»Ein Glücksfall für die Literatur.«
Ursula März, Frankfurter Rundschau
Die Frankfurter Poetikvorlesungen von Ulrich Peltzer: Einblicke in die Welt eines Schriftstellers
Urich Peltzer ist einer der wichtigsten Autoren der Gegenwart: ein kluger Zeitdiagnostiker, der spannend erzählt und raffinierte Plots entwirft. Sein letzter Roman, 'Teil der Lösung', wurde von der Kritik gefeiert als »ein großer Zeitroman, auf der Höhe der theoretischen Diskurse, gleichzeitig eine packende Krimi- und Liebesgeschichte.« (Helmut Böttiger, SZ). In seinen Poetikvorlesungen erzählt Ulrich Peltzer von dem Sprung in den Text, dem Mut zur Flucht und dem Adressaten seines Schreibens: »Wenn du einen anderen Adressaten haben solltest als den Menschen, den du liebst, dann lass es gleich bleiben. Liebst du niemanden, dann schreib für die Engel, die Toten oder meinetwegen den Herrgott.«
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Ursula März, Frankfurter Rundschau
Die Frankfurter Poetikvorlesungen von Ulrich Peltzer: Einblicke in die Welt eines Schriftstellers
Urich Peltzer ist einer der wichtigsten Autoren der Gegenwart: ein kluger Zeitdiagnostiker, der spannend erzählt und raffinierte Plots entwirft. Sein letzter Roman, 'Teil der Lösung', wurde von der Kritik gefeiert als »ein großer Zeitroman, auf der Höhe der theoretischen Diskurse, gleichzeitig eine packende Krimi- und Liebesgeschichte.« (Helmut Böttiger, SZ). In seinen Poetikvorlesungen erzählt Ulrich Peltzer von dem Sprung in den Text, dem Mut zur Flucht und dem Adressaten seines Schreibens: »Wenn du einen anderen Adressaten haben solltest als den Menschen, den du liebst, dann lass es gleich bleiben. Liebst du niemanden, dann schreib für die Engel, die Toten oder meinetwegen den Herrgott.«
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.02.2011Was macht er denn für Geschichten!
Von wegen simple Storys: Ulrich Peltzer nutzt seine Poetik-Dozentur für eine Feier der sprachverspielten Hochmoderne. Spannende Geschichten sind dennoch zu erwarten, wie ein Ausblick auf seinen neuen Roman beweist.
Weil man ihn immer wieder einmal mit Don DeLillo verglichen hat, jenem amerikanischen Meisterdenker der literarischen Paranoia, und weil Ulrich Peltzer ja tatsächlich mit "Teil der Lösung" eine filigrane, Reflexion und Narration übereinander projizierende Thrillergeschichte über die Machtoperationen der medialisierten Gesellschaft geschrieben hat; weil er also wie der New Yorker Zeitdiagnostiker in seinen Texten die Diskurse der Gegenwart in den Blick nimmt, ein Wort aus DeLillos Roman "Weißes Rauschen" zu Beginn: "Plotten heißt sterben."
Der Plot, das ist immer die kreative Zurichtung und Abtötung, die Einhegung, die dramaturgische Mobilmachung im Zeichen der Ideologie. Welcher Rhetor wollte so einer Idee das Wort reden, zumal, wenn er in Frankfurt seine literarische Ästhetik darlegen soll? Ulrich Peltzers Poetik-Vorlesungen, live nun als Derniere in der Goethe-Uni, zwischen den Buchdeckeln schon seit Januar zu haben, sind auf den ersten Blick ein Plädoyer gegen den realistischen Literaturbegriff. Entsprechend sind seine fiktionalen Gewährsleute aufgestellt: Blanchot, Joyce, William Gaddis. Und dann überraschend: Huckleberry Finn. Für Peltzer ist dieser herrenlose Streuner die emblematische Figur eines widerständigen Lebens. Zumal der Südstaatenbengel mit einem entlaufenen Sklaven gemeinsame Sache macht - da setzt sich Subversion in Szene, und auf tritt der Thoreausche Mensch, den, so Peltzer, anstelle von Blutsverwandtschaft und sozialer Willkür "ein Freundschaftsbündnis" zusammenbinde.
Moment, ist da nicht doch der Geschichtenschmied, der Plotter, am Werk? Und ist nicht auch die zweite große Denk-Figur dieser Reden, der Robinson Crusoe von Defoe, der Held einer gut durchorganisierten Geschichte? Peltzers Faible für die antiautoritären Haltungen der Hoch- und Nachmoderne, immer wieder herbeizitiert auch durch den Verweis auf die Gassenhauser postmoderner Spekulation (eigentlich sind diese Vorlesungen eine kleine Einführung in Foucault und Deleuze), werden ordentlich konterkariert durch seine Verpflichtung zum kritischen Engagement. Einfach nur die Gesellschaft und ihre Diskurse als anonymes Machtszenario beunken und von der Vereinnahmung und Entwertung selbst dissidenter Stimmen und Gesten jammern, das ist Peltzers Sache nicht.
Deshalb sieht man ihm gern den Seminarjargon nach, der sich streckenweise einnistet und stilistisch-gedankliche Spreizungen wie diese ermöglicht: "Eine Deterritorialisierungs- oder Fluchtlinie gegen die Kräfte des Zentrums, das Zentripetale von Codes und harschen Grenzziehungen, die die freie Zirkulation des Wunsches zu verhindern suchen, um ihn Erwähnungen von Nützlichkeit und Tauschwertsteigerung zu unterwerfen".
Diese Fluchtmuster soll natürlich die Literatur entwerfen, und der Gegner, das weiß der Beinahe-Achtundsechziger nur zu gut, ist die Universalisierung des Tauschwerts. Und da kommt, ganz zum Schluss der Vorlesungsreihe, wieder der Plot ins Spiel. Hat DeLillo dem Poetikdozenten vielleicht sein zweites Credo geflüstert? "Plotten heißt leben." (Ebenfalls "Weißes Rauschen".) Mit den im Finale prägnant skizzierten Handlungs- und Figurenideen kommt nämlich richtig Leben in die Sache: ein Banker, ein Riesendeal, ein Pleitestaat (Indonesien), "der einer vor der Zahlungsunfähigkeit stehenden Gesellschaft den Kauf einer Anlage absichert, mit der sie Waren bedrucken will, für die es im Land keine Abnehmer gibt". Now we're talking.
Die Exegese der Sprach- und Gedankenspiele von Joyce in Ehren - mit ihr beginnt diese Vorlesungsreihe, und sie könnte, etwas straffer lektoriert, einen schönen Grundkurs für Literaturstudenten abgeben -, aber von diesem engagierten Erzähler will man Einlassungen zum Beispiel zum Internet, zur Weltpolitik oder eben zum Kapitalismus als Daseinsform.
Die Geschichten fangen nicht mittendrin an, wie der Buchtitel suggeriert, sie heben an mit einem Konflikt. Es gibt Akteure, Feinde, Krisen, Aporien oder Versöhnung. Angefangen wird am Anfang. Wie schön, dass Ulrich Peltzer genau dort angekommen ist: "Ich beginne zu schreiben", lautet hier der letzte Satz. Das ist ein Versprechen.
DANIEL HAAS.
Ulrich Peltzer: "Angefangen wird mittendrin".
Frankfurter Poetik-Vorlesungen.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011. 176 S., geb., 17,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Von wegen simple Storys: Ulrich Peltzer nutzt seine Poetik-Dozentur für eine Feier der sprachverspielten Hochmoderne. Spannende Geschichten sind dennoch zu erwarten, wie ein Ausblick auf seinen neuen Roman beweist.
Weil man ihn immer wieder einmal mit Don DeLillo verglichen hat, jenem amerikanischen Meisterdenker der literarischen Paranoia, und weil Ulrich Peltzer ja tatsächlich mit "Teil der Lösung" eine filigrane, Reflexion und Narration übereinander projizierende Thrillergeschichte über die Machtoperationen der medialisierten Gesellschaft geschrieben hat; weil er also wie der New Yorker Zeitdiagnostiker in seinen Texten die Diskurse der Gegenwart in den Blick nimmt, ein Wort aus DeLillos Roman "Weißes Rauschen" zu Beginn: "Plotten heißt sterben."
Der Plot, das ist immer die kreative Zurichtung und Abtötung, die Einhegung, die dramaturgische Mobilmachung im Zeichen der Ideologie. Welcher Rhetor wollte so einer Idee das Wort reden, zumal, wenn er in Frankfurt seine literarische Ästhetik darlegen soll? Ulrich Peltzers Poetik-Vorlesungen, live nun als Derniere in der Goethe-Uni, zwischen den Buchdeckeln schon seit Januar zu haben, sind auf den ersten Blick ein Plädoyer gegen den realistischen Literaturbegriff. Entsprechend sind seine fiktionalen Gewährsleute aufgestellt: Blanchot, Joyce, William Gaddis. Und dann überraschend: Huckleberry Finn. Für Peltzer ist dieser herrenlose Streuner die emblematische Figur eines widerständigen Lebens. Zumal der Südstaatenbengel mit einem entlaufenen Sklaven gemeinsame Sache macht - da setzt sich Subversion in Szene, und auf tritt der Thoreausche Mensch, den, so Peltzer, anstelle von Blutsverwandtschaft und sozialer Willkür "ein Freundschaftsbündnis" zusammenbinde.
Moment, ist da nicht doch der Geschichtenschmied, der Plotter, am Werk? Und ist nicht auch die zweite große Denk-Figur dieser Reden, der Robinson Crusoe von Defoe, der Held einer gut durchorganisierten Geschichte? Peltzers Faible für die antiautoritären Haltungen der Hoch- und Nachmoderne, immer wieder herbeizitiert auch durch den Verweis auf die Gassenhauser postmoderner Spekulation (eigentlich sind diese Vorlesungen eine kleine Einführung in Foucault und Deleuze), werden ordentlich konterkariert durch seine Verpflichtung zum kritischen Engagement. Einfach nur die Gesellschaft und ihre Diskurse als anonymes Machtszenario beunken und von der Vereinnahmung und Entwertung selbst dissidenter Stimmen und Gesten jammern, das ist Peltzers Sache nicht.
Deshalb sieht man ihm gern den Seminarjargon nach, der sich streckenweise einnistet und stilistisch-gedankliche Spreizungen wie diese ermöglicht: "Eine Deterritorialisierungs- oder Fluchtlinie gegen die Kräfte des Zentrums, das Zentripetale von Codes und harschen Grenzziehungen, die die freie Zirkulation des Wunsches zu verhindern suchen, um ihn Erwähnungen von Nützlichkeit und Tauschwertsteigerung zu unterwerfen".
Diese Fluchtmuster soll natürlich die Literatur entwerfen, und der Gegner, das weiß der Beinahe-Achtundsechziger nur zu gut, ist die Universalisierung des Tauschwerts. Und da kommt, ganz zum Schluss der Vorlesungsreihe, wieder der Plot ins Spiel. Hat DeLillo dem Poetikdozenten vielleicht sein zweites Credo geflüstert? "Plotten heißt leben." (Ebenfalls "Weißes Rauschen".) Mit den im Finale prägnant skizzierten Handlungs- und Figurenideen kommt nämlich richtig Leben in die Sache: ein Banker, ein Riesendeal, ein Pleitestaat (Indonesien), "der einer vor der Zahlungsunfähigkeit stehenden Gesellschaft den Kauf einer Anlage absichert, mit der sie Waren bedrucken will, für die es im Land keine Abnehmer gibt". Now we're talking.
Die Exegese der Sprach- und Gedankenspiele von Joyce in Ehren - mit ihr beginnt diese Vorlesungsreihe, und sie könnte, etwas straffer lektoriert, einen schönen Grundkurs für Literaturstudenten abgeben -, aber von diesem engagierten Erzähler will man Einlassungen zum Beispiel zum Internet, zur Weltpolitik oder eben zum Kapitalismus als Daseinsform.
Die Geschichten fangen nicht mittendrin an, wie der Buchtitel suggeriert, sie heben an mit einem Konflikt. Es gibt Akteure, Feinde, Krisen, Aporien oder Versöhnung. Angefangen wird am Anfang. Wie schön, dass Ulrich Peltzer genau dort angekommen ist: "Ich beginne zu schreiben", lautet hier der letzte Satz. Das ist ein Versprechen.
DANIEL HAAS.
Ulrich Peltzer: "Angefangen wird mittendrin".
Frankfurter Poetik-Vorlesungen.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011. 176 S., geb., 17,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Angeregt berichtet Felix Stephan von diesen Poetikvorlesungen Ulrich Peltzers, auch wenn er sich nicht wirklich zu einem Urteil durchringen mag. Peltzer tritt dem Rezensenten nur selten als Schreiber entgegen - wenn dann aber "luzide und leichtfüßig" -, eher lehrt hier der an Foucault, Deleuze und Lacan geschulte Theoretiker, für den der Mensch von den großen Weltinstanzen um seine Freiheit und Leidenschaft gebracht wird: von der Zivilisation, dem gesunden Menschenverstand und aufklärerischen Machbarkeitsfantasien. Der freie Mensch scheint, so lernt der Rezensent, wohl nur in der Literatur möglich. Was Felix Stephan von all dem hält, sagt er nicht, aber seinem beschwingten Referat entnehmen wir noch, dass Huckleberry Finn Peltzers literarischer Lieblingscharakter ist und dass die Welt erzählbar bleibt. Aber Vorsicht: "Meinen ist altmodisch."
© Perlentaucher Medien GmbH
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