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Jubelnde Massen am Heldenplatz, Mädchen und Buben, junge Frauen und Männer in Festtagstracht, Polizisten, Bundesheersoldaten gemischt mit Zivilisten am Straßenrand; Menschen mit strahlenden Gesichtern, die Hände ausgestreckt, "Heil Hitler" schreiend und "Sieg Heil", Hitler, stehend im offenen Mercedes auf seiner Triumphfahrt durch Österreich, Hitler am Heldenplatz: das sind die Bilder, die man kennt oder zu kennen glaubt, wenn man an das Wort "Anschluss" denkt, an die Ereignisse des März 1938 und die nationalsozialistische Machtübernahme in Österreich.
Neben den scheinbar zahllosen und doch
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Produktbeschreibung
Jubelnde Massen am Heldenplatz, Mädchen und Buben, junge Frauen und Männer in Festtagstracht, Polizisten, Bundesheersoldaten gemischt mit Zivilisten am Straßenrand; Menschen mit strahlenden Gesichtern, die Hände ausgestreckt, "Heil Hitler" schreiend und "Sieg Heil", Hitler, stehend im offenen Mercedes auf seiner Triumphfahrt durch Österreich, Hitler am Heldenplatz: das sind die Bilder, die man kennt oder zu kennen glaubt, wenn man an das Wort "Anschluss" denkt, an die Ereignisse des März 1938 und die nationalsozialistische Machtübernahme in Österreich.

Neben den scheinbar zahllosen und doch immergleichen Jubelbildern, die unsere Wahrnehmung bestimmen, gibt es eine andere, noch ungeschriebene Geschichte von Bildern, die zahlreich sind und unbekannt.

Es sind Bilder, die nicht in das Propagandabild der Nationalsozialisten passten, und die daher keine Aufnahme in die Printmedien der Zeit nach dem "Anschluss" fanden. Es sind Bilder, die Fotografen als Negativmaterial in ihren Archiven schlummern ließen, weil sie ihnen aus technischen oder inhaltlichen Gründen nicht gefielen. Es sind Bilder, die den Wahrnehmungsmustern der Medienindustrie von heute und den bequemen ideologischen Vorstellungen nicht entsprechen. Es sind Privataufnahmen, die nur langsam und verstohlen den Weg in die Archive finden, weil ihre Besitzer, teils aus Identifikation, teils aus Scham, sich nicht von ihnen trennen konnten oder wollten.

Aus unterschiedlichsten Gründen und von vielen Zufällen begünstigt existiert eine Fülle von unbekannten Geschichtsbildern in privaten und öffentlichen Archiven. Eine beträchtliche Anzahl wird in diesem Buch zum ersten mal dargestellt und in einen historischen und chronologischen Kontext gestellt: Die Vorgeschichte der Anschlussidee, die sozialen und die wirtschaftlichen Probleme der Zwischenkriegszeit und des autoritären Ständestaates, Hitlers mordlüsterne Aggressionspolitik und die letzten Versuche, Österreichs Selbständigkeit zu retten, die Stunden derEntscheidung im März 1938, die gnadenlose und grauenhafte Demütigung und Verfolgung der österreichischen Juden, die Propagandaschlacht und die Mobilisierung der Massen bis zur so genannten "Volksabstimmung" am 10. April, die Vereinnahmung der Arbeiter am 1. Mai und das wahre Gesicht der deutschen Volksgemeinschaft in der Reichsprogromnacht am 11. November 1938.
Autorenporträt
Hans Petschar, geb. 1959 in Töplitsch/Kärnten. Direktor des Bildarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek. Als Historiker und Bibliothekar hat er zahlreiche Publikationen zur Österreichischen Kulturgeschichte verfasst.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.03.2008

Stille Lächerlichkeit
Die Nationalsozialisten beherrschen uns noch immer – mit ihren Bildern. Das Terrorregime hat nie die Hoheit über sein Abbild in der Geschichte verloren, über das der Fahnenwälder, der millimeterscharf ausgerichteten Massen, der Lichterdome. Fast alles, was an Bildmaterial über das Dritte Reich existiert, stammt aus der Propagandamaschinerie. So sind scheußlichste Berichte aus dieser Zeit oft mit glänzendsten Installationen garniert – ein hoch missverständlicher Kontrast.
Im soeben bei Brandstätter in Wien erschienenen Bildband „Anschluss” zum 12. März, dem 70. Jahrestag der Annektion Österreichs durch Nazi-Deutschland, haben Schatten und Grautöne besonderen Wert: Er bietet unbekanntes, zumeist privates Photomaterial über jene entscheidenden Tage. Hier sieht man wirklich die von Mob und Nachbarn gedemütigten Juden Bürgersteige oder patriotische Denkmale putzen. Hier sieht man wissendes Lächeln kleiner Funktionäre und emsiger Zaungäste im Anblick der neuen, braunen Macht. Hier lässt sich jener böse, selbstkritische Wiener Witz bildlich nachleben, der während der Waldheim-Affäre aufgekommen war. Die Hunderttausende, die da die Arme vor Hitler auf dem Wiener Heldenplatz hochgerissen haben, hätten keineswegs den Nazi-Gruß ausgebracht – sie hätten vielmehr heftig abgewunken mit dem Ruf: „Halt! Halt! So leicht geht das nicht!”
Euphorie und Bedrückung werden durch den privaten Blickwinkel noch intensiver. Auch stille Lächerlichkeit erster Protzereien, wie das hakenkreuzgeschmückte Auto des Gauleiters Josef Bürckel (Foto oben). So etwas sagt mehr über die Akteure und die Stimmung im Publikum als ein Traktat. Und erst die düstere Ratlosigkeit eines sozialdemokratischen Funktionärsrats. Wie nah Pathos und Lächerlichkeit doch beieinanderliegen. Machteuphorie und Auftrumpfen hie, Begeisterung und ängstliches Abseits dort, am Ende alltägliche Rituale. Und ein verlegenes, linkisches Pilger-Foto eines SA-Mannes nebst Familie auf dem verschneiten Heldenplatz.
Hans Petschar, Direktor des Bildarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek, hat den Band zusammengestellt. Er griff weithin auf Material aus Privatstiftungen zurück, die – typischerweise – oft jahrzehntelang unbeachtet in den Beständen moderten. Entsprechend säuberlich ist der Band dokumentiert, sogar mit einer „Gau- und Kreiseinteilung der Ostmark”: Quasi zum Dank dafür, dass ihn eine überwältigende Mehrheit willkommen hieß, ließ Hitler sofort den Namen seiner Heimat Österreich aus allen Bezeichnungen des neuen Reichsteiles tilgen. MICHAEL FRANK
HANS PETSCHAR: Anschluss. „Ich hole Euch heim”. Brandstätter Verlag, Wien 2008. 208 Seiten, 29,90 Euro.
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