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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.07.1998

Gespenstertherapie
Hans Morschitzky untersucht Angststörungen und ihre Heilung

"Ängstige deinen Nächsten wie dich selbst!" Mit dieser Formulierung radikalisierte Günther Anders den philosophischen Diskurs über die Angst, der nach der Spätantike (Augustinus) von Hegel, Kierkegaard, Heidegger und Sartre weitergeführt wurde. Anders nahm beim Wort, was erst in diesem Jahrhundert durch die Erkenntnisse der Psychologie wissenschaftlich als gesichert gilt. Danach ist Angst zuallererst ein lebenserhaltendes Prinzip, ohne das höher entwickelte Tiere hilflos den Bedrohungen ausgeliefert wären, die ihre Existenz permanent gefährden. So wird Angst zur entscheidenden Antriebskraft, Hemmschwellen der Entwicklung schrittweise zu überwinden, um Selbstverwirklichung und Freiheit näherzukommen. Anders erkannte, daß nicht die Verdrängung, sondern allein die offensive Konfrontation das Angstpotential mobilisiert, das zur Bewältigung von Krisen notwendig ist. Genau aus dieser Diagnose leitet die moderne Psychotherapie ihre wichtigste Behandlungsmethode von Angststörungen ab.

Hans Morschitzky hat über sie ein gewichtiges Buch verfaßt. Der Autor arbeitet als promovierter Verhaltenspsychologe an einer Nervenklinik in Linz und verfügt über breite Erfahrungen in der speziellen Therapie von Angsterkrankungen. Bei ihnen ist die Angst keine Quelle produktiver Lebensenergie mehr, sondern hat die Dämme der sie eingrenzenden Abwehrstrategien durchbrochen. Das von Angst überschwemmte Ich wird von Hilflosigkeit und Ohnmacht gequält und verfällt in einen Lähmungszustand, der die normalen Lebensvollzüge dramatisch einschränken kann.

Das Gespenst der Angst kennt viele Verkleidungen. Mal füllt es alle Poren aus und begleitet das Opfer vom Morgen bis zum Abend; mal überrascht es den Betroffenen als Panikanfall, mal als Phobie, wobei es sehr erfinderisch in der Auswahl seiner Orte und Gegenstände ist: weite Plätze, enge Straßen, Fahrstühle, Tunnel, U-Bahnen, Kinosäle, Menschenansammlungen. Und Spinnen, Hunde, Schlangen, Mäuse und Ratten wachsen sich zu dämonischen Ungeheuern aus, die die innere Welt in ein Chaos verwandeln und das Selbstgefühl zerbrechen.

Bei der detailreichen Beschreibung der verschiedenen Angststörungen folgt Morschitzky den internationalen Diagnoseschemata der Psychiatrie. Diese wissenschaftliche Fundierung kommt auch der Darstellung der Angstursachen zugute, wobei er die neuesten Erkenntnisse der Neuroanatomie und Neurophysiologie, der Streßforschung und der Pharmakokinetik einschließlich aller "Drogen" ausführlich berücksichtigt. Überhaupt ist der interdisziplinäre Ansatz bewundernswert, mit dem der Autor die umfangreichen Ergebnisse der modernen Angstforschung in Medizin und Psychologie zu verbinden versucht. Dabei macht er als Verhaltenstherapeut kein Hehl aus seiner Ansicht, daß Angst primär ein biologisches Geschehen widerspiegelt, das erst durch überwältigende Umwelteinflüsse pathologisch entgleisen und in Angststörungen einmünden kann.

Den größten Gewinn wird der fachlich geschulte Leser aus denjenigen Kapiteln des Buches ziehen, in denen der Autor ein integriertes Therapiekonzept für Angststörungen vorstellt, bei dem kognitive, gestalttherapeutische, humanistische und körperorientierte Methoden mit einem tiefenpsychologischen Verständnis verschmolzen werden. Hier hat sich die Verhaltenstherapie zu einer modernen Psychotherapieform entwickelt, die speziell bei Angsterkrankungen der Psychoanalyse nicht nur hinsichtlich des Zeitaufwandes und der Kosten deutlich überlegen zu sein scheint. Im Rahmen dieser Therapie spielt die fachlich angeleitete Konfrontation des Patienten mit seinen Angstzuständen eine entscheidende Rolle. Sie hilft ihm, den Gespenstern nicht weiter auszuweichen oder sie durch Medikamente und Drogen zu betäuben, sondern sie zu betrachten und durch ihre Entdämonisierung die eigene Lähmung aufzulösen.

Der Anspruch des Autors, mit seinem Buch auch Angstpatienten selbst und ihre Angehörigen zu erreichen, scheint etwas hoch angesetzt. Morschitzky baut zu diesem Zweck spezielle Kapitel für beide Lesergruppen ein. Aber die Anleitungen sind, unter vollständigem Verzicht auf kasuistische Beispiele, so theorielastig, daß die Betroffenen eher von einem der zahlreichen praktischen Übungsbücher profitieren werden, die der Markt zu Angststörungen und ihrer Bewältigung bereithält. HORST PETRI

Hans Morschitzky: "Angststörungen". Diagnostik, Erklärungsmodelle, Therapie und Selbsthilfe bei krankhafter Angst. Springer Verlag, Wien, New York, 1998. XVII, 607 S., geb., 98,- DM.

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