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Produktbeschreibung
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Autorenporträt
Reimar Müller, Professor für Klassische Philologie, Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften, ist Autor zahlreicher Publikationen zur epikureischen Gesellschaftstheorie und Ethik, zu den griechischen Atomisten, zur antiken Sozial- und Rechtsphilosophie, zu Menschenbild und Humanismus der Antike sowie zur Rezeption der antiken Philosophie vom 18. Jh. bis in die Gegenwart.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.12.1998

Das Nachleben der verstorbenen Klassiker
Auch eine Evolutionsgeschichte: Reimar Müller entwickelt den antiken Stammbaum von Rousseaus anthropologischen Überlegungen

Ein bekanntes Wörterbuch der philosophischen Grundbegriffe bestimmte noch um 1900 Aufklärung als "das Streben des achtzehnten Jahrhunderts, Klarheit des Urteils durch vorurteilsfreies Denken zu verbreiten". Unser Bild von der Aufklärung ist sehr viel differenzierter, freilich auch weniger eindeutig. Von den Historikern wird sie nicht mehr nur als ein Phänomen der Geistes- und Philosophiegeschichte, sondern auch als praktische Reformbewegung gesehen. Die geistes- und philosophiegeschichtliche Aufklärungsforschung hat ältere Verengungen gleichfalls längst aufgegeben. Das Zeitalter der Hume, Voltaire, Lessing erscheint nicht mehr nur als das der Vernunft, vielmehr rückt zunehmend die Anthropologie dieser Epoche als ein großangelegter Versuch in den Blick, den "ganzen Menschen" als natürliches, soziales und kulturelles Wesen zu erforschen.

In die neue Richtung der Aufklärungsforschung als einer historischen Anthropologie ordnet sich Reimar Müller mit seiner Untersuchung der Beziehungen Rousseaus zur Antike ein. Er fragt nach den Einflüssen antiker Autoren auf die Anthropologie Rousseaus und nach Strukturanalogien zum Denken der Antike. Das Ergebnis mag für den Rousseau-Kenner nicht grundsätzlich überraschend sein, aber auch er dürfte eine Fülle neuer Einsichten aus dieser Arbeit gewinnen.

Die Überlieferung ist kompliziert, Rousseaus Lateinkenntnisse waren begrenzt, griechische Texte waren ihm im Original nicht zugänglich. Er las die antiken Schriftsteller zumeist in Übersetzungen. Vieles wurde ihm jedoch auch durch Kompilationen - Müller spricht einmal von "Zitatennestern" - vermittelt. Darüber hinaus wurden ihm Auffassungen antiker Autoren durch Zeitgenossen wie Diderot, Condillac und Buffon zugänglich gemacht. Das erschwert es dem Autor, die Wege der Beeinflussung aufzuspüren, aber dank seiner vortrefflichen Kenntnis der antiken Texte und seines nicht minder eindrucksvollen Überblicks über die Literatur des achtzehnten Jahrhunderts gelingt es ihm, ein überzeugendes Bild von Rousseau als Fortsetzer und Abwandler antiken anthropologischen Denkens zu entwerfen.

Ob Müller sich durch eine petitio principii um noch reichere Ergebnisse gebracht hat, ist schwer zu entscheiden. Er geht von der nicht unproblematischen Annahme aus, daß es eine Kontinuität der Aufklärung von der Antike bis zum achtzehnten Jahrhundert gegeben habe. Die Antike erscheint als Inspirationsquelle, die vieles schon vorgedacht habe. Ein solches Konzept mag Anknüpfungen plausibel machen, für Abweichungen oder gar Ausblendungen hält es kaum Erklärungen bereit. Vermutlich wäre es fruchtbarer, davon auszugehen, daß Traditionen erst hergestellt werden und sich nicht deshalb automatisch herausbilden, weil es einen gemeinsamen Denkhorizont gibt. Die Auseinandersetzung eines Aufklärers mit antiken Texten würde bei einer solchen Betrachtungsweise dynamisiert, ihre produktive Leistung deutlicher sichtbar. Zugleich ließen sich Differenzen zu anderen zeitgenössischen Rezeptionen antiker Literatur besser erklären. Gerade der rhetorische Charakter der Rousseauschen Schrift über die Ungleichheit, den Heinrich Meier herausgestrichen hat, würde eine solche Art der Interpretation nahelegen.

Gleichwohl hat Reimar Müller ein gelehrtes, anregendes Buch vorgelegt. Besonders die Abschnitte über den für Rousseaus anthropologisches Denken überaus wichtigen Lukrez bringen wertvolle Erkenntnisse über die Antikerezeption des Philosophen zutage. ERNST-PETER WIECKENBERG

Reimar Müller: "Anthropologie und Geschichte". Rousseaus frühe Schriften und die antike Tradition. Aufklärung und Europa. Beiträge zum 18. Jahrhundert. Akademie Verlag, Berlin 1997. 294 S., geb., 120,- DM.

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