Auf ihrem Höhepunkt Anfang der 1950er Jahre erfuhren die stalinistischen Parteisäuberungen in Osteuropa eine kaum verhohlene antisemitische Ausrichtung.
Auch in der DDR wurden hohe Parteimitglieder öffentlich angeklagt, die Ausplünderung Deutschlands im Dienste des Zionismus und der US-Finanzoligarchie veranlasst zu haben.
Mit seiner Untersuchung belegt Thomas Haury, dass die Grundstrukturen des kommunistischen Weltbildes jenen des Antisemitismus sehr nahe sind.
Aufgrund der europäischen Tradition des Antisemitismus, war seine Integration im Zuge der Radikalisierung und Nationalisierung des Kommunismus zwar keine zwingende, aber eine äußerst naheliegend Konsequenz.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Auch in der DDR wurden hohe Parteimitglieder öffentlich angeklagt, die Ausplünderung Deutschlands im Dienste des Zionismus und der US-Finanzoligarchie veranlasst zu haben.
Mit seiner Untersuchung belegt Thomas Haury, dass die Grundstrukturen des kommunistischen Weltbildes jenen des Antisemitismus sehr nahe sind.
Aufgrund der europäischen Tradition des Antisemitismus, war seine Integration im Zuge der Radikalisierung und Nationalisierung des Kommunismus zwar keine zwingende, aber eine äußerst naheliegend Konsequenz.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.06.2003Volkseigener Antisemitismus
Warum das deutsche Wesen in der DDR antimodern und antisemitisch blieb
Thomas Haury: Antisemitismus von links. Kommunistische Ideologie, Nationalismus und Antizionismus in der frühen DDR. Hamburger Edition, Hamburg 2002. 527 Seiten, 30,- [Euro].
Die akademische Grundlagenforschung über die Schuld am Judenmord trat zur Herbstsaison des vergangenen Jahres mit beunruhigenden Thesen hervor. Das Neue Testament bedürfe wegen zahlreicher darin enthaltener antijüdischer Äußerungen dringend einer relativierenden Kommentierung, forderte Daniel Goldhagen in seiner Abrechnung mit dem Katholizismus. Nation und Nationalgeschichte seien eine Konstruktion, die nahezu zwangsläufig die Ideologie des Antisemitismus hervorbringen mußte, ist nun bei Thomas Haury zu lesen. Der Autor unterlegt seine Analyse des Antisemitismus mit einer eigenständigen Verschwörungstheorie, deren Darlegung den größeren Teil seiner Untersuchung über "kommunistische Ideologie, Nationalismus und Antizionismus in der frühen DDR" ausmacht.
Nationenbildung und die "Konstruktion" von Nationalgeschichte waren nach dieser Lesart die Ursachen allen Übels. Der "wichtigste Mechanismus zum Aufbau und zur Stabilisierung der Gemeinschaftsvorstellungen ,Nation' ist die Definition und die Ausgrenzung von ,anderen' sowie die Markierung von ,Feinden'". Der von Anfang an antimoderne Impetus der deutschen "Gemeinschaftsbehauptung" habe in den Juden eine im Inneren anwesende Fremdgruppe gesehen und ihnen eine Antiidentität zum deutschen Wesen zugeschrieben. Als Nation in der Nation und kosmopolitisches Gegenprinzip zum nationalen Gemeinschaftsgedanken gaben sie das ideales Feindbild für die "Konturierung der vorgestellten Gemeinschaft" Nation ab.
Seit 1945 veränderte sich "im nachfaschistischen Deutschland" zwar so manches, es blieb jedoch ein "nachnationalsozialistischer Antisemitismus" bestehen, dessen Hauptanliegen in der "Schuldabwehr" bestand. Zwar sei "der Anti-Antisemitismus zur Norm" geworden, offenen Antisemitismus leisteten sich nur noch randständige Gestalten im bundesdeutschen Parteiensystem, gleichwohl müßten noch immer rund fünfzehn Prozent der Bevölkerung als deutlich antisemitisch und ein Drittel als teilweise antisemitisch eingestuft werden. Der "sekundäre Antisemitismus" nach Auschwitz habe seine Wurzeln in einem verbreiteten "Schlußstrichbedürfnis" sowie in der Annahme, die Juden sorgten für das Wachhalten der Erinnerung an den nationalsozialistischen Judenmord und damit für das gebrochene Verhältnis der nachgeborenen Deutschen zu ihrem Vaterland.
Nach einhundertsechzig Seiten, angefüllt mit allgemeiner Theorie des Antisemitismus, arbeitet Haury die linken Säulenheiligen Marx und Lenin durch und bescheinigt ihnen ebenso wie der deutschen Sozialdemokratie des Kaiserreiches ein weitgehend politisch korrektes Weltbild. In den Schriften der altlinken Vordenker kommen Juden nie "als Urheber oder Drahtzieher" vor, wie auch die übrigen Merkmale antisemitischer Ideologie dort gänzlich fehlen. Das ausgeprägte Repertoire antijüdischer Schimpf- und Hohnwörter bei Marx - er titulierte beispielsweise Lassalle als "jüdischen Nigger" - läßt der Autor als das übliche, in gehobenen Kreisen verbreitete unideologische Alltagsvokabular durchgehen.
Erst seit die kommunistischen Parteien in Osteuropa zu herrschenden Parteien wurden und sich den stalinistischen Nationalismus zu eigen machten, traten sie antisemitisch auf. In der Agitation gegen die Ruhrbesetzung durch Frankreich ließ sich die KPD schon in den zwanziger Jahren wohl auf einen ethnischen Begriff vom deutschen Volk ein und schaffte es, Nationalismus und Klassenkampf miteinander zu verbinden; doch steckte dahinter noch kein systematisches Verständnis der Ausgrenzung jüdischer Bürger.
Judenmord als Nebensache
Nach dem Krieg dann sah die Mehrheit der deutschen Kommunisten in den überlebenden Juden zunächt Opfer zweiter Klasse. Die kommunistische Faschismusanalyse erklärte den nationalsozialistischen Judenmord zur Nebensache. Das Kernziel der Nationalsozialisten sei die Vernichtung der revolutionären Arbeiterbewegung gewesen und die Rassenpolitik nur ein ideologisches Ablenkungsmanöver von der eigentlichen Angriffsrichtung. "Kämpfer gegen den Faschismus" konnten demzufolge fast nur die Kommunisten gewesen sein. Diese anerkannten "Kämpfer" wurden schon in der frühen SBZ besser behandelt als normale "Verfolgte des Faschismus". Die SED-Ideologen standen nach Auffassung Haurys "dem Leiden der Juden erschreckend mitleidlos gegenüber". Noch am Ende der DDR, im Jahr 1989, zahlte die DDR einem ehemaligen kommunistischen KZ-Häftling eine Ehrenpension für alte "Kämpfer" in Höhe von 1800 Mark, während sein jüdischer Leidensgenosse als "Verfolgter" zweihundert Mark weniger erhielt.
Erst im letzten Drittel des Buches widmet Haury sich der schwierigen Frage, inwieweit die antizionistische Propaganda der SED antisemitisch war. In der strukturellen antisemitischen Entgegensetzung von Banken, Börsen und Parasiten versus Volk und Arbeit, in der Propaganda gegen die "Finanzhyänen", die "Raubtiere der Wall Street" oder die "amerikanischen Dollargeier" sei in neuem Gewand wieder das "gesunde deutsche Nationalgefühl" zutage getreten und die SED als wahrhafter "Vortrupp des deutschen Volkes". Die alte Verknüpfung Juden/Kapitalismus mutierte im Laufe der DDR-Geschichte "zu der neuen Verbindung Zionisten/Imperialismus".
In den frühen fünfziger Jahren bediente die SED mit den Phrasen von der Verteidigung der deutschen Kultur gegen das "Gift des Kosmopolitismus", gegen die "amerikanische Entseelung" Westdeutschlands und die "amerikanischen Kulturbarbarei" auf breitester Propagandafront nahezu alle von der Vorgängerdiktatur gegen die "jüdische Weltverschwörung" verbreiteten Vorurteilsphrasen. Insbesondere im Kontext des Slansky-Prozesses und der damit einhergehenden antisemitischen Agentenhysterie in höchsten SED-Kreisen flohen 1952/53 mehr als ein Viertel der in der DDR lebenden Mitglieder jüdischer Gemeinden in den Westen. Am 15. Januar 1953 ließ Walter Ulbricht den Vertrieb der jüdischen Zeitung "Der Weg" verbieten und ordnete eine Überprüfung der Parteiakten von SED-Mitgliedern jüdischer Abstammung an. Die SED-Zeitschrift "Einheit" schrieb in diesem Zusammenhang: "Ist es nicht eigenartig, wenn es heute noch Genossen gibt, die sich als Marxisten wähnen und die Mitglieder der jüdischen Kirche sind?"
Haury konstatiert am Ende seiner Untersuchung eine strukturelle, inhaltliche und funktionelle Affinität von marxistisch-leninistischem Weltbild und "antizionistischem" Antisemitismus. Nationalismus und eine manichäische Weltsicht der SED bildeten demnach die Grundlage eines staatsoffiziellen Resonanzbodens für die volkseigenen Vorurteile in der DDR.
JOCHEN STAADT
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Warum das deutsche Wesen in der DDR antimodern und antisemitisch blieb
Thomas Haury: Antisemitismus von links. Kommunistische Ideologie, Nationalismus und Antizionismus in der frühen DDR. Hamburger Edition, Hamburg 2002. 527 Seiten, 30,- [Euro].
Die akademische Grundlagenforschung über die Schuld am Judenmord trat zur Herbstsaison des vergangenen Jahres mit beunruhigenden Thesen hervor. Das Neue Testament bedürfe wegen zahlreicher darin enthaltener antijüdischer Äußerungen dringend einer relativierenden Kommentierung, forderte Daniel Goldhagen in seiner Abrechnung mit dem Katholizismus. Nation und Nationalgeschichte seien eine Konstruktion, die nahezu zwangsläufig die Ideologie des Antisemitismus hervorbringen mußte, ist nun bei Thomas Haury zu lesen. Der Autor unterlegt seine Analyse des Antisemitismus mit einer eigenständigen Verschwörungstheorie, deren Darlegung den größeren Teil seiner Untersuchung über "kommunistische Ideologie, Nationalismus und Antizionismus in der frühen DDR" ausmacht.
Nationenbildung und die "Konstruktion" von Nationalgeschichte waren nach dieser Lesart die Ursachen allen Übels. Der "wichtigste Mechanismus zum Aufbau und zur Stabilisierung der Gemeinschaftsvorstellungen ,Nation' ist die Definition und die Ausgrenzung von ,anderen' sowie die Markierung von ,Feinden'". Der von Anfang an antimoderne Impetus der deutschen "Gemeinschaftsbehauptung" habe in den Juden eine im Inneren anwesende Fremdgruppe gesehen und ihnen eine Antiidentität zum deutschen Wesen zugeschrieben. Als Nation in der Nation und kosmopolitisches Gegenprinzip zum nationalen Gemeinschaftsgedanken gaben sie das ideales Feindbild für die "Konturierung der vorgestellten Gemeinschaft" Nation ab.
Seit 1945 veränderte sich "im nachfaschistischen Deutschland" zwar so manches, es blieb jedoch ein "nachnationalsozialistischer Antisemitismus" bestehen, dessen Hauptanliegen in der "Schuldabwehr" bestand. Zwar sei "der Anti-Antisemitismus zur Norm" geworden, offenen Antisemitismus leisteten sich nur noch randständige Gestalten im bundesdeutschen Parteiensystem, gleichwohl müßten noch immer rund fünfzehn Prozent der Bevölkerung als deutlich antisemitisch und ein Drittel als teilweise antisemitisch eingestuft werden. Der "sekundäre Antisemitismus" nach Auschwitz habe seine Wurzeln in einem verbreiteten "Schlußstrichbedürfnis" sowie in der Annahme, die Juden sorgten für das Wachhalten der Erinnerung an den nationalsozialistischen Judenmord und damit für das gebrochene Verhältnis der nachgeborenen Deutschen zu ihrem Vaterland.
Nach einhundertsechzig Seiten, angefüllt mit allgemeiner Theorie des Antisemitismus, arbeitet Haury die linken Säulenheiligen Marx und Lenin durch und bescheinigt ihnen ebenso wie der deutschen Sozialdemokratie des Kaiserreiches ein weitgehend politisch korrektes Weltbild. In den Schriften der altlinken Vordenker kommen Juden nie "als Urheber oder Drahtzieher" vor, wie auch die übrigen Merkmale antisemitischer Ideologie dort gänzlich fehlen. Das ausgeprägte Repertoire antijüdischer Schimpf- und Hohnwörter bei Marx - er titulierte beispielsweise Lassalle als "jüdischen Nigger" - läßt der Autor als das übliche, in gehobenen Kreisen verbreitete unideologische Alltagsvokabular durchgehen.
Erst seit die kommunistischen Parteien in Osteuropa zu herrschenden Parteien wurden und sich den stalinistischen Nationalismus zu eigen machten, traten sie antisemitisch auf. In der Agitation gegen die Ruhrbesetzung durch Frankreich ließ sich die KPD schon in den zwanziger Jahren wohl auf einen ethnischen Begriff vom deutschen Volk ein und schaffte es, Nationalismus und Klassenkampf miteinander zu verbinden; doch steckte dahinter noch kein systematisches Verständnis der Ausgrenzung jüdischer Bürger.
Judenmord als Nebensache
Nach dem Krieg dann sah die Mehrheit der deutschen Kommunisten in den überlebenden Juden zunächt Opfer zweiter Klasse. Die kommunistische Faschismusanalyse erklärte den nationalsozialistischen Judenmord zur Nebensache. Das Kernziel der Nationalsozialisten sei die Vernichtung der revolutionären Arbeiterbewegung gewesen und die Rassenpolitik nur ein ideologisches Ablenkungsmanöver von der eigentlichen Angriffsrichtung. "Kämpfer gegen den Faschismus" konnten demzufolge fast nur die Kommunisten gewesen sein. Diese anerkannten "Kämpfer" wurden schon in der frühen SBZ besser behandelt als normale "Verfolgte des Faschismus". Die SED-Ideologen standen nach Auffassung Haurys "dem Leiden der Juden erschreckend mitleidlos gegenüber". Noch am Ende der DDR, im Jahr 1989, zahlte die DDR einem ehemaligen kommunistischen KZ-Häftling eine Ehrenpension für alte "Kämpfer" in Höhe von 1800 Mark, während sein jüdischer Leidensgenosse als "Verfolgter" zweihundert Mark weniger erhielt.
Erst im letzten Drittel des Buches widmet Haury sich der schwierigen Frage, inwieweit die antizionistische Propaganda der SED antisemitisch war. In der strukturellen antisemitischen Entgegensetzung von Banken, Börsen und Parasiten versus Volk und Arbeit, in der Propaganda gegen die "Finanzhyänen", die "Raubtiere der Wall Street" oder die "amerikanischen Dollargeier" sei in neuem Gewand wieder das "gesunde deutsche Nationalgefühl" zutage getreten und die SED als wahrhafter "Vortrupp des deutschen Volkes". Die alte Verknüpfung Juden/Kapitalismus mutierte im Laufe der DDR-Geschichte "zu der neuen Verbindung Zionisten/Imperialismus".
In den frühen fünfziger Jahren bediente die SED mit den Phrasen von der Verteidigung der deutschen Kultur gegen das "Gift des Kosmopolitismus", gegen die "amerikanische Entseelung" Westdeutschlands und die "amerikanischen Kulturbarbarei" auf breitester Propagandafront nahezu alle von der Vorgängerdiktatur gegen die "jüdische Weltverschwörung" verbreiteten Vorurteilsphrasen. Insbesondere im Kontext des Slansky-Prozesses und der damit einhergehenden antisemitischen Agentenhysterie in höchsten SED-Kreisen flohen 1952/53 mehr als ein Viertel der in der DDR lebenden Mitglieder jüdischer Gemeinden in den Westen. Am 15. Januar 1953 ließ Walter Ulbricht den Vertrieb der jüdischen Zeitung "Der Weg" verbieten und ordnete eine Überprüfung der Parteiakten von SED-Mitgliedern jüdischer Abstammung an. Die SED-Zeitschrift "Einheit" schrieb in diesem Zusammenhang: "Ist es nicht eigenartig, wenn es heute noch Genossen gibt, die sich als Marxisten wähnen und die Mitglieder der jüdischen Kirche sind?"
Haury konstatiert am Ende seiner Untersuchung eine strukturelle, inhaltliche und funktionelle Affinität von marxistisch-leninistischem Weltbild und "antizionistischem" Antisemitismus. Nationalismus und eine manichäische Weltsicht der SED bildeten demnach die Grundlage eines staatsoffiziellen Resonanzbodens für die volkseigenen Vorurteile in der DDR.
JOCHEN STAADT
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.02.2003Giftige
Vermengung
Thomas Haury über den
Antisemitismus im Ostblock
Der Soziologe und Historiker Thomas Haury stellt in der Einleitung seiner Studie fest, dass es keine wissenschaftliche Definition des Antisemitismus gebe. Wie sollte es? Der Antisemitismus rührt aus einem emotionalen Widerstand, einer Abstoßung, dem Misstrauen gegen alles (vermeintlich oder angeblich) Fremde, mit anderen Worten: aus einer Versäuerung der Gefühle, ja einer Vergiftung der Seele – und aus dem Grundbedürfnis, einen Urfeind zu haben.
Anders: Antisemitismus nährt sich aus den Abgründen des Irrationalen, auch wenn er sich zu seiner Rechtfertigung pseudorationaler Argumente bedient. Der „Antisemitismus von links” mag unter anderem „ein genuines Produkt von Marxismus-Leninismus und kommunistischem Nationalismus” sein, wie Haury anmerkt. Doch braucht es einen „theoretischen Überbau”, um die Präsenz des Monströsen in den „real-sozialistischen” Staaten zu erklären? Wer halbwegs klaren Auges durch die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts ging, konnte sich der Einsicht nicht entziehen, dass Antisemitismus hinter dem großen Zaun durchaus „real” war (und nicht nur als ein „von Stalin implementierter Fremdkörper”).
Der Autor holt weit aus. Er konfrontiert seine Leser mit der obszönen Vermengung des gärenden deutschen Nationalismus (spätestens seit den „Befreiungskriegen”) mit dem Rauschgift des Antisemitismus. Treitschkes fataler Kampfruf „Die Juden sind unser Unglück!” war ein frühes Signal der Vernichtungswut, die sich hernach als die Erfüllung des „Deutschtums” verstand. Vielleicht brauchte die bunte Gesellschaft unserer Landsleute zwischen Flensburg und Freilassing mehr noch als die Nachbarn die rabiate Abgrenzung gegen „die anderen”, um sich als Nation zu begreifen. Die harte Schale des Hasses hielt einen weichen Kern zusammen (sofern er nicht nur eine mythische Fiktion war). Ein „normales Nationalgefühl' (falls es das geben sollte) drückte sich in solch bellendem, beißendem und schließlich reißendem Eifer nicht aus. Aber vielleicht sollten wir genauer erforschen, ob nicht jedes „Nationalgefühl” tendenziell nationalistisch ist.
Vaterland der Werktätigen
Um so beklemmender, dass die Obergenossen der DDR in den Fünfziger Jahren begannen, das „gesunde deutsche Nationalgefühl” für das „Vaterland der Werktätigen” zu mobilisieren. Das „patriotische” Selbstbewusstsein der Ostbürger lenkten sie auf die preußisch-russische Verbrüderung von Tauroggen und die Allianz in den Befreiungskriegen.
Die Legende vom antisemitischen Furor des Karl Marx reduziert Thomas Haury auf die Einsicht, dass der Erzvater „das Judentum als Chiffre” benutzt habe, um festzustellen, die wahre Aufgabe sei es, „das Judentum der bürgerlichen Gesellschaft, die Unmenschlichkeit der heutigen Lebenspraxis, die im Geldsystem ihre Spitze erhält, aufzuheben”. Die deutsche Sozialdemokratie August Bebels erhoffte sich die Lösung der „Judenfrage” (wie aller anderen „Fragen” auch) von der Überwindung der Kapitalismus. Lenin verurteilte, wie vor ihm Karl Kautsky, den Zionismus und jeden Gedanken an eine jüdische „National-Kultur”, die nur ein „Feind des Proletariats, ... ein Helfershelfer der Rabbiner und der Bourgeois” hegen könne, zugleich aber zählte er die Juden zu den anderen „Nationen” des „roten Sechstels” der Erde. Die nicht- sowjetischen Juden aber wurden der Welt der „parasitären Ausbeuter” zugeordnet. Die Übereinstimmung mit den überkommenen Klischees ergab sich dabei von selbst. Stalin, der im Krieg den russischen Nationalismus für die Verteidigung des Sowjetreiches mobilisierte, nahm es in Kauf, dass die eingewurzelten antijüdischen Ressentiments wieder nach oben geschwemmt wurden, zumal sie seinen eigenen entsprachen.
Letzte Säuberung
Die Sowjetunion hatte der Etablierung des Staates Israel durch die Vereinten Nationen zugestimmt. Dennoch lieferte dem Diktator nur wenig später eine angeblich „zionistische Verschwörung” den Vorwand für die letzte große Säuberungsaktion. Der Raijk-Prozess in Budapest, der Slansky-Prozess in Prag und zuletzt der Ärzte-Prozess in Moskau appellierten ohne Tarnung an den mörderischen Antisemitismus, der mit dem Nazismus untergegangen zu sein schien. Die SED kopierte die alt-neuen Hetzparolen mit der gewohnten Servilität, doch dank Stalins Tod blieb der DDR ein Schauprozess erspart.
Der antifaschistisch gefärbte Nationalismus, der antiimperialistisch drapierte Antizionismus, der antizionistisch getarnte Antisemitismus: eine ungute Trias der Verlogenheit, letztlich ein explosives Gemisch, mit dem sich die rebellierende Linke im Westen 1968 zuweilen selber in die Luft zu sprengen drohte. Doch soweit drang Haury mit seiner Untersuchung nicht vor. Er ließ es bei einer Darstellung der Heimsuchungen, denen sich die „frühe DDR” ausgesetzt hat. Haurys (akademisch-deutsches) Verlangen nach einer „Theorie” trat dabei gottlob hinter der historischen Eindringlichkeit zurück. Die Fakten sprechen für sich.
KLAUS HARPPRECHT
THOMAS HAURY: Antisemitismus von links. Kommunistische Ideologie, Nationalismus und Antizionismus in der frühen DDR. Hamburger Edition, Hamburg 2002. 526 Seiten, 35 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Vermengung
Thomas Haury über den
Antisemitismus im Ostblock
Der Soziologe und Historiker Thomas Haury stellt in der Einleitung seiner Studie fest, dass es keine wissenschaftliche Definition des Antisemitismus gebe. Wie sollte es? Der Antisemitismus rührt aus einem emotionalen Widerstand, einer Abstoßung, dem Misstrauen gegen alles (vermeintlich oder angeblich) Fremde, mit anderen Worten: aus einer Versäuerung der Gefühle, ja einer Vergiftung der Seele – und aus dem Grundbedürfnis, einen Urfeind zu haben.
Anders: Antisemitismus nährt sich aus den Abgründen des Irrationalen, auch wenn er sich zu seiner Rechtfertigung pseudorationaler Argumente bedient. Der „Antisemitismus von links” mag unter anderem „ein genuines Produkt von Marxismus-Leninismus und kommunistischem Nationalismus” sein, wie Haury anmerkt. Doch braucht es einen „theoretischen Überbau”, um die Präsenz des Monströsen in den „real-sozialistischen” Staaten zu erklären? Wer halbwegs klaren Auges durch die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts ging, konnte sich der Einsicht nicht entziehen, dass Antisemitismus hinter dem großen Zaun durchaus „real” war (und nicht nur als ein „von Stalin implementierter Fremdkörper”).
Der Autor holt weit aus. Er konfrontiert seine Leser mit der obszönen Vermengung des gärenden deutschen Nationalismus (spätestens seit den „Befreiungskriegen”) mit dem Rauschgift des Antisemitismus. Treitschkes fataler Kampfruf „Die Juden sind unser Unglück!” war ein frühes Signal der Vernichtungswut, die sich hernach als die Erfüllung des „Deutschtums” verstand. Vielleicht brauchte die bunte Gesellschaft unserer Landsleute zwischen Flensburg und Freilassing mehr noch als die Nachbarn die rabiate Abgrenzung gegen „die anderen”, um sich als Nation zu begreifen. Die harte Schale des Hasses hielt einen weichen Kern zusammen (sofern er nicht nur eine mythische Fiktion war). Ein „normales Nationalgefühl' (falls es das geben sollte) drückte sich in solch bellendem, beißendem und schließlich reißendem Eifer nicht aus. Aber vielleicht sollten wir genauer erforschen, ob nicht jedes „Nationalgefühl” tendenziell nationalistisch ist.
Vaterland der Werktätigen
Um so beklemmender, dass die Obergenossen der DDR in den Fünfziger Jahren begannen, das „gesunde deutsche Nationalgefühl” für das „Vaterland der Werktätigen” zu mobilisieren. Das „patriotische” Selbstbewusstsein der Ostbürger lenkten sie auf die preußisch-russische Verbrüderung von Tauroggen und die Allianz in den Befreiungskriegen.
Die Legende vom antisemitischen Furor des Karl Marx reduziert Thomas Haury auf die Einsicht, dass der Erzvater „das Judentum als Chiffre” benutzt habe, um festzustellen, die wahre Aufgabe sei es, „das Judentum der bürgerlichen Gesellschaft, die Unmenschlichkeit der heutigen Lebenspraxis, die im Geldsystem ihre Spitze erhält, aufzuheben”. Die deutsche Sozialdemokratie August Bebels erhoffte sich die Lösung der „Judenfrage” (wie aller anderen „Fragen” auch) von der Überwindung der Kapitalismus. Lenin verurteilte, wie vor ihm Karl Kautsky, den Zionismus und jeden Gedanken an eine jüdische „National-Kultur”, die nur ein „Feind des Proletariats, ... ein Helfershelfer der Rabbiner und der Bourgeois” hegen könne, zugleich aber zählte er die Juden zu den anderen „Nationen” des „roten Sechstels” der Erde. Die nicht- sowjetischen Juden aber wurden der Welt der „parasitären Ausbeuter” zugeordnet. Die Übereinstimmung mit den überkommenen Klischees ergab sich dabei von selbst. Stalin, der im Krieg den russischen Nationalismus für die Verteidigung des Sowjetreiches mobilisierte, nahm es in Kauf, dass die eingewurzelten antijüdischen Ressentiments wieder nach oben geschwemmt wurden, zumal sie seinen eigenen entsprachen.
Letzte Säuberung
Die Sowjetunion hatte der Etablierung des Staates Israel durch die Vereinten Nationen zugestimmt. Dennoch lieferte dem Diktator nur wenig später eine angeblich „zionistische Verschwörung” den Vorwand für die letzte große Säuberungsaktion. Der Raijk-Prozess in Budapest, der Slansky-Prozess in Prag und zuletzt der Ärzte-Prozess in Moskau appellierten ohne Tarnung an den mörderischen Antisemitismus, der mit dem Nazismus untergegangen zu sein schien. Die SED kopierte die alt-neuen Hetzparolen mit der gewohnten Servilität, doch dank Stalins Tod blieb der DDR ein Schauprozess erspart.
Der antifaschistisch gefärbte Nationalismus, der antiimperialistisch drapierte Antizionismus, der antizionistisch getarnte Antisemitismus: eine ungute Trias der Verlogenheit, letztlich ein explosives Gemisch, mit dem sich die rebellierende Linke im Westen 1968 zuweilen selber in die Luft zu sprengen drohte. Doch soweit drang Haury mit seiner Untersuchung nicht vor. Er ließ es bei einer Darstellung der Heimsuchungen, denen sich die „frühe DDR” ausgesetzt hat. Haurys (akademisch-deutsches) Verlangen nach einer „Theorie” trat dabei gottlob hinter der historischen Eindringlichkeit zurück. Die Fakten sprechen für sich.
KLAUS HARPPRECHT
THOMAS HAURY: Antisemitismus von links. Kommunistische Ideologie, Nationalismus und Antizionismus in der frühen DDR. Hamburger Edition, Hamburg 2002. 526 Seiten, 35 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Etwas irritiert stellt Klaus Harpprecht fest, dass der Autor in der Einleitung zu seiner Studie das Fehlen einer wissenschaftlichen Definition von Antisemitismus beklage. Wie auch, meint Harpprecht, wenn er doch von einer Vergiftung der Seele herrührt und sich rein pseudorationaler Argumente bedient? Insofern sehe sich der Autor auch nicht in der Lage, den Antisemitismus als "rein genuines Produkt des Marxismus-Leninismus" zu erklären. Ist das so schlimm, fragt Harpprecht weiter und meint, die Fakten sprächen für sich. Der Raijk-Prozess in Budapest, der Slanskij-Prozess in Prag und der Ärzte-Prozess in Moskau bezogen sich ausdrücklich auf antizionistische und antisemitische Parolen; der DDR blieb ein solcher Schauprozess nur aufgrund von Stalins Tod erspart. Ansonsten wurde auch dort in den 50er Jahren wie in den anderen Staaten des Ostblocks mithilfe nationalistischer Propaganda der Antisemitismus angekurbelt. Antifaschismus, Antizionismus, Antiimperialismus und Nationalismus ergaben dabei ein explosives Gemisch, stellt Harprecht fest. Bedauerlich scheint ihm bloß, dass der Autor seine Untersuchungen nicht auch auf die bundesdeutsche Nachkriegs-Linke ausgestreckt hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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