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Mehr als drei Jahrzehnte nach seinem Tod wählen deutsche Fernsehzuschauer Konrad Adenauer zur bedeutendsten Persönlichkeit der deutschen Geschichte. Der beste Kenner des ersten Kanzlers der Bundesrepublik ergründet in einem brillanten biographischen Essay Persönlichkeit und politische Leistung dieses vielschichtigen Gründungsvaters der zweiten deutschen Demokratie.

Produktbeschreibung
Mehr als drei Jahrzehnte nach seinem Tod wählen deutsche Fernsehzuschauer Konrad Adenauer zur bedeutendsten Persönlichkeit der deutschen Geschichte. Der beste Kenner des ersten Kanzlers der Bundesrepublik ergründet in einem brillanten biographischen Essay Persönlichkeit und politische Leistung dieses vielschichtigen Gründungsvaters der zweiten deutschen Demokratie.
Autorenporträt
Hans-Peter Schwarz, geboren 1934, ist Professor für Politik und Zeitgeschichte und u. a. Verfasser zweier Bände der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland über die Ära Adenauer. Zahlreiche Auszeichnungen, wie 1999 den Ernst-Robert-Curtius-Preis für Essayistik.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2004

Realist mit Nachtseiten
Der große Konrad Adenauer hatte geringen Respekt vor Institutionen / Von Rolf Steininger

Er war machtgierig, aber entspannt, jovial, zynisch, humorig auf der Oberfläche, die den harten Kern verbarg; fromm, aber die Dinge dieser Welt von der anderen unterscheidend wie ein Lutheraner; im Grunde bescheiden und jeder Theatralik abgeneigt, aber sowohl listig wie dreist, wenn es um die Führung ging." So hat der Historiker Golo Mann einst Konrad Adenauer beschrieben. Und Hans-Peter Schwarz ergänzt: "Gegenwärtig, so hat es den Anschein, ist die Forschung auf manchen Wegen und Umwegen zu diesem einen Adenauerbild gelangt." Dieses eine Adenauerbild bringt uns Schwarz in seinen "Anmerkungen" näher. Der Titel des Essays lehnt sich an Sebastian Haffners "Anmerkungen zu Hitler" an. Schwarz übernimmt dessen Methodik, um Adenauer nach eigenen Worten zu "entschlüsseln", seine Leistungen zu erhellen, aber auch seine Umstrittenheit in Erinnerung zu rufen und "in die Abgründe der Größe hineinzuleuchten".

Wer könnte das besser tun als Hans-Peter Schwarz, der sich jahrzehntelang mit Adenauer beschäftigt hat und der wohl beste Adenauer-Kenner ist? Und wenn der emeritierte Bonner Politologe zur Feder greift, wird es nie langweilig - auch diesmal nicht. Seiner Meinung nach kann man Adenauer nur angemessen verstehen, wenn man würdigt, "daß auch in seinem politischen Wollen die unterschiedlichsten Schichten miteinander verbunden sind". Und diese "Schichten" bereitet Schwarz in einem brillanten Essay in sieben sich teilweise überschneidenden Kapiteln auf: Leben, Leistungen, Außenpolitik, Verrat?, Modernisierung, Nachtseiten, Was bleibt?

Dabei spart er nicht mit Seitenhieben auf Fachkollegen, die manches anders sahen und sehen - etwa der Adenauer-Biograph Henning Köhler, "einer der schärfsten Parforcereiter der einstigen Jagdgesellschaft" -, oder "politische Größen unserer Tage", bei denen man möglicherweise auch deshalb ein Ungenügen verspürt, weil sie - anders als Adenauer, den deutsche Fernsehzuschauer in einer etwas dubiosen Sendung zur bedeutendsten Persönlichkeit der deutschen Geschichte gewählt haben - "allzu ängstlich auf Konsens abonniert sind, doch auch deshalb, weil man in ihren Seelen keine Abgründe erahnt, sondern nur Flachland". Im Kapitel "Leben" singt Schwarz ein Loblied auf die Vitalität des alten Herrn; er gibt einen kurzen Überblick über 73 Jahre Adenauer: Kölner Oberbürgermeister 1917, Absetzung 1933, von den Nationalsozialisten verfolgt, 1944 inhaftiert, seit 1946 politischer Aufstieg, 1949 Bundeskanzler. Fazit: "Die sieben Jahrzehnte dieses langen Lebens sind Vorgeschichte zum Eigentlichen." Was das "Eigentliche" ist, zeigen die folgenden Kapitel. Zu den "Leistungen" zählt, daß der "Weststaat" schon bald außerhalb des Ostblocks weltweit als "Deutschland" anerkannt wird, der "Aufstieg des Staates von der Ohnmacht zur Rolle einer der großen Mächte Europas". Dann das "Wirtschaftswunder". War es persönliche Leistung Adenauers oder unverdientes Glück? Wieviel Erfolg ist Wirtschaftsminister Ludwig Erhard zuzuschreiben? Dann Adenauer als Parteiführer, der die CDU überhaupt erst zu einer Partei macht, die Profil hat und Schlagkraft besitzt.

Im Kapitel "Modernisierung" geht es ebenfalls um Leistungen Adenauers. Der ist schon als Kölner Oberbürgermeister ein "großartiger Modernisierer" und bleibt es auch als Kanzler. Er ist bereit, sich auch auf "so unerprobte europäische Experimente wie die Montanunion, die EVG, die EWG und weiteres mehr einzulassen"; er hat ein Gespür für "bestimmte, ganz neuartige Zukunftstechnologien . . . in erster Linie für die Kernenergie". Dann das Fernsehen - und die damit verbundenen machtpolitischen Aspekte. Adenauer setzt 1957 die dynamische Rente durch, auch gegen Kritiker in den eigenen Reihen, die davor warnen - wie wir heute wissen, zu Recht -, das sei ein ungedeckter Wechsel, gezogen auf künftige Generationen. Und als es Ende der fünfziger Jahre Krisen beim Stahl, im Bergbau und in der Textilindustrie gibt, reagiert der "Modernisierer" Adenauer gar nicht "modern" - nämlich mit protektionistischen Maßnahmen und Subventionierung. Und seine "sehr eigene Art", mit der jüngsten Vergangenheit fertig zu werden - Stichwort: tiefbraune Minister beziehungsweise Staatssekretäre wie Theodor Oberländer oder Hans Globke, Adenauers rechte Hand im Bundeskanzleramt -, ist wohl auch kein Ruhmesblatt. Es war eine, wie Schwarz schreibt, aus einer "Mischung von Opportunismus, Einsicht in die schwache Menschennatur und Zynismus erwachsende Toleranz". Und wenn dies schon als Makel gesehen wird, so gehört doch wohl auf die Habenseite Adenauers dessen makelloses Verhältnis zu Israel. Darüber hätte man gern ein paar Sätze mehr gelesen.

Es gibt kein eigenes Kapitel "Innenpolitik", dafür ist das Kapitel "Außenpolitik" am umfangreichsten. Für Adenauer war klar: "Die Gefahr ist groß. Asien steht an der Elbe", die Rettung Europas könne "nur mit Hilfe der USA erfolgen" - mit einem gesunden Westeuropa unter Führung Englands und Frankreichs und mit Westdeutschland als wesentlichem Bestandteil. Das Ergebnis hieß wirtschaftliche, politische und militärische Integration der Bundesregierung in den Westen - auch um diese Bundesregierung überhaupt erst handlungsfähig zu machen. Damit gehört die Außenpolitik ja wohl zu den "Leistungen". Dann kommt das Kapitel "Verrat?" Da geht es nicht mehr um den "Rheinstaat" nach 1918, sondern eher um die Frage, ob eine kühnere Wiedervereinigungspolitik in den Jahren 1951 bis 1955 die lange Teilung mitsamt den heute offenkundigen Spätfolgen nicht hätte abkürzen können. Schwarz: "Kein Verrat also, aber doch ein fatales Versagen?" Die Antwort ist - wen wundert's - ein klares Nein!

Im Kapitel "Nachtseiten" geht Schwarz erstaunlich kritisch mit seinem Helden um. Das Bild von dem "stets rationalen, immer zielklaren und am hohen Wertehimmel orientierten" Adenauer sei "ein schönes Märchen", was aber nicht verwundert, denn wer in höchsten Ämtern Politik macht, so Schwarz, "steckt im tiefsten Unrat". Wo viel Licht ist, gibt es halt eben auch viel Schatten. Dabei ist für Schwarz sehr viel interessanter, "ob dieser dem äußeren Anschein zufolge so eminent zielklare Mann nicht tatsächlich viel sprunghafter und impulsiver gewesen ist, als er vor sich selbst, geschweige denn öffentlich, zugeben wollte". Vielleicht sollte man auch noch das Wort "unsicher" hinzufügen: in der Deutschlandpolitik, in der Europapolitik, im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten - insbesondere am Ende seiner Kanzlerschaft.

Das führt zum letzten, interessantesten Kapitel: "Was bleibt?", nachdem die Adenauer-Ära vierzig Jahre zurückliegt, die man als Historiker entspannter beurteilen kann als noch vor wenigen Jahren. Da wird Schwarz mit Blick auf die Gegenwart ganz kritisch, zuweilen gar zornig. Wenn etwa der Alt-Achtundsechziger und jetzige Außenminister Joschka Fischer in bezug auf die Europäische Union und die Freundschaft mit Frankreich so spricht und handelt, als sei er ein legitimer Enkel Adenauers, dann sieht Schwarz das so: "Große Männer hatten schon häufig illegitime Söhne und Enkel." Und dann kommt eine nicht minder kritische, eher unerwartete Feststellung von Schwarz, nämlich, Adenauer habe sich mit seinem Programm der unauflöslichen Westbindung "gewissermaßen zu Tode gesiegt. Denn gibt es ihn heute noch, den Westen?" Probleme, die am Ende der Adenauer-Kanzlerschaft aufbrachen - etwa Gaullisten gegen Atlantiker nach der wenig ruhmvollen Deutschlandpolitik der Vereinigten Staaten im Zusammenhang mit dem Mauerbau - sind heute größer als je zuvor. Gibt es eine Adenauer-Tradition, an der man sich heute orientieren kann? Ist es etwa "das frisch lackierte Tandem Paris-Berlin, bei dem heute Chirac lenkt und Schröder hinterherstrampelt"? Doch wohl nicht.

Schwarz ist zuzustimmen: "Adenauer war nicht irgendein Bundeskanzler . . . Er war im Guten und im weniger Guten eine Persönlichkeit von einer ganz außerordentlich politischen Vitalität . . . Im Vergleich gehört er in die oberste Liga demokratischer Staatsmänner des 20. Jahrhunderts." Adenauer - und das macht auch seinen Erfolg aus - war kein Konsenspolitiker, bei ihm gab es kein "Aussitzen" von Problemen. Er konnte allerdings Geduld aufbringen, auch wenn dies, so Schwarz, "nur die Geduld der Katze war, die stundenlang vor dem Mauseloch wartet". Adenauer - und das hat man früher von Adenauer-Apologeten auch anders gelesen - war nach Meinung von Schwarz kein Visionär, sondern ein großer Realist, mit - "Nachtseite" - geringem Respekt vor den Institutionen. Dies war wohl ein Schwachpunkt, möglicherweise aber ein Grund für seine Erfolge.

Schwarz stellt abschließend die Frage, ob "eine Therapierung der deutschen Krankheit" am Beginn des 21. Jahrhunderts "mit Adenauerschen Rezepten vorstellbar wäre". Die Antwort ist ein vorsichtiges Ja. Heute werde, so Schwarz, gutbürgerlich regiert; darunter verstehe man eine "Aufführung des Clubs der Harmlosen". Harmlos aber sei Adenauer ganz und gar nicht gewesen; vielleicht sei ihm eben deshalb die Erneuerung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft geglückt. Bei allen erwähnten "Nachtseiten" Adenauers bleibt Schwarz ein großer Bewunderer des ersten Kanzlers. Für ihn ist Adenauer gar der "George Washington der Bundesrepublik", womit er wohl etwas über das Ziel hinausschießt: Mehr als 200 Jahre nach George Washington sind die Vereinigten Staaten die einzig übriggebliebene Weltmacht, 40 Jahre nach Adenauer ist Deutschland ins Mittelmaß abgesunken.

Fazit: Schwarz zeigt dem Leser in seinen "Anmerkungen" zwar nichts wirklich Neues, es ist eher die Summe seiner zahlreichen Arbeiten über Adenauer. Dies allerdings in einem brillanten Essay mit höchstem Lesevergnügen - wobei ein Personenregister nicht unbedingt geschadet hätte.

Hans-Peter Schwarz: "Anmerkungen zu Adenauer". Deutsche Verlags-Anstalt, München 2004. 218 S., 17,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Hans-Peter Schwarz, der bereits eine zweibändige Adenauer-Biografie vorgelegt hat und diesem Politiker viele seiner Forschungs- Jahre gewidmet hat, tritt nun mit "Anmerkungen zu Adenauer" in Erscheinung, die noch einmal das "Erfolgsgeheimnis" Konrad Adenauers, aber auch seine "Abgründe" durchleuchten sollen, erklärt Rezensent Daniel Koerfer. Nicht zufällig erinnere der Titel an Sebastian Haffners "Anmerkungen zu Hitler", informiert Koerfer, der Schwarz allerdings eine größere Neigung zu "Differenzierung und Nuancierung" bescheinigt als Haffner. Ganz kann er dem Autor nicht zustimmen, wenn der den "großen Anteil" Adenauers am Wirtschaftswunder und an der Rückkehr Deutschlands "in den Kreis der europäischen Mächte" hervorhebt. "Seltsam weit hergeholt" und viel zu ausführlich abgehandelt findet er auch das Kapitel über den "Separatismusvorwurf", der Adenauer von Augstein gemacht wurde. Augstein hatte damals behauptet, Adenauer habe die Wiedervereinigung gar nicht "ernsthaft angestrebt" und damit die Menschen in der DDR "verraten". Dagegen scheinen Koerfer die "Abgründe" der Kanzlerpersönlichkeit etwas zu kurz gekommen in diesem Buch, und auch Anekdoten über Adenauer "meidet" Schwarz fast gänzlich, wie der Rezensent bedauernd bemerkt. So bleiben ihm die Schilderungen der Persönlichkeit und des Wirkens des Politikers zu "wenig konkret", um zu befriedigen.

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