Produktdetails
- Verlag: Ullstein
- ISBN-13: 9783548332390
- ISBN-10: 3548332390
- Artikelnr.: 24227821
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.04.1997Guter Rat aus Übersee
Zwei Amerikaner blicken auf Deutschland
David Schoenbaum, Elizabeth Pond: Annäherung an Deutschland. Die Strapazen der Normalität. Aus dem Amerikanischen von Tamara Schoenbaum-Holtermann. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1997. 366 Seiten, 44,- Mark.
Die beiden amerikanischen Historiker-Journalisten David Schoenbaum und Elizabeth Pond haben ein nüchternes Buch über Deutschland geschrieben - und vielleicht ist das schon eine gute Nachricht. Beunruhigt von Brandanschlägen auf Ausländer, haben sie sechs Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschland unter die Lupe genommen. Aber sie haben nichts Aufregendes gefunden. Selbst die vermeintlichen "neonazistischen Kader" in Hoyerswerda und anderswo erwiesen sich nur als "haßerfülltes Gesindel, rachsüchtig, geistlos und kläglich; es bedurfte nur einer Ladung Bier, um aus ihnen wandelnde Molotow-Cocktails zu machen".
Die beiden Autoren haben viel Zeitung gelesen. Sie haben wirklich alle deutschen Wirtschaftsdaten im Kopf und ersparen ihren Lesern weder die Statistik des Computer-Modems noch die der Zahnfleischprophylaxe. Aber sie versäumen es, ihr deutsches 5000-Teile-Puzzle zusammenzusetzen. Entsprechend gering ist der Erkenntniswert ihrer Schlußfolgerungen: "Das Gesamtbild ist eine Wirtschaft, die in gleichem Maße tüchtig, weltoffen und exportabhängig sowie kauzig, sklerotisch und bequem geworden ist, deren Tugenden schwer nachzuahmen und deren Untugenden schwer abzuschütteln sind, deren Stärken und Schwächen jedoch zusammenhängen."
Die Einsichten, die das Buch dennoch vermittelt, betreffen weniger Deutschland als vielmehr Amerika. Denn wer wissen will, aus welcherlei Informationen und Nachrichten in amerikanischen Köpfen Deutschlandbilder entstehen, der erhält hier einen Überblick. Irritation verursacht in amerikanischen Köpfen das auf dem Prinzip der Abstammung beruhende deutsche Staatsbürgerrecht. Deutschland, vergröbern die Autoren, sei "seit den Hunnen ein Einwanderungsland". Im vergangenen Jahrhundert sei es Ziel regelrechter Einwanderungswellen gewesen; meist aus dem östlichen Europa. Angesichts von zwei Millionen türkischen Gastarbeitern brauche Deutschland endlich "kluge und umfassende Einwanderungspolitik". Das legten auch die demographische Entwicklung und der Zustand der Rentenkassen nahe: 15 Millionen Einwanderer in den nächsten vierzig Jahren könnten fast alle Probleme lösen. Deutschland müsse sich vom Abstammungsrecht (ius sanguinis) - "ein Gesetz, das für das Reich Wilhelms II. zugeschnitten wurde" - trennen. Daß die Integration einer großen Zahl nordafrikanischer Einwanderer Frankreich zunehmend vor Schwierigkeiten stellt und Paris darüber nachdenkt, das eigene, auf Geburtsrecht (ius soli) beruhende Staatsbürgerrecht zu modifizieren, erwähnen Schoenbaum und Pond. Schlußfolgerungen ziehen sie daraus nicht.
Im Mai 1989 ernannte George Bush Deutschland zur Führungsmacht, zum "partner in leadership". Sechsjährige Beobachtung läßt aus amerikanischer Sicht das vereinigte Deutschland erst recht als diejenige Macht erscheinen, die in Europa (fast) alles bewegt: "Mehr als jede andere Nation" hat Deutschland den Umbau der ehemals kommunistischen Länder Osteuropas unterstützt, nicht nur mit Geld. Deutsche Parteistiftungen helfen, dort demokratische Verhältnisse zu schaffen. Vor allem Bonn, so sehen es Schoenbaum und Pond, verhalf 1991 Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei zu größerer Nähe der EU und zum europäischen Verteidigungsbündnis WEU. Deutschland habe sich zuerst für Nato-Mitgliedschaft der Osteuropäer ausgesprochen. Für Rußland sei Deutschland der eigentliche Partner - "Jelzin betrachtet Kohl als seinen besten Freund im Westen". Vor allem Kohl, so die Autoren, bemühe sich, Jelzin die Erweiterung der Nato einsichtig zu machen.
Mit ihren Beobachtungen verbinden Schoenbaum und Pond Erwartungen, plausible und nicht so plausible: Deutschland solle sich zu seinen "nationalen Interessen" bekennen und "klare außenpolitische Prioritäten artikulieren"; Deutschland "sollte die Türken von der Zweckmäßigkeit überzeugen, die Kurden zu mögen". HEINRICH MAETZKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zwei Amerikaner blicken auf Deutschland
David Schoenbaum, Elizabeth Pond: Annäherung an Deutschland. Die Strapazen der Normalität. Aus dem Amerikanischen von Tamara Schoenbaum-Holtermann. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1997. 366 Seiten, 44,- Mark.
Die beiden amerikanischen Historiker-Journalisten David Schoenbaum und Elizabeth Pond haben ein nüchternes Buch über Deutschland geschrieben - und vielleicht ist das schon eine gute Nachricht. Beunruhigt von Brandanschlägen auf Ausländer, haben sie sechs Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschland unter die Lupe genommen. Aber sie haben nichts Aufregendes gefunden. Selbst die vermeintlichen "neonazistischen Kader" in Hoyerswerda und anderswo erwiesen sich nur als "haßerfülltes Gesindel, rachsüchtig, geistlos und kläglich; es bedurfte nur einer Ladung Bier, um aus ihnen wandelnde Molotow-Cocktails zu machen".
Die beiden Autoren haben viel Zeitung gelesen. Sie haben wirklich alle deutschen Wirtschaftsdaten im Kopf und ersparen ihren Lesern weder die Statistik des Computer-Modems noch die der Zahnfleischprophylaxe. Aber sie versäumen es, ihr deutsches 5000-Teile-Puzzle zusammenzusetzen. Entsprechend gering ist der Erkenntniswert ihrer Schlußfolgerungen: "Das Gesamtbild ist eine Wirtschaft, die in gleichem Maße tüchtig, weltoffen und exportabhängig sowie kauzig, sklerotisch und bequem geworden ist, deren Tugenden schwer nachzuahmen und deren Untugenden schwer abzuschütteln sind, deren Stärken und Schwächen jedoch zusammenhängen."
Die Einsichten, die das Buch dennoch vermittelt, betreffen weniger Deutschland als vielmehr Amerika. Denn wer wissen will, aus welcherlei Informationen und Nachrichten in amerikanischen Köpfen Deutschlandbilder entstehen, der erhält hier einen Überblick. Irritation verursacht in amerikanischen Köpfen das auf dem Prinzip der Abstammung beruhende deutsche Staatsbürgerrecht. Deutschland, vergröbern die Autoren, sei "seit den Hunnen ein Einwanderungsland". Im vergangenen Jahrhundert sei es Ziel regelrechter Einwanderungswellen gewesen; meist aus dem östlichen Europa. Angesichts von zwei Millionen türkischen Gastarbeitern brauche Deutschland endlich "kluge und umfassende Einwanderungspolitik". Das legten auch die demographische Entwicklung und der Zustand der Rentenkassen nahe: 15 Millionen Einwanderer in den nächsten vierzig Jahren könnten fast alle Probleme lösen. Deutschland müsse sich vom Abstammungsrecht (ius sanguinis) - "ein Gesetz, das für das Reich Wilhelms II. zugeschnitten wurde" - trennen. Daß die Integration einer großen Zahl nordafrikanischer Einwanderer Frankreich zunehmend vor Schwierigkeiten stellt und Paris darüber nachdenkt, das eigene, auf Geburtsrecht (ius soli) beruhende Staatsbürgerrecht zu modifizieren, erwähnen Schoenbaum und Pond. Schlußfolgerungen ziehen sie daraus nicht.
Im Mai 1989 ernannte George Bush Deutschland zur Führungsmacht, zum "partner in leadership". Sechsjährige Beobachtung läßt aus amerikanischer Sicht das vereinigte Deutschland erst recht als diejenige Macht erscheinen, die in Europa (fast) alles bewegt: "Mehr als jede andere Nation" hat Deutschland den Umbau der ehemals kommunistischen Länder Osteuropas unterstützt, nicht nur mit Geld. Deutsche Parteistiftungen helfen, dort demokratische Verhältnisse zu schaffen. Vor allem Bonn, so sehen es Schoenbaum und Pond, verhalf 1991 Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei zu größerer Nähe der EU und zum europäischen Verteidigungsbündnis WEU. Deutschland habe sich zuerst für Nato-Mitgliedschaft der Osteuropäer ausgesprochen. Für Rußland sei Deutschland der eigentliche Partner - "Jelzin betrachtet Kohl als seinen besten Freund im Westen". Vor allem Kohl, so die Autoren, bemühe sich, Jelzin die Erweiterung der Nato einsichtig zu machen.
Mit ihren Beobachtungen verbinden Schoenbaum und Pond Erwartungen, plausible und nicht so plausible: Deutschland solle sich zu seinen "nationalen Interessen" bekennen und "klare außenpolitische Prioritäten artikulieren"; Deutschland "sollte die Türken von der Zweckmäßigkeit überzeugen, die Kurden zu mögen". HEINRICH MAETZKE
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