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Anhand der Biografie von Nicolaas Rost schreibt Markus Wegewitz eine Erfahrungsgeschichte des Antifaschismus im Europa des 20. Jahrhunderts.Wie kann Antifaschismus als Lebensentwurf und politische Position in der Geschichte des 20. Jahrhunderts verstanden werden? Markus Wegewitz bietet einen bewegungsgeschichtlichen Längsschnitt von der Entstehung der ersten antifaschistischen Organisationen nach dem Ende des Ersten Weltkrieges bis in die 1960er-Jahre. Anhand der Biografie des niederländischen Journalisten, Übersetzers und Kommunisten Nicolaas (Nico) Rost nutzt der Autor einen…mehr

Produktbeschreibung
Anhand der Biografie von Nicolaas Rost schreibt Markus Wegewitz eine Erfahrungsgeschichte des Antifaschismus im Europa des 20. Jahrhunderts.Wie kann Antifaschismus als Lebensentwurf und politische Position in der Geschichte des 20. Jahrhunderts verstanden werden? Markus Wegewitz bietet einen bewegungsgeschichtlichen Längsschnitt von der Entstehung der ersten antifaschistischen Organisationen nach dem Ende des Ersten Weltkrieges bis in die 1960er-Jahre. Anhand der Biografie des niederländischen Journalisten, Übersetzers und Kommunisten Nicolaas (Nico) Rost nutzt der Autor einen erfahrungsgeschichtlichen Zugang zu antifaschistischen Organisationsformen, Ideenwelten und politischer Kultur.Auf der Suche nach einem Instrument zur Mobilisierung gegen Faschismus und Nationalsozialismus versuchten Antifaschist:innen wie Rost, bürgerliche Kulturtraditionen im Sinne eines sozialistischen Humanismus zu interpretieren. Im Mittelpunkt der Studie stehen neben dieser Politisierung der Kultur auch die Prägung des Antifaschismus durch den (trans)-nationalen Kommunismus und der Umgang mit den nationalsozialistischen Verbrechen. Antifaschist:innen entwickelten nach 1945 aufgrund dieser Erfahrungen Maßstäbe historischer Gerechtigkeit, die sie gegen den Widerstand insbesondere der deutschen Nachkriegsgesellschaften durchzusetzen versuchten.
Autorenporträt
Markus Wegewitz, geb. 1990, ist Historiker und promovierte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena über die Geschichte des Antifaschismus. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Markus Wegewitz' historiografische Arbeit dreht sich zwar um das Leben des Dachau-Häftlings Nico Rost, schreibt Rezensentin Barbara Diestel; der Autor ziele jedoch auf Größeres. Nämlich darauf, anhand der Lebensgeschichte Rosts die Bedingungen und Probleme des antifaschistischen Kampfes in Europa darzulegen. Rost war, zeichnet Diestel entlang der Struktur des Buches nach, in der Weimarer Republik journalistisch tätig und ging nach Hitlers Machtübernahme in den Widerstand sowie sowie ins belgische und holländische Exil. 1943 wurde er, führt die Rezensentin weiter aus, von den Nationalsozialisten verhaftet, während seiner Inhaftierung entstand sein in der Nachkriegszeit Furore machender Bericht "Goethe in Dachau". Auch die Nachkriegszeit blieb laut Diestel von politischen Kämpfen geprägt: In der sowjetischen Einflusssphäre war Rost nicht lange gut gelitten, in Westdeutschland machte er sich um die Erinnerungspolitik und insbesondere die Gründung der Gedenkstätte Dachau verdient. Insgesamt ein wichtiges Buch, meint die Rezensentin: Gerade auch mit Blick auf den Aufstieg der extremen Rechten in der Gegenwart sei es nötig, die Geschichte des Antifaschismus jenseits vereinfachender Heldenerzählungen in den Blick zu nehmen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.07.2023

Mit Goethe
gegen
den Faschismus
Der holländische Kommunist und Autor Nico Rost
kämpfte nach 1945 gegen den braunen Ungeist.
Markus Wegewitz holt ihn aus der Vergessenheit
VON BARBARA DISTEL
Der holländische Schriftsteller und Journalist Nicolaas (Nico) Rost, der von Mai 1944 bis zur Befreiung am 29. April 1945 Häftling im Konzentrationslager Dachau war, spielte eine bedeutsame Rolle im Nachkriegs-Narrativ der internationalen Häftlingsgemeinschaft. Sein bereits im Jahr 1946 im Ostberliner Verlag „Volk und Welt“ erschienener Bericht „Goethe in Dachau“, der auf geheimen, im KZ Dachau verfassten Tagebuchaufzeichnungen basierte, war einer der ersten Zeugnisse über die internationale Häftlingsgesellschaft im letzten Kriegsjahr. Gleichwohl geriet Rost nach seinem Tod 1967 in Vergessenheit.
In der nun erschienenen, umfangreichen Studie des Historikers Markus Wegewitz steht Nico Rost im Mittelpunkt. Allerdings reicht sie weit über Rosts Lebensabschnitt als Gefangener des Konzentrationslagers Dachau und frühen Kämpfer für die Bewahrung der Erinnerung hinaus. Am Beispiel von Rosts (1896 bis 1967) Biografie bereitet der Autor die Geschichte des Antifaschismus auf. In sechs chronologisch geordneten Kapiteln werden 100 Jahre Antifaschismus als Teil der politischen Kultur in Europa (und in den Ländern des Exils) dargestellt. Nico Rosts Biografie dient dabei durchgehend als Beispiel für lebenslanges Bemühen, den stets sich verändernden Bedingungen für antifaschistisches Handeln gerecht zu werden. Und auch wenn nach Beurteilung des Autors aus heutiger Sicht die Geschichte des Antifaschismus als eine „Reihe des produktiven Scheiterns“ einzuordnen sei, so dürfe man Scheitern nicht mit Wirkungslosigkeit gleichsetzen.
Im ersten Abschnitt der Studie wird Entstehung und Politisierung des Antifaschismus in der Weimarer Republik in den Zwanzigerjahren bis zum Beginn der NS-Herrschaft dargestellt. Nico Rost lebte und arbeitete seit 1922 als Reporter in Berlin, Mittelpunkt des kulturellen und politischen Lebens der Jahre bis 1933. Zum Zeitpunkt von Hitlers Machtübernahme war er zu einem politischen Aktivisten geworden, dessen Weg in den Widerstand vorgezeichnet war. Nach einer kurzen Inhaftierung im Konzentrationslager Oranienburg konnte er das Land verlassen.
Es folgt die Geschichte der antifaschistischen Kulturarbeit im Exil während der Jahre 1933 bis 1943, für Nico Rost Jahre intensiver Aktivität. Nach kurzer Zeit ging er von Holland nach Belgien, wo er für eine sozialdemokratische Zeitung arbeitete. Darüber hinaus übersetzte er deutsche Literatur für belgische und holländische Verlage. Nach dem Überfall der Wehrmacht im Mai 1940 auf die Länder Westeuropas versuchte Nico Rost vergeblich nach England zu fliehen. Er kehrte nach Brüssel zurück. Dort war er bis zu seiner Verhaftung am 10. Mai 1943 für die Widerstandsbewegung tätig und arbeitete gleichzeitig als Übersetzer deutscher Literatur. Am 26. Mai 1944 wurde er in das Konzentrationslager Dachau eingeliefert, wo er bald mit geheimen Aufzeichnungen begann.
Sodann werden die Perspektiven antifaschistischen Handelns unter den Bedingungen der Zwangsgemeinschaft in den Konzentrationslagern beleuchtet. Nico Rost verbrachte dort die schlimmsten Monate während des zwölfjährigen Bestehens des Lagers, in denen die Sterblichkeitsrate ein zuvor nicht vorstellbares Ausmaß erreichte. Er selbst hatte Glück, denn er konnte bis zur Befreiung als Hilfsschreiber im Revier unterkommen. Damit befand er sich im Vergleich zur überwiegenden Mehrheit der Häftlinge in privilegierter Stellung, die ihm auch seine geheimen Aufzeichnungen ermöglichte. Sie enden am 30. April 1945 am Morgen nach Ankunft der Befreier.
Die Jahre, die auf die Befreiung der Lager und die Hoffnung der Überlebenden auf eine gerechtere Welt folgten, wurden zur Enttäuschung. Auf Einladung des „Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ siedelte Nico Rost zusammen mit seiner Frau 1949 in die Sowjetisch Besetzte Zone (SBZ) um. Doch mit der Verhärtung der Fronten des Kalten Krieges wendete sich die öffentliche Stimmung gegen den „Kosmopoliten“ Nico Rost, und schließlich wurden er und seine Frau 1951 des Landes verwiesen.
Mit dem Beginn der Bemühungen des 1955 neu gegründeten Comité International de Dachau für die Schaffung einer Gedenkstätte auf dem Gelände des ehemaligen Häftlingslagers in Dachau, wurde Nico Rost zu einem der wichtigsten Protagonisten. Im Laufe von zehn Jahren gelang es den Überlebenden, die bayerische Regierung davon zu überzeugen, die Flüchtlingsunterkünfte in den ehemaligen Lagerbaracken aufzulösen, das Gelände als Gedenkstätte zu gestalten, und das ehemalige Wirtschaftsgebäude des Lagers zu erwerben um dort eine Dauerausstellung zur Geschichte des KZ Dachau zu finanzieren.
Nico Rost starb 1967 nach einem Leben des unermüdlichen Engagements für die Schaffung einer gerechteren Welt. Er hat trotz vieler Enttäuschungen niemals aufgehört, für seine Überzeugungen zu kämpfen, und hat auf dem Gebiet der Aufarbeitung der NS-Verbrechen Pionierarbeit geleistet. Nach Einschätzung des Autors ist Nico Rosts Werk inzwischen zwar „in seiner Gesamtheit vergessen“ (obwohl der Literaturkritiker Wilfried F. Schoeller 1999 eine Neuausgabe von „Goethe in Dachau“ sowie weitere Schriften Nico Rosts publizierte). Trotzdem ist es angesichts der heutigen politischen Erfolge der extremen Rechten in Deutschland notwendiger denn je, sich mit den Zielen und Hoffnungen der antifaschistischen Bewegung erneut auseinanderzusetzen.
Markus Wegewitz’ Studie erweitert und ergänzt unser Wissen über den Weg, der nach dem Ende des Ersten Weltkrieges begann und der in die nationalsozialistischen Konzentrationslager führte. Darüber hinaus beleuchtet sie die Bemühungen der Überlebenden zwischen dem Zusammenbruch des KZ-Systems im Frühjahr 1945 bis in die Mitte der 1960er-Jahre, die Erinnerung an die Verbrechen und ihre Opfer zu bewahren und vor allem mithilfe von Aufklärung der nachfolgenden Generation eine Wiederholung der Barbarei zu verhindern. Ohne die Protagonisten des „Kultivierten Antifaschismus“ zu denunzieren, benennt Wegewitz Mythen und Heldenerzählungen und weckt Empathie und Verständnis für ihre Kämpfe. Angesichts einer sich rasant verändernden Welt erscheint es heute notwendiger denn je, sich dieser Kämpfe zu erinnern.
Barbara Distel leitete die KZ-Gedenkstätte Dachau von 1975 bis 2008.
Für den Gedenkstättenbau
in Dachau kämpften ehemalige
Häftlinge zehn Jahre lang
Markus Wegewitz:
Antifaschistische Kultur.
Nico Rost und der lange Kampf gegen den
Nationalsozialismus 1919-1965.
Wallstein-Verlag,
Göttingen 2023.
471 Seiten, 42 Euro.
E-Book: 41,99 Euro.
Nach der Lagerhaft erholt sich Nico Rost im belgischen Dorf Amonines von den körperlichen Strapazen und der seelischen Folter (oben). Die Ausarbeitung seiner Tagebuchaufzeichnungen, die 1946 erschienen, wird ihm zu einer Art Therapie. Eine Ausstellung in Dachau im Jahr 2009 (unten) würdigte das Werk des Kosmopoliten.
Repros: Niels P. Jørgensen
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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»Ohne die Protagonisten des 'kultivierten Antifaschismus' zu denunzieren, benennt Wegewitz Mythen und Heldenerzählungen und weckt Empathie und Verständnis für Ihre Kämpfe.« (Barbara Distel, Süddeutsche Zeitung, 24.07.2023) »eine verdienstvolle Studie, die dem Vermächtnis der Überlebenden verbunden ist « (Ulrich Schneider, antifa, Juli/August 2023) »Es gelingt dem Verfasser, die vielschichtigen Auseinandersetzungen um die Deutung des angeblich geschlossenen 'antifaschistischen Lagers' akribisch aufzuarbeiten« (Peter Steinbach, Das Historisch-Politische Buch Jg. 71 (2023) Nr. 1-2) »Die Studie ist eine wichtige Erinnerung an die antifaschistischen Überlebenden und ihr unermüdliches Ringen in der Nachkriegszeit.« (Sandra Binnert, Arbeitsstelle Holocaustliteratur, 27.02.2024)