Der Antisemitismusist kein Problem der Juden, sondern vielmehr ein Problem der Antisemiten: Wer versuchen will, dieses Übel zu bekämpfen, muß sich deshalb mit dem Antisemitismus selbst auseinandersetzen, muß versuchen, die innere Systematik judenfeindlicher Denkweisen bloßzulegen und erkenntlich zu machen. Die Autoren bemühen sich daher, Denkmuster in antisemitischen Vorstellungen zu erkennen und deutlich zu machen. Sie fragen nach der Herkunft, der Verbreitung, der Wirksamkeit und der Wandelbarkeit antisemitischer Bilder. Dieses Buch will die Ausstellung 'Die Macht der Bilder, antijüdische Vorurteile und Mythen', konzipiert vom Jüdischen Museum der Stadt Wien, begleiten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.09.1995Ich bin der Haß, ich bin so häßlich
Der deutsche Antisemitismus, Blatt für Blatt, gesammelt und abgeheftet von Schoeps, Schlör und Benz
Mögen im Buch der Menschheit die meisten Kapitel Niedertracht und Unglück heißen - gegen manchen Einfall der Historie muß selbst die kälteste Weisheit sich empören. Zu solch üblen Streichen gehört der deutsche Antisemitismus im halben Jahrhundert nach dem Zweiten Weltkrieg. Als wäre nichts dumm und furchtbar genug, daß es nicht eine Neuauflage verdiente. Dabei ist kaum vorstellbar, wie Vorurteil und Haß unter völlig veränderten Voraussetzungen überhaupt an die eigene Tradition anknüpfen können. Ebensowenig darf man aber auch annehmen, daß der Antisemitismus der Gegenwart sich gänzlich neuer Argumente bedient.
Der Mischung aus traditionellen und neuartigen Motiven sowie den politischen Funktionen des Antisemitismus in Deutschland geht der von Wolfgang Benz herausgegebene Sammelband nach. Neben Fallbeispielen werden Meinungsumfragen und öffentliche Konflikte um Antisemitismus seit 1945 sowie die Geschichte von Stereotypen wie dem des "bolschewistischen Juden" und ritueller antisemitischer Taten wie Friedhofsschändungen untersucht. Erfreulicherweise wurde in diesem Band der 1990 erschienene Aufsatz von Christhard Hoffmann über das "Judentum als Antithese" wiederabgedruckt, der zum besten gehört, was zur Frage der Kontinuität des Antisemitismus geschrieben wurde.
Hoffmann erinnert an die bipolaren Denkmuster, in denen das Judentum als Negatives fixiert wurde. Dies beginnt mit der christlichen Theologie, in der Gegensatzpaare wie "Gott der Rache" versus "Gott der Liebe" oder "Buchstabe" versus "Geist" zur Disqualifikation des Judentums und zur christlichen Selbststilisierung gebildet wurden. Die rationalistische Kritik des 18. Jahrhunderts sah im Judentum vor allem "Unvernünftigkeit" und "Unmoral". Gemessen am Maßstab der "natürlichen Religion" und der "Vernunft" erschienen "die Vorschriften und Einrichtungen des mosaischen Gesetzes als absurd, abergläubisch, unmoralisch, roh, barbarisch".
Allerdings wird man die aufklärerische Kritik des orthodoxen Judentums nicht ohne weiteres als Antisemitismus bezeichnen können, weil sie einer generellen Kritik von Kirche und Religion entsprach, in der das Judentum nur ein Fall unter anderen war. Nicht das "Jüdische", sondern die Formen und Ansprüche des religiösen Lebens waren der Angriffspunkt. Zwischen Antiklerikalismus und Antisemitismus muß man wohl unterscheiden. Das Judentum verkörperte all das, was man mit den Religionskriegen des 17. Jahrhunderts überwunden glaubte. Das Übergewicht der Theologie habe bei den Juden die politische Staatsbildung, überhaupt einen Begriff von politischer Kultur verhindert. Schließlich galt den Aufklärern das orthodoxe Judentum "als Inbegriff für das Beharren auf dem Vergangenen, für Unbeweglichkeit, Starrsinn und Geschichtslosigkeit".
Die Gegenaufklärung unterstrich den besonderen Wert des orthodoxen Juden, den man in seiner "fremdartigen Erscheinung" mit "ehrfürchtiger Scheu" betrachten müsse. Man emphatisierte die "Eigentümlichkeit" jedes Volkes, wandte sich gegen die Politik der Assimilation, die man auf Grund fundamentaler wesensbedingter "völkischer" Unterschiede für unmöglich hielt. Die Gegenüberstellung von "Deutschtum" und "Judentum" wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch kulturell und religiös begründet, später mit biologistischen, völkisch-rassischen Motiven betrieben.
Es erscheint plausibel, wenn Hoffmann meint, zwar würden diese traditionellen Begründungen gelegentlich noch aufgegriffen, ihre öffentliche Wirksamkeit aber hätten sie weitgehend verloren. Der Antisemitismus in der Bundesrepublik könne seine Dynamik "am ehesten aus der Bearbeitung der nationalsozialistischen deutschen Vergangenheit" beziehen. Deutlich weist Hoffmann auf die Gefahr hin, das Selbstverständnis der Bundesrepublik nur oder überwiegend durch Abgrenzung gegen den Nationalsozialismus, durch offiziellen "Anti-Antisemitismus" und "Anti-Rassismus", durch negative Indentifikation zu bilden. Dies wecke bei der nachgeborenen Generation moralische Entlastungsbedürfnisse, die leicht zu einem "Antisemitismus nicht trotz, sondern wegen Auschwitz" (Dan Diner) führen könnten.
Unter diesem Aspekt erscheint die von François Furet jüngst vorgetragenen Ansicht (F.A.Z. vom 8. Mai 1995), die millionenfache Vernichtung der Juden sei nicht ausschließlich eine deutsche, sondern eine europäische Erfahrung, nahezu als Lösung aus den Aporien der negativen Symbiose von Deutschen und Juden. Gewiß erleichtert eine sich vage abzeichnende europäische Einheit die Auseinandersetzung mit der nationalen Vergangenheit, wie jüngst in den Niederlanden, Frankreich und Italien merklich wurde. Entscheidend ist hier freilich nicht der historische Sinn, sondern das Gedächtnis der Völker, das sich einer "Europäisierung" des Holocaust widersetzt.
Der Antisemitismus hat sich zu allen Zeiten sein eigenes Bild vom Juden geschaffen. Die Stereotypen reichen vom "Gottesmörder" bis zu Topoi wie "die Jüdin" oder "der Intellektuelle", "der Zersetzer". Alle prominenten anisemitischen Feindbilder sind nun von Julius H. Schoeps und Joachim Schlör zu einer Art kritisch kommentierten Galerie zusammengetragen worden. Liegt es am großzügigen Format des Bandes oder an der Präsentation von "Bildern" der Judenfeindschaft, es überkommt einen zunächst das Gefühl, dieser Band habe etwas von einer possierlich-selbstzufriedenen Geste, mit dem die Judenfeindschaft ordentlich wie im Poesiealbum Blatt für Blatt abgeheftet werde. Als beherrschten die Autoren, vor allem aber die Herausgeber das Phänomen selbst so sicher wie ein Naturforscher sein Material in der Botanisiertrommel. Ganz von der Hand zu weisen ist dieser Eindruck nicht, es überwiegt schließlich aber der Gewinn, den man aus den einzelnen Beiträgen zieht. MICHAEL JEISMANN
Wolfgang Benz (Hrsg.): "Antisemitismus in Deutschland". Zur Aktualität eines Vorurteils.Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1995. 235 S., br., 19,90 DM.
Julius H. Schoeps / Joachim Schlör (Hrsg.): "Antisemitismus". Vorurteile und Mythen.Piper Verlag, München, Zürich 1995. 310 S., Abb., geb., 54,- DM.
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Der deutsche Antisemitismus, Blatt für Blatt, gesammelt und abgeheftet von Schoeps, Schlör und Benz
Mögen im Buch der Menschheit die meisten Kapitel Niedertracht und Unglück heißen - gegen manchen Einfall der Historie muß selbst die kälteste Weisheit sich empören. Zu solch üblen Streichen gehört der deutsche Antisemitismus im halben Jahrhundert nach dem Zweiten Weltkrieg. Als wäre nichts dumm und furchtbar genug, daß es nicht eine Neuauflage verdiente. Dabei ist kaum vorstellbar, wie Vorurteil und Haß unter völlig veränderten Voraussetzungen überhaupt an die eigene Tradition anknüpfen können. Ebensowenig darf man aber auch annehmen, daß der Antisemitismus der Gegenwart sich gänzlich neuer Argumente bedient.
Der Mischung aus traditionellen und neuartigen Motiven sowie den politischen Funktionen des Antisemitismus in Deutschland geht der von Wolfgang Benz herausgegebene Sammelband nach. Neben Fallbeispielen werden Meinungsumfragen und öffentliche Konflikte um Antisemitismus seit 1945 sowie die Geschichte von Stereotypen wie dem des "bolschewistischen Juden" und ritueller antisemitischer Taten wie Friedhofsschändungen untersucht. Erfreulicherweise wurde in diesem Band der 1990 erschienene Aufsatz von Christhard Hoffmann über das "Judentum als Antithese" wiederabgedruckt, der zum besten gehört, was zur Frage der Kontinuität des Antisemitismus geschrieben wurde.
Hoffmann erinnert an die bipolaren Denkmuster, in denen das Judentum als Negatives fixiert wurde. Dies beginnt mit der christlichen Theologie, in der Gegensatzpaare wie "Gott der Rache" versus "Gott der Liebe" oder "Buchstabe" versus "Geist" zur Disqualifikation des Judentums und zur christlichen Selbststilisierung gebildet wurden. Die rationalistische Kritik des 18. Jahrhunderts sah im Judentum vor allem "Unvernünftigkeit" und "Unmoral". Gemessen am Maßstab der "natürlichen Religion" und der "Vernunft" erschienen "die Vorschriften und Einrichtungen des mosaischen Gesetzes als absurd, abergläubisch, unmoralisch, roh, barbarisch".
Allerdings wird man die aufklärerische Kritik des orthodoxen Judentums nicht ohne weiteres als Antisemitismus bezeichnen können, weil sie einer generellen Kritik von Kirche und Religion entsprach, in der das Judentum nur ein Fall unter anderen war. Nicht das "Jüdische", sondern die Formen und Ansprüche des religiösen Lebens waren der Angriffspunkt. Zwischen Antiklerikalismus und Antisemitismus muß man wohl unterscheiden. Das Judentum verkörperte all das, was man mit den Religionskriegen des 17. Jahrhunderts überwunden glaubte. Das Übergewicht der Theologie habe bei den Juden die politische Staatsbildung, überhaupt einen Begriff von politischer Kultur verhindert. Schließlich galt den Aufklärern das orthodoxe Judentum "als Inbegriff für das Beharren auf dem Vergangenen, für Unbeweglichkeit, Starrsinn und Geschichtslosigkeit".
Die Gegenaufklärung unterstrich den besonderen Wert des orthodoxen Juden, den man in seiner "fremdartigen Erscheinung" mit "ehrfürchtiger Scheu" betrachten müsse. Man emphatisierte die "Eigentümlichkeit" jedes Volkes, wandte sich gegen die Politik der Assimilation, die man auf Grund fundamentaler wesensbedingter "völkischer" Unterschiede für unmöglich hielt. Die Gegenüberstellung von "Deutschtum" und "Judentum" wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch kulturell und religiös begründet, später mit biologistischen, völkisch-rassischen Motiven betrieben.
Es erscheint plausibel, wenn Hoffmann meint, zwar würden diese traditionellen Begründungen gelegentlich noch aufgegriffen, ihre öffentliche Wirksamkeit aber hätten sie weitgehend verloren. Der Antisemitismus in der Bundesrepublik könne seine Dynamik "am ehesten aus der Bearbeitung der nationalsozialistischen deutschen Vergangenheit" beziehen. Deutlich weist Hoffmann auf die Gefahr hin, das Selbstverständnis der Bundesrepublik nur oder überwiegend durch Abgrenzung gegen den Nationalsozialismus, durch offiziellen "Anti-Antisemitismus" und "Anti-Rassismus", durch negative Indentifikation zu bilden. Dies wecke bei der nachgeborenen Generation moralische Entlastungsbedürfnisse, die leicht zu einem "Antisemitismus nicht trotz, sondern wegen Auschwitz" (Dan Diner) führen könnten.
Unter diesem Aspekt erscheint die von François Furet jüngst vorgetragenen Ansicht (F.A.Z. vom 8. Mai 1995), die millionenfache Vernichtung der Juden sei nicht ausschließlich eine deutsche, sondern eine europäische Erfahrung, nahezu als Lösung aus den Aporien der negativen Symbiose von Deutschen und Juden. Gewiß erleichtert eine sich vage abzeichnende europäische Einheit die Auseinandersetzung mit der nationalen Vergangenheit, wie jüngst in den Niederlanden, Frankreich und Italien merklich wurde. Entscheidend ist hier freilich nicht der historische Sinn, sondern das Gedächtnis der Völker, das sich einer "Europäisierung" des Holocaust widersetzt.
Der Antisemitismus hat sich zu allen Zeiten sein eigenes Bild vom Juden geschaffen. Die Stereotypen reichen vom "Gottesmörder" bis zu Topoi wie "die Jüdin" oder "der Intellektuelle", "der Zersetzer". Alle prominenten anisemitischen Feindbilder sind nun von Julius H. Schoeps und Joachim Schlör zu einer Art kritisch kommentierten Galerie zusammengetragen worden. Liegt es am großzügigen Format des Bandes oder an der Präsentation von "Bildern" der Judenfeindschaft, es überkommt einen zunächst das Gefühl, dieser Band habe etwas von einer possierlich-selbstzufriedenen Geste, mit dem die Judenfeindschaft ordentlich wie im Poesiealbum Blatt für Blatt abgeheftet werde. Als beherrschten die Autoren, vor allem aber die Herausgeber das Phänomen selbst so sicher wie ein Naturforscher sein Material in der Botanisiertrommel. Ganz von der Hand zu weisen ist dieser Eindruck nicht, es überwiegt schließlich aber der Gewinn, den man aus den einzelnen Beiträgen zieht. MICHAEL JEISMANN
Wolfgang Benz (Hrsg.): "Antisemitismus in Deutschland". Zur Aktualität eines Vorurteils.Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1995. 235 S., br., 19,90 DM.
Julius H. Schoeps / Joachim Schlör (Hrsg.): "Antisemitismus". Vorurteile und Mythen.Piper Verlag, München, Zürich 1995. 310 S., Abb., geb., 54,- DM.
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