Rita Roll hat sich nun nach Jahrzehnten dazu entschlossen, mit ihrer Lebensgeschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Wenige Tage ist sie alt, da wird sie 1958 im evangelischen Kinderheim in der Güstrower Grünen Straße von der staatlichen Jugendfürsorge bei Diakonieschwestern abgegeben und zur
Adoption freigegeben.
Dieses Buch wollte ich unbedingt lesen, weil es ein wichtiges Thema ist und…mehrRita Roll hat sich nun nach Jahrzehnten dazu entschlossen, mit ihrer Lebensgeschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Wenige Tage ist sie alt, da wird sie 1958 im evangelischen Kinderheim in der Güstrower Grünen Straße von der staatlichen Jugendfürsorge bei Diakonieschwestern abgegeben und zur Adoption freigegeben.
Dieses Buch wollte ich unbedingt lesen, weil es ein wichtiges Thema ist und bislang noch nicht sehr viel geschah, um es aufzuarbeiten. Den Autor Lothar von Seltmann kannte ich bereits, er ist mir aufgefallen, weil er bereits viele andere Lebensgeschichten gut zu Papier gebracht hat. In diesem vorliegenden Fall allerdings scheint der Autor seiner Protagonistin ziemlich auf den Leim gegangen zu sein. Während des Lesens wurde mir immer unwohler. Mein Bauchgefühl wehrte sich immer mehr gegen diese Geschichte.
Ich will versuchen dies an einem Beispiel festzumachen. Auf Seite 113 beispielsweise erklärt die Schülerin Annegret ihrem Lehrer: "Ich lese kein 'Neues Leben' und keine 'Junge Welt'." Als ehemaliger DDR-Bürger stocke ich da, weil mir die Zeitung 'Neues Leben' nichts sagt. Ein Blick ins Internet verrät mir dann, okay, die Zeitung gab es wirklich ... Logisch für die Lebensgeschichte wäre es allerdings gewesen, wenn Annegret gesagt hätte: "Ich lese kein 'Neues Deutschland" und keine 'Junge Welt'." Solcherlei Beispiele gibt es eine ganze Reihe, aber mein Bauchgefühl kann ich natürlich niemandem zum Vorwurf machen.
Was allerdings Kostkinderheime und das Clara Dieckhoff Haus in Güstrow angeht, da kann ich genau sagen was im Buch falsch wiedergegeben wird, habe ich mich doch intensiv mit der Geschichte des Hauses und des Vereins der Kostkinderheime beschäftigt. Mein Vertrauen in dieses Buch ist nach der Lektüre ziemlich erschüttert, ob die anderen Episoden der Annegret auch so an der Wahrheit vorbei beschrieben wurden?
Es folgen wirklich heftige Lügen:
So bezeichnet der Autor den Verein der Kostkinderheime in der DDR auf Seite 29 als "staatskonform". Ich möchte diese Zeilen im Buch nicht den noch lebenden ehemaligen Mitarbeitern in den Kostkinderheimen zumuten. Unter den schwierigen DDR-Bedingungen haben sie für wenig Geld viel Arbeitszeit und Liebe für ihre Schutzbefohlenen investiert.
Eine weitere Lüge:
Annegret geht im Juli 1975 ins Clara Dieckhoff Haus zurück, um etwas über ihre Eltern zu erfahren. Im Buch wird auf Seite 161 behauptet, dass die Chefin des Hauses eine "stramme Parteigenossin" gewesen sei. Da allerdings frage ich mich tatsächlich, warum müssen solche Lügen verbreitet werden?
Tatsächlich kamen Karin und Eckhard Sturz 1966 ins Clara Dieckhoff Haus, um es bis zur Wende zu leiten. Glücklicherweise ist Eckhard Sturz bereits 2011 verstorben. Er muss also diese Lügengeschichte über sein Haus nicht lesen. Noch heute findet man seine Bildbände über das Leben von Behinderten in der DDR. Seine Frau ist sprachlos über die Behauptung, dass ihre Einrichtung 1975 von einer "strammen Parteigenossin" geleitet wurde. Im Buch wird dann weiter behauptet, diese erfundene Leiterin hätte die zuständige Abteilung beim Rat der Stadt Güstrow sofort nach Annegrets Besuch informiert. Anhand solcher Lügen soll hier der DDR-Überwachungsstaat dargestellt werden, er war zwar einer, aber die Darstellung ist nicht immer so einfach.
Verlag & Autor sollten bei der nächsten Lebensgeschichte wenigstens die wichtigsten Geschichten durch Dritte prüfen lassen. Was das Clara Dieckhoff Haus betrifft wäre es eine Kleinigkeit gewesen, der Lüge auf die Spur zu kommen.
Dieses Buch verbreitet Unwahrheiten, dem eigentlichen Thema Zwangsadoptionen ist damit kein Dienst getan!