Liebe ist nichts für Feiglinge - Frank Schulz blickt in seinen Erzählungen hinauf zu Wolke 7 und hinab in die Abgründe der Seele
Buch des Monats August 2018 bei NDR Kultur
Die Liebe, sie trifft uns alle, und meist ist sie kein Zuckerschlecken, vor allem dann nicht, wenn die Jahre vergehen. Frank Schulz folgt seinen Protagonisten wie ein Privatdetektiv, er nimmt ihre Seelen unter die Lupe - aber er erschrickt nie über das, was er findet. Schulz, der Chronist des ganz alltäglichen Lebens und all seiner Untiefen, fängt den Klang von gesprochener Sprache ein wie niemand sonst.
Ein Juniorsenior (gerade 60) liefert sich per SMS ein Verbal-Pingpong mit seiner jungen Freundin, das so gleichberechtigt fies ist, dass man ganz verzaubert ist: das muss dann doch wohl Liebe sein! Ein Mann und eine Frau schreiben sich Briefe, die der jeweils andere immer erst zwanzig Jahre später öffnen darf. Und überhaupt: Älterwerden ist durchaus keine friedliche Angelegenheit. Wenn die Augen und das Gedächtnis zum Beispiel gerade genug nachgelassen haben, dass man sich, wie die Unternehmerwitwe im Spreewaldresort, nicht mehr sicher ist, ob der Gatte beim Wandern in die Schlucht gestürzt ist - oder ob man selbst ihn ein bisschen geschubst hat.
Frank Schulz, das wird in diesem Erzählband einmal mehr klar, kennt sich aus mit den Schwachheiten der Verliebtheit, den Feigheiten des Egos, mit den brutalen Auswüchsen von Einsamkeit, mit den herzzerreißenden Momenten der Wahrheit.
"Schulz ist ein Meister der Milieubeschreibung." Die Zeit
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Buch des Monats August 2018 bei NDR Kultur
Die Liebe, sie trifft uns alle, und meist ist sie kein Zuckerschlecken, vor allem dann nicht, wenn die Jahre vergehen. Frank Schulz folgt seinen Protagonisten wie ein Privatdetektiv, er nimmt ihre Seelen unter die Lupe - aber er erschrickt nie über das, was er findet. Schulz, der Chronist des ganz alltäglichen Lebens und all seiner Untiefen, fängt den Klang von gesprochener Sprache ein wie niemand sonst.
Ein Juniorsenior (gerade 60) liefert sich per SMS ein Verbal-Pingpong mit seiner jungen Freundin, das so gleichberechtigt fies ist, dass man ganz verzaubert ist: das muss dann doch wohl Liebe sein! Ein Mann und eine Frau schreiben sich Briefe, die der jeweils andere immer erst zwanzig Jahre später öffnen darf. Und überhaupt: Älterwerden ist durchaus keine friedliche Angelegenheit. Wenn die Augen und das Gedächtnis zum Beispiel gerade genug nachgelassen haben, dass man sich, wie die Unternehmerwitwe im Spreewaldresort, nicht mehr sicher ist, ob der Gatte beim Wandern in die Schlucht gestürzt ist - oder ob man selbst ihn ein bisschen geschubst hat.
Frank Schulz, das wird in diesem Erzählband einmal mehr klar, kennt sich aus mit den Schwachheiten der Verliebtheit, den Feigheiten des Egos, mit den brutalen Auswüchsen von Einsamkeit, mit den herzzerreißenden Momenten der Wahrheit.
"Schulz ist ein Meister der Milieubeschreibung." Die Zeit
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Ein zärtliches Buch, eines mit ständig wechselnden Blickwinkeln, eine Schule der Empathie. Joachim Dicks NDRkultur Buch des Monats
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.09.2018Alles auf Anfang, bitte
Essentielles von Frank Schulz: "Anmut und Feigheit"
Dass man das Leben nur rückwärts verstehen könne, heißt es in dem Kierkegaard-Zitat, das Frank Schulz seinem Erzählband "Anmut und Feigheit" vorangestellt hat. Ob man das Leben überhaupt verstehen kann, aus welcher Perspektive nun auch immer, darüber mag man geteilter Meinung sein. Dass aber angesichts der plötzlich erschreckend konkret werdenden eigenen Endlichkeit und der damit verbundenen Unsicherheit, was die Zukunft betrifft, das Bedürfnis laut wird, sich seiner selbst und immerhin der eigenen Vergangenheit zu versichern, ist allzu gut nachvollziehbar.
Vermutlich ist tatsächlich dieser Impuls Anlass für "Anmut und Feigheit", ein "Prosa-Album über Leidenschaft", wie sich das Buch im Untertitel nennt, und auch dafür, dass die Erzählungen, Schnurren und Anekdoten, die sich mit offenkundig autobiographischen Geschichten abwechseln, chronologisch rückwärts angeordnet sind. Die abschließende Geschichte handelt nicht etwa von der Kindheit des Autors, sondern geht zurück bis in die Lehrjahre des Vaters und endet, während im Hintergrund Helmut Rahn sein folgenschweres Tor schießt, mit folgendem Ausblick: "Und nur ein Jahr und fünf Tage später ereignet es sich, das Wunder von Hagen, das Wunder seines Lebens namens Hildegard." Dieser Satz, das weiß man an dieser Stelle längst, ist nicht eine Spur ironisch gemeint. Denn in dieser Verbindung liegt der Ursprung von Frank Schulz, der dann 1957 geboren wurde.
Und mit dieser guten Nachricht schließt sich der Rahmen von "Anmut und Feigheit", in dessen Auftakttext Frank Schulz, leicht fiktionalisiert, von dem Schlaganfall erzählt, der ihn unlängst ereilt hat, und in dessen zweitem, umfangreichsten Text er vollkommen ungeschützt über seine haltlose Trauer und Verzweiflung angesichts des Todes seiner Mutter berichtet. Was für ein zarter, berührender Moment, wenn Schulz das - vermutlich authentische - Gedicht zitiert, das er zum siebzigsten Geburtstag der Mutter verfasst hat und das voller norddeutsch heruntergespielter, aber natürlich heißer Liebesbekundungen und Neckereien ist.
Wer Frank Schulz als Autor der genialen Hagener Trilogie kennt oder aber als Erfinder von Onno Viets, dem denkbar beklopptesten Privatdetektiv aller Zeiten, der zum Komischsten gehört, was die deutschsprachige Gegenwartsliteratur zu bieten hat, den mag die kaum verhohlene, doch, so muss man es wohl nennen: Sentimentalität, die in " Anmut und Feigheit" mitschwingt, erst einmal verblüffen. Aber natürlich findet man auch reichlich Vertrautes. Zum einen, weil in einigen der Erzählungen Figuren auftauchen, die man aus früheren Romanen des Autors kennt. Leider fehlt dem Band ein Verzeichnis, aus dem hervorgehen würde, ob es sich bei einzelnen Texte um in den Romanen nicht verwendetes Material handelt, das Schulz noch in der Schublade hatte, oder ob sie eigens für diesen Band geschrieben sind. Vielleicht war das aber auch eine bewusste Entscheidung: Es gibt die biographische Klammer, das Dasein dazwischen folgt der Freiheit der Fiktion.
Zum anderen bergen fast alle Texte diese ganz besondere Schulz-Philosophie, die freundliche Zustimmung zum Scheitern, die unaufgeregte Zugewandtheit zu all jenen, die vom Gros ihrer Zeitgenossen für mickrig befunden und nicht oder nur mit Abfälligkeit betrachtet werden. "Die Wirklichkeit - das erweist sich immer wieder - ist stillos." Das klingt bei Schulz weder herablassend noch verbiestert, sondern ist lediglich eine trockene Einsicht, nicht allein in die Umstände, sondern auch in die kaum heroische Haltung, mit der die meisten von uns dem Dasein begegnen.
Und mitunter ist die Wirklichkeit nicht nur stillos, sondern regelrecht erbärmlich. Wie etwa das Leben des fettleibigen, lebensmüden Mannes aus der Erzählung "Geliebte mein im Schuhkarton". Tag für Tag, Jahr für Jahr, hockt er einsam in seiner Wohnung, schleppt sich allenfalls für eine paar Einkäufe hinunter auf die Straße - früher auch noch für den Besuch bei einer Prostituierten - und verbringt sein leeres Leben damit, die Nachbarin zu beobachten, deren Wohnung auf der anderen Hofseite liegt.
Wenn Frank Schulz von diesem Koloss erzählt, dann wird dessen tristes Dasein nicht etwa schillernder, auch Anmut wird man kaum entdecken. Wir werden aber glücklicherweise eben auch nicht zu Voyeuren, die ihre Lust am Ekel allenfalls notdürftig unterdrücken. Stattdessen dürfen wir erleben, was es bedeutet, wenn Empathie so selbstverständlich ist, dass kein großes Gewese darum veranstaltet werden muss.
WIEBKE POROMBKA
Frank Schulz: "Anmut und Feigheit". Ein Prosa-Album über Leidenschaft.
Galiani Verlag, Berlin 2018. 336 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Essentielles von Frank Schulz: "Anmut und Feigheit"
Dass man das Leben nur rückwärts verstehen könne, heißt es in dem Kierkegaard-Zitat, das Frank Schulz seinem Erzählband "Anmut und Feigheit" vorangestellt hat. Ob man das Leben überhaupt verstehen kann, aus welcher Perspektive nun auch immer, darüber mag man geteilter Meinung sein. Dass aber angesichts der plötzlich erschreckend konkret werdenden eigenen Endlichkeit und der damit verbundenen Unsicherheit, was die Zukunft betrifft, das Bedürfnis laut wird, sich seiner selbst und immerhin der eigenen Vergangenheit zu versichern, ist allzu gut nachvollziehbar.
Vermutlich ist tatsächlich dieser Impuls Anlass für "Anmut und Feigheit", ein "Prosa-Album über Leidenschaft", wie sich das Buch im Untertitel nennt, und auch dafür, dass die Erzählungen, Schnurren und Anekdoten, die sich mit offenkundig autobiographischen Geschichten abwechseln, chronologisch rückwärts angeordnet sind. Die abschließende Geschichte handelt nicht etwa von der Kindheit des Autors, sondern geht zurück bis in die Lehrjahre des Vaters und endet, während im Hintergrund Helmut Rahn sein folgenschweres Tor schießt, mit folgendem Ausblick: "Und nur ein Jahr und fünf Tage später ereignet es sich, das Wunder von Hagen, das Wunder seines Lebens namens Hildegard." Dieser Satz, das weiß man an dieser Stelle längst, ist nicht eine Spur ironisch gemeint. Denn in dieser Verbindung liegt der Ursprung von Frank Schulz, der dann 1957 geboren wurde.
Und mit dieser guten Nachricht schließt sich der Rahmen von "Anmut und Feigheit", in dessen Auftakttext Frank Schulz, leicht fiktionalisiert, von dem Schlaganfall erzählt, der ihn unlängst ereilt hat, und in dessen zweitem, umfangreichsten Text er vollkommen ungeschützt über seine haltlose Trauer und Verzweiflung angesichts des Todes seiner Mutter berichtet. Was für ein zarter, berührender Moment, wenn Schulz das - vermutlich authentische - Gedicht zitiert, das er zum siebzigsten Geburtstag der Mutter verfasst hat und das voller norddeutsch heruntergespielter, aber natürlich heißer Liebesbekundungen und Neckereien ist.
Wer Frank Schulz als Autor der genialen Hagener Trilogie kennt oder aber als Erfinder von Onno Viets, dem denkbar beklopptesten Privatdetektiv aller Zeiten, der zum Komischsten gehört, was die deutschsprachige Gegenwartsliteratur zu bieten hat, den mag die kaum verhohlene, doch, so muss man es wohl nennen: Sentimentalität, die in " Anmut und Feigheit" mitschwingt, erst einmal verblüffen. Aber natürlich findet man auch reichlich Vertrautes. Zum einen, weil in einigen der Erzählungen Figuren auftauchen, die man aus früheren Romanen des Autors kennt. Leider fehlt dem Band ein Verzeichnis, aus dem hervorgehen würde, ob es sich bei einzelnen Texte um in den Romanen nicht verwendetes Material handelt, das Schulz noch in der Schublade hatte, oder ob sie eigens für diesen Band geschrieben sind. Vielleicht war das aber auch eine bewusste Entscheidung: Es gibt die biographische Klammer, das Dasein dazwischen folgt der Freiheit der Fiktion.
Zum anderen bergen fast alle Texte diese ganz besondere Schulz-Philosophie, die freundliche Zustimmung zum Scheitern, die unaufgeregte Zugewandtheit zu all jenen, die vom Gros ihrer Zeitgenossen für mickrig befunden und nicht oder nur mit Abfälligkeit betrachtet werden. "Die Wirklichkeit - das erweist sich immer wieder - ist stillos." Das klingt bei Schulz weder herablassend noch verbiestert, sondern ist lediglich eine trockene Einsicht, nicht allein in die Umstände, sondern auch in die kaum heroische Haltung, mit der die meisten von uns dem Dasein begegnen.
Und mitunter ist die Wirklichkeit nicht nur stillos, sondern regelrecht erbärmlich. Wie etwa das Leben des fettleibigen, lebensmüden Mannes aus der Erzählung "Geliebte mein im Schuhkarton". Tag für Tag, Jahr für Jahr, hockt er einsam in seiner Wohnung, schleppt sich allenfalls für eine paar Einkäufe hinunter auf die Straße - früher auch noch für den Besuch bei einer Prostituierten - und verbringt sein leeres Leben damit, die Nachbarin zu beobachten, deren Wohnung auf der anderen Hofseite liegt.
Wenn Frank Schulz von diesem Koloss erzählt, dann wird dessen tristes Dasein nicht etwa schillernder, auch Anmut wird man kaum entdecken. Wir werden aber glücklicherweise eben auch nicht zu Voyeuren, die ihre Lust am Ekel allenfalls notdürftig unterdrücken. Stattdessen dürfen wir erleben, was es bedeutet, wenn Empathie so selbstverständlich ist, dass kein großes Gewese darum veranstaltet werden muss.
WIEBKE POROMBKA
Frank Schulz: "Anmut und Feigheit". Ein Prosa-Album über Leidenschaft.
Galiani Verlag, Berlin 2018. 336 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.10.2018Hüli mit Füll
Es geht auch ohne Onno Viets: In „Anmut und Feigheit“ legt Frank Schulz Texte aus
vier Jahrzehnten vor, in denen er seinen Ton gefunden hat. Die Abstürze sind auch dabei
VON BURKHARD MÜLLER
Frank Schulz, Jahrgang 1957, hat erst recht spät in verdientem Maß Anerkennung als Schriftsteller gefunden, mit jener Roman-Serie, die den ebenso antriebsschwachen wie prolligen, dabei aber auf seine etwas plumpe Art liebenswürdigen Onno Viets, gebürtigen Ostfriesen, in den Mittelpunkt rückt. Diese Anerkennung war allerdings von Missverständnissen begleitet; und wenn Schulz jüngst den „Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor“ erhalten hat, dann schränkt diese Auszeichnung leider auch den Blick auf die im strikten Sinn literarische Leistung und die emotionale Kraft dieses Autors ein.
Schulz’ Verlag Galiani Berlin hat sich nun entschlossen, die Rezeptionsbasis erheblich zu erweitern, und einen Band mit Texten aus vier Jahrzehnten zusammengestellt. Das Ergebnis ist sehr verschiedenartig und auch -gewichtig. Aber Autor wie Leser erhalten auf diese Weise Gelegenheit, von der allzu schmalen Onno-Viets-Schiene wegzukommen. Das Buch trägt den Titel „Anmut und Feigheit“, zwei Eigenschaften, die sich zu widersprechen scheinen und deren Koppelung doch typisch ist für viele von Schulz’ Figuren. Darin eben besteht Schulz’ besonderes Talent: das Niedrige und Widrige so darzustellen, dass es trotzdem interessant wird.
Gleich der allererste und allerjüngste Text (denn das Buch schreitet voran, indem es in der Zeit zurückgeht – eine kluge Entscheidung, denn so wird der Leser allmählich vom bekannten zum unbekannten Schulz geführt) fängt so an: „Hellgraue Hosen und überm dicken mittelgrauen Pullover eine – ha! - beigefarbene Funktionsweste. Die Füße V-förmig gestellt, die Finger im Kreuz verschränkt, beugt der betagte Herr sich vor, bis der Schirmstutzen seiner dunkelgrauen Schiebermütze gegen das Schaufenster stößt. Dann bleckt er das Gebiss.“ Diese Beschreibung scheint zunächst rein diffamierend, erfüllt von einer hämischen Freude, der Hässlichkeit endlich einmal in sozusagen chemisch reiner Form habhaft zu werden. Aber das eingeschobene „ha!“ macht stutzig: Offensichtlich wird hier jemand beobachtet, indem er jemanden beobachtet: „Vorbildlich, der alte Zausel, denkt Kortsch, während er sich nähert: Gebiss blecken beim Gucken: ungeschriebenes Greisengesetz. Die Weste sicher kugelsicher, denkt er und lächelt, zugegeben: blasiert.“
Im „zugegeben: blasiert“ kommt nun der Erzähler zu Wort, der seinerseits auf die Figur Kortsch blickt und an diesem nicht ohne Bekümmerung den Zug der Arroganz ausmacht. „Szenen in Beige“ heißt das Stück – Beige, diese schlimmste, deprimierendste aller Nicht-Farben – , was beide Seiten einschließt, den alten Mann und den (gar nicht so viel jüngeren) Kortsch, der sich fälschlicherweise für etwas Besseres hält, ebenso wie dessen Kumpel Köhler, wenn sie in geselliger Runde ihre Pointen zum Besten geben. Wichtigtuerisch wird die Autokorrekturfunktion der neuen Handys verdammt. „‚Ist doch wahr!‘, tönte Köhler, ‚Ihr tippt ‚Heilerde‘ und nehmt billigend in Kauf, dass ‚Heil Hitler‘ oder so was dabei herauskommt.‘“
An sich kein schlechter Gag; aber doch einer, der so unverkennbar inszeniert ist, dass man danach, wie bei einer Büttenrede, einen Tusch erwartet. Die Damen lächeln schief; und dem Leser geht es genauso. Die ganze Situation hat etwas Peinliches, ja Peinigendes. Der Erzähler jedoch wendet sich nicht ab von seiner eitlen Figur, sondern hält mit ihr durch, bis aus dem aufgesetzten Humor die echte Angst vor dem Alter hervortritt. Szenen in Beige.
Nicht alle Geschichten funktionieren so. Wo die untergründige Empathie zurückweicht, bleibt die Satire. In „Hüli mit Füll“ erörtern auf einer Gartenparty, bei der alle immer betrunkener werden, die Redakteure und Layouter eines zweitklassigen Modemagazins langwierig, wie es zum Missgeschick dieser abgeschnittenen Überschrift kommen konnte (es sollte natürlich „Hülle mit Fülle“ heißen). Protagonist ist der alte Nichtsnutz und Weiberheld Büttner, neidisch, weil er es in der Welt zu nichts gebracht hat, beneidet, weil ihn die halb so alte Russin Darja im scharfen Minikleid begleitet.
Seine erlebte Rede ist erfüllt von den treffsicheren Formulierungen eines abgeklärten Spotts. „Wie auch immer, Büttners Psychosystem hatte den Fall Veit R. als ungeklärt abgespeichert, und ungeklärte Fälle sind Fälle für Duelle.“ Über den Bestseller des besagten Veit R. urteilt Büttner (der selbst auch schon immer einen solchen schreiben wollte): „Ein Schlittschuh für das gefrorene Meer in uns.“ Das ist gut gesagt, das hat in seiner Abwandlung des Kafka-Zitats Geist und Perspektive; und dennoch geht diese Art, es heimzuzahlen, ein bisschen zu glatt über die Bühne für den arbeitslosen Lebenskünstler, der sich doch mit einiger Befangenheit auf dem Parkett der Erfolgsmenschen tummelt. Es ist zu cool, um wahr zu sein. Und die Sexszenen sind unerträglich kess.
Die ganz alten Stücke machen es umgekehrt. Sie zeichnen sich durch einen lakonischen Ernst aus, dem das Vergnügen am Skurrilen noch gänzlich abgeht. „In Kanada läuft das Wasser bergauf“ von 1979 – da war Schulz 22 – handelt von einem jugendlichen Autofetischisten, der bei einem Unfall ums Leben kommt. Berichtet wird im eigenwilligen Wechsel zwischen hinterbliebenen Altersgenossen, die Erinnerungsbrocken austauschen, und einem Erzähler, dessen Haltung dem Toten sehr nahe ist. „nee nee im grunde war das n total nachdenklicher typ irgendwie, der hatte bloß ne macke mit seiner karre. da hat er jede mark für locker gemacht. außer fürs saufen. im grunde war er ja nich aufn kopp gefallen.“ So reden die einen. Und der andere: „Er zieht am kurzen Schaltknüppel. Der Knauf ist rund, blank, schwarz und so glatt, als wäre er feucht. (…) Der Motor hat Kraft. Kraft hat der Motor.“ Das sind Worte, die in ihrer Knappheit der einsamen, schweigenden Faszination des Außenseiters entsprechen, der nur hier ganz bei sich selbst ist. Man mag bedauern, dass Schulz später nicht in dieser Art weitergemacht hat. Aber vermutlich sind die Grenzen solchen Schreibens eng, und es lassen sich so nur Storys, keine Romane verfassen.
Gänzlich aus dem Rahmen fällt „Rotkehlchen“. Die Gattungsbezeichnung lautet „Ein Fragment“, aber das verfehlt den rat- und heillosen Charakter des Texts. Völlig ungeschützt spricht Schulz vom Sterben und Tod der über alles geliebten Mutter. Keine Erzählhaltung hilft ihm, das Geschehen zu verwinden, der Schmerz macht alle Literatur zunichte. „Stunden um Stunden saßen wir um sie herum; immer wieder brach einer oder eine von uns unter dem Joch der Tragödie zusammen und gab sich ihrer beziehungsweise seiner Verzweiflung hin“ – so geht es Seite um Seite und ist kaum auszuhalten, weil es zugleich so echt und so schlecht klingt. Schulz kündigt an, seinen launig gereimten Vortrag zu ihrem siebzigsten Geburtstag zitieren zu wollen, der Leser fleht „Bitte nicht!“, aber es bleibt ihm nicht erspart, 24 Strophen zu je vier Versen. Die Scham gebietet es dem Rezensenten, hier auf das Zitat zu verzichten. Zu entlarven gibt es hier nichts, jeder kennt diese Art nicht endender Reimerei, alle müssen gute Miene machen zum quälenden, neckisch-sentimentalen Spiel, der Pest der hohen runden Jubiläen. Warum hat kein Lektor den Autor, nein: den Sohn Frank Schulz vor diesem intimen Missgriff bewahrt?
Ein sehr durchwachsenes Buch also, ein Längsschnitt durch die Zeiten, als Sammelsurium gestaltet. Man muss durch belanglose Stücke und ein bodenloses. Mit dem, was übrig bleibt, wird man sich reich belohnt finden, am meisten durch die Gewissheit: Es geht auch ohne Onno.
Frank Schulz: Anmut und Feigheit. Ein Prosa-Album über Leidenschaft. Verlag Galiani Berlin, Berlin 2018. 336 Seiten, Euro.
Der Erzähler hält durch, bis aus
dem aufgesetzten Humor die
Angst vor dem Alter hervortritt
Die frühen Stücke haben einen
lakonischen Ernst, dem die
Freude am Skurrilen noch abgeht
Der Schriftsteller Frank Schulz in der Hamburger Kneipe „Die Glocke“.
Foto: Christian O. Bruch / VISUM
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Es geht auch ohne Onno Viets: In „Anmut und Feigheit“ legt Frank Schulz Texte aus
vier Jahrzehnten vor, in denen er seinen Ton gefunden hat. Die Abstürze sind auch dabei
VON BURKHARD MÜLLER
Frank Schulz, Jahrgang 1957, hat erst recht spät in verdientem Maß Anerkennung als Schriftsteller gefunden, mit jener Roman-Serie, die den ebenso antriebsschwachen wie prolligen, dabei aber auf seine etwas plumpe Art liebenswürdigen Onno Viets, gebürtigen Ostfriesen, in den Mittelpunkt rückt. Diese Anerkennung war allerdings von Missverständnissen begleitet; und wenn Schulz jüngst den „Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor“ erhalten hat, dann schränkt diese Auszeichnung leider auch den Blick auf die im strikten Sinn literarische Leistung und die emotionale Kraft dieses Autors ein.
Schulz’ Verlag Galiani Berlin hat sich nun entschlossen, die Rezeptionsbasis erheblich zu erweitern, und einen Band mit Texten aus vier Jahrzehnten zusammengestellt. Das Ergebnis ist sehr verschiedenartig und auch -gewichtig. Aber Autor wie Leser erhalten auf diese Weise Gelegenheit, von der allzu schmalen Onno-Viets-Schiene wegzukommen. Das Buch trägt den Titel „Anmut und Feigheit“, zwei Eigenschaften, die sich zu widersprechen scheinen und deren Koppelung doch typisch ist für viele von Schulz’ Figuren. Darin eben besteht Schulz’ besonderes Talent: das Niedrige und Widrige so darzustellen, dass es trotzdem interessant wird.
Gleich der allererste und allerjüngste Text (denn das Buch schreitet voran, indem es in der Zeit zurückgeht – eine kluge Entscheidung, denn so wird der Leser allmählich vom bekannten zum unbekannten Schulz geführt) fängt so an: „Hellgraue Hosen und überm dicken mittelgrauen Pullover eine – ha! - beigefarbene Funktionsweste. Die Füße V-förmig gestellt, die Finger im Kreuz verschränkt, beugt der betagte Herr sich vor, bis der Schirmstutzen seiner dunkelgrauen Schiebermütze gegen das Schaufenster stößt. Dann bleckt er das Gebiss.“ Diese Beschreibung scheint zunächst rein diffamierend, erfüllt von einer hämischen Freude, der Hässlichkeit endlich einmal in sozusagen chemisch reiner Form habhaft zu werden. Aber das eingeschobene „ha!“ macht stutzig: Offensichtlich wird hier jemand beobachtet, indem er jemanden beobachtet: „Vorbildlich, der alte Zausel, denkt Kortsch, während er sich nähert: Gebiss blecken beim Gucken: ungeschriebenes Greisengesetz. Die Weste sicher kugelsicher, denkt er und lächelt, zugegeben: blasiert.“
Im „zugegeben: blasiert“ kommt nun der Erzähler zu Wort, der seinerseits auf die Figur Kortsch blickt und an diesem nicht ohne Bekümmerung den Zug der Arroganz ausmacht. „Szenen in Beige“ heißt das Stück – Beige, diese schlimmste, deprimierendste aller Nicht-Farben – , was beide Seiten einschließt, den alten Mann und den (gar nicht so viel jüngeren) Kortsch, der sich fälschlicherweise für etwas Besseres hält, ebenso wie dessen Kumpel Köhler, wenn sie in geselliger Runde ihre Pointen zum Besten geben. Wichtigtuerisch wird die Autokorrekturfunktion der neuen Handys verdammt. „‚Ist doch wahr!‘, tönte Köhler, ‚Ihr tippt ‚Heilerde‘ und nehmt billigend in Kauf, dass ‚Heil Hitler‘ oder so was dabei herauskommt.‘“
An sich kein schlechter Gag; aber doch einer, der so unverkennbar inszeniert ist, dass man danach, wie bei einer Büttenrede, einen Tusch erwartet. Die Damen lächeln schief; und dem Leser geht es genauso. Die ganze Situation hat etwas Peinliches, ja Peinigendes. Der Erzähler jedoch wendet sich nicht ab von seiner eitlen Figur, sondern hält mit ihr durch, bis aus dem aufgesetzten Humor die echte Angst vor dem Alter hervortritt. Szenen in Beige.
Nicht alle Geschichten funktionieren so. Wo die untergründige Empathie zurückweicht, bleibt die Satire. In „Hüli mit Füll“ erörtern auf einer Gartenparty, bei der alle immer betrunkener werden, die Redakteure und Layouter eines zweitklassigen Modemagazins langwierig, wie es zum Missgeschick dieser abgeschnittenen Überschrift kommen konnte (es sollte natürlich „Hülle mit Fülle“ heißen). Protagonist ist der alte Nichtsnutz und Weiberheld Büttner, neidisch, weil er es in der Welt zu nichts gebracht hat, beneidet, weil ihn die halb so alte Russin Darja im scharfen Minikleid begleitet.
Seine erlebte Rede ist erfüllt von den treffsicheren Formulierungen eines abgeklärten Spotts. „Wie auch immer, Büttners Psychosystem hatte den Fall Veit R. als ungeklärt abgespeichert, und ungeklärte Fälle sind Fälle für Duelle.“ Über den Bestseller des besagten Veit R. urteilt Büttner (der selbst auch schon immer einen solchen schreiben wollte): „Ein Schlittschuh für das gefrorene Meer in uns.“ Das ist gut gesagt, das hat in seiner Abwandlung des Kafka-Zitats Geist und Perspektive; und dennoch geht diese Art, es heimzuzahlen, ein bisschen zu glatt über die Bühne für den arbeitslosen Lebenskünstler, der sich doch mit einiger Befangenheit auf dem Parkett der Erfolgsmenschen tummelt. Es ist zu cool, um wahr zu sein. Und die Sexszenen sind unerträglich kess.
Die ganz alten Stücke machen es umgekehrt. Sie zeichnen sich durch einen lakonischen Ernst aus, dem das Vergnügen am Skurrilen noch gänzlich abgeht. „In Kanada läuft das Wasser bergauf“ von 1979 – da war Schulz 22 – handelt von einem jugendlichen Autofetischisten, der bei einem Unfall ums Leben kommt. Berichtet wird im eigenwilligen Wechsel zwischen hinterbliebenen Altersgenossen, die Erinnerungsbrocken austauschen, und einem Erzähler, dessen Haltung dem Toten sehr nahe ist. „nee nee im grunde war das n total nachdenklicher typ irgendwie, der hatte bloß ne macke mit seiner karre. da hat er jede mark für locker gemacht. außer fürs saufen. im grunde war er ja nich aufn kopp gefallen.“ So reden die einen. Und der andere: „Er zieht am kurzen Schaltknüppel. Der Knauf ist rund, blank, schwarz und so glatt, als wäre er feucht. (…) Der Motor hat Kraft. Kraft hat der Motor.“ Das sind Worte, die in ihrer Knappheit der einsamen, schweigenden Faszination des Außenseiters entsprechen, der nur hier ganz bei sich selbst ist. Man mag bedauern, dass Schulz später nicht in dieser Art weitergemacht hat. Aber vermutlich sind die Grenzen solchen Schreibens eng, und es lassen sich so nur Storys, keine Romane verfassen.
Gänzlich aus dem Rahmen fällt „Rotkehlchen“. Die Gattungsbezeichnung lautet „Ein Fragment“, aber das verfehlt den rat- und heillosen Charakter des Texts. Völlig ungeschützt spricht Schulz vom Sterben und Tod der über alles geliebten Mutter. Keine Erzählhaltung hilft ihm, das Geschehen zu verwinden, der Schmerz macht alle Literatur zunichte. „Stunden um Stunden saßen wir um sie herum; immer wieder brach einer oder eine von uns unter dem Joch der Tragödie zusammen und gab sich ihrer beziehungsweise seiner Verzweiflung hin“ – so geht es Seite um Seite und ist kaum auszuhalten, weil es zugleich so echt und so schlecht klingt. Schulz kündigt an, seinen launig gereimten Vortrag zu ihrem siebzigsten Geburtstag zitieren zu wollen, der Leser fleht „Bitte nicht!“, aber es bleibt ihm nicht erspart, 24 Strophen zu je vier Versen. Die Scham gebietet es dem Rezensenten, hier auf das Zitat zu verzichten. Zu entlarven gibt es hier nichts, jeder kennt diese Art nicht endender Reimerei, alle müssen gute Miene machen zum quälenden, neckisch-sentimentalen Spiel, der Pest der hohen runden Jubiläen. Warum hat kein Lektor den Autor, nein: den Sohn Frank Schulz vor diesem intimen Missgriff bewahrt?
Ein sehr durchwachsenes Buch also, ein Längsschnitt durch die Zeiten, als Sammelsurium gestaltet. Man muss durch belanglose Stücke und ein bodenloses. Mit dem, was übrig bleibt, wird man sich reich belohnt finden, am meisten durch die Gewissheit: Es geht auch ohne Onno.
Frank Schulz: Anmut und Feigheit. Ein Prosa-Album über Leidenschaft. Verlag Galiani Berlin, Berlin 2018. 336 Seiten, Euro.
Der Erzähler hält durch, bis aus
dem aufgesetzten Humor die
Angst vor dem Alter hervortritt
Die frühen Stücke haben einen
lakonischen Ernst, dem die
Freude am Skurrilen noch abgeht
Der Schriftsteller Frank Schulz in der Hamburger Kneipe „Die Glocke“.
Foto: Christian O. Bruch / VISUM
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Frank Schulz ist nicht nur witzig! So lautet Rezensent Burkhard Müllers Sendung und es scheint ihm wirklich daran zu liegen sie an jedermann heran zu tragen, der beim Namen Schulz nur an 20,5% oder bestenfalls an Onno Viets, den ulkigen Privatdetektiv denkt. Mit diesem Ansinnen zieht Müller mit dem Galiani Verlag an einem Strang, der jüngst einen Erzählband herausgebracht hat, mit dem man die "Rezeptionsbasis erweitern" und dem vielseitigen Autor endlich die wohlverdiente Anerkennung beschaffen will. Müller, der längst nicht jeden Text der Sammlung rückhaltlos loben kann und diese kritisch "durchwachsen" nennt, freut sich dennoch über "Anmut und Feigheit", denn abgesehen von einigen weniger bedeutsamen Erzählungen und einem quälend unpassenden Griff tief ins Klo, sind dort einige der besten Texte versammelt. Diese zeichnen sich vor allem durch eine markante Sprache und die entblößende Darstellung des Peinlichen aus, hinter der sich jedoch immer ein grundsätzliches Verständnis und Mitgefühl abzeichnet. Sowas ist dann eben nicht nur Satire, sondern große Literatur, meint Rezensent Burkhard Müller.
© Perlentaucher Medien GmbH
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