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Darf man noch die Frage stellen: Was ist der Mensch? Der philo-sophische Mainstream postuliert jedenfalls seit geraumer Zeit den "Tod des Menschen". Demgegenüber geht es in die-sem Buch ausdrücklich um eine philosophische Anthropologie, die an der universalen Frage nach dem Menschen noch fest-hält. Im Zentrum steht das Phä-nomen des leiblichen Ausdrucks. Gefühle wie Freude, Trauer, Scham, Zorn, oder Über-raschung sind über alle kulturelle Grenzen hinweg verständlich und erschließen uns die Dimensi-on des Moralischen. Ausführlich werden die philosophischen Konzepte von Wilhelm Dilthey, Helmuth…mehr

Produktbeschreibung
Darf man noch die Frage stellen: Was ist der Mensch? Der philo-sophische Mainstream postuliert jedenfalls seit geraumer Zeit den "Tod des Menschen". Demgegenüber geht es in die-sem Buch ausdrücklich um eine philosophische Anthropologie, die an der universalen Frage nach dem Menschen noch fest-hält. Im Zentrum steht das Phä-nomen des leiblichen Ausdrucks. Gefühle wie Freude, Trauer, Scham, Zorn, oder Über-raschung sind über alle kulturelle Grenzen hinweg verständlich und erschließen uns die Dimensi-on des Moralischen. Ausführlich werden die philosophischen Konzepte von Wilhelm Dilthey, Helmuth Plessner, Ernst Cassirer und Max Scheler untersucht und mit neuen wissenschaftlichen Ergebnissen konfrontiert.
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.08.2006

Menschsein heißt Gesicht zeigen

Philosophische Anthropologie und die von ihr gestellte Frage, was den Menschen ausmacht, stehen nicht gerade hoch im Kurs. Ein oft geäußerter Vorbehalt lautet, daß "der" Mensch eine Fiktion sei, die Fixierung eines allgemeinen Wesens, wo tatsächlich nur verschiedene kulturelle Ausprägungen des Menschseins zu beschreiben seien. Denn auch wenn die Einheit des Menschengeschlechts außer Frage stehe: Auf die kulturellen Differenzen käme es an, während eine von ihnen unabhängige Bestimmung von grundlegenden und insofern "natürlichen" Wesensmerkmalen ein viel zu flaches Bild geben würde.

Gegen diesen Vorbehalt tritt ein hervorstechendes Buch an. Norbert Meuter bemüht sich in ihm um den Nachweis, daß sich durchaus universale und trotzdem nicht banale Züge des sehr besonderen Tiers Homo sapiens sapiens aufweisen lassen ("Anthropologie des Ausdrucks". Die Expressivität des Menschen zwischen Natur und Kultur. Wilhelm Fink Verlag, München 2006. 446 S., geb., 69,- [Euro]). Es geht um Phänomene des körperlichen Ausdrucks, insbesondere die Gesichtsmimik. Entscheidend ist, daß sich dabei die strikte Abhebung von "kulturell geprägt" gegenüber "natürlich angelegt" nicht sinnvoll aufrechterhalten läßt. Für sie gilt, was sich auch allgemeiner formulieren läßt: daß die natürliche Existenz des Menschen durch und durch kulturell bestimmt ist, während die kulturellen Ausformungen ihrerseits sich nie ganz von den organisch-natürlichen Dispositionen losmachen.

So allgemein formuliert, ist diese Einsicht mittlerweile kaum kontrovers. Doch auf die konkrete Durchführung kommt es an, und bei Meuter wird daraus eine überzeugende und hinreichend tief ansetzende Revision immer wieder virulenter Entgegensetzungen von kultureller Prägung versus natürlicher Ausstattung. Die Ausfaltung von Motiven seiner philosophischen Gewährsleute - Dilthey, Plessner, Cassirer und Scheler - bringt dabei die Vorstellung auf Distanz, daß die kulturellen Leistungen nachträglich zu einer natürlichen Existenz hinzukommen. Ebensowenig wie das Phänomen des Ausdrucks dadurch zustande kommt, daß eine vorher schon artikulierte private Innenwelt nachträglich veröffentlicht wird. Am Phänomen des leiblichen Ausdrucks lassen sich dualistische Entgegensetzungen wie Natur/Kultur und Innen/Außen entschärfen, in ihm sind die natürlich-organische und die geistig-kulturelle Dimension zusammengeschlossen.

Was Meuters Darstellung insbesondere auszeichnet, ist die Weise, wie er seine philosophisch gewonnenen Einsichten mit empirischen Befunden konfrontiert. Die Universalität primärer Expressivität, das heißt basaler Gefühle wie Freude, Angst, Trauer, Überraschung, wird an Befunden der Emotionspsychologie geprüft; hier spielen vor allem Ekmans Untersuchungen zur weitgehenden transkulturellen Eindeutigkeit des gesichtsmimischen Ausdrucks der Basisemotionen eine wichtige Rolle. Eine genetische Erklärung der kulturellen Existenz, die annimmt, daß primäre Expressivität zunächst in ein mimetisches und dann in ein symbolisches Ausdrucksverhalten überführt wird, hält sich an Befunde aus der primatologischen und paläoanthropologischen Forschung. Und schließlich ist es die Entwicklungspsychologie, deren Einsichten erhärten, daß sich ein Konzept des Selbst nur im Wechselspiel mit anderen herausbilden kann, nicht als Ergebnis diskursiver Praktiken, sondern gegründet in leiblicher Expressivität.

Was in solchem Wechselspiel im gelingenden Fall zustande kommt, ist Empathie. Sie ist es, die Meuter als Quelle der Moral einsichtig machen möchte, als nicht hintergehbares Phänomen, in dem sich die Einheit des Menschengeschlechts verkörpert: im möglichen Mitfühlen mit anderen, von deren Gefühlen wir auf vordiskursive Weise "wissen", daß sie den unseren gleichen. Eine solche Fundierung der Moral korrigiert die Vorstellung, daß moralisches Empfinden erst im Diskursiven zu sich selbst komme. Aber braucht man die Berufung auf Expressivität und Empathie als universale Strukturen der menschlichen Existenz, um moralisch-praktische Forderungen durchzusetzen?

Meuter geht auf diese Frage in einer abschließenden Auseinandersetzung mit Richard Rorty ein. Rorty hat universalistische Bestimmungen des Menschen grundsätzlich im Verdacht, die praktische Durchsetzung der Anerkennung möglichst vieler anderer als meinesgleichen eher zu behindern als zu befördern: Der politische Prozeß der schrittweisen Ausweitung der Anerkennung ist voranzutreiben, aber die Unterstellung universaler Gemeinsamkeiten täusche doch nur über die Differenzen hinweg, die faktisch immer an verschiedenen Grenzlinien zwischen uns und "den anderen" gezogen werden.

Rortys Position ist nicht weit entfernt von der ethnographischen Kritik an einer Anthropologie, die universale Züge der menschlichen Existenz aufweisen möchte. Doch Meuter weist zu Recht darauf hin, daß Rortys Abwehr einer universalen diskursiven Vernunft à la Kant oder Habermas nicht auch das tiefer liegende Phänomen einer universalen Expressivität der menschlichen Existenz treffen muß. Schließlich geht es dabei nicht um eine kontrafaktische und theoriegeladene Unterstellung, sondern um ein Phänomen, das sich lebensweltlich ebenso wie wissenschaftlich-empirisch aufweisen läßt. In der systematischen Engführung beider Aspekte liegt der große Vorzug von Meuters Buch. Es zeigt, noch dazu ohne akademische Schwerfälligkeit, wie naturalistische Positionen aussehen können, die reduktionistische Versuchungen gar nicht erst aufkommen lassen.

HELMUT MAYER

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

So macht Wissenschaft Sinn, meint Helmut Mayer nach der Lektüre von Norbert Meuters Buch wider eine allzu reduktionistische Anthropologie. Meuters Vorgehen, mit Gewährsleuten wie Dilthey, Plessner, Cassirer und Scheler eine philosophische Anthropologie zu entfalten und diese dann empirisch zu überprüfen, um zu einem universalen, insbesondere auf von der Emotionspsychologie eruierten expressiven Phänomen gründenden Menschenbild zu gelangen, hält Mayer für gelungen. Meuters Revision der verbreiteten Annahme einer Dualität von Natur und Kultur in Bezug auf den Menschen hat ihn auch durch ihre unakademische Leichtigkeit überzeugt. Des Autors Auseinandersetzung mit Richard Rorty scheint Mayer schließlich auch von der im Buch vertretenen These einer auf menschliche Universalien zurückzuführenden Empathie und einer daraus resultierenden Moral zu überzeugen.

© Perlentaucher Medien GmbH