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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2004

Die Einfalt im Walde
Constantin Floros schützt Bruckner / Von Michael Gassmann

Es gibt Biographen mit Beschützerinstinkt. Ihren Gegenstand meinen sie vor der feindlichen Umwelt in Schutz nehmen zu müssen. Constantin Floros, Hamburger Emeritus der Musikwissenschaft, ist solch ein Autor.

Das große Vorurteil, gegen das Floros angehen zu müssen glaubt, wurde schon von Gustav Mahler in eine prägnante Formulierung gepackt: Bruckner sei "ein einfältiger Mensch - halb Genie, halb Trottel". Will sagen: der Mensch Bruckner ein unbeholfen frommer Einfaltspinsel, der Komponist Bruckner das schiere Gegenteil, ein immens begabter, mit allen Wassern gewaschener Symphoniker. Die naheliegende Beruhigung der Biographen ist deshalb gelegentlich gewesen: Leben und Werk hätten bei Bruckner nichts miteinander zu tun. Floros möchte das Gegenteil beweisen, das Werk schlüssig aus dem Leben ableiten. Deshalb lautet der Untertitel nicht "Leben und Werk", sondern "Persönlichkeit und Werk". Floros schildert Bruckners Religiösität als tief empfunden, um sie nicht länger als naiv, Bruckners Ängste und Neurosen als verständlich, um sie nicht länger als sonderbar erscheinen zu lassen. Der "normalisierte" Bruckner läßt sich besser mit seinem OEuvre in Verbindung bringen.

Die Zeitzeugen haben Bruckner anders wahrgenommen. Sie berichten von Bruckners auffälligem Betragen. Es war das sonderbare Verhalten eines in Gesellschaft stark verunsicherten Menschen. Ein übers andere Mal bezeugen Briefe Bruckners die groteske Unterwürfigkeit, mit der sich der Komponist Personen näherte, die er für wichtig hielt oder bewunderte. Nicht alle haben es so drastisch formuliert wie Mahler, aber fest steht, daß viele Zeitgenossen Bruckner ähnlich "trottelig" wahrgenommen haben. Kann man die Wahrnehmung derjenigen, die Bruckner persönlich begegnet sind, über hundert Jahre später als klischeehaft abtun? Wenn nicht, dann müßte man, um die These von der engen Verbindung von Persönlichkeit und Werk zu untermauern, Einfältiges im OEuvre dingfest machen. Floros, der seinen Bruckner "Meister" nennt, spürt aber nur "demütig" klingende Stellen auf - was immer mit demütiger Musik gemeint sein könnte.

Floros ist keineswegs der erste, der Verbindungen von Persönlichkeit und Werk zu erkennen glaubt. Daß Bruckners starke Religiosität nicht nur seine Kirchenmusik verursacht, sondern auch Spuren in den Symphonien hinterlassen hat, ist naheliegend und unumstritten. Daß Bruckners langjährige Kontrapunktstudien, das Bemühen um handwerkliche Befähigung also, Folgen für die Textur seiner Musik hatte, in der Kontrapunkt-Künste immer wieder vorgezeigt werden, ist offensichtlich. Floros selbst zitiert die Formulierung Adornos, der in Bruckners Musik eine "walddunkle Unberührtheit" wahrgenommen hat. Hier klingt an, daß die Ungebrochenheit seiner Tonsprache mit der Weltfremdheit des Menschen Bruckner in Zusammenhang stehen könnte. Daß das Leben bei Bruckner etwas mit der Kunst zu tun hat, mußte von Floros nicht entdeckt werden.

Floros rennt denn auch kaum gegen Resultate der neuesten Bruckner-Forschung an, sondern gegen Uraltkritik meist aus der Lebenszeit des Komponisten. Sogar die seinerzeit von interessierten Kreisen geschürte Brahms-Bruckner-Kontroverse wärmt Floros auf, wenn er sich erregt: "Bruckners Musiksprache hat sich im Laufe der Zeit stark weiterentwickelt. Seine Symphonik unterliegt der Erscheinung des Stilwandels in einem Maße, für das man Parallelen aus der Musik von Johannes Brahms nicht ohne weiteres heranziehen kann." Hier wirft der Professor dem Brahms-Freund und Bruckner-Kritiker Eduard Hanslick den Fehdehandschuh hin. Hanslick starb 1904. Mit Arnold Schönberg legt sich Floros wegen dessen Aufsatz "Brahms, der Fortschrittliche" an. Provokant entgegnet ihm der Emeritus: "Kann wirklich davon die Rede sein, daß Bruckners Symphonik einen geringeren Grad an Komplexität als die Musik von Johannes Brahms aufweist?"

Versteht man schon die Leidenschaft nicht, mit der Floros Totengespräche führt, so ist die Art und Weise, wie er argumentiert und analysiert, erst recht erstaunlich und ärgerlich. Floros verwickelt sich in Widersprüche, wird auch unfreiwillig komisch. Um Hermann Levis 1887 geäußerten Vorwurf, die symphonische Form habe bei Bruckner fast etwas "Schablonenmäßiges", zu entkräften, verweist Floros auf die großen dynamischen Wirkungen in Bruckners Musik - als ob statische Form und dynamische Wirkung sich gegenseitig ausschließen müßten. Zugleich stützt er Levis Beobachtung, wenn er vom "architektonischen Typus" der Brucknerschen Symphonie spricht oder dem "Muster", dem sie von der Vierten an folgen. Solche Unschärfe prägt das Buch.

Da Floros die Vorstellung, Brahms könne von irgend jemandem für fortschrittlicher als Bruckner gehalten werden, peinigt, verweist er im Zusammenhang mit Schönbergs Aufsatz auf "mehrere" in Bruckners Wiener Kontrapunktvorlesungen gemachte "Äußerungen, die erkennen lassen, daß er den strengen Satz nicht für sakrosankt hielt". Das verbindet Bruckner mit jedem Musikstudenten. Kann man den Vorwurf, Bruckner sei ungebildet gewesen, mit dem Verweis auf die Lektüre eines Buches über die "Nordpolexpedition auf dem Schiffe Tegetthoff" entkräften?

Um einen Eindruck von der Präzision der musikalischen Analyse zu vermitteln, die Floros dem Leser bietet, genügt es, auf seine Unterscheidung zwischen "jubelnder" und "andächtiger" Musik zu sprechen zu kommen. Zwischen diesen "Polen" seien Bruckners Messen angesiedelt. "Während die ,jubelnde' Musik naturgemäß laut ist und den vollen vokalen sowie den vollständigen Orchesterapparat unter Einbeziehung der Hörner, der Trompeten, der Posaunen und der Pauken beansprucht, überschreitet die ,andächtige' Musik selten den Piano-Bereich, bevorzugt die weiche Klanggebung und begnügt sich mit einem reduzierten Orchester unter Auslassung der Trompeten, der Posaunen und der Pauken." Glaubt Floros, Bruckner mache von diesem Stilmittel exklusiv Gebrauch?

Die Banalität solcher Betrachtungen provoziert die Frage, an welchen Leserkreis sich der Autor wendet. Seine Attacken gegen vermeintliche Bruckner-Verächter aus dem Kreis der Fachkollegen scheinen auf eine Leserschaft aus diesem Kreis zu zielen; der Tonfall orientiert sich an Gesprächen eines Großvaters mit seinem Enkel. Obwohl diese Lebens- und Werkbeschreibung über weite Strecken in der Sprache eines populären Konzertführers abgefaßt ist, nützt sie nicht einmal dem Bruckner-Novizen. Sie verzichtet auf eine stringente Schilderung von Biographie und Werkgenese und versucht statt dessen, Bruckner-Kritiker dingfest zu machen. Das Haupt-Skandalon ist Constantin Floros zufolge, daß die "Meinungen über die Bedeutung des Symphonikers Bruckner" noch heute "nicht einhellig" seien. Das muß auch nicht sein.

Constantin Floros: "Anton Bruckner". Persönlichkeit und Werk. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2004. 300 S., Abb., geb., 26,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Völlig hin und weg ist Wolfgang Schreiber angesichts dieser Bruckner-Biografie. Eine Meisterleistung in jeder Hinsicht ist dem Musikwissenschaftler Constantin Floros aus der Feder geflossen, preist der Rezensent in hymnischem Ton. Das Werk sei klug komponiert und präsentiere sich auch literarisch-formal als wahrhaft meisterlich. Floros Grundthese ist es, dass Persönlichkeit und Werk keine getrennten Einheiten sind, sondern sich wechselseitig beeinflussen. Auch hieran hat der Kritiker nichts auszusetzen. Insgesamt sei mit dieser Biografie ein "überschaubares, scheinbar leicht und unprätentiös geschriebenes, auf jeden Fall schlüssiges und auch für den 'Musikliebhaber' mühelos lesbares Buch" entstanden. Die Verehrung des Autors kennt für Schreiber keine Grenzen. Das Nachwort hat ihn sogar an einen "krönenden Choral einer Bruckner-Symphonie" erinnert. Der Mann muss schreiben können!

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Constantin Floros, geboren 1930 in Saloniki, bis 1995 Professor für Musikwissenschaft an der Universität Hamburg. Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Erfurt, Präsident der Gustav-Mahler Vereinigung. Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a. über Mozart, Bruckner, Mahler, Brahms und Alban Berg.