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Die Sopranistin des Stuttgarter Hofopernhauses Anna Sutter wurde am 29. Juni 1910 von von ihrem Liebhaber, dem Dirigenten Aloys Obrist, ermordet. Tausende gaben dem "Sutterle" das letzte Geleit, Zeitungen schickten Reporter, die Polizei veröffentlichte Bulletins. Hundertfach wurde ihre Totenmaske verkauft. Die Operndiva war 1910 das gefeierte Starlet des Königlichen Hoftheaters. Anna Sutters Interpretation der "Carmen" hatte das Publikum während Jahren zu Beifallsstürmen hingerissen. Anna wurde von einem Mann begehrt, dessen Liebe sie nur kurze Zeit erwiderte. Aloys Obrist kämpfte mit allen…mehr

Produktbeschreibung
Die Sopranistin des Stuttgarter Hofopernhauses Anna Sutter wurde am 29. Juni 1910 von von ihrem Liebhaber, dem Dirigenten Aloys Obrist, ermordet. Tausende gaben dem "Sutterle" das letzte Geleit, Zeitungen schickten Reporter, die Polizei veröffentlichte Bulletins. Hundertfach wurde ihre Totenmaske verkauft. Die Operndiva war 1910 das gefeierte Starlet des Königlichen Hoftheaters. Anna Sutters Interpretation der "Carmen" hatte das Publikum während Jahren zu Beifallsstürmen hingerissen. Anna wurde von einem Mann begehrt, dessen Liebe sie nur kurze Zeit erwiderte. Aloys Obrist kämpfte mit allen Mitteln um ihre Zuneigung, aber Anna Sutter hatte sich schon einem anderen zugewandt. Die Dinge nahmen ihren Lauf. Alain Claude Sulzer hat sich dem carmenesken Drama angenommen, es sprachlich brillant umgesetzt und um einige Spekulationen erweitert.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.01.2002

Totenschein und Sein
Im Triebkraftwerk: Alain Claude Sulzer lädt zum Maskenball

Es gehört zu den geläufigsten Motiven der literarischen Phantasie, daß die Kunst dem Künstler das Leben vorschreibt und sich zum Beispiel die Paraderolle einer Operndiva oder Primaballerina als Choreographie ihres Todes entpuppt. Selten jedoch hat sich die unerhörte Begebenheit eines die Bühne imitierenden Todes wirklich ereignet. Der Kriminalfall der Sopranistin Anna Sutter bildet die Ausnahme, ein prädestinierter Gegenstand für eine "Novelle": für das juristisch und literarisch Beispiellose. Am 29. Juni 1910 wurde Anna Sutter alias Carmen, Primadonna der Stuttgarter Oper, durch den Dirigenten Aloys Obrist alias Don José aus Eifersucht erschossen, der sich daraufhin selbst tötete.

Die Maske der femme fatale, die sich Anna Sutter aufgesetzt hatte, wenn sie als Carmen brillierte, wurde zu ihrer Totenmaske, wurde zu ihrem eigenen Fatum. Alain Claude Sulzers Novelle "Annas Maske" basiert auf einer genauen Recherche dieser historischen Fakten, die im spannungsfreien Ton eines Berichts referiert, zugleich aber fiktional aufgeladen werden. Das Ergebnis ist eine novellistische Faction-Prosa von großem erzählerischem Raffinement.

Ausgangspunkt, Zielpunkt und Leitmotiv der Novelle ist nicht der Mord, sondern sein Abdruck in Annas Totenmaske. Diese Akzentverlagerung von der Handlung zur Reliquie impliziert die Reflexion auf das Abbildungsvermögen von Kunst überhaupt, insbesondere aber von darstellerischer Kunst. Krisis dieser Kunst ist der Tod: Sobald ein Bühnenschauspieler seinen Tod spielt, trägt er eine Maske, eine Toten-Maske also. Nun war Anna Sutter nicht nur für ihre Stimme und für ihre Ausstrahlung, sondern gerade auch für ihr schauspielerisches Talent berühmt, das sie in der Sterbeszene der Carmen besonders eindrucksvoll unter Beweis stellte. Ebenso echt wirkte Sutter aber, wenn sie "ein Stück unverfälschtes Leben" darstellte. Die Maske ist daher zugleich ein Symbol für die Doppelbödigkeit ihrer naiv-intuitiven Darstellungskunst, einer Verwandlungsfähigkeit, die - das ist das Erschreckende - noch als wirkliche Totenmaske Wirkung zeigt. Totenmasken, so Egon Friedell in seiner berühmten Sammlung "Das letzte Gesicht" von 1929, lehren die Paradoxie, "daß die Toten leben".

Der tödliche Doppelcharakter des Scheins findet seine perfekte erzählerische Entsprechung in Sulzers Montagekunst: Die Novelle "Annas Maske" ist ein Potpourri aus Protokollsequenzen - juristisch-präzise bis hin zur Angabe von Quellen ("Schwäbische Kronik") -, Briefen, Polizeiberichten, Nachrufen, Theaterkritiken, Passagen des Carmen-Librettos und anderen authentischen Quellen, die so fiktionalisiert werden, daß Dokumentation und Erzählung, Außen- und Innenperspektive ineinander übergleiten.

Die Katastrophe selbst wird nur durch Zeitungsberichte und die Aussagen von Sutters Zofe Pauline wiedergegeben, doch dafür findet rückblickend eine konzentrische Annäherung an die Voraussetzungen des Mordes statt. Der eine Erzählstrang schildert die Abnahme der Totenmaske durch den Bildhauer Weitbrecht und seinen Assistenten Kroll - übrigens mit einer unerhörten technischen Präzision - sowie die darauffolgende Nacht, die Kroll schlaflos und auf der Suche nach den Toten verbringt. Der andere Strang basiert auf der Befragung Paulines durch den Polizeiinspektor Heid, wobei der dienstliche Akt leise und unaufdringlich in eine - offenkundig fingierte - Annäherung übergeht: Reflex der Triebkraft Carmens, Echo ihres aus dem Zugleich von Eros und Thanatos geborenen Schicksals.

Unterbrochen werden diese Passagen etwa durch biographische Abrisse Sutters und Obrists sowie andere Dokumente, die im Stil einer kriminalistischen Studie präsentiert werden und die Motive des Täters, seine inneren Konflikte andeuten. Wie der Lebensfaden Annas abrupt und brutal durchtrennt wurde, so wird in Sulzers Novelle auch der Kunst, namentlich der Erzählkunst, immer wieder das Wort abgeschnitten, die Entfaltung des Fiktionalen unterbrochen durch das Dokumentarisch-Direkte. Ob Anna Sutter "auf der Bühne ihr wahres Gesicht zeigte oder nicht": Diese Frage - es ist die Frage nach der Wahrheit der Kunst - wird von der Novelle negativ beantwortet. Denn hier ist allein im letzten Gesicht, der Totenmaske, die schreckliche Wahrheit zu lesen.

SANDRA KLUWE.

Alain Claude Sulzer: "Annas Maske". Novelle. Edition Epoca, Zürich 2001. 120 S., geb., 19,95 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Beeindruckt zeigt sich Sandra Kluwe von dieser auf einer wahren Geschichte basierenden Novelle. Alain Claude Sulzer erzählt das Liebesdrama zwischen der Opernsängerin Anna Sutter und dem Dirigenten Aloys Obrist, dass mit der Ermordung Sutters durch Obrist endete. Kluwe lobt besonders, dass "Dokumentation und Erzählung, Außen- und Innenperspektive" ineinander übergehen: Ausschnitte aus Briefen, Polizeiberichten, Theaterkritiken, Nachrufen wechselten sich ab mit erzählten Passagen. Die Unterbrechung "des Fiktionalen ? durch das Dokumentarisch-Direkte" findet, so Kluwe, seine Entsprechung im Erzählerischen und in Suters "Montagekunst". Und so bescheinigt sie dem Autor auch "großes erzählerisches Raffinement".

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