Anreize zählen heute längst zum gesetzgeberischen Standardinstrumentarium. Die Rechtswissenschaft aber tut sich mit dem auf Verhaltenslenkung gerichteten Inhalt des Rechts, der rechtlich nicht bindend ist, nach wie vor schwer. Sonst stets auf Systematisierung bedacht, hat sie für Anreize und unterschiedliche Anreiztypen nicht einmal Begriffe. Selbst grundlegende verfassungsrechtliche Fragen sind ungeklärt. Johanna Wolff erklärt diesen Befund damit, dass die von der juristischen Methode geprägte Rechtswissenschaft das Recht typischerweise aus einer Perspektive betrachtet, aus der sein Anreizgehalt nur eingeschränkt sichtbar ist. Sie zeigt, dass nur auf der Grundlage von Vorarbeiten, die aus der Steuerungsperspektive entwickelt werden, eine kohärente Verfassungsrechtsdogmatik der Anreize entstehen kann. Damit vollzieht sie zugleich eine Versöhnung im Methodenstreit zwischen "alter" und Neuer Verwaltungsrechtswissenschaft.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Jochen Zenthöfer begrüßt das Buch der Berliner Rechtswissenschaftlerin Johanna Wolff zum Thema Anreize im Recht. Wolff diskutiert laut Zenthöfer Anreize als Optionseröffnung, die die Grundrechte nicht tangiert, sowie auch einander widersprechende Einschätzungen zum Thema. Für Zenthöfer ein höchst aktuelles Buch (Stichwort: Impfanreize).
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.05.2021Reizendes Recht
Wenn Gesetze Verhalten ohne Zwang lenken
Längst wird nicht mehr nur nach dem Prinzip "Befehl und Gehorsam" geregelt. Anreize sind im Steuerrecht, Vergaberecht und Umweltrecht weit verbreitet. Die Frankfurter Hochschullehrerin Ute Sacksofsky hat Kluges dazu veröffentlicht, nun legt ihre Berliner Kollegin Johanna Wolff nach und präsentiert eine Monographie mit neuer Dogmatik. Mit Anreizen, schreibt sie, wird die rechtliche Beeinflussung von Verhalten gewünscht, allerdings ohne entsprechenden Rechtsbefehl. Ein Beispiel sind die Partnermonate beim Elterngeld: Wenn beide Partner ihre Berufstätigkeit unterbrechen, verlängert sich die Auszahlungszeit. Der Anreiz verpflichtet die Eltern nicht zu einem Verhalten, soll aber eine "stärkere Rollenteilung" bewirken. In der Praxis scheint das zu funktionieren. Für Wolff werden die Freiheitsrechte nicht beschränkt, da der Anreiz lediglich eine zusätzliche Option eröffnet. Insofern liege auch kein unverhältnismäßiger Eingriff in das Grundrecht vor, wonach Pflege und Erziehung der Kinder, und damit auch die Zeitaufteilung, das natürliche Recht von Eltern sind. Derzeit wird im Rahmen der Pandemie über Anreizsetzungen, etwa für die Teilnahme an Impfungen, diskutiert. Das Thema ist somit hochaktuell.
Mit Rechtswirkungsforschung und "Behavioral Law and Economics" bestehen seit langem Forschungszweige, die sich mit erwünschten und unerwünschten, erwarteten und unerwarteten, eingetretenen und ausgebliebenen Wirkungen von Anreizen befassen. Über Wirksamkeit und Akzeptanz sind aber, resümiert Wolff, "zahllose Aussagen in der Welt, die sich gegenseitig widersprechen". Im Steuerrecht würden Anreize einerseits als "hochmoderne Instrumente" bezeichnet, andererseits deren Entrümpelung gefordert. In der Rechtswissenschaft spricht man bislang von Anreizwirkungen, nicht aber von Wirkungen von Anreizen. Wolff dreht den Blick entsprechend um. Sie greift Ideen der "Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft" auf, verknüpft die Perspektiven von Steuerung und Rechtsanwendung, begrüßt schließlich dogmatisch richtig gesetzte Anreize. Das viel diskutierte "Nudging", also Anstoßen oder Schubsen, spielt dabei nur eine Nebenrolle. Denn dass man in der Kantine Äpfel nach vorne und Schokolade nach hinten stellt, damit sich Menschen besser ernähren, sei nur ein Realakt und keine Rechtshandlung.
JOCHEN ZENTHÖFER
Johanna Wolff: Anreize im Recht, Mohr Siebeck, Tübingen 2021. 253 Seiten. 79 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wenn Gesetze Verhalten ohne Zwang lenken
Längst wird nicht mehr nur nach dem Prinzip "Befehl und Gehorsam" geregelt. Anreize sind im Steuerrecht, Vergaberecht und Umweltrecht weit verbreitet. Die Frankfurter Hochschullehrerin Ute Sacksofsky hat Kluges dazu veröffentlicht, nun legt ihre Berliner Kollegin Johanna Wolff nach und präsentiert eine Monographie mit neuer Dogmatik. Mit Anreizen, schreibt sie, wird die rechtliche Beeinflussung von Verhalten gewünscht, allerdings ohne entsprechenden Rechtsbefehl. Ein Beispiel sind die Partnermonate beim Elterngeld: Wenn beide Partner ihre Berufstätigkeit unterbrechen, verlängert sich die Auszahlungszeit. Der Anreiz verpflichtet die Eltern nicht zu einem Verhalten, soll aber eine "stärkere Rollenteilung" bewirken. In der Praxis scheint das zu funktionieren. Für Wolff werden die Freiheitsrechte nicht beschränkt, da der Anreiz lediglich eine zusätzliche Option eröffnet. Insofern liege auch kein unverhältnismäßiger Eingriff in das Grundrecht vor, wonach Pflege und Erziehung der Kinder, und damit auch die Zeitaufteilung, das natürliche Recht von Eltern sind. Derzeit wird im Rahmen der Pandemie über Anreizsetzungen, etwa für die Teilnahme an Impfungen, diskutiert. Das Thema ist somit hochaktuell.
Mit Rechtswirkungsforschung und "Behavioral Law and Economics" bestehen seit langem Forschungszweige, die sich mit erwünschten und unerwünschten, erwarteten und unerwarteten, eingetretenen und ausgebliebenen Wirkungen von Anreizen befassen. Über Wirksamkeit und Akzeptanz sind aber, resümiert Wolff, "zahllose Aussagen in der Welt, die sich gegenseitig widersprechen". Im Steuerrecht würden Anreize einerseits als "hochmoderne Instrumente" bezeichnet, andererseits deren Entrümpelung gefordert. In der Rechtswissenschaft spricht man bislang von Anreizwirkungen, nicht aber von Wirkungen von Anreizen. Wolff dreht den Blick entsprechend um. Sie greift Ideen der "Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft" auf, verknüpft die Perspektiven von Steuerung und Rechtsanwendung, begrüßt schließlich dogmatisch richtig gesetzte Anreize. Das viel diskutierte "Nudging", also Anstoßen oder Schubsen, spielt dabei nur eine Nebenrolle. Denn dass man in der Kantine Äpfel nach vorne und Schokolade nach hinten stellt, damit sich Menschen besser ernähren, sei nur ein Realakt und keine Rechtshandlung.
JOCHEN ZENTHÖFER
Johanna Wolff: Anreize im Recht, Mohr Siebeck, Tübingen 2021. 253 Seiten. 79 Euro.
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