Forster beschreibt in diesem historisch einmaligen Buch seine Reiseberichte vom Niederrhein, von Brabant, Flandern, Holland, England und Frankreich im April, Mai und Juni 1790. Nachdruck des Originals.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.02.2017Alles, alles muss das Auge trinken
Im Jahr 1790 besucht der Forschungsreisende Georg Forster die deutschen Nachbarländer, in denen die Revolution gärt.
Sein grandioser Reisebericht ist das Europabuch eines genauen Beobachters der politischen Verhältnisse
VON WILLI WINKLER
Die beste, „weit die beste Hälfte des Lebens ist dahin, und mir wie unnütz verflossen“, klagt er seinem Freund Jacobi im Herbst 1789. Der fünfunddreißigste Geburtstag droht, grausames Bilanzieren, die Midlife-Crisis ist noch gar nicht erfunden. Aber das elende Stubenhocken beschwert ihn, die Armseligkeit seiner Verhältnisse. Der Bibliothekar stöhnt über seine Arbeit („Den ganzen Winter muß ich compilieren und übersetzen!“), hat er sich womöglich schon ausgeschrieben? „Mein Kopf ist leer, ich weiß der Welt nichts Eigenes mehr zu sagen.“
Dabei ist der Forschungsreisende Georg Forster weltberühmt. Ein halbes Leben zuvor, mit siebzehn, durfte er zusammen mit seinem Vater den britischen Captain James Cook auf seiner Weltumseglung begleiten, als Zeichner, als Logbuchführer, als Augen- und Ohrenzeuge. Das Buch, das Vater und Sohn darüber schrieben, „Die Reise um die Welt“, wurde ein Bestseller und ist ein Klassiker bis heute.
Akademien in ganz Europa buhlten um Forster als Mitglied. War er überhaupt ein richtiger Deutscher? Schottische Vorfahren, aufgewachsen in St. Petersburg, wo er so gut Russisch lernte, dass er Michail Lomonossows „Kurze Geschichte Russlands“ ins Englische übersetzen konnte, erst dreizehn Jahre alt, aber ein europäisches Wunderkind sein Leben lang. Dennoch zerschlugen sich die Pläne für eine weitere Expedition, diesmal von der Zarin finanziert. Forster musste in Stellung gehen, den Professor machen im trost- und geistlosen Vilnius. In Göttingen bekam er gleich eine Professorentochter zur Frau, aber glücklich wurde er nicht mit ihr. Endlich Mainz, die Bibliothek, doch das Geld reichte vorn und hinten nicht. Sie mussten Logiergäste nehmen, und just ihm musste es passieren, die Frau verliebt sich fremd. Die alte Geschichte. In Paris machten sie inzwischen Revolution. Forster will wieder hinaus, fort, bloß fort.
„Wer doch auch nach Italien, oder nach England, oder nach Spanien, oder noch weiter hin, wo nur irgend Neues zu sehen ist, reisen könnte!“ Der eingesperrte Bibliothekar und dito Ehemann sehnt sich nach der „Gegenwart der Dinge“, will ihr „unmittelbares Einwirken“ am eigenen Leib erleben. „Denn am Ende, mehr hat man doch nicht, als was einem durch diese zwei kleinen Oeffnungen der Pupille fällt und die Schwingungen des Gehirns erregt!“
Reisefreiheit, das böte auch die Möglichkeit, wieder ein Buch zu schreiben, Geld zu verdienen. Er braucht es, und er schreibt selbstverständlich für Geld. Nicht in die Exotik geht es diesmal, sondern vor die Haustür, an den Rhein. Der junge Alexander von Humboldt begleitet ihn, später schließt sich der Schiller-Schauspieler August Wilhelm Iffland an, Jugendfreund von Karl Philipp Moritz, noch ein großer Reisender.
Bescheiden genug beginnt die Reise. Der Rheingau interessiert Forster kaum, der „Weinbau giebt wegen der krüppelhaften Figur der Reben einer jeden Landschaft etwas Kleinliches“, und der Nationalstolz der Deutschen muss es leiden, dass der Forscher sich für die Bootsfahrt durchs heutige Unesco-Welterbe Oberes Mittelrheintal eine Reisebeschreibung über das exotische Borneo vorgenommen und „meine Phantasie an jenen glühenden Farben und jenem gewaltigen Pflanzenwuchs des heißen Erdstrichs ( … ) gewärmt und gelabt“ hat.
Doch die Fremde macht ihn nicht blind und taub für das Nächstliegende. In der Festung Ehrenbreitstein, gegenüber der Moseleinmündung, hört er, wie die Gefangenen mit den Ketten rasseln, und sieht, wie sie den Löffel durch die Gitter strecken, weil sie auf Almosen hoffen. Wäre es nicht gerecht, notiert sich Forster in kühlem Zorn, es müsste jeder, der andere zu Gefängnis verurteile, „wenigstens Einen Tag im Jahre mit eigenen Ohren ihr Gewinsel, ihre himmelstürmende Klage vernehmen“?
Nach dem vornehmsten Hobby der Zeit – Goethe, kurz erst aus Italien zurück, weiß sich nichts Schöneres – werden auch am Rheinufer Steine geklopft, gewogen, geteilt, wird um die wahrhaftige Erdgeschichtsschreibung gerungen zwischen Plutonisten und Neptunisten. In Köln faszinieren ihn die steinernen Säulen, „Bäume eines uralten Forstes: nur am höchsten Gipfel sind sie in eine Krone von Ästen gespalten, die sich mit ihren Nachbaren in spitzen Bogen wölbt, und dem Auge, das ihnen folgen will, fast unerreichbar ist“. Forster meint den gotischen Dom aus dem Mittelalter, 1790 aber, vor zweieinviertel Jahrhunderten, noch längst nicht vollendet, eine Bauruine bestenfalls, oder ein Monument der Größe und des Größenwahns. Als Naturwissenschaftler schüttelt es den Besucher bei dem Kult, der mit den Hl. Drei Königen getrieben wird, überhaupt den Reliquien, die hier vorgehalten werden, erst recht, dass Protestanten dafür in ihrer Religionsausübung nicht toleriert werden.
Weil er endlich unterwegs ist, muss das Auge trinken, alles, alles. Nicht nur Steine interessieren ihn, sondern auch Galerien, Bäume und der Kohleverbrauch. Shakespeares Tragödien beschäftigen ihn ebenso wie Raffaels „Schule von Athen“, den Wacholderbranntwein nimmt er genauso wahr wie die Gemälde von Guido Reni oder die dicken Modelle des Peter Paul Rubens. Die Natur, seine geliebte Natur feiert er dafür, dass sie mitten in der Nacht, in der elendesten Wüste für eine kurze Stunde eine seltene Blume blühen und mit Sonnenaufgang schon wieder verwelken lässt, wenn nicht einer sie findet und sich an der „flüchtigen Erscheinung“ freut. Der fromme Jacobi mag das anders sehen, die Natur ist am Ende doch für den Menschen da, für „das seltenste Wesen in der Schöpfung“.
Der weit gereiste Natur- und Menschenkundler hat sich nie damit begnügen mögen, fleisch- oder kohlenstoffdioxidfressende Blumen abzumalen. Mit wachen Augen, mit allen Ohren, nimmt er auf, was er erlebt. Merkt deshalb, wie es gärt nicht nur in Frankreich, sondern in ganz Europa. Im fernen Paris soll der König die Erklärung der Menschenrechte unterschreiben, und in Lüttich erlebt Forster fleißige Zeitungsleser, „und selbst der gemeine Mann politisirte bei seiner Flasche Bier von den Rechten der Menschheit“.
Die Holländer sind ihm schon fast am weitesten, etwas umständlich lobt er ihre „gutgeartete und durch Erziehung zu einer auf Grundsatz ruhenden Tugend gebildete Nation“, kurz, ein „erfreuliches, versöhnendes Exemplar der Menschheit“ (er bleibt doch Naturforscher). Frohgemut schreibt er ins Tagebuch, aus dem ein politisches Europabuch wird: „Gegen die Löwenkräfte des freien Menschen, der seine Freiheit über alles liebt, sind die Höllenkünste der Tyrannei unwirksam.“
Diese grandiose Reportage, oft noch gerötet vom frischen Erleben, ist deshalb nicht das übliche coffee and tea table book mit ganz viel Faunaflora in Kunstdruck. Hier sucht sich einer selber und gewinnt die Welt, aber anders als auf der Resolution, Cooks Schiff, nicht irgendwo in Afrika oder Cathay, nicht in Polynesien oder sonst einem fernen Archipel, der ihn entzückt hätte, sondern es ist der Niederrhein, es ist Brabant, es sind die österreichischen Niederlande, ist das Meer bei Dünkirchen, ist die Gesellschaft von Iffland und Alexander von Humboldt.
Bald nach seiner Rückkehr – Forster hat den Urlaub verständlicherweise überzogen – machen es die Mainzer den Franzosen nach, werden Republik und für kurze Zeit frei. Goethe, der seinen Fürsten begleitet, um den revolutionären Franzosen mächtig monarchistisch eins auf die Jakobinermütze zu geben, Goethe, der den Aufruhr fürchtete wie die Pest und die Revolution scheute wie kein Teufel das Weihwasser, lässt wenigstens diesen Revolutionär gelten, als Forscher. Als die Mainzer Republik fällt, mit Goethe als Kriegsberichterstatter zur Stelle, ist Forster längst als Abgeordneter in Paris. Er kann nicht aufhören, notiert er in Antwerpen, „im Empörer den Geist der beleidigten Menschheit zu ehren“. Beim ersten Jahrestag der Revolution kam ihm die Euphorie der Pariser „herzerhebend“ vor. Er selber wird den revolutionären Elan nicht lang überleben. Forster stirbt 1794 im Alter von 39 Jahren.
1790 ist am Rhein und weiter zur Nordsee hin die Revolutionsfurcht allgemein, aber Forster fürchtet sie nicht, wenn er schreibt: „Welcher Staat kann public spirit von seinen Bürgern erwarten, wenn er sie mißhandelt? Es ist gleichviel, ob ein Despot oder eine Horde von Bettlern die Freiheit des arbeitsamen, tugendhaften Bürgers vernichtet; diese Ungerechtigkeit muß der Staat allemal büßen.“
Denn am Ende, was hat man schon außer den Augen, um alles selber zu sehen? Ersatzweise gibt es dieses selten schöne, rare Buch, eine kleine Welteroberung auf knapp fünfhundert Folio-Seiten für jeden Lehnstuhlreisenden.
Georg Forster: Ansichten vom Niederrhein, von Brabant, Flandern, Holland, England und Frankreich im April, Mai und Juni 1790. Die Andere Bibliothek, Berlin 2016. 480 Folio-Seiten, 79 Euro.
Hellwach, mit offenen Augen
und Ohren nimmt Forster auf,
was in den Ländern vorgeht
Nicht in exotische Welten ging es diesmal für Forster, der mit James Cook die Welt umsegelt hatte, sondern vor die Haustür, an den Rhein. Hier eine zeitgenössische Ansicht der Stadt Koblenz.
Foto: bpk / adoc-photos
Georg Forster, um 1785.
Foto: akg-images
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Im Jahr 1790 besucht der Forschungsreisende Georg Forster die deutschen Nachbarländer, in denen die Revolution gärt.
Sein grandioser Reisebericht ist das Europabuch eines genauen Beobachters der politischen Verhältnisse
VON WILLI WINKLER
Die beste, „weit die beste Hälfte des Lebens ist dahin, und mir wie unnütz verflossen“, klagt er seinem Freund Jacobi im Herbst 1789. Der fünfunddreißigste Geburtstag droht, grausames Bilanzieren, die Midlife-Crisis ist noch gar nicht erfunden. Aber das elende Stubenhocken beschwert ihn, die Armseligkeit seiner Verhältnisse. Der Bibliothekar stöhnt über seine Arbeit („Den ganzen Winter muß ich compilieren und übersetzen!“), hat er sich womöglich schon ausgeschrieben? „Mein Kopf ist leer, ich weiß der Welt nichts Eigenes mehr zu sagen.“
Dabei ist der Forschungsreisende Georg Forster weltberühmt. Ein halbes Leben zuvor, mit siebzehn, durfte er zusammen mit seinem Vater den britischen Captain James Cook auf seiner Weltumseglung begleiten, als Zeichner, als Logbuchführer, als Augen- und Ohrenzeuge. Das Buch, das Vater und Sohn darüber schrieben, „Die Reise um die Welt“, wurde ein Bestseller und ist ein Klassiker bis heute.
Akademien in ganz Europa buhlten um Forster als Mitglied. War er überhaupt ein richtiger Deutscher? Schottische Vorfahren, aufgewachsen in St. Petersburg, wo er so gut Russisch lernte, dass er Michail Lomonossows „Kurze Geschichte Russlands“ ins Englische übersetzen konnte, erst dreizehn Jahre alt, aber ein europäisches Wunderkind sein Leben lang. Dennoch zerschlugen sich die Pläne für eine weitere Expedition, diesmal von der Zarin finanziert. Forster musste in Stellung gehen, den Professor machen im trost- und geistlosen Vilnius. In Göttingen bekam er gleich eine Professorentochter zur Frau, aber glücklich wurde er nicht mit ihr. Endlich Mainz, die Bibliothek, doch das Geld reichte vorn und hinten nicht. Sie mussten Logiergäste nehmen, und just ihm musste es passieren, die Frau verliebt sich fremd. Die alte Geschichte. In Paris machten sie inzwischen Revolution. Forster will wieder hinaus, fort, bloß fort.
„Wer doch auch nach Italien, oder nach England, oder nach Spanien, oder noch weiter hin, wo nur irgend Neues zu sehen ist, reisen könnte!“ Der eingesperrte Bibliothekar und dito Ehemann sehnt sich nach der „Gegenwart der Dinge“, will ihr „unmittelbares Einwirken“ am eigenen Leib erleben. „Denn am Ende, mehr hat man doch nicht, als was einem durch diese zwei kleinen Oeffnungen der Pupille fällt und die Schwingungen des Gehirns erregt!“
Reisefreiheit, das böte auch die Möglichkeit, wieder ein Buch zu schreiben, Geld zu verdienen. Er braucht es, und er schreibt selbstverständlich für Geld. Nicht in die Exotik geht es diesmal, sondern vor die Haustür, an den Rhein. Der junge Alexander von Humboldt begleitet ihn, später schließt sich der Schiller-Schauspieler August Wilhelm Iffland an, Jugendfreund von Karl Philipp Moritz, noch ein großer Reisender.
Bescheiden genug beginnt die Reise. Der Rheingau interessiert Forster kaum, der „Weinbau giebt wegen der krüppelhaften Figur der Reben einer jeden Landschaft etwas Kleinliches“, und der Nationalstolz der Deutschen muss es leiden, dass der Forscher sich für die Bootsfahrt durchs heutige Unesco-Welterbe Oberes Mittelrheintal eine Reisebeschreibung über das exotische Borneo vorgenommen und „meine Phantasie an jenen glühenden Farben und jenem gewaltigen Pflanzenwuchs des heißen Erdstrichs ( … ) gewärmt und gelabt“ hat.
Doch die Fremde macht ihn nicht blind und taub für das Nächstliegende. In der Festung Ehrenbreitstein, gegenüber der Moseleinmündung, hört er, wie die Gefangenen mit den Ketten rasseln, und sieht, wie sie den Löffel durch die Gitter strecken, weil sie auf Almosen hoffen. Wäre es nicht gerecht, notiert sich Forster in kühlem Zorn, es müsste jeder, der andere zu Gefängnis verurteile, „wenigstens Einen Tag im Jahre mit eigenen Ohren ihr Gewinsel, ihre himmelstürmende Klage vernehmen“?
Nach dem vornehmsten Hobby der Zeit – Goethe, kurz erst aus Italien zurück, weiß sich nichts Schöneres – werden auch am Rheinufer Steine geklopft, gewogen, geteilt, wird um die wahrhaftige Erdgeschichtsschreibung gerungen zwischen Plutonisten und Neptunisten. In Köln faszinieren ihn die steinernen Säulen, „Bäume eines uralten Forstes: nur am höchsten Gipfel sind sie in eine Krone von Ästen gespalten, die sich mit ihren Nachbaren in spitzen Bogen wölbt, und dem Auge, das ihnen folgen will, fast unerreichbar ist“. Forster meint den gotischen Dom aus dem Mittelalter, 1790 aber, vor zweieinviertel Jahrhunderten, noch längst nicht vollendet, eine Bauruine bestenfalls, oder ein Monument der Größe und des Größenwahns. Als Naturwissenschaftler schüttelt es den Besucher bei dem Kult, der mit den Hl. Drei Königen getrieben wird, überhaupt den Reliquien, die hier vorgehalten werden, erst recht, dass Protestanten dafür in ihrer Religionsausübung nicht toleriert werden.
Weil er endlich unterwegs ist, muss das Auge trinken, alles, alles. Nicht nur Steine interessieren ihn, sondern auch Galerien, Bäume und der Kohleverbrauch. Shakespeares Tragödien beschäftigen ihn ebenso wie Raffaels „Schule von Athen“, den Wacholderbranntwein nimmt er genauso wahr wie die Gemälde von Guido Reni oder die dicken Modelle des Peter Paul Rubens. Die Natur, seine geliebte Natur feiert er dafür, dass sie mitten in der Nacht, in der elendesten Wüste für eine kurze Stunde eine seltene Blume blühen und mit Sonnenaufgang schon wieder verwelken lässt, wenn nicht einer sie findet und sich an der „flüchtigen Erscheinung“ freut. Der fromme Jacobi mag das anders sehen, die Natur ist am Ende doch für den Menschen da, für „das seltenste Wesen in der Schöpfung“.
Der weit gereiste Natur- und Menschenkundler hat sich nie damit begnügen mögen, fleisch- oder kohlenstoffdioxidfressende Blumen abzumalen. Mit wachen Augen, mit allen Ohren, nimmt er auf, was er erlebt. Merkt deshalb, wie es gärt nicht nur in Frankreich, sondern in ganz Europa. Im fernen Paris soll der König die Erklärung der Menschenrechte unterschreiben, und in Lüttich erlebt Forster fleißige Zeitungsleser, „und selbst der gemeine Mann politisirte bei seiner Flasche Bier von den Rechten der Menschheit“.
Die Holländer sind ihm schon fast am weitesten, etwas umständlich lobt er ihre „gutgeartete und durch Erziehung zu einer auf Grundsatz ruhenden Tugend gebildete Nation“, kurz, ein „erfreuliches, versöhnendes Exemplar der Menschheit“ (er bleibt doch Naturforscher). Frohgemut schreibt er ins Tagebuch, aus dem ein politisches Europabuch wird: „Gegen die Löwenkräfte des freien Menschen, der seine Freiheit über alles liebt, sind die Höllenkünste der Tyrannei unwirksam.“
Diese grandiose Reportage, oft noch gerötet vom frischen Erleben, ist deshalb nicht das übliche coffee and tea table book mit ganz viel Faunaflora in Kunstdruck. Hier sucht sich einer selber und gewinnt die Welt, aber anders als auf der Resolution, Cooks Schiff, nicht irgendwo in Afrika oder Cathay, nicht in Polynesien oder sonst einem fernen Archipel, der ihn entzückt hätte, sondern es ist der Niederrhein, es ist Brabant, es sind die österreichischen Niederlande, ist das Meer bei Dünkirchen, ist die Gesellschaft von Iffland und Alexander von Humboldt.
Bald nach seiner Rückkehr – Forster hat den Urlaub verständlicherweise überzogen – machen es die Mainzer den Franzosen nach, werden Republik und für kurze Zeit frei. Goethe, der seinen Fürsten begleitet, um den revolutionären Franzosen mächtig monarchistisch eins auf die Jakobinermütze zu geben, Goethe, der den Aufruhr fürchtete wie die Pest und die Revolution scheute wie kein Teufel das Weihwasser, lässt wenigstens diesen Revolutionär gelten, als Forscher. Als die Mainzer Republik fällt, mit Goethe als Kriegsberichterstatter zur Stelle, ist Forster längst als Abgeordneter in Paris. Er kann nicht aufhören, notiert er in Antwerpen, „im Empörer den Geist der beleidigten Menschheit zu ehren“. Beim ersten Jahrestag der Revolution kam ihm die Euphorie der Pariser „herzerhebend“ vor. Er selber wird den revolutionären Elan nicht lang überleben. Forster stirbt 1794 im Alter von 39 Jahren.
1790 ist am Rhein und weiter zur Nordsee hin die Revolutionsfurcht allgemein, aber Forster fürchtet sie nicht, wenn er schreibt: „Welcher Staat kann public spirit von seinen Bürgern erwarten, wenn er sie mißhandelt? Es ist gleichviel, ob ein Despot oder eine Horde von Bettlern die Freiheit des arbeitsamen, tugendhaften Bürgers vernichtet; diese Ungerechtigkeit muß der Staat allemal büßen.“
Denn am Ende, was hat man schon außer den Augen, um alles selber zu sehen? Ersatzweise gibt es dieses selten schöne, rare Buch, eine kleine Welteroberung auf knapp fünfhundert Folio-Seiten für jeden Lehnstuhlreisenden.
Georg Forster: Ansichten vom Niederrhein, von Brabant, Flandern, Holland, England und Frankreich im April, Mai und Juni 1790. Die Andere Bibliothek, Berlin 2016. 480 Folio-Seiten, 79 Euro.
Hellwach, mit offenen Augen
und Ohren nimmt Forster auf,
was in den Ländern vorgeht
Nicht in exotische Welten ging es diesmal für Forster, der mit James Cook die Welt umsegelt hatte, sondern vor die Haustür, an den Rhein. Hier eine zeitgenössische Ansicht der Stadt Koblenz.
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Georg Forster, um 1785.
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