Produktdetails
- Verlag: Bastei Lübbe
- Seitenzahl: 528
- Abmessung: 41mm x 155mm x 220mm
- Gewicht: 775g
- ISBN-13: 9783785720370
- ISBN-10: 3785720378
- Artikelnr.: 09377863
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.09.2001Der Absonderliche
Musik vom seltsamen Heiligen:
Wolfgang J.Bekhs Bruckner-Buch
Spät- und Quereinsteiger unter sich: der 1824 geborene österreichische Komponist, Orgelvirtuose, Professor, Sonderling, erst spät zum Symphoniker gewordene Anton Bruckner, und sein jüngster Biograf, der Münchner Wolfgang Johannes Bekh. Bekh war Schauspieler an deutschen Theatern gewesen, bevor er als Sprecher und Redakteur zum Bayerischen Rundfunk wechselte. Dann kam ein eigenes Werk: Romane, Biografien, Essays. Warum jetzt Anton Bruckner? Die Faszination mag von Bruckners Musik ausgegangen sein, ihrer knorrigen Physiognomie, dem Sog von neun gewaltigen Symphonien. Der Lebens- und Leidensweg, der zu ihnen führte, dürfte die Affinität zu Bruckner beflügelt haben, zu einem „Unzeitgemäßen”, wie das Buch rechtens behauptet – und ausführt.
„Er war ein knieender Anarchist, ein seltsamer Heiliger, ein Zeuge. Er hat schon den Wahn des Wilhelminischen Kaiserreichs geschaut und jede Art von weiterem Wahn in seinen langen Abschied hereingenommen...” So fasst der Autor am Ende seines Buchs die widersprüchliche Figur zusammen und wundert sich ein letztes Mal über die „Dauerhaftigkeit” von Bruckners Musik bis auf den heutigen Tag. Als komme ihrer orchestralen und geistigen Schwere, ihrer Frömmigkeit unser 21.Jahrhundert eigentlich gar nicht mehr zu.
Genau die Mischung aus frommer Einfalt des Geistes und hohem, mit äußerster Denkschärfe praktiziertem Kompositionshandwerk hat ihn einst fürs abschätzige Missverstehen offen gemacht. Und heute für die seltsamerweise noch immer ansteigende Wertschätzung. Der Widerspruch schlägt nicht mehr um in ein Verständnisproblem: Bruckners Kunst kommt im Klanggewand ihrer spätromantischen („Wilhelminischen”) Zeit daher und kann dem oberflächlichen Hören als kruder Bombast anmuten, doch ihre harmonischen Kühnheiten, riesigen Zeit- und Formbögen sowie ihre Gefühlsradikalität weisen weit nach vorn.
Die biografische Bruckner-Vision Bekhs, sozusagen von unten aus dem täglichen Leben erzählt, anschaulich und farbig, dabei mehr auf „Leser” denn auf ein Fachpublikum gemünzt, bedient sich immer wieder fast szenischer Techniken. So „inszeniert” er gleich am Anfang einen kuriosen, etwas unheimlichen Vorgang, als wäre er schaudernd dessen Zeuge gewesen: Am 22. September 1888 werden in Wien auf dem alten Währinger Friedhof die Gebeine Franz Schuberts ausgegraben. Schubert ist sechzig Jahre tot, Bruckner gerade vierundsechzig Jahr alt geworden, entwirft schon seine letzte Symphonie, arbeitet entsagungsvoll gerade die kolossale Achte um. Drei Monate zuvor waren Beethovens Gebeine exhumiert worden. Anton Bruckner ist beide Male in nächster Nähe zugegen, seine Schubert- und Beethoven-Bewunderung hat manisch vereinnahmende, nekrophile Züge, sie fordert die Berührung mit dem Totenschädel. Man will es nicht zulassen, doch er glaubt sich sein Recht nehmen zu müssen. Der Vergleich mit Schillers Schädel in Goethes spätem Blick liegt auf der Hand – und noch ein anderer: „Bruckner befand sich auch in der Gesellschaft Hamlets.” Darauf schreitet er mit beim Kondukt durch Wien, dem zweiten Begräbnis Schuberts. „Gruselsucht” wird Bruckners kindliche Neigung zur schonungslosen Nähe der Bewunderung beiläufig genannt.
Besuch beim Meister
Die Szene will nicht mehr aus dem Gedächtnis. Ebenso nicht die devote, religiös gefärbte Verehrungssucht, die Bruckner zeitlebens Richard Wagner entgegenbringt. Wagner hatte die Widmung der dritten Symphonie huldvoll, das Brucknersche Genie jedoch klar erkennend angenommen, nur Cosima reagierte auf den schrulligen Österreicher despektierlich. Bruckners Bayreuth-Besuche sind Momente der Hingabe an einen „Meister”, immer wieder auch der unterschwelligen Komik, und ihre Beschreibungen nicht nur lesenswert, sondern geradezu unterhaltsam. Wie all die Topografien von Bruckners Leben, den Orten, Reisen, die Begegnungen. Immer bleibt die Verwunderung über einen Menschen, der – in der gusseisernen Gründerzeit wohlgemerkt – mit absolut unverbildet reinem Gemüt und Herzen durch die Welt geht.
Philologie oder Legenden, Wahrheit oder Gerüchte? Der reiche Stoff wird nicht nur ausgebreitet, sondern originell in Fluss gebracht. Bekh dürfte die lange Liste der Bruckner-Literatur, die der Anhang nennt, tatsächlich aufs Genaueste studiert haben. Und doch gelingt es ihm, den Fleiß sich nicht anmerken zu lassen, sich nicht erdrücken zu lassen von den solide verarbeiteten Zeugnissen der Zeitgenossen wie der späteren Forschung. Und für die Skizzierung von Bruckners musikalischer Welt besitzt Bekh nicht allein einige Kenntnisse, sondern merkbar eine besondere Intuition. Wobei er gerade für das Unbefangene, Kindliche, aber auch das skurril Tragische, Absonderliche in Bruckners Leben aufgeschlossen bleibt. Stichwort: Bruckner und die Frauen.
Gustav Mahler galt lange als der „Zeitgenosse der Zukunft”. Anton Bruckner ist, in bedächtigem Tempo, längst ein ebensolcher geworden. Der Autor weiß sich da besonders dem Dirigenten Sergiu Celibidache verbunden: Der hatte Bruckner den „größten Denker in der Musik” genannt. Das Buch schildert die merkwürdige Kehrseite dazu, die äußeren Umstände des Lebens, auch den Wahn.
WOLFGANG JOHANNES BEKH: Anton Bruckner. Biographie eines Unzeitgemäßen. Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 2001. 528 Seiten, 68 Mark. WOLFGANG SCHREIBER
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Musik vom seltsamen Heiligen:
Wolfgang J.Bekhs Bruckner-Buch
Spät- und Quereinsteiger unter sich: der 1824 geborene österreichische Komponist, Orgelvirtuose, Professor, Sonderling, erst spät zum Symphoniker gewordene Anton Bruckner, und sein jüngster Biograf, der Münchner Wolfgang Johannes Bekh. Bekh war Schauspieler an deutschen Theatern gewesen, bevor er als Sprecher und Redakteur zum Bayerischen Rundfunk wechselte. Dann kam ein eigenes Werk: Romane, Biografien, Essays. Warum jetzt Anton Bruckner? Die Faszination mag von Bruckners Musik ausgegangen sein, ihrer knorrigen Physiognomie, dem Sog von neun gewaltigen Symphonien. Der Lebens- und Leidensweg, der zu ihnen führte, dürfte die Affinität zu Bruckner beflügelt haben, zu einem „Unzeitgemäßen”, wie das Buch rechtens behauptet – und ausführt.
„Er war ein knieender Anarchist, ein seltsamer Heiliger, ein Zeuge. Er hat schon den Wahn des Wilhelminischen Kaiserreichs geschaut und jede Art von weiterem Wahn in seinen langen Abschied hereingenommen...” So fasst der Autor am Ende seines Buchs die widersprüchliche Figur zusammen und wundert sich ein letztes Mal über die „Dauerhaftigkeit” von Bruckners Musik bis auf den heutigen Tag. Als komme ihrer orchestralen und geistigen Schwere, ihrer Frömmigkeit unser 21.Jahrhundert eigentlich gar nicht mehr zu.
Genau die Mischung aus frommer Einfalt des Geistes und hohem, mit äußerster Denkschärfe praktiziertem Kompositionshandwerk hat ihn einst fürs abschätzige Missverstehen offen gemacht. Und heute für die seltsamerweise noch immer ansteigende Wertschätzung. Der Widerspruch schlägt nicht mehr um in ein Verständnisproblem: Bruckners Kunst kommt im Klanggewand ihrer spätromantischen („Wilhelminischen”) Zeit daher und kann dem oberflächlichen Hören als kruder Bombast anmuten, doch ihre harmonischen Kühnheiten, riesigen Zeit- und Formbögen sowie ihre Gefühlsradikalität weisen weit nach vorn.
Die biografische Bruckner-Vision Bekhs, sozusagen von unten aus dem täglichen Leben erzählt, anschaulich und farbig, dabei mehr auf „Leser” denn auf ein Fachpublikum gemünzt, bedient sich immer wieder fast szenischer Techniken. So „inszeniert” er gleich am Anfang einen kuriosen, etwas unheimlichen Vorgang, als wäre er schaudernd dessen Zeuge gewesen: Am 22. September 1888 werden in Wien auf dem alten Währinger Friedhof die Gebeine Franz Schuberts ausgegraben. Schubert ist sechzig Jahre tot, Bruckner gerade vierundsechzig Jahr alt geworden, entwirft schon seine letzte Symphonie, arbeitet entsagungsvoll gerade die kolossale Achte um. Drei Monate zuvor waren Beethovens Gebeine exhumiert worden. Anton Bruckner ist beide Male in nächster Nähe zugegen, seine Schubert- und Beethoven-Bewunderung hat manisch vereinnahmende, nekrophile Züge, sie fordert die Berührung mit dem Totenschädel. Man will es nicht zulassen, doch er glaubt sich sein Recht nehmen zu müssen. Der Vergleich mit Schillers Schädel in Goethes spätem Blick liegt auf der Hand – und noch ein anderer: „Bruckner befand sich auch in der Gesellschaft Hamlets.” Darauf schreitet er mit beim Kondukt durch Wien, dem zweiten Begräbnis Schuberts. „Gruselsucht” wird Bruckners kindliche Neigung zur schonungslosen Nähe der Bewunderung beiläufig genannt.
Besuch beim Meister
Die Szene will nicht mehr aus dem Gedächtnis. Ebenso nicht die devote, religiös gefärbte Verehrungssucht, die Bruckner zeitlebens Richard Wagner entgegenbringt. Wagner hatte die Widmung der dritten Symphonie huldvoll, das Brucknersche Genie jedoch klar erkennend angenommen, nur Cosima reagierte auf den schrulligen Österreicher despektierlich. Bruckners Bayreuth-Besuche sind Momente der Hingabe an einen „Meister”, immer wieder auch der unterschwelligen Komik, und ihre Beschreibungen nicht nur lesenswert, sondern geradezu unterhaltsam. Wie all die Topografien von Bruckners Leben, den Orten, Reisen, die Begegnungen. Immer bleibt die Verwunderung über einen Menschen, der – in der gusseisernen Gründerzeit wohlgemerkt – mit absolut unverbildet reinem Gemüt und Herzen durch die Welt geht.
Philologie oder Legenden, Wahrheit oder Gerüchte? Der reiche Stoff wird nicht nur ausgebreitet, sondern originell in Fluss gebracht. Bekh dürfte die lange Liste der Bruckner-Literatur, die der Anhang nennt, tatsächlich aufs Genaueste studiert haben. Und doch gelingt es ihm, den Fleiß sich nicht anmerken zu lassen, sich nicht erdrücken zu lassen von den solide verarbeiteten Zeugnissen der Zeitgenossen wie der späteren Forschung. Und für die Skizzierung von Bruckners musikalischer Welt besitzt Bekh nicht allein einige Kenntnisse, sondern merkbar eine besondere Intuition. Wobei er gerade für das Unbefangene, Kindliche, aber auch das skurril Tragische, Absonderliche in Bruckners Leben aufgeschlossen bleibt. Stichwort: Bruckner und die Frauen.
Gustav Mahler galt lange als der „Zeitgenosse der Zukunft”. Anton Bruckner ist, in bedächtigem Tempo, längst ein ebensolcher geworden. Der Autor weiß sich da besonders dem Dirigenten Sergiu Celibidache verbunden: Der hatte Bruckner den „größten Denker in der Musik” genannt. Das Buch schildert die merkwürdige Kehrseite dazu, die äußeren Umstände des Lebens, auch den Wahn.
WOLFGANG JOHANNES BEKH: Anton Bruckner. Biographie eines Unzeitgemäßen. Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 2001. 528 Seiten, 68 Mark. WOLFGANG SCHREIBER
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Mutmaßungen über die Beweggründe für dieses Buch stellt Wolfgang Schreiber an und entdeckt eine Affinität des Autors zu Bruckners verschlungenen Lebens- und Leidenswegen. Ein Grund dafür vielleicht, dass diese "biografische Bruckner-Vision", wie Schreiber erklärt, so farbig und anschaulich aus dem täglichen Leben des Komponisten erzählt und weniger das Fachpublikum als "den Leser" anspricht. Der Autor indes tut das auf eine Art, die Schreiber mitunter das Gruseln lehrt: Die gewählte "szenische Technik" bringt den armen Rezensenten ganz nah ans Geschehen, so auch ans wiedergeöffnete Grab Schuberts, wo Bruckners manische Verehrung für den großen Vorgänger ihre nekrophile Seite zeigt. Unterhaltsam sei das dennoch, besinnt sich Schreiber, und komisch. Last, not least, bewundert er das Händchen des Verfassers für Bruckners musikalische Welt: Den Kenntnissen darüber geselle sich "merkbar eine besondere Intuition.
© Perlentaucher Medien GmbH
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