Sobald eine Mode vergessen ist und damit nicht mehr altmodisch wirkt, kann sie zum letzten Schrei wachgeküsst werden. Man hat deswegen von der Tyrannei der Mode gesprochen, die aus dem Blauen heraus ihre Launen diktiert. Doch bei genauerer Betrachtung entpuppt sie sich als ein Spiel nach Regeln - und als ein differenziertes Zeichensystem im historischen Wandel. Im bürgerlichen Zeitalter ist Mode weiblich geworden, Männer kommen unscheinbar im Anzug daher. Doch das war nicht immer so. Heute ist der angeblich herrschende Trend der zum Unisex. Doch wenn sich Frauen wie Männer anziehen, ziehen sich dann beide gleich an?
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Wie bei einem Karneval zieht die Mode in diesem Buch von Barbara Vinken vor den Augen der enttäuschten Rezensentin vorüber. Dass die Autorin "aufregend wie im Proseminar" und präzise wie in einem Hochglanzmagazin schreibt, also wenig, ist für Catrin Lorch dabei eher Nebensache. Vor allem stört die Rezensentin, dass Vinken die Chance ungenutzt lässt, aus ihren Beobachtungen zu Sportswear und Hosenanzug, zu Michelle Obama und Karl V. analytisch Kapital zu schlagen und etwa Entwicklungslinien aufzuzeigen. Aber auch bildlich bleibt das Buch für Lorch unterbelichtet. Nicht nur, dass auf 250 Seiten Text bei diesem nach Sichtbarkeit lechzenden Thema bloß 16 Seiten "eklektisch zusammengestellte" Abbildungen kommen, auch bezieht sich die Autorin laut Lorch lieber auf Lektüre, wenn sie die Epochen "besichtigt". Vinkens Grundthese schließlich, wonach Mode vor allem der Abgrenzung der Geschlechter diene, findet die Rezensentin im Buch zwar reichlich belegt, doch viel zu wenig erläutert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2013Gefahr im Anzug
Was trägt der Teufel, wenn er uns verführen will? Barbara Vinkens neues Buch verspricht, das Geheimnis der Mode zu entschlüsseln
Wenn dieses Buch kein Buch wäre, sondern, nur zum Beispiel, ein Jackett, nachtblau, mit schmalen Revers und weichen Schultern: dann würde man es ganz bestimmt vom Bügel nehmen und anprobieren, im Spiegel betrachten, wie gut es sitzt. Und nach fünf Minuten hängte man es doch an die Stange zurück.
Denn so, wie das schönste Kleidungsstück nichts ist, wenn die Knöpfe zu groß sind und die Ärmel beim Sitzen komische Falten werfen - so fängt man an, einem Text zu misstrauen, in welchem Sätze wie diese hier stehen: "Für die vorrevolutionären Männer waren nicht nur die Beine Vorzeigeobjekte; auch das nützlichste Glied der menschlichen Gesellschaft inszenierte man herausragend. Die Herren der Schöpfung ließen es durch die Schamkapsel eindrucksvoll vergrößert und reich verziert hervorragen."
Wenn Stil ein universales Konzept ist (man hat ihn, oder eben nicht), dann möchte man jemandem, der sich solche Floskeln gestattet, auch kein halbwegs gültiges Geschmacksurteil über Schuhe oder Kleider zutrauen. Aber "Angezogen", der Essay der Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken, ist ja ein Sachbuch - und da geht es weniger ums Zeigen von Geschmack; es geht um die Anfertigung von Gedanken. Und weil der Untertitel "Das Geheimnis der Mode" heißt, verspricht der Leser sich Enthüllungen.
Es wird sehr viel Stoff verarbeitet in diesem Buch, es ist, weil die Autorin oft eine sympathische und sehr verständliche Lust am Beschreiben und Zitieren vergangener Sensationen und fast vergessener Spektakel hat, nicht immer einfach, die Nahtstellen der Argumentation zu erkennen. Und doch lassen sich, wenn man alles mal zusammenrafft, zwei Thesen identifizieren, von denen die eine nicht direkt aus der anderen folgt. Eher passen sie locker zueinander, wie helle Chinos zum dunkelblauen Blazer.
Der Mann, damit fängt der Essay an, und darauf kommt er immer wieder zurück, sei aus der Mode ausgetreten, als das Ancien Régime am Ende war und die bürgerliche Gesellschaft begründet wurde. Seither sei, zumindest bei jenen Herren, die ein Amt, eine Würde oder eine gesellschaftliche Position haben, der Anzug die Uniform. Und der Zweck des Anzugs sei es, den Körper, die Eigenart, ja die Männlichkeit dessen, der ihn trägt, zu verhüllen. Die Männer früher (zumindest wenn sie adelig waren oder sehr reich) hätten mit Strumpfhose und Hosenlatz, mit Perücke, Puder, Schminke ihre Männlichkeit zur Schau gestellt und ihre Zeugungsfähigkeit akzentuiert. Beim Anzugträger gehe der Körper völlig auf in der Körperschaft, welche der Mann repräsentiert. Seither, seit der Französischen Revolution, sei Mode nur noch eine Sache der Frauen.
Und diese Mode, das ist die zweite These, sei das Andere (ein fast vergessener Begriff aus dem Vintage-Laden des Poststrukturalismus) der Moderne, deren Negation und Gegenteil: der Angriff des Irrationalen, des Überflüssigen, des Sinnlichen und Ornamentalen auf eine Welt, in welcher es doch eigentlich um die Rationalisierung aller Lebensäußerungen ginge. Dieses Fremde und irritierend Sinnliche ist in den Beschreibungen Barbara Vinkens manchmal gewissermaßen ein Orient des Herzens und der Imagination; mal sind es katholische Traditionen und jüdischer Geist, die sich nicht in die protestantischen Normen der modernen Gesellschaft fügen wollen. Aber immer läuft die Argumentation, ohne dass es dauernd ausgesprochen werden müsste, auf den Befund hinaus, dass die Sinnlichkeit der Frau die stärkste Kraft sei, welche sich noch dem Absolutheitsanspruch der restlos aufgeklärten Moderne widersetze.
Das ist, einerseits, ein schöner, origineller Gedanke. Und andererseits fragt man sich, was, außer viereckig, die Moderne denn sei für Barbara Vinken: Wenn man Freud und das Kino, den Rausch, die écriture automatique, den Pop, den Sex, die Massenkultur, die amerikanische Ästhetik und das französelnde Denken herauskürzte aus der Moderne, dann bliebe wirklich nur ein Bungalow von Mies van der Rohe, mit weißen Wänden, ein paar Freischwingern und einem Mann im dunklen Anzug - ein Kontext also, in welchem eine Frau in einem gelben Prada-Kleid mit smaragdgrünen Applikationen tatsächlich die einzige Verkörperung des Widerstands wäre. Fragt sich nur, was, außer ein Büro gediegen einzurichten, man mit diesem Moderne-Begriff noch anfangen könnte.
Auch die erste These, wonach die Mode nichts für Männer sei, ist zu grob, als dass sie die Komplexität des Anziehens und Angezogenwerdens erfassen könnte. Die amerikanische Kunsthistorikerin Anne Hollander hat in ihrem wunderbaren Buch "Sex and Suits" darauf hingewiesen, dass sich die Sinnlichkeit des Herrenanzugs nicht im Look offenbare. Sondern in der Bewegung, die er ermöglicht. In den exaltierten Kostümen des Ancien Régime konnte man vielleicht sitzen, repräsentieren, sich malen lassen. In einem Anzug kann man laufen, kämpfen, tanzen, was die sinnlicheren Tätigkeiten sind.
Dass Körper und Individualität des Mannes im Anzug verborgen werden und verschwinden sollen, das ist eine Vermutung Barbara Vinkens, welche sie immer mal wieder zu belegen versucht mit dem Verweis auf Bilder von Konferenzen und Verhandlungen, wo all die Herren scheinbar gleich aussehen, in ihren anthrazitfarbenen Anzügen und weißen Hemden.
Dass Uniformen und Dresscodes auch etwas Emanzipatorisches haben, kann sie anscheinend nicht erkennen. Dabei ist doch klar, dass nur dort, wo die Regeln offensichtlich sind, sich jeder an die Regeln halten kann. Wo Anzugzwang herrscht, ist die Regel auch mit einem Billigmodell aus dem Kaufhaus erfüllt. Wo angeblich Freiheit herrscht, sind die Regeln nur weniger transparent - und umso größer wird die Gefahr, dass, wer die unausgesprochenen Gesetze nicht durchschaut, sich falsch und unangemessen anzieht. Und sich dabei tödlich blamiert.
Dass Männer im Anzug wie Anzugträger aussehen und nicht wie Denkmäler ihrer eigenen Individualität, nicht wie sorgsam und mit viel Mühe angefertigte textile Selbstporträts: das stimmt natürlich. Und weist doch nur darauf, dass die Distinktionen hier subtiler funktionieren. Wer den Unterschied zwischen C&A und Dior nicht sehen kann, sollte die modische Aussage verweigern. Und wer glaubt, dass das, was Herren tragen, keine Mode ist, kann ja mal im Zweireiher von 1947 oder den überbreiten Schultern von 1957 zur Besprechung kommen.
Aber genau dafür hat Barbara Vinken überhaupt keinen Sinn: Sie nennt es Mode, aber sie spricht dauernd nur von Kleidung. Zum Geheimnis der Mode, zur Frage also, was den ständigen Wandel der Moden in Bewegung hält, hat sie nichts zu sagen. Und noch weniger zur Frage, ob es sein kann, dass sich dieser Wandel seit den frühen Neunzigern, seit der Zeit also, da Helmut Lang, Miuccia Prada und Tom Ford die Richtlinien für eine Mode der Babyboomer formulierten, womöglich verlangsamt hat.
Die Antwort hätte allerdings etwas mit der Erkenntnis zu tun, dass Mode nicht bloß das ist, was sich Modeschöpfer ausdenken in ihrer unermesslichen Kreativität. Mode, das sind die Schulterpolster und die Bundfalten, welche das Publikum zurückweist, wann immer ein Designer sie wieder einführen will. Mode, das sind die Vorstadt-Machos, die Großstadtbohemiens, die Second-Hand-Käufer, von denen Designer wie Hedi Slimane oder Dries van Noten sich immer wieder inspirieren lassen. Mode ist Massenkommunikation - und mit ihrem Zwang zu Wandel und ständiger Erneuerung ist sie geradezu der Wesenskern der Moderne. Und zugleich der Trost all jener, die mit den bestehenden Verhältnissen nicht einverstanden sind: Wenn die Welt schon nicht besser wird in der nächsten Saison, dann soll sie wenigstens anders aussehen.
Auf dem Umschlag des Buchs wird die Frage aufgeworfen: "Warum trägt der Teufel Prada?" Der Text geht nicht näher darauf ein, die Antwort steht aber (Seite 327: "über quergestreiftem Trikothemd eine karierte Jacke mit zu kurzen Ärmeln; widrig knapp sitzende Hose") im "Doktor Faustus": damit wir ihn erkennen.
CLAUDIUS SEIDL
Barbara Vinken: "Angezogen". Klett-Cotta, 256 Seiten, 19,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was trägt der Teufel, wenn er uns verführen will? Barbara Vinkens neues Buch verspricht, das Geheimnis der Mode zu entschlüsseln
Wenn dieses Buch kein Buch wäre, sondern, nur zum Beispiel, ein Jackett, nachtblau, mit schmalen Revers und weichen Schultern: dann würde man es ganz bestimmt vom Bügel nehmen und anprobieren, im Spiegel betrachten, wie gut es sitzt. Und nach fünf Minuten hängte man es doch an die Stange zurück.
Denn so, wie das schönste Kleidungsstück nichts ist, wenn die Knöpfe zu groß sind und die Ärmel beim Sitzen komische Falten werfen - so fängt man an, einem Text zu misstrauen, in welchem Sätze wie diese hier stehen: "Für die vorrevolutionären Männer waren nicht nur die Beine Vorzeigeobjekte; auch das nützlichste Glied der menschlichen Gesellschaft inszenierte man herausragend. Die Herren der Schöpfung ließen es durch die Schamkapsel eindrucksvoll vergrößert und reich verziert hervorragen."
Wenn Stil ein universales Konzept ist (man hat ihn, oder eben nicht), dann möchte man jemandem, der sich solche Floskeln gestattet, auch kein halbwegs gültiges Geschmacksurteil über Schuhe oder Kleider zutrauen. Aber "Angezogen", der Essay der Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken, ist ja ein Sachbuch - und da geht es weniger ums Zeigen von Geschmack; es geht um die Anfertigung von Gedanken. Und weil der Untertitel "Das Geheimnis der Mode" heißt, verspricht der Leser sich Enthüllungen.
Es wird sehr viel Stoff verarbeitet in diesem Buch, es ist, weil die Autorin oft eine sympathische und sehr verständliche Lust am Beschreiben und Zitieren vergangener Sensationen und fast vergessener Spektakel hat, nicht immer einfach, die Nahtstellen der Argumentation zu erkennen. Und doch lassen sich, wenn man alles mal zusammenrafft, zwei Thesen identifizieren, von denen die eine nicht direkt aus der anderen folgt. Eher passen sie locker zueinander, wie helle Chinos zum dunkelblauen Blazer.
Der Mann, damit fängt der Essay an, und darauf kommt er immer wieder zurück, sei aus der Mode ausgetreten, als das Ancien Régime am Ende war und die bürgerliche Gesellschaft begründet wurde. Seither sei, zumindest bei jenen Herren, die ein Amt, eine Würde oder eine gesellschaftliche Position haben, der Anzug die Uniform. Und der Zweck des Anzugs sei es, den Körper, die Eigenart, ja die Männlichkeit dessen, der ihn trägt, zu verhüllen. Die Männer früher (zumindest wenn sie adelig waren oder sehr reich) hätten mit Strumpfhose und Hosenlatz, mit Perücke, Puder, Schminke ihre Männlichkeit zur Schau gestellt und ihre Zeugungsfähigkeit akzentuiert. Beim Anzugträger gehe der Körper völlig auf in der Körperschaft, welche der Mann repräsentiert. Seither, seit der Französischen Revolution, sei Mode nur noch eine Sache der Frauen.
Und diese Mode, das ist die zweite These, sei das Andere (ein fast vergessener Begriff aus dem Vintage-Laden des Poststrukturalismus) der Moderne, deren Negation und Gegenteil: der Angriff des Irrationalen, des Überflüssigen, des Sinnlichen und Ornamentalen auf eine Welt, in welcher es doch eigentlich um die Rationalisierung aller Lebensäußerungen ginge. Dieses Fremde und irritierend Sinnliche ist in den Beschreibungen Barbara Vinkens manchmal gewissermaßen ein Orient des Herzens und der Imagination; mal sind es katholische Traditionen und jüdischer Geist, die sich nicht in die protestantischen Normen der modernen Gesellschaft fügen wollen. Aber immer läuft die Argumentation, ohne dass es dauernd ausgesprochen werden müsste, auf den Befund hinaus, dass die Sinnlichkeit der Frau die stärkste Kraft sei, welche sich noch dem Absolutheitsanspruch der restlos aufgeklärten Moderne widersetze.
Das ist, einerseits, ein schöner, origineller Gedanke. Und andererseits fragt man sich, was, außer viereckig, die Moderne denn sei für Barbara Vinken: Wenn man Freud und das Kino, den Rausch, die écriture automatique, den Pop, den Sex, die Massenkultur, die amerikanische Ästhetik und das französelnde Denken herauskürzte aus der Moderne, dann bliebe wirklich nur ein Bungalow von Mies van der Rohe, mit weißen Wänden, ein paar Freischwingern und einem Mann im dunklen Anzug - ein Kontext also, in welchem eine Frau in einem gelben Prada-Kleid mit smaragdgrünen Applikationen tatsächlich die einzige Verkörperung des Widerstands wäre. Fragt sich nur, was, außer ein Büro gediegen einzurichten, man mit diesem Moderne-Begriff noch anfangen könnte.
Auch die erste These, wonach die Mode nichts für Männer sei, ist zu grob, als dass sie die Komplexität des Anziehens und Angezogenwerdens erfassen könnte. Die amerikanische Kunsthistorikerin Anne Hollander hat in ihrem wunderbaren Buch "Sex and Suits" darauf hingewiesen, dass sich die Sinnlichkeit des Herrenanzugs nicht im Look offenbare. Sondern in der Bewegung, die er ermöglicht. In den exaltierten Kostümen des Ancien Régime konnte man vielleicht sitzen, repräsentieren, sich malen lassen. In einem Anzug kann man laufen, kämpfen, tanzen, was die sinnlicheren Tätigkeiten sind.
Dass Körper und Individualität des Mannes im Anzug verborgen werden und verschwinden sollen, das ist eine Vermutung Barbara Vinkens, welche sie immer mal wieder zu belegen versucht mit dem Verweis auf Bilder von Konferenzen und Verhandlungen, wo all die Herren scheinbar gleich aussehen, in ihren anthrazitfarbenen Anzügen und weißen Hemden.
Dass Uniformen und Dresscodes auch etwas Emanzipatorisches haben, kann sie anscheinend nicht erkennen. Dabei ist doch klar, dass nur dort, wo die Regeln offensichtlich sind, sich jeder an die Regeln halten kann. Wo Anzugzwang herrscht, ist die Regel auch mit einem Billigmodell aus dem Kaufhaus erfüllt. Wo angeblich Freiheit herrscht, sind die Regeln nur weniger transparent - und umso größer wird die Gefahr, dass, wer die unausgesprochenen Gesetze nicht durchschaut, sich falsch und unangemessen anzieht. Und sich dabei tödlich blamiert.
Dass Männer im Anzug wie Anzugträger aussehen und nicht wie Denkmäler ihrer eigenen Individualität, nicht wie sorgsam und mit viel Mühe angefertigte textile Selbstporträts: das stimmt natürlich. Und weist doch nur darauf, dass die Distinktionen hier subtiler funktionieren. Wer den Unterschied zwischen C&A und Dior nicht sehen kann, sollte die modische Aussage verweigern. Und wer glaubt, dass das, was Herren tragen, keine Mode ist, kann ja mal im Zweireiher von 1947 oder den überbreiten Schultern von 1957 zur Besprechung kommen.
Aber genau dafür hat Barbara Vinken überhaupt keinen Sinn: Sie nennt es Mode, aber sie spricht dauernd nur von Kleidung. Zum Geheimnis der Mode, zur Frage also, was den ständigen Wandel der Moden in Bewegung hält, hat sie nichts zu sagen. Und noch weniger zur Frage, ob es sein kann, dass sich dieser Wandel seit den frühen Neunzigern, seit der Zeit also, da Helmut Lang, Miuccia Prada und Tom Ford die Richtlinien für eine Mode der Babyboomer formulierten, womöglich verlangsamt hat.
Die Antwort hätte allerdings etwas mit der Erkenntnis zu tun, dass Mode nicht bloß das ist, was sich Modeschöpfer ausdenken in ihrer unermesslichen Kreativität. Mode, das sind die Schulterpolster und die Bundfalten, welche das Publikum zurückweist, wann immer ein Designer sie wieder einführen will. Mode, das sind die Vorstadt-Machos, die Großstadtbohemiens, die Second-Hand-Käufer, von denen Designer wie Hedi Slimane oder Dries van Noten sich immer wieder inspirieren lassen. Mode ist Massenkommunikation - und mit ihrem Zwang zu Wandel und ständiger Erneuerung ist sie geradezu der Wesenskern der Moderne. Und zugleich der Trost all jener, die mit den bestehenden Verhältnissen nicht einverstanden sind: Wenn die Welt schon nicht besser wird in der nächsten Saison, dann soll sie wenigstens anders aussehen.
Auf dem Umschlag des Buchs wird die Frage aufgeworfen: "Warum trägt der Teufel Prada?" Der Text geht nicht näher darauf ein, die Antwort steht aber (Seite 327: "über quergestreiftem Trikothemd eine karierte Jacke mit zu kurzen Ärmeln; widrig knapp sitzende Hose") im "Doktor Faustus": damit wir ihn erkennen.
CLAUDIUS SEIDL
Barbara Vinken: "Angezogen". Klett-Cotta, 256 Seiten, 19,95 Euro
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