Produktdetails
- Verlag: Schwarzkopf & Schwarzkopf
- Seitenzahl: 200
- Abmessung: 190mm
- Gewicht: 318g
- ISBN-13: 9783896023186
- ISBN-10: 3896023187
- Artikelnr.: 24844120
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.01.2001Schneebälle werfen statt rösten
Anspruch und Wirklichkeit in Erich Honeckers Leben und Politik
Henrik Eberle: Anmerkungen zu Honecker. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2000. 315 Seiten, Abbildungen, 19,80 Mark.
"Wer für den Kommunismus kämpft, hat von allen Tugenden nur eine: daß er für den Kommunismus kämpft." So steht es in Bertolt Brechts Stück "Die Maßnahme". Wie ist nun ein Mann einzuschätzen, der diesen Kampf trotz aller real existierenden Widersprüchlichkeiten bis zu seiner Entmachtung fortgesetzt hat und noch 1991 von sich sagen konnte: "Ich war, bin und bleibe Kommunist"?
Henrik Eberle betritt mit seinen Anmerkungen zu Honecker ein weites Feld, auf das sich vor ihm nur wenige gewagt haben. Denn wer der Mann hinter dem in der ehemaligen DDR omnipräsenten Porträtfoto eigentlich war, läßt sich aufgrund seiner mit Aufwand betriebenen Selbstinszenierung kaum feststellen.
Im biographischen ersten Teil des Buches nimmt ein selbstverliebter Pragmatiker Gestalt an, der in lebenslanger Hybris sowohl seine eigene Position als auch die Stellung der DDR innerhalb des sozialistischen Staatenbundes falsch eingeschätzt hat: er selbst war, wie sein Vorgänger und seine Rivalen, die er durch zahlreiche Intrigen und Machtkämpfe zu Fall gebracht hatte, ersetzlich und die DDR ein Vasallenstaat der Sowjetunion und als solcher von deren militärischer Unterstützung abhängig. Den zunehmenden Realitätsverlust Erich Honeckers schildert Eberle in seiner ganzen Tragweite.
Unverständlich bleibt die in einer Zusammenfassung der wichtigsten Daten und Ereignisse in nuce aufgestellte These, Honecker gelte als "anerkannter Friedenspolitiker". Ihr widerspricht der Autor dann im zweiten Teil des Buches selbst, wenn er diese sogenannte Friedenspolitik als militärstrategisch motiviert entlarvt. Gegenüber früheren Biographien gewinnt man jedoch in diesem Teil des Buches keine neuen Erkenntnisse; Peter Przybylskis "Tatort Politbüro: Die Akte Honecker" ist beispielsweise wesentlich detaillierter, durch den umfangreichen Dokumentenanhang besser belegt und insgesamt sorgfältiger recherchiert.
Auf den Spuren Honeckers bewegt sich der reichlich unstrukturiert wirkende zweite Teil des Buches, der Kapitel zu Honeckers Privatleben und Politik in bunter Abfolge versammelt. Trotz vieler Details, deren Relevanz in einem Buch, das sich eine "sachliche Neubewertung" Honeckers auf die Fahnen schreibt, fraglich bleibt, nimmt der Privatmann keinerlei Gestalt an. Und auch der Ausflug in das Reich der Phantasie, den der Autor mit der fiktiven Beantwortung des F.A.Z.-Fragebogens unternimmt, schafft keine Abhilfe. Anstelle solcher Experimente hätte man sich beispielsweise eine ausführlichere Beleuchtung der Kompetenzverschränkungen des Triumvirats Honecker - Günter Mittag - Erich Mielke gewünscht und auf Einzelheiten über Dackel Klecksi oder Honeckers Masseuse gern verzichtet. Auch entfernt sich der Autor durch zunehmende Polemik immer weiter von der angestrebten sachlichen Darstellung. Wenn er plump spöttelt, man überschätze die CSU, vermute man hinter dem Abschluß des innerdeutschen Rindfleischhandels die Intention, einen Versorgungsengpaß in der DDR zu forcieren und damit revolutionäre Ambitionen in der Bevölkerung zu wecken, so stellt er damit vor allem die politische Motivierung der friedlichen Revolution von 1989 in Frage.
Sehr undifferenziert fällt seine Bewertung des Umgangs bundesdeutscher Politiker mit der DDR aus, die nach Einschätzung des Autors allesamt "Zufriedenheit mit dem Status quo der deutschen Teilung" zelebriert hätten. Dieses Urteil erstaunt um so mehr, als der Autor an verschiedenen Stellen Zitate westdeutscher Politiker versammelt, die deren ganz unterschiedliche Gesinnung demonstrieren: Der Leser wird sowohl an Gerhard Schröders positive Einstellung zu einer vertraglichen Regelung der innerdeutschen Staatsgrenzen, die einer Anerkennung der deutschen Teilung gleichgekommen wäre, als auch an Helmut Kohls Überzeugung, die Einheit Deutschlands entspräche weiterhin "dem Wunsch und Willen der Menschen in Deutschland", erinnert. Damit leistet der Autor ungewollt einen Beitrag zu der anläßlich des zehnten Jahrestages der Wiedervereinigung entflammten Debatte um die politische Vereinnahmung der Ereignisse vom Herbst 1989.
Durch zahlreiche stilistische Entgleisungen - hier sei nur die Charakterisierung des Politbüromitgliedes Alfred Neumann als "sowjetischer Rummelplatzboxer" genannt - nähert sich der Autor bedrohlich dem Boulevardjournalismus. Das Buch kann sich keinesfalls mit der brillanten Essayistik eines Sebastian Haffner messen, in dessen Tradition der Autor sein Werk mit dem so bescheiden klingenden Titel zu stellen versucht.
In seiner Antrittsrede als Staatsoberhaupt vom 29. Oktober 1976 versprach Honecker eine klassenlose Gesellschaft, in der sich jeder unabhängig von Alter, Geschlecht, Weltanschauung und religiösem Bekenntnis frei entfalten könne. War das ein Lippenbekenntnis, oder glaubte Honecker, mit seiner Politik diesem Auftrag gerecht zu werden? Der vom Marxismus enttäuschte polnische Publizist und Schriftsteller Leszek Kolakowski hat einmal geschrieben, daß ihn die Vorstellung von einem nichttotalitären Kommunismus an geröstete Schneebälle erinnere. Eberles Buch zeigt trotz aller Mängel, daß sich Honecker in der Kunst des Schneeballröstens gar nicht erst versucht hat, sondern mit Schneeballschlachten an allen Fronten den Status quo des Kalten Krieges einzufrieren versuchte.
CONSTANZE KRINGS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Anspruch und Wirklichkeit in Erich Honeckers Leben und Politik
Henrik Eberle: Anmerkungen zu Honecker. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2000. 315 Seiten, Abbildungen, 19,80 Mark.
"Wer für den Kommunismus kämpft, hat von allen Tugenden nur eine: daß er für den Kommunismus kämpft." So steht es in Bertolt Brechts Stück "Die Maßnahme". Wie ist nun ein Mann einzuschätzen, der diesen Kampf trotz aller real existierenden Widersprüchlichkeiten bis zu seiner Entmachtung fortgesetzt hat und noch 1991 von sich sagen konnte: "Ich war, bin und bleibe Kommunist"?
Henrik Eberle betritt mit seinen Anmerkungen zu Honecker ein weites Feld, auf das sich vor ihm nur wenige gewagt haben. Denn wer der Mann hinter dem in der ehemaligen DDR omnipräsenten Porträtfoto eigentlich war, läßt sich aufgrund seiner mit Aufwand betriebenen Selbstinszenierung kaum feststellen.
Im biographischen ersten Teil des Buches nimmt ein selbstverliebter Pragmatiker Gestalt an, der in lebenslanger Hybris sowohl seine eigene Position als auch die Stellung der DDR innerhalb des sozialistischen Staatenbundes falsch eingeschätzt hat: er selbst war, wie sein Vorgänger und seine Rivalen, die er durch zahlreiche Intrigen und Machtkämpfe zu Fall gebracht hatte, ersetzlich und die DDR ein Vasallenstaat der Sowjetunion und als solcher von deren militärischer Unterstützung abhängig. Den zunehmenden Realitätsverlust Erich Honeckers schildert Eberle in seiner ganzen Tragweite.
Unverständlich bleibt die in einer Zusammenfassung der wichtigsten Daten und Ereignisse in nuce aufgestellte These, Honecker gelte als "anerkannter Friedenspolitiker". Ihr widerspricht der Autor dann im zweiten Teil des Buches selbst, wenn er diese sogenannte Friedenspolitik als militärstrategisch motiviert entlarvt. Gegenüber früheren Biographien gewinnt man jedoch in diesem Teil des Buches keine neuen Erkenntnisse; Peter Przybylskis "Tatort Politbüro: Die Akte Honecker" ist beispielsweise wesentlich detaillierter, durch den umfangreichen Dokumentenanhang besser belegt und insgesamt sorgfältiger recherchiert.
Auf den Spuren Honeckers bewegt sich der reichlich unstrukturiert wirkende zweite Teil des Buches, der Kapitel zu Honeckers Privatleben und Politik in bunter Abfolge versammelt. Trotz vieler Details, deren Relevanz in einem Buch, das sich eine "sachliche Neubewertung" Honeckers auf die Fahnen schreibt, fraglich bleibt, nimmt der Privatmann keinerlei Gestalt an. Und auch der Ausflug in das Reich der Phantasie, den der Autor mit der fiktiven Beantwortung des F.A.Z.-Fragebogens unternimmt, schafft keine Abhilfe. Anstelle solcher Experimente hätte man sich beispielsweise eine ausführlichere Beleuchtung der Kompetenzverschränkungen des Triumvirats Honecker - Günter Mittag - Erich Mielke gewünscht und auf Einzelheiten über Dackel Klecksi oder Honeckers Masseuse gern verzichtet. Auch entfernt sich der Autor durch zunehmende Polemik immer weiter von der angestrebten sachlichen Darstellung. Wenn er plump spöttelt, man überschätze die CSU, vermute man hinter dem Abschluß des innerdeutschen Rindfleischhandels die Intention, einen Versorgungsengpaß in der DDR zu forcieren und damit revolutionäre Ambitionen in der Bevölkerung zu wecken, so stellt er damit vor allem die politische Motivierung der friedlichen Revolution von 1989 in Frage.
Sehr undifferenziert fällt seine Bewertung des Umgangs bundesdeutscher Politiker mit der DDR aus, die nach Einschätzung des Autors allesamt "Zufriedenheit mit dem Status quo der deutschen Teilung" zelebriert hätten. Dieses Urteil erstaunt um so mehr, als der Autor an verschiedenen Stellen Zitate westdeutscher Politiker versammelt, die deren ganz unterschiedliche Gesinnung demonstrieren: Der Leser wird sowohl an Gerhard Schröders positive Einstellung zu einer vertraglichen Regelung der innerdeutschen Staatsgrenzen, die einer Anerkennung der deutschen Teilung gleichgekommen wäre, als auch an Helmut Kohls Überzeugung, die Einheit Deutschlands entspräche weiterhin "dem Wunsch und Willen der Menschen in Deutschland", erinnert. Damit leistet der Autor ungewollt einen Beitrag zu der anläßlich des zehnten Jahrestages der Wiedervereinigung entflammten Debatte um die politische Vereinnahmung der Ereignisse vom Herbst 1989.
Durch zahlreiche stilistische Entgleisungen - hier sei nur die Charakterisierung des Politbüromitgliedes Alfred Neumann als "sowjetischer Rummelplatzboxer" genannt - nähert sich der Autor bedrohlich dem Boulevardjournalismus. Das Buch kann sich keinesfalls mit der brillanten Essayistik eines Sebastian Haffner messen, in dessen Tradition der Autor sein Werk mit dem so bescheiden klingenden Titel zu stellen versucht.
In seiner Antrittsrede als Staatsoberhaupt vom 29. Oktober 1976 versprach Honecker eine klassenlose Gesellschaft, in der sich jeder unabhängig von Alter, Geschlecht, Weltanschauung und religiösem Bekenntnis frei entfalten könne. War das ein Lippenbekenntnis, oder glaubte Honecker, mit seiner Politik diesem Auftrag gerecht zu werden? Der vom Marxismus enttäuschte polnische Publizist und Schriftsteller Leszek Kolakowski hat einmal geschrieben, daß ihn die Vorstellung von einem nichttotalitären Kommunismus an geröstete Schneebälle erinnere. Eberles Buch zeigt trotz aller Mängel, daß sich Honecker in der Kunst des Schneeballröstens gar nicht erst versucht hat, sondern mit Schneeballschlachten an allen Fronten den Status quo des Kalten Krieges einzufrieren versuchte.
CONSTANZE KRINGS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Mit "Tatort Politbüro" von Peter Przyblyski gibt es immerhin ein gutes Buch über Honecker, informiert Constanze Krings, denn das neue Buch Henrik Eberle sei leider schlecht. Im ersten, biografischen Teil, nimmt immerhin der "selbstverliebte Pragmatiker" Honecker Gestalt an, im zweiten weiß man schon mal gar nicht, worum es geht: "Privatleben und Politik in bunter Abfolge", so Krings. Nix über den Kompetenz-Hick-Hack, moniert Krings, dafür zunehmende Polemik, undifferenzierte Bewertung der Haltung der West-Parteien, "stilistische Entgleisungen" und die fiktive Beantwortung des FAZ-Fragebogens für Honecker durch den Autor.
© Perlentaucher Medien GmbH
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