbindungen zu den soziokulturellen Entwicklungen in Frankreich, Großbritannien und Deutschland sind holzschnittartig und entsprechen den historischen Klischees. Die Schrift wirkt wie eine akademische Fingerübung und nicht wie die Antwort auf ein drängendes Problem, das doch eigentlich zugrunde liegt. Es fehlt dem Buch auch ein starkes Argument, das die Perspektive verändert auf jene „europäische Ideengeschichte“ (welch ein großes Wort für eine Handvoll Philosophen aus drei Ländern).
Klar, die Idee der Anerkennung lag mit dem Denken der Aufklärung sozusagen „in der Luft“ beziehungsweise in den philosophischen Texten unserer großen Denker tief verborgen. Honneth hat den Schatz gehoben. Aber was wissen wir mehr?
Die französischen Moralisten und schottischen Aufklärer hatten andere Begriffe, die Ähnliches meinten, das sie unterschiedlich bewerteten. Nun, gut. Immerhin aber ist es jetzt bewiesen: Der größte Anerkennungsphilosoph ist tatsächlich unser Hegel! Das müssen auch der Franzose und der Engländer anerkennen, die, wie der Deutsche anerkennen muss, inzwischen besser Fußball spielen.
JÖRG SPÄTER
Axel Honneth: Anerkennung. Eine europäische Ideengeschichte. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 238 Seiten, 25 Euro.
Die Idee der Anerkennung war
eine notwendige Korrektur
einseitiger Gesellschaftsanalysen
Französische Moralisten und
schottische Aufklärer meinten mit
anderen Begriffen Ähnliches
Axel Honneth, 1949 in Essen geboren, wurde 2001 Direktor des Instituts für Sozialforschung.
Foto: imago stock&people
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Dem rhetorischen Charakter des Bands ... verdankt sich, dass das flüssig geschriebene Werk auch für Nichtphilosophen gewinnbringend zu lesen ist.« Ingo Arend taz. die tageszeitung 20180818