Diese große Erzählung zeigt Humboldt auf der Höhe seiner Möglichkeiten als Entdeckungsreisender, Naturwissenschaftler, Historiker und Anthropologe. Sie umfaßt nicht nur die Landschaften und die Pflanzenwelt Lateinamerikas, sondern auch Rituale und Menschenopfer, Mythen und Kalendersysteme, Schmuck und Kleidung, Architektur und Kunst, Eroberungszüge und Völkerwanderungen sowie die Grausamkeiten der Spanier und die Vernichtung der indigenen Reiche. Humboldts Werk sprengt die Grenzen und die Perspektiven jeder Einzeldisziplin. Als einer der ersten hat er erkannt, daß die altamerikanischen Kulturen ebenso zum Erbe der Menschheit gehören wie die der Ägypter, der Inder, der Griechen und der Römer.
Mit seiner sprachlichen Originalität und dem Reichtum seiner Illustrationen lädt dieser Band zum Besuch eines imaginären Museums ein, in dem Bilder und Texte einander beleuchten. Humboldts Ansichten gehen nicht nur die Wissenschaft an. Jeder, der Lateinamerika kennt und liebt, wird hier auf seine Kosten kommen.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Mit seiner sprachlichen Originalität und dem Reichtum seiner Illustrationen lädt dieser Band zum Besuch eines imaginären Museums ein, in dem Bilder und Texte einander beleuchten. Humboldts Ansichten gehen nicht nur die Wissenschaft an. Jeder, der Lateinamerika kennt und liebt, wird hier auf seine Kosten kommen.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.09.2004Die Welt geht in ihn ein
Heute startet das Alexander von Humboldt-Projekt der „Anderen Bibliothek”
Im gleichen Lebensalter stehend wie der unermüdlich anregende Alexander von Humboldt, veröffentlicht Hans Magnus Enzensberger, assistiert von Franz Greno und drei Herausgebern eine Neu-Edition des fünfbändigen „Kosmos” (1844-1862), zusammen mit einer ersten vollständigen deutschen Ausgabe der „Ansichten der Kordilleren und Monumente der eingeborenen Völker Amerikas” (1810) sowie einer Wiederauflage der „Ansichten der Natur” (1808) . Nach dem gewaltigen Erfolg des „Kosmos” von der Mitte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts öffnet Enzensberger heute die Schleusen für eine zweite Welle der Rezeption. Was - zumindest in Deutschland - in der Architektur heute verpönt ist, scheint in der Buchherstellung in besonderen Fällen nicht nur möglich, sondern wünschenswert zu sein: die vollständige Rekonstruktion (und Distribution) eines in seiner ursprünglichen Gestalt nicht mehr zugänglichen Werkes.
Humboldts „Kosmos” ist ein solcher Sonderfall. Der Naturforscher hat sechzehn lange Jahre an der Metamorphose der einundsechzig Vorträge gearbeitet, die er Ende der zwanziger Jahre in der Berliner Universität und später, in geraffter Form, in der Singakademie gehalten hatte. Der öffentliche wissenschaftliche Vortrag war im Deutschland der Restauration auch ein soziales Experiment. Es sollte eine „gemeinsame Atmosphäre wissenschaftlicher Bildung”, deren Fehlen Goethe schon beklagt hatte, hergestellt werden.
Humboldt hat, um diese neue Form des Austausches im Text noch einmal zu verdichten, die gesamte gelehrte Welt Europas korrespondierend in die Niederschrift miteinbezogen. Nicht zuletzt war es der getreue, von Humboldt hoch geschätzte Zuarbeiter Eduard Buschmann, dessen Entzifferungs-, Collage- und Korrekturdienste, wie die Wissenschaftshistorikerin Petra Werner in ihrer monumentalen Monographie über den Kosmos minutiös darlegt, der dem „Zusammengeklebten” (Humboldt an Buschmann) in mühevoller, gelegentlich verschlimmbessernder Kleinarbeit erst eine ansehnliche Physiognomie zu geben half.
Für höhere Leser
Diese mehrfach geschichteten und einander durchdringenden Netze aus unersättlichen Anfragen, Lieferungen, neuen Messdaten und immer weiter vorangetriebenen Fragestellungen geben dem Kosmos sein einzigartiges Gepräge. Insgesamt lassen sich, laut Werner, heute im Kosmos 246 Stellen zuordnen, die auf direkte Zuarbeiten von Humboldts Kollegen zurückzuführen sind. Dass dieser vielgestaltige Text ohne derartige hyperlinks, ohne ein hochkomplexes networking nicht hätte gelingen können, lässt sich schon an dem in der Tat maßlosen Anspruch gegenüber der bedrohlich anschwellenden Stofffülle und dem unausrottbaren Vervollkommnungsdrang ablesen, den Humboldt bereits in den ersten Jahren der Niederschrift in einem Brief an Varnhagen von Ense formulierte. „Ich habe den tollen Einfall, die ganze materielle Welt, alles, was wir heute von den Erscheinungen der Himmelsräume und des Erdenlebens, von den Nebelsternen bis zur Geographie der Moose auf den Granitfelsen wissen, alles in einem Werke darzustellen, und in einem Werke, das zugleich in lebendiger Sprache anregt und das Gemüth ergötzt. Jede große und wichtige Idee, die irgendwo aufglimmt, muß neben den Thatsachen hier verzeichnet sein. Es muß eine Epoche der geistigen Entwicklung der Menschheit (in ihrem Wissen von der Natur) darstellen.” Als der erste Band schließlich 1844 fertiggestellt war - zwischendurch hatte er es einen „Augiasstall” genannt, den zu säubern etliche Kollegen ihm geholfen hatten - konstatierte er durchaus selbstkritisch: „Man kämpft zwischen Ruhmsucht und affectirter Bescheidenheit.”
In der jetzt erscheinenden Neu-Edition wird zum ersten Mal der seinerzeit für das Werk geplante „Physikalische Atlas zum Kosmos” von Heinrich Berghaus mit aufgenommen sein. Dies ist besonders zu begrüßen, nicht nur weil das schöne Kartenwerk ursprünglich als Supplement zum „Kosmos” geplant war, sondern auch weil es auf sehr anschauliche Weise das wirklich Neue dieses „zweiten Entdeckers” Amerikas (Ottmar Ette) zur Geltung bringt - nämlich ein genuines, von Humboldt selbst immer wieder betontes Verweisungsverhältnis zwischen Schrift, Karte/Kartographie und Bild.
Humboldt selbst hatte, demütig unbescheiden, Berghaus noch während der Zeit der Berliner Vorträge gebeten, ein Werk zu schaffen, das „Karten enthält für die Vertheilung der Pflanzen und Thiere über die Erde, für Meer- und Flussgebiete, für Verbreitung der thätigen Vulkane, für Declination und Inclination der Magnetnadel, Intensität der magnetischen Kraft, für Meeresströme und Ebbe und Fluth, Luftströmungen, für Züge der Gebirge, Wüsten und Ebenen, für Verbreitung von Menschenracen, ferner für Darstellung der Gebirgshöhen, Stromlängen, . . .”.
Doch wie sollen wir Humboldt heute lesen? Welche Leser sind zu erwarten? Zu bewundern ist der Mut der Herausgeber, eigensinnig und unverzagt werbend auf die Rezipierbarkeit eines hoch zerklüfteten Werkes zu setzen, das zu erschließen und zu durchsteigen immer noch jenen „höheren Leser” voraussetzt, den vor achtzig Jahren Rudolf Borchardt in seiner Anthologie „Der Deutsche in der Landschaft” vor Augen hatte. „Die Welt geht in ihn ein, indes er in die Welt aufgeht” - auf wen träfe diese Charakterisierung besser zu als auf Alexander von Humboldt? Der kosmopolitische Humboldt liefert uns die Physiognomie eines Gelehrten, dessen „Ansichten” in eine Sprache gefasst sind, die man mittlerweile als eine uns verlorene, zumindest aber als eine für die (natur-)wissenschaftliche Prosa uneinholbare begreifen muss: „Alexander, wenn er in einem gegebenen Lebensmomente, den Chimborazo besteigend, fast als die leibhaftig gewordene naturwissenschaftliche Encyclopädie in actu, Meteorologe und Geologe, Botaniker und Orograph und Geograph, mit versagendem Atem und blutflüssigen Augen noch stoischer Beobachter und lieblicher Beschreiber des größten und kleinsten, bis zum Augenblicke des Nec Ultra.”
Die Zeiten, jenen höheren Leser wieder zu wecken - einmal unterstellt, er sei nicht verschwunden, sondern schlummere nur -, sind vielleicht gerade deshalb günstig, weil ringsum beredte Sprachlosigkeit und wohlfeile Verzagtheit anschwellen.
Weil die Sprache solcher Forscher - in unserem Jahrhundert wäre noch der Biologe Ernst Mayr zu nennen - hilft, die Welt aus ihren Entwürfen zu begreifen, so wie ein Geograph anhand eines Reisewegs und der daraus resultierenden Karte eben weit mehr als den bloß befahrenen Weg, sondern „das ganze Land” zu (be)schreiben imstande ist. Wenn Humboldt tatsächlich „das Beste” repräsentiert, „das unser Land den Kulturen der Welt zu bieten hat” (Wolf Lepenies), dann ist es an der Zeit, seine Gegenwart wieder zu der unsrigen zu machen. Es wird nicht geringer Mühen bedürfen, Humboldts unerschrockenen Bildungsimpuls und seine unbändige Lust, aufs Ganze zu gehen, con amore in den jungen Forschern, wie Enzensberger anregt, wieder zu entfalten.
HANNS ZISCHLER
ALEXANDER VON HUMBOLDT: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Ediert von Ottmar Ette und Oliver Lubrich. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2004. 960 Seiten, 99 Euro.
ALEXANDER VON HUMBOLDT: Ansichten der Kordilleren und Monumente der eingeborenen Völker Amerikas. Aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main, 2004. 450 Seiten, 69 Euro.
ALEXANDER VON HUMBOLDT: Ansichten der Natur. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2004. 512 Seiten, 33 Euro.
PETRA WERNER: Himmel und Erde. Alexander von Humboldt und sein Kosmos. Akademie Verlag, Berlin 2004. 350 Seiten, 59,80 Euro.
Alexander von Humboldt, gemalt von Joseph Stieler (1843).
Abb.: Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, Potsdam
Floß auf dem Fluss Guayaquil, aus „Ansichten der Kordilleren und Monumente der eingeborenen Völker Amerikas”.
Abb.: Eichborn Verlag
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Heute startet das Alexander von Humboldt-Projekt der „Anderen Bibliothek”
Im gleichen Lebensalter stehend wie der unermüdlich anregende Alexander von Humboldt, veröffentlicht Hans Magnus Enzensberger, assistiert von Franz Greno und drei Herausgebern eine Neu-Edition des fünfbändigen „Kosmos” (1844-1862), zusammen mit einer ersten vollständigen deutschen Ausgabe der „Ansichten der Kordilleren und Monumente der eingeborenen Völker Amerikas” (1810) sowie einer Wiederauflage der „Ansichten der Natur” (1808) . Nach dem gewaltigen Erfolg des „Kosmos” von der Mitte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts öffnet Enzensberger heute die Schleusen für eine zweite Welle der Rezeption. Was - zumindest in Deutschland - in der Architektur heute verpönt ist, scheint in der Buchherstellung in besonderen Fällen nicht nur möglich, sondern wünschenswert zu sein: die vollständige Rekonstruktion (und Distribution) eines in seiner ursprünglichen Gestalt nicht mehr zugänglichen Werkes.
Humboldts „Kosmos” ist ein solcher Sonderfall. Der Naturforscher hat sechzehn lange Jahre an der Metamorphose der einundsechzig Vorträge gearbeitet, die er Ende der zwanziger Jahre in der Berliner Universität und später, in geraffter Form, in der Singakademie gehalten hatte. Der öffentliche wissenschaftliche Vortrag war im Deutschland der Restauration auch ein soziales Experiment. Es sollte eine „gemeinsame Atmosphäre wissenschaftlicher Bildung”, deren Fehlen Goethe schon beklagt hatte, hergestellt werden.
Humboldt hat, um diese neue Form des Austausches im Text noch einmal zu verdichten, die gesamte gelehrte Welt Europas korrespondierend in die Niederschrift miteinbezogen. Nicht zuletzt war es der getreue, von Humboldt hoch geschätzte Zuarbeiter Eduard Buschmann, dessen Entzifferungs-, Collage- und Korrekturdienste, wie die Wissenschaftshistorikerin Petra Werner in ihrer monumentalen Monographie über den Kosmos minutiös darlegt, der dem „Zusammengeklebten” (Humboldt an Buschmann) in mühevoller, gelegentlich verschlimmbessernder Kleinarbeit erst eine ansehnliche Physiognomie zu geben half.
Für höhere Leser
Diese mehrfach geschichteten und einander durchdringenden Netze aus unersättlichen Anfragen, Lieferungen, neuen Messdaten und immer weiter vorangetriebenen Fragestellungen geben dem Kosmos sein einzigartiges Gepräge. Insgesamt lassen sich, laut Werner, heute im Kosmos 246 Stellen zuordnen, die auf direkte Zuarbeiten von Humboldts Kollegen zurückzuführen sind. Dass dieser vielgestaltige Text ohne derartige hyperlinks, ohne ein hochkomplexes networking nicht hätte gelingen können, lässt sich schon an dem in der Tat maßlosen Anspruch gegenüber der bedrohlich anschwellenden Stofffülle und dem unausrottbaren Vervollkommnungsdrang ablesen, den Humboldt bereits in den ersten Jahren der Niederschrift in einem Brief an Varnhagen von Ense formulierte. „Ich habe den tollen Einfall, die ganze materielle Welt, alles, was wir heute von den Erscheinungen der Himmelsräume und des Erdenlebens, von den Nebelsternen bis zur Geographie der Moose auf den Granitfelsen wissen, alles in einem Werke darzustellen, und in einem Werke, das zugleich in lebendiger Sprache anregt und das Gemüth ergötzt. Jede große und wichtige Idee, die irgendwo aufglimmt, muß neben den Thatsachen hier verzeichnet sein. Es muß eine Epoche der geistigen Entwicklung der Menschheit (in ihrem Wissen von der Natur) darstellen.” Als der erste Band schließlich 1844 fertiggestellt war - zwischendurch hatte er es einen „Augiasstall” genannt, den zu säubern etliche Kollegen ihm geholfen hatten - konstatierte er durchaus selbstkritisch: „Man kämpft zwischen Ruhmsucht und affectirter Bescheidenheit.”
In der jetzt erscheinenden Neu-Edition wird zum ersten Mal der seinerzeit für das Werk geplante „Physikalische Atlas zum Kosmos” von Heinrich Berghaus mit aufgenommen sein. Dies ist besonders zu begrüßen, nicht nur weil das schöne Kartenwerk ursprünglich als Supplement zum „Kosmos” geplant war, sondern auch weil es auf sehr anschauliche Weise das wirklich Neue dieses „zweiten Entdeckers” Amerikas (Ottmar Ette) zur Geltung bringt - nämlich ein genuines, von Humboldt selbst immer wieder betontes Verweisungsverhältnis zwischen Schrift, Karte/Kartographie und Bild.
Humboldt selbst hatte, demütig unbescheiden, Berghaus noch während der Zeit der Berliner Vorträge gebeten, ein Werk zu schaffen, das „Karten enthält für die Vertheilung der Pflanzen und Thiere über die Erde, für Meer- und Flussgebiete, für Verbreitung der thätigen Vulkane, für Declination und Inclination der Magnetnadel, Intensität der magnetischen Kraft, für Meeresströme und Ebbe und Fluth, Luftströmungen, für Züge der Gebirge, Wüsten und Ebenen, für Verbreitung von Menschenracen, ferner für Darstellung der Gebirgshöhen, Stromlängen, . . .”.
Doch wie sollen wir Humboldt heute lesen? Welche Leser sind zu erwarten? Zu bewundern ist der Mut der Herausgeber, eigensinnig und unverzagt werbend auf die Rezipierbarkeit eines hoch zerklüfteten Werkes zu setzen, das zu erschließen und zu durchsteigen immer noch jenen „höheren Leser” voraussetzt, den vor achtzig Jahren Rudolf Borchardt in seiner Anthologie „Der Deutsche in der Landschaft” vor Augen hatte. „Die Welt geht in ihn ein, indes er in die Welt aufgeht” - auf wen träfe diese Charakterisierung besser zu als auf Alexander von Humboldt? Der kosmopolitische Humboldt liefert uns die Physiognomie eines Gelehrten, dessen „Ansichten” in eine Sprache gefasst sind, die man mittlerweile als eine uns verlorene, zumindest aber als eine für die (natur-)wissenschaftliche Prosa uneinholbare begreifen muss: „Alexander, wenn er in einem gegebenen Lebensmomente, den Chimborazo besteigend, fast als die leibhaftig gewordene naturwissenschaftliche Encyclopädie in actu, Meteorologe und Geologe, Botaniker und Orograph und Geograph, mit versagendem Atem und blutflüssigen Augen noch stoischer Beobachter und lieblicher Beschreiber des größten und kleinsten, bis zum Augenblicke des Nec Ultra.”
Die Zeiten, jenen höheren Leser wieder zu wecken - einmal unterstellt, er sei nicht verschwunden, sondern schlummere nur -, sind vielleicht gerade deshalb günstig, weil ringsum beredte Sprachlosigkeit und wohlfeile Verzagtheit anschwellen.
Weil die Sprache solcher Forscher - in unserem Jahrhundert wäre noch der Biologe Ernst Mayr zu nennen - hilft, die Welt aus ihren Entwürfen zu begreifen, so wie ein Geograph anhand eines Reisewegs und der daraus resultierenden Karte eben weit mehr als den bloß befahrenen Weg, sondern „das ganze Land” zu (be)schreiben imstande ist. Wenn Humboldt tatsächlich „das Beste” repräsentiert, „das unser Land den Kulturen der Welt zu bieten hat” (Wolf Lepenies), dann ist es an der Zeit, seine Gegenwart wieder zu der unsrigen zu machen. Es wird nicht geringer Mühen bedürfen, Humboldts unerschrockenen Bildungsimpuls und seine unbändige Lust, aufs Ganze zu gehen, con amore in den jungen Forschern, wie Enzensberger anregt, wieder zu entfalten.
HANNS ZISCHLER
ALEXANDER VON HUMBOLDT: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Ediert von Ottmar Ette und Oliver Lubrich. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2004. 960 Seiten, 99 Euro.
ALEXANDER VON HUMBOLDT: Ansichten der Kordilleren und Monumente der eingeborenen Völker Amerikas. Aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main, 2004. 450 Seiten, 69 Euro.
ALEXANDER VON HUMBOLDT: Ansichten der Natur. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2004. 512 Seiten, 33 Euro.
PETRA WERNER: Himmel und Erde. Alexander von Humboldt und sein Kosmos. Akademie Verlag, Berlin 2004. 350 Seiten, 59,80 Euro.
Alexander von Humboldt, gemalt von Joseph Stieler (1843).
Abb.: Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, Potsdam
Floß auf dem Fluss Guayaquil, aus „Ansichten der Kordilleren und Monumente der eingeborenen Völker Amerikas”.
Abb.: Eichborn Verlag
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Alexander von Humboldts "Kosmos" stand zwar im 19. Jahrhundert ebenso im Bücherschrank des Bildungsbürgers wie Gustav Schwabs "Sagen des klassischen Altertums", behauptet Magnus Schlette, aber dennoch habe er als "nur" Forscher immer im Schatten der großen deutschen Dichter und Denker gestanden. Dabei hat Goethe den Weltreisenden sehr geschätzt, hat Schlette in Erfahrung gebracht, denn beide hätten der Empirie gegenüber der Spekulation den Vorzug gegeben. Außerdem lesen sich Humboldts Reisebeschreibungen mindestens ebenso spannend wie Alexandre Dumas' oder Louis Stevensons Abenteuerromane. Alexander von Humboldt war der Typus des Universalgelehrten, erklärt Schlette, er war Zoologe, Botaniker, Astrononom, Geologe, Ethnologe, Sprachforscher, Geograph - alles in einem. Schlette weist darauf hin, dass Forschung damals noch vollen körperlichen Einsatz bedeutete. Erstaunlich sei der "Furor des Messens", äußert Schlette verwundert, mit dem Humboldt auf die Welt losgegangen sei: offensichtlich hatte er seine Reisebegleiter damit genervt, dass er jede Meeresströmung, jeden Windstoß, jeden Niederschlag genauer be- und nachrechnete als die Seeleute etwa. Leider mäandern auch diese Messungen und ihre Auswertungen durch den Text beziehungsweise Fußnotenapparat, schreibt Schlette. Andererseits symbolisiere ihr Stellenwert, den sie für Humboldt ganz offensichtlich gehabt hätten, auch deutlich, dass der Forscher an der Schwelle von einer ästhetisch inspirierten Naturphilosophie zur modernen Naturwissenschaft stand und diesen Übergang in einer Verbindung von Geistes- und Naturwissenschaften forciert vorantrieb.
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