Erinnern alleine reicht nicht ...
Auch so könnte man die Auseinandersetzung in diesem Buch überschreiben.
Dieses Buch beginnt damit, systematisch Gemeinsamkeiten, als auch Spezifika von Antisemitismus und Islamophobie herauszuarbeiten.
Neben den historisch ausgerichteten Diskursanalysen beschäftigen sich die Autoren mit vielen aktuellen Diskussionen vor allem in Deutschland.
Sie tragen eine Fülle von Material zu den Themen Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Rassismus, Gruppendynamik, diskriminierende Diskurse und Feindbilder zusammen.
Auch so könnte man die Auseinandersetzung in diesem Buch überschreiben.
Dieses Buch beginnt damit, systematisch Gemeinsamkeiten, als auch Spezifika von Antisemitismus und Islamophobie herauszuarbeiten.
Neben den historisch ausgerichteten Diskursanalysen beschäftigen sich die Autoren mit vielen aktuellen Diskussionen vor allem in Deutschland.
Sie tragen eine Fülle von Material zu den Themen Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Rassismus, Gruppendynamik, diskriminierende Diskurse und Feindbilder zusammen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.03.2010Zur Mobilisierung des Ekels
Die gewaltige Resonanz der Islamkritik hat die Kritik der Kritik auf den Plan gerufen: Polemisch analysieren Sozialwissenschaftler eine von Panikattacken geschüttelte Öffentlichkeit.
Als Bundesfamilienministerin Kristina Schröder noch Köhler hieß und noch nicht Ministerin war, nahm sie an der Fernsehsendung "Hart, aber fair" aus Anlass des Sarrazin-Eklats teil - ausgewiesen als Fachpolitikerin ihrer Bundestagsfraktion für "Islam, Integration und Extremismus". Frank Plasberg fragte sie nach der Wirkung dieses Kompetenzprofils auf Besucher ihrer Internetseite. "Geht das in Ihrer Partei nur in diesem Dreiklang?" Die Antwort der Politikerin und Politologin: "Das sind einfach drei Politikfelder, für die ich verantwortlich bin." Ein Zusammenhang, gab sie zu verstehen, werde durch die Aufzählung nicht suggeriert. Das war eine offenkundige Unwahrheit; nicht notwendig eine Lüge, man braucht die Ehrlichkeit der Antwort nicht in Zweifel zu ziehen, aber ein Bestreiten des Offensichtlichen.
Islam, Integration und Extremismus bilden seit Jahren ein festgefügtes Begriffsensemble; Integration wird hauptsächlich von Muslimen gefordert, und als größtes Hindernis gilt die angebliche Affinität ihrer Religion zum Extremismus. Das Engagement der Fachpolitikerin Köhler, das in der für ihren Beruf charakteristischen Weise hauptsächlich in öffentlichen Verlautbarungen bestand, setzte diesen Zusammenhang voraus und klopfte ihn fest. Der Wortwechsel mit Plasberg ist ein Indiz für den Stand der öffentlichen Rede über den Islam, für jene Formatierung des Themas, die durch die Themensetzung des Fernsehens und die Schlagzeilen der Presse vorgenommen wird, aber sich auch in der Spezialisierung einer ehrgeizigen Bundestagshinterbänklerin spiegelt. Dass der Islam als Problem der verfassungspolizeilichen Beobachtung und Prävention behandelt wird, kann auf Zustimmung rechnen, entspricht einer in weiten Kreisen der Bevölkerung verbreiteten und in vielfältigen Foren ausgesprochenen Einschätzung der Lage. Aber die Politiker, die diese Perspektive zu ihrer Sache machen, wollen doch nicht gesagt haben, der Islam sei seiner Natur nach extrem und die Integration von Muslimen von vornherein vergeblich. Diese Konsequenz darf nicht ziehen, wer ein Amt anstrebt, obwohl die Autoren, die als seriöse Autoritäten der Islamkritik gelten, dafür Argumente bereitstellen: die Behauptung etwa, das Wesen des Islams sei die Identität von Religion und Politik.
Die Karriere der Wiesbadener Jungpolitikerin auf dem Ticket der Islamexpertin ist ein Beispiel für die Resonanz der Islamkritik, die ihre eigene Kritik auf den Plan gerufen hat. Zu dieser analytisch-polemischen Literatur gehören ein voluminöser Sammelband aus dem Centrum für Religiöse Studien der Universität Münster, ein Taschenbuch des Journalisten Kay Sokolowsky sowie eine Betrachtung der Medienwirkungsforscherin Sabine Schiffer und eines Koautors über die Frage, ob es eine Islamfeindschaft gebe, über die sich etwas im historischen Vergleich mit dem Antisemitismus lernen lasse. Als das Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin 2008 zu dieser Frage eine Tagung abhielt, sah sich dessen Leiter Wolfgang Benz heftigen Attacken ausgesetzt, an denen sich Kristina Köhler beteiligte. Im Anhang des Buches von Sokolowsky nimmt Benz Stellung.
Dass Material für einen Vergleich vorhanden ist, der natürlich auch die Unterschiede herauszuarbeiten hat, kann nur leugnen, wem die Frage politisch nicht passt. Wie der Antisemitismus im Namen der zivilisierten Sitten am jüdischen Ritualgesetz Anstoß nahm, so werden heute muslimische Speisevorschriften skandalisiert. Zur Mobilisierung des Ekels werden Schauerlegenden in Umlauf gesetzt. Auch Berufsjournalisten unter den Islamkritikern verbreiteten die Falschmeldung, englische Banken hätten Sparschweine aus dem Verkehr gezogen. Die Umwelt, in der solche Gerüchte heute wuchern und gezüchtet werden, ist das Internet.
Zu Recht beschäftigen sich Kay Sokolowsky und Sabine Schiffer, die zum Thema auch einen Aufsatz zum Münsteraner Band beisteuert, ausführlich mit den Widerwärtigkeiten der islamkritischen Bloggerszene. Seiten wie "Politically Incorrect" stehen für eine Verrohung und Enthemmung der öffentlichen Rede, die ohne Beispiel ist, was jedenfalls die technischen Möglichkeiten der Selbstreproduktion und der Rückkopplung mit stärker von Anstandsregeln reglementierten Foren angeht. Die anonymen Autoren berauschen sich an der Entmenschlichung des Fremden, die die Antisemitismusforschung beschrieben hat. Das Wort "Muslim" wird durch Schimpfwörter ersetzt; mit Schandnamen, die witzig sein sollen, belegt man auch die vermeintlichen Unterstützer der Volksfeinde, die Kollaborateure, Appeaser und Gutmenschen. Die Konsumenten der Greuelgeschichten schwelgen in Phantasien der Gegenwehr. Frage: "Welche Möglichkeiten bestehen, Moscheen in Deutschland moderat ,zurückzubauen'? Wer hat eine zündende Idee?" Antwort: "Man braucht keinen zündenden Funken. Ein paar Eimer Schweineblut gut versprüht tun's auch." So rottet sich Tag für Tag ein virtueller Mob zusammen.
Was hat die respektable Islamkritik der preisgekrönten Bestsellerautoren mit dieser hässlichen Unterseite der Debatte zu schaffen? Sie liefert die verschwörungstheoretischen Stichworte. So gab Necla Kelek in dieser Zeitung (F.A.Z. vom 5. Juni 2007) den Kritikern des Kölner Moscheebaus einen Grund, keinem Versprechen des Bauherrn zu trauen: Im Islam "wird die taqiyya, die Kunst der Verstellung und des Verschweigens der wahren Haltung gegenüber ,Ungläubigen' praktiziert". Dass es sich bei dieser Lizenz zum Lügen nicht um einen Notbehelf für Situationen der Lebensgefahr gemäß einer schiitischen Sonderlehre handele, sondern um ein Prinzip der muslimischen Moral, ist eine feste Überzeugung der Islamfeinde. Ähnliches wurde Jesuiten und Juden nachgesagt.
Wie Birgit Rommelspacher im Münsteraner Sammelband feststellt, dringen durch die Islamkritik "Panikargumentationen" in die politische Debatte ein, die "uns vor allem aus dem Rechtsextremismus bekannt" sind. Als Beispiel führt sie die auch von Sokolowsky eingehend erörterte Aufregung um die Frankfurter Familienrichterin an, die einer Frau aus Tunesien die Ehescheidung unter Verweis auf ein kulturkreisübliches Züchtigungsrecht des Ehemannes verweigerte. Dem "Spiegel" war der Fall Anlass für die Titelgeschichte "Mekka Deutschland - Die stille Islamisierung", die behauptete, das Frankfurter Urteil sei symptomatisch für eine Tendenz der Rechtsprechung. Von einer solchen Tendenz konnte aber keine Rede sein. Die Frankfurter Richterin wurde von dem Fall abgezogen und entschuldigte sich sogar selbst für die Rechtsverweigerung, zu deren Entschuldigung sie auf keinen einzigen Präzedenzfall verweisen konnte. Als das Amtsgericht schon auf Befangenheit der Richterin entschieden hatte, ließ die Bundestagsabgeordnete Kristina Köhler noch eine Pressemitteilung hinausgehen: "Wo soll das enden? Bei der Steinigung für Ehebruch? Diese Entwicklung muss gestoppt werden."
Die meisten Autoren des Münsteraner Bandes sehen das Schlechte der Islamkritik schon in dem Umstand, dass vom Islam im Singular und mit bestimmtem Artikel die Rede ist. In seinem abgewogenen Beitrag "Zum öffentlichen Umgang mit der Angst vor dem Islam" macht sich Heiner Bielefeldt, der frühere Leiter des Deutschen Instituts für Menschenrechte die Forderung der Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen Asma Jahangir zueigen, Anhänger von Religionen "nicht als Teile homogener Einheiten" anzusehen. Unter Verweis auf die "Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz" verlangt Bielefeldt "die Überwindung deterministischer Sichtweisen des Islam - also die Eröffnung einer Perspektive auf die handelnden Subjekte".
Hier geraten politisches Postulat und wissenschaftliche Prämisse durcheinander. Von einem Demokraten ist zu erwarten, dass er der Mitbürgerin nicht ohne Grund unterstellt, sie trage ihr Kopftuch nicht aus freiem Entschluss. Aber warum Frauen typischerweise Kopftücher tragen, das darf die Wissenschaft untersuchen und in die politische Diskussion eingehen. Die sozialwissenschaftliche Feindbildforschung des Münsteraner Bandes wird Historiker nicht überzeugen, weil sie von der Realität von Feindschaft nichts wissen will. Wenn Sabine Schiffer fordert, bei der kausalen Betrachtung der Frauenunterdrückung nur nichtreligiöse Ursachen zu berücksichtigen, dann negiert ein solcher methodologischer Laizismus die Religion als unableitbare soziale Wirkungsmacht.
Dass die Islamkritik vom Islam spricht, ist ihr nicht vorzuwerfen; was sie ihm nachsagt und anhängt, ist zu untersuchen, auf die Triftigkeit der Kritik wie auf mögliche Motive der Kritiker. Für eine Ideologiekritik der Islamkritik geben alle drei Bücher wertvolle Hinweise. Das komplette Reservoir der islamfeindlichen Topoi, von den Minaretten als Zeichen der Landnahme bis zur "taqiyya", findet sich lange vor dem 11. September 2001 im Programm der Splitterpartei "Christliche Mitte". Der Buchautor Hans-Peter Raddatz, als Orientalist eine Ausnahme unter den berufsmäßigen Islamkritikern, prophezeit den Untergang des Abendlandes im Stil von Erzbischof Lefebvre. Andererseits erklärt Ralph Giordano, der im Kampf um die Kölner Moschee die Losung "Der Islam ist das Problem!" ausgab, in seinen Memoiren jede Religion zur Neurose. Und die Diskrepanz zwischen Umfragen, nach denen die große Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime sich integrieren will, und Necla Keleks These, sie verweigerten die Integration, löst sich mit Birgit Rommelspacher in der Einsicht auf, dass Integration für Frau Kelek die Aufgabe der Religion bedeutet.
Ein Bündnis von strenggläubigen Christen und religionskritischen Rationalisten mit Erfolg bei einem bürgerlichen Publikum, das über die weltanschaulichen Antriebe der Protagonisten nicht nachdenkt: Als ein so beschriebenes Phänomen der Ideologiegeschichte lässt sich die Islamkritik tatsächlich mit dem Antisemitismus der Gebildeten im deutschen Kaiserreich vergleichen.
PATRICK BAHNERS
Thorsten Gerald Schneiders: "Islamfeindlichkeit". Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2009. 482 S., br., 39,90 [Euro].
Kay Sokolowsky: "Feindbild Moslem". Rotbuch Verlag, Berlin 2009. 256 S., br., 16,90 [Euro].
Sabine Schiffer, Constantin Wagner: "Antisemitismus und Islamophobie - ein Vergleich". HWK Verlag, Wassertrüdingen 2009. 260 S., br., 24,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die gewaltige Resonanz der Islamkritik hat die Kritik der Kritik auf den Plan gerufen: Polemisch analysieren Sozialwissenschaftler eine von Panikattacken geschüttelte Öffentlichkeit.
Als Bundesfamilienministerin Kristina Schröder noch Köhler hieß und noch nicht Ministerin war, nahm sie an der Fernsehsendung "Hart, aber fair" aus Anlass des Sarrazin-Eklats teil - ausgewiesen als Fachpolitikerin ihrer Bundestagsfraktion für "Islam, Integration und Extremismus". Frank Plasberg fragte sie nach der Wirkung dieses Kompetenzprofils auf Besucher ihrer Internetseite. "Geht das in Ihrer Partei nur in diesem Dreiklang?" Die Antwort der Politikerin und Politologin: "Das sind einfach drei Politikfelder, für die ich verantwortlich bin." Ein Zusammenhang, gab sie zu verstehen, werde durch die Aufzählung nicht suggeriert. Das war eine offenkundige Unwahrheit; nicht notwendig eine Lüge, man braucht die Ehrlichkeit der Antwort nicht in Zweifel zu ziehen, aber ein Bestreiten des Offensichtlichen.
Islam, Integration und Extremismus bilden seit Jahren ein festgefügtes Begriffsensemble; Integration wird hauptsächlich von Muslimen gefordert, und als größtes Hindernis gilt die angebliche Affinität ihrer Religion zum Extremismus. Das Engagement der Fachpolitikerin Köhler, das in der für ihren Beruf charakteristischen Weise hauptsächlich in öffentlichen Verlautbarungen bestand, setzte diesen Zusammenhang voraus und klopfte ihn fest. Der Wortwechsel mit Plasberg ist ein Indiz für den Stand der öffentlichen Rede über den Islam, für jene Formatierung des Themas, die durch die Themensetzung des Fernsehens und die Schlagzeilen der Presse vorgenommen wird, aber sich auch in der Spezialisierung einer ehrgeizigen Bundestagshinterbänklerin spiegelt. Dass der Islam als Problem der verfassungspolizeilichen Beobachtung und Prävention behandelt wird, kann auf Zustimmung rechnen, entspricht einer in weiten Kreisen der Bevölkerung verbreiteten und in vielfältigen Foren ausgesprochenen Einschätzung der Lage. Aber die Politiker, die diese Perspektive zu ihrer Sache machen, wollen doch nicht gesagt haben, der Islam sei seiner Natur nach extrem und die Integration von Muslimen von vornherein vergeblich. Diese Konsequenz darf nicht ziehen, wer ein Amt anstrebt, obwohl die Autoren, die als seriöse Autoritäten der Islamkritik gelten, dafür Argumente bereitstellen: die Behauptung etwa, das Wesen des Islams sei die Identität von Religion und Politik.
Die Karriere der Wiesbadener Jungpolitikerin auf dem Ticket der Islamexpertin ist ein Beispiel für die Resonanz der Islamkritik, die ihre eigene Kritik auf den Plan gerufen hat. Zu dieser analytisch-polemischen Literatur gehören ein voluminöser Sammelband aus dem Centrum für Religiöse Studien der Universität Münster, ein Taschenbuch des Journalisten Kay Sokolowsky sowie eine Betrachtung der Medienwirkungsforscherin Sabine Schiffer und eines Koautors über die Frage, ob es eine Islamfeindschaft gebe, über die sich etwas im historischen Vergleich mit dem Antisemitismus lernen lasse. Als das Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin 2008 zu dieser Frage eine Tagung abhielt, sah sich dessen Leiter Wolfgang Benz heftigen Attacken ausgesetzt, an denen sich Kristina Köhler beteiligte. Im Anhang des Buches von Sokolowsky nimmt Benz Stellung.
Dass Material für einen Vergleich vorhanden ist, der natürlich auch die Unterschiede herauszuarbeiten hat, kann nur leugnen, wem die Frage politisch nicht passt. Wie der Antisemitismus im Namen der zivilisierten Sitten am jüdischen Ritualgesetz Anstoß nahm, so werden heute muslimische Speisevorschriften skandalisiert. Zur Mobilisierung des Ekels werden Schauerlegenden in Umlauf gesetzt. Auch Berufsjournalisten unter den Islamkritikern verbreiteten die Falschmeldung, englische Banken hätten Sparschweine aus dem Verkehr gezogen. Die Umwelt, in der solche Gerüchte heute wuchern und gezüchtet werden, ist das Internet.
Zu Recht beschäftigen sich Kay Sokolowsky und Sabine Schiffer, die zum Thema auch einen Aufsatz zum Münsteraner Band beisteuert, ausführlich mit den Widerwärtigkeiten der islamkritischen Bloggerszene. Seiten wie "Politically Incorrect" stehen für eine Verrohung und Enthemmung der öffentlichen Rede, die ohne Beispiel ist, was jedenfalls die technischen Möglichkeiten der Selbstreproduktion und der Rückkopplung mit stärker von Anstandsregeln reglementierten Foren angeht. Die anonymen Autoren berauschen sich an der Entmenschlichung des Fremden, die die Antisemitismusforschung beschrieben hat. Das Wort "Muslim" wird durch Schimpfwörter ersetzt; mit Schandnamen, die witzig sein sollen, belegt man auch die vermeintlichen Unterstützer der Volksfeinde, die Kollaborateure, Appeaser und Gutmenschen. Die Konsumenten der Greuelgeschichten schwelgen in Phantasien der Gegenwehr. Frage: "Welche Möglichkeiten bestehen, Moscheen in Deutschland moderat ,zurückzubauen'? Wer hat eine zündende Idee?" Antwort: "Man braucht keinen zündenden Funken. Ein paar Eimer Schweineblut gut versprüht tun's auch." So rottet sich Tag für Tag ein virtueller Mob zusammen.
Was hat die respektable Islamkritik der preisgekrönten Bestsellerautoren mit dieser hässlichen Unterseite der Debatte zu schaffen? Sie liefert die verschwörungstheoretischen Stichworte. So gab Necla Kelek in dieser Zeitung (F.A.Z. vom 5. Juni 2007) den Kritikern des Kölner Moscheebaus einen Grund, keinem Versprechen des Bauherrn zu trauen: Im Islam "wird die taqiyya, die Kunst der Verstellung und des Verschweigens der wahren Haltung gegenüber ,Ungläubigen' praktiziert". Dass es sich bei dieser Lizenz zum Lügen nicht um einen Notbehelf für Situationen der Lebensgefahr gemäß einer schiitischen Sonderlehre handele, sondern um ein Prinzip der muslimischen Moral, ist eine feste Überzeugung der Islamfeinde. Ähnliches wurde Jesuiten und Juden nachgesagt.
Wie Birgit Rommelspacher im Münsteraner Sammelband feststellt, dringen durch die Islamkritik "Panikargumentationen" in die politische Debatte ein, die "uns vor allem aus dem Rechtsextremismus bekannt" sind. Als Beispiel führt sie die auch von Sokolowsky eingehend erörterte Aufregung um die Frankfurter Familienrichterin an, die einer Frau aus Tunesien die Ehescheidung unter Verweis auf ein kulturkreisübliches Züchtigungsrecht des Ehemannes verweigerte. Dem "Spiegel" war der Fall Anlass für die Titelgeschichte "Mekka Deutschland - Die stille Islamisierung", die behauptete, das Frankfurter Urteil sei symptomatisch für eine Tendenz der Rechtsprechung. Von einer solchen Tendenz konnte aber keine Rede sein. Die Frankfurter Richterin wurde von dem Fall abgezogen und entschuldigte sich sogar selbst für die Rechtsverweigerung, zu deren Entschuldigung sie auf keinen einzigen Präzedenzfall verweisen konnte. Als das Amtsgericht schon auf Befangenheit der Richterin entschieden hatte, ließ die Bundestagsabgeordnete Kristina Köhler noch eine Pressemitteilung hinausgehen: "Wo soll das enden? Bei der Steinigung für Ehebruch? Diese Entwicklung muss gestoppt werden."
Die meisten Autoren des Münsteraner Bandes sehen das Schlechte der Islamkritik schon in dem Umstand, dass vom Islam im Singular und mit bestimmtem Artikel die Rede ist. In seinem abgewogenen Beitrag "Zum öffentlichen Umgang mit der Angst vor dem Islam" macht sich Heiner Bielefeldt, der frühere Leiter des Deutschen Instituts für Menschenrechte die Forderung der Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen Asma Jahangir zueigen, Anhänger von Religionen "nicht als Teile homogener Einheiten" anzusehen. Unter Verweis auf die "Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz" verlangt Bielefeldt "die Überwindung deterministischer Sichtweisen des Islam - also die Eröffnung einer Perspektive auf die handelnden Subjekte".
Hier geraten politisches Postulat und wissenschaftliche Prämisse durcheinander. Von einem Demokraten ist zu erwarten, dass er der Mitbürgerin nicht ohne Grund unterstellt, sie trage ihr Kopftuch nicht aus freiem Entschluss. Aber warum Frauen typischerweise Kopftücher tragen, das darf die Wissenschaft untersuchen und in die politische Diskussion eingehen. Die sozialwissenschaftliche Feindbildforschung des Münsteraner Bandes wird Historiker nicht überzeugen, weil sie von der Realität von Feindschaft nichts wissen will. Wenn Sabine Schiffer fordert, bei der kausalen Betrachtung der Frauenunterdrückung nur nichtreligiöse Ursachen zu berücksichtigen, dann negiert ein solcher methodologischer Laizismus die Religion als unableitbare soziale Wirkungsmacht.
Dass die Islamkritik vom Islam spricht, ist ihr nicht vorzuwerfen; was sie ihm nachsagt und anhängt, ist zu untersuchen, auf die Triftigkeit der Kritik wie auf mögliche Motive der Kritiker. Für eine Ideologiekritik der Islamkritik geben alle drei Bücher wertvolle Hinweise. Das komplette Reservoir der islamfeindlichen Topoi, von den Minaretten als Zeichen der Landnahme bis zur "taqiyya", findet sich lange vor dem 11. September 2001 im Programm der Splitterpartei "Christliche Mitte". Der Buchautor Hans-Peter Raddatz, als Orientalist eine Ausnahme unter den berufsmäßigen Islamkritikern, prophezeit den Untergang des Abendlandes im Stil von Erzbischof Lefebvre. Andererseits erklärt Ralph Giordano, der im Kampf um die Kölner Moschee die Losung "Der Islam ist das Problem!" ausgab, in seinen Memoiren jede Religion zur Neurose. Und die Diskrepanz zwischen Umfragen, nach denen die große Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime sich integrieren will, und Necla Keleks These, sie verweigerten die Integration, löst sich mit Birgit Rommelspacher in der Einsicht auf, dass Integration für Frau Kelek die Aufgabe der Religion bedeutet.
Ein Bündnis von strenggläubigen Christen und religionskritischen Rationalisten mit Erfolg bei einem bürgerlichen Publikum, das über die weltanschaulichen Antriebe der Protagonisten nicht nachdenkt: Als ein so beschriebenes Phänomen der Ideologiegeschichte lässt sich die Islamkritik tatsächlich mit dem Antisemitismus der Gebildeten im deutschen Kaiserreich vergleichen.
PATRICK BAHNERS
Thorsten Gerald Schneiders: "Islamfeindlichkeit". Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2009. 482 S., br., 39,90 [Euro].
Kay Sokolowsky: "Feindbild Moslem". Rotbuch Verlag, Berlin 2009. 256 S., br., 16,90 [Euro].
Sabine Schiffer, Constantin Wagner: "Antisemitismus und Islamophobie - ein Vergleich". HWK Verlag, Wassertrüdingen 2009. 260 S., br., 24,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Patrick Bahners bespricht drei Bücher zum Thema "Islamophobie" in einer Sammelkritik, Thorsten Gerald Schneiders voluminösen Sammelband "Islamfeindlichkeit", Kay Sokolowskis "Feindbild Moslem" und den vorliegenden Band "Antisemitismus und Islamophobie". Alle drei Bände würdigt er mit großem Wohlwollen als Anregungen zu einer für ihn dringend notwendigen "Ideologiekritik der Islamkritik". Dabei ist er sich mit den Autoren einig, dass "Islamophobie" oder "Islamfeindlichkeit" und "Antisemitismus" durchaus vergleichbar seien. Beide bedienten sich "verschwörungstheoretischer Stichworte" und beide speisten sich sowohl aus rationalistischen als auch aus christlichen Diskursen. Besonders gelegen ist Bahners an der Konstruktion einer Rückkoppelung von "Autoren, die als seriöse Autoritäten der Islamkritik gelten", wie Necla Kelek mit rechten Webseiten wie "Politically Incorrect". Autoren wie Kelek, so Bahners, seien es eben, die die "verschwörungstheoretischen Stichworte" lieferten und untermauerten. Am Band Sabine Schiffers, die er als "Medienwirkungsforscherin" vorstellt, hat Bahners allenfalls eine kleine Kritik anzumelden: Sie wolle religiöse Motive als Erklärung für die Frauenunterdrückung in muslimischen Kulturen ganz ausklammern. So weit will er selbst nicht gehen. Als pikant darf Bahners' scharfe Kritik an Kelek gelten, weil andere Kräfte in der FAZ-Feuilletonredaktion ihr immerhin noch die Möglichkeit geben, sich in dieser Zeitung zu äußern.
© Perlentaucher Medien GmbH
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