Zu seinem 100. Geburtstag überraschte der große amerikanische Dichter und Verleger der Beat-Poeten Lawrence Ferlinghetti die Welt mit Little Boy. Auf Deutsch erschien diese Geschichte seiner Kindheit 2021. Kein Geringerer als der frisch zum Poeta Laureatus gekürte Michael Krüger forderte damals: »Jetzt sollte der Dichter Ron Winkler, der schon Ferlinghettis Erinnerungsbuch Little Boy übersetzt hat, eine Auswahl der dem Free Jazz verpflichteten, bilderreichen Gedichte des guten Menschen von San Francisco herausgeben.«
Diese Herausforderung hat Ron Winkler gerne angenommen und legt nun von ihm übersetzte ausgewählte Gedichte vor. Er schöpft aus dem Werk seit Ferlinghettis durchschlagenden Erfolg Ein Coney Island unseres Geists, der eine Millionenauflage erreichte, und versammelt Texte von 1958 bis 1984. Die Gedichte sind voller Musik und wilder Träume über Liebe, Freiheit und Amerika, das der Einwanderersohn vom Vergnügungspark bei New York bis zu Kaliforniens Big Sur sein Leben lang dichtend durchstreifte.
Diese Herausforderung hat Ron Winkler gerne angenommen und legt nun von ihm übersetzte ausgewählte Gedichte vor. Er schöpft aus dem Werk seit Ferlinghettis durchschlagenden Erfolg Ein Coney Island unseres Geists, der eine Millionenauflage erreichte, und versammelt Texte von 1958 bis 1984. Die Gedichte sind voller Musik und wilder Träume über Liebe, Freiheit und Amerika, das der Einwanderersohn vom Vergnügungspark bei New York bis zu Kaliforniens Big Sur sein Leben lang dichtend durchstreifte.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Jan Wiele freut sich über diesen Band mit einer "repräsentativen Auswahl" aus den Gedichten von Lawrence Ferlinghetti. Es gibt "so vieles" zu entdecken, versichert er, in diesem Werk, dass Einflüsse aus der expressionistischen Lyrik eines Gottfried Benn ebenso aufnahm wie aus den Gedichten Walt Whitmanns, den Rhythmen des Jazz wie den Techniken der Beatdichter. Dazu kommt noch ein "gewaltiger Schuss" politische Überzeugung - kurz: es ist eine Mischung, die den Kritiker augenscheinlich ebenso bezirzt hat, wie das "unterhaltsame Nachwort" von Jan Wilm.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.2023Jazzgestalten im Spätlicht
Den Nichtspeisepilzknopf
gedrückt: Gedichte von Lawrence Ferlinghetti
Von Jan Wiele
Von Jan Wiele
Dass der Schöffling-Verlag sich weiter um das Werk des amerikanischen Dichters Lawrence Ferlinghetti bemüht, ist sehr erfreulich. 2019 hatte er das autobiographische Prosagedicht "Little Boy" des fast Hundertjährigen auf Deutsch veröffentlicht, und nun, bald drei Jahre nach Ferlinghettis Tod (F.A.Z. vom 25. Februar 2021), lässt er eine repräsentative Auswahl aus dessen lyrischem Werk folgen. Sie beginnt mit Auszügen aus dem 1958 veröffentlichten, nicht nur für die Beatdichter einflussreichen Debüt "A Coney Island of the Mind". Der Vergnügungspark am Rande von New York City wurde Ferlinghetti zur Metapher für die große Kirmes des Geistes und die Geisterbahnen der unwillkürlichen Erinnerung, die durch den Empfindungsbahnhof des modernen Menschen und erst recht des modernen Dichters rauschen.
Im Buchtitel und auf dem Cover ist hier aber zu Recht nicht New York, sondern die Stadt, die für Ferlinghetti nach einigem Umherirren in der Welt zur prägenden Heimat wurde und die er auch seinerseits geprägt hat: San Francisco. Hier eröffnete er den bis heute existierenden City Lights Bookstore, der auch Lyrikbände herausgab, nicht nur seine eigenen, und somit zur Startrampe für andere Dichter, später auch zum Ort kritischer Auseinandersetzung mit Amerika wurde (nur zum Beispiel in dem Band "America at War With Itself", 2016). Wegweisend war, darauf kommt Jan Wilm in seinem unterhaltsamen Nachwort des vorliegenden Bandes zu sprechen, die Veröffentlichung von Allen Ginsbergs amerikanischem Jahrhundertgedicht "Howl" bei City Lights 1956. Ferlinghetti war also auch Verleger und Förderer, etwa von Frank O'Hara, Denise Levertov und Paul Bowles; außerdem Maler, Essayist und Kritiker.
Als Dichter zeichnet ihn ein alle Zeitalter zugleich sehendes, visionär schauendes lyrisches Ich aus, das auf den Schultern von Walt Whitman, von Arno Holz und dessen "Phantasus" sowie von Gottfried Benn und dessen expressionistischer Lyrik steht und alle diese Einflüsse verbindet mit den "Cut-up"-Techniken der Beatdichter und der Jazzmusik. Dazu kommt ein gewaltiger Schuss Engagement, dessen Wut der von Ginsbergs Geheul in nichts nachsteht (oder ihr auch teils schon vorausging).
Mit dieser Wut beschreibt Ferlinghetti schon in seinen frühen Gedichten Amerika als "betonierten Kontinent / gespickt mit faden Billboards / die Glücksversprechen illustrieren" neben "fünfzig Spuren breiten Autobahnen". Von solcher nur moderaten Übertreibung gerät der Dichter in eine phantasievoll immer weiter ausgreifende, immer härter austeilende Suada, die Ron Winkler im Deutschen mit wirkmächtigen Substantivballungen nachbildet: Zwischen "Sonnenhungrigen und Sandwichmännern", zwischen "stubenreinen Politikdarstellern" und deren "Parteienpeitschen" drückt dann "ein krasser Clown" auf den "Nichtspeisepilzknopf" - letztere Wortverdichtung Winklers ist wirklich großartig - und zündet eine "unhörbare Sonntagsbombe", die "den Präsidenten mitten im Gebet erwischte", während sie "Myriaden unfruchtbarer Überlebender von Nagasaki" aus den Wolken quellen lässt. Oben auf den Hügeln über San Francisco, im Golden Gate Park, spielen einige Freaks auf einer "ramponierten Flöte" und verteilen Weinbeeren an Eichhörnchen, aber es sind nicht die Leute, die man aus den Liedern über den Sommer der Liebe kennt: Sie tragen keine Blumen im Haar, sondern einen schauderhaften Ausdruck "extremer Depression" im Gesicht. Ob man sie schon Hippies nennen sollte? Nein, es sind "Jazzgestalten", die vorm Untergang noch "nen Shitbop aufs Parkett" legen. Weniger schwarz sieht Ferlinghetti bisweilen in Gedichten aus und über Europa, auf die der Band ein besonderes Augenmerk legt. Am überraschendsten unter diesen ist ein "Expressionistisches Resümee des deutschen Expressionismus".
So vieles gibt es noch zu entdecken in diesem Buch: eine Art hölderlinsches "Hälfte des Lebens"-Gedicht, das hier "Phönix mit fünfzig" heißt; ein bitter-lustiges "Porträt aus meinen Lügen". Gern beschimpft Ferlinghetti Autos, und gern besingt er schöne Menschen, seien es Müllwerker oder Nonnen. Im antiken Ostia, unter "Makrelenwolken", sucht der amerikanische Dichter die Wiege der Zivilisation, findet aber auch hier Konsumkultur und Verfall. In der Toskana erblickt er immerhin ein "verblüffend schönes Paar" unter den Touristen: "vielleicht deutsche Hippies / Zu Hause bourgeois".
Lawrence Ferlinghetti:
"Angefangen mit San
Francisco". Gedichte.
Ausgewählt und aus dem Englischen von Ron Winkler, Nachwort von Jan Wilm. Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2023.
270 S., geb., 28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Den Nichtspeisepilzknopf
gedrückt: Gedichte von Lawrence Ferlinghetti
Von Jan Wiele
Von Jan Wiele
Dass der Schöffling-Verlag sich weiter um das Werk des amerikanischen Dichters Lawrence Ferlinghetti bemüht, ist sehr erfreulich. 2019 hatte er das autobiographische Prosagedicht "Little Boy" des fast Hundertjährigen auf Deutsch veröffentlicht, und nun, bald drei Jahre nach Ferlinghettis Tod (F.A.Z. vom 25. Februar 2021), lässt er eine repräsentative Auswahl aus dessen lyrischem Werk folgen. Sie beginnt mit Auszügen aus dem 1958 veröffentlichten, nicht nur für die Beatdichter einflussreichen Debüt "A Coney Island of the Mind". Der Vergnügungspark am Rande von New York City wurde Ferlinghetti zur Metapher für die große Kirmes des Geistes und die Geisterbahnen der unwillkürlichen Erinnerung, die durch den Empfindungsbahnhof des modernen Menschen und erst recht des modernen Dichters rauschen.
Im Buchtitel und auf dem Cover ist hier aber zu Recht nicht New York, sondern die Stadt, die für Ferlinghetti nach einigem Umherirren in der Welt zur prägenden Heimat wurde und die er auch seinerseits geprägt hat: San Francisco. Hier eröffnete er den bis heute existierenden City Lights Bookstore, der auch Lyrikbände herausgab, nicht nur seine eigenen, und somit zur Startrampe für andere Dichter, später auch zum Ort kritischer Auseinandersetzung mit Amerika wurde (nur zum Beispiel in dem Band "America at War With Itself", 2016). Wegweisend war, darauf kommt Jan Wilm in seinem unterhaltsamen Nachwort des vorliegenden Bandes zu sprechen, die Veröffentlichung von Allen Ginsbergs amerikanischem Jahrhundertgedicht "Howl" bei City Lights 1956. Ferlinghetti war also auch Verleger und Förderer, etwa von Frank O'Hara, Denise Levertov und Paul Bowles; außerdem Maler, Essayist und Kritiker.
Als Dichter zeichnet ihn ein alle Zeitalter zugleich sehendes, visionär schauendes lyrisches Ich aus, das auf den Schultern von Walt Whitman, von Arno Holz und dessen "Phantasus" sowie von Gottfried Benn und dessen expressionistischer Lyrik steht und alle diese Einflüsse verbindet mit den "Cut-up"-Techniken der Beatdichter und der Jazzmusik. Dazu kommt ein gewaltiger Schuss Engagement, dessen Wut der von Ginsbergs Geheul in nichts nachsteht (oder ihr auch teils schon vorausging).
Mit dieser Wut beschreibt Ferlinghetti schon in seinen frühen Gedichten Amerika als "betonierten Kontinent / gespickt mit faden Billboards / die Glücksversprechen illustrieren" neben "fünfzig Spuren breiten Autobahnen". Von solcher nur moderaten Übertreibung gerät der Dichter in eine phantasievoll immer weiter ausgreifende, immer härter austeilende Suada, die Ron Winkler im Deutschen mit wirkmächtigen Substantivballungen nachbildet: Zwischen "Sonnenhungrigen und Sandwichmännern", zwischen "stubenreinen Politikdarstellern" und deren "Parteienpeitschen" drückt dann "ein krasser Clown" auf den "Nichtspeisepilzknopf" - letztere Wortverdichtung Winklers ist wirklich großartig - und zündet eine "unhörbare Sonntagsbombe", die "den Präsidenten mitten im Gebet erwischte", während sie "Myriaden unfruchtbarer Überlebender von Nagasaki" aus den Wolken quellen lässt. Oben auf den Hügeln über San Francisco, im Golden Gate Park, spielen einige Freaks auf einer "ramponierten Flöte" und verteilen Weinbeeren an Eichhörnchen, aber es sind nicht die Leute, die man aus den Liedern über den Sommer der Liebe kennt: Sie tragen keine Blumen im Haar, sondern einen schauderhaften Ausdruck "extremer Depression" im Gesicht. Ob man sie schon Hippies nennen sollte? Nein, es sind "Jazzgestalten", die vorm Untergang noch "nen Shitbop aufs Parkett" legen. Weniger schwarz sieht Ferlinghetti bisweilen in Gedichten aus und über Europa, auf die der Band ein besonderes Augenmerk legt. Am überraschendsten unter diesen ist ein "Expressionistisches Resümee des deutschen Expressionismus".
So vieles gibt es noch zu entdecken in diesem Buch: eine Art hölderlinsches "Hälfte des Lebens"-Gedicht, das hier "Phönix mit fünfzig" heißt; ein bitter-lustiges "Porträt aus meinen Lügen". Gern beschimpft Ferlinghetti Autos, und gern besingt er schöne Menschen, seien es Müllwerker oder Nonnen. Im antiken Ostia, unter "Makrelenwolken", sucht der amerikanische Dichter die Wiege der Zivilisation, findet aber auch hier Konsumkultur und Verfall. In der Toskana erblickt er immerhin ein "verblüffend schönes Paar" unter den Touristen: "vielleicht deutsche Hippies / Zu Hause bourgeois".
Lawrence Ferlinghetti:
"Angefangen mit San
Francisco". Gedichte.
Ausgewählt und aus dem Englischen von Ron Winkler, Nachwort von Jan Wilm. Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2023.
270 S., geb., 28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Unser wahrer amerikanischer Dichter.« Patti Smith
»Ein mutiger Mensch und ein mutiger Poet.« Bob Dylan
»Ein Auswahlband in bestechender Übersetzung von Ron Winkler ruft uns den amerikanischen Dichter Lawrence Ferlinghetti auf das Schönste in Erinnerung.« Jan Wiele / Frankfurter Allgemeine Zeitung
»Ein mutiger Mensch und ein mutiger Poet.« Bob Dylan
»Ein Auswahlband in bestechender Übersetzung von Ron Winkler ruft uns den amerikanischen Dichter Lawrence Ferlinghetti auf das Schönste in Erinnerung.« Jan Wiele / Frankfurter Allgemeine Zeitung