Der im ersten Band enthaltene Katalog des uvres folgt einer thematischen Ordnung. Die Katalogtexte enthalten neben den üblichen Angaben zur archivalischen und bibliographischen Dokumentation Zustandsbeschreibungen sowie ikonographische und stilistische Analysen. Im nun auch vorgelegten zweiten Band werden die historischen Dimensionen von Mengs' künstlerischem, öffentlichem und theoretischem Wirken geschildert und in ihren jeweiligen kulturellen Zusammenhang eingeordnet.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.2004Immer üben! Macht gar keine Kunst!
Maler, bleib bei deinen Ideen: Warum Anton Raphael Mengs nicht ins Souvenirgeschäft einstieg / Von Patrick Bahners
Lesen bildet. Was lernt man nicht alles aus Büchern, und nicht allein aus denen unserer Dichter und Denker. Sogar das Sehen. "Wie gut und nützlich wäre es angehenden jungen Künstlern, wenn sie diese Lebensbeschreibung täglich vor Augen hätten und sich nach einem solchen Muster bildeten." So urteilte 1787 ein anonymer Rezensent über den schriftlichen Nachlaß des acht Jahre zuvor in Rom verstorbenen deutschen Malers Anton Raphael Mengs. Man möchte hoffen, daß die Mengs-Biographie von Steffi Roettgen dem einen oder anderen jungen Künstler unserer Tage in die Hände oder, mit Blick auf das Gewicht des Werkes, besser gesagt vor die Füße fällt. Nicht, daß sich heute noch ein Kollege nach diesem Muster wird bilden wollen. Dem steht schon entgegen, daß die wissenschaftliche Kunstgeschichte im Unterschied zur klassischen Kunstliteratur, von der sie das biographische Format übernommen hat, keine didaktischen Zwecke mehr verfolgt. Der Grund für die Publikation künstlerbiographischer Materialien war ursprünglich die Übermacht der Tradition. Für Mengs lautete die Lebensfrage, welchen Platz die Alten Meister einem neuen Maler ließen. In der Nachwelt herrschte lange die Antwort vor, die Frage sei falsch gestellt gewesen. Der Mengs-Mythos ist eine komische Variante der Geschichte des Ikarus: Er stürzte ab, weil er nicht hoch genug hinauswollte.
Seit die Kunst autonom ist, trägt ihre Historie die Last der Überlieferung alleine. Kein Maler arbeitet mehr sein Leben lang im Schatten Raffaels, wohl aber mancher Gelehrte. Steffi Roettgens Lebensbeschreibung des Anton Raphael Mengs ist ein Lebenswerk - obgleich die Verfasserin nebenbei auch ein zweibändiges Standardwerk über die Wandmalerei der Frührenaissance produziert hat. Ihr erster Mengs-Aufsatz ging 1968 in Druck, 1991 reichte sie die Werkmonographie in Berlin als Habilitationsschrift ein, 1999 erschien der Katalogband, jetzt endlich liegt mit naturgemäß umfangreichen Nachträgen und Anhängen der Darstellungsteil vor. Mit erfrischender Offenheit bekennt Steffi Roettgen im Vorwort, die jahrzehntelange Beschäftigung mit dem Menschen Mengs und seinen "charakterlichen Eigenarten" habe "eine Art der Identifikation" erzwungen, "die im Rückblick durchaus zwiespältig erscheint".
Mengs wurde nur einundfünfzig Jahre alt. Den Tod vor Augen, hatte er über Monate Abschied vom Leben genommen, hatte Vorsorge getroffen für seine Kinder und für eine postume Edition seiner Schriften. Nur von der Arbeit wollte er nicht lassen. Der König von Spanien, der ihn aus den Dienstpflichten des Ersten Hofmalers entlassen hatte, wartete auf eine Verkündigung. Freunden, die voll Sorge sahen, daß ihm die Palette aus der Hand zu fallen drohte, erklärte er, so viele Gnaden habe ihm der König erwiesen, daß er nicht anders könne, "als mit dem Pinsel in der Hand für ihn zu sterben". Wieviel Überwindung mag es Steffi Roettgen gekostet haben, den Pinsel aus der Hand zu legen? Merkwürdig, nach so langem Warten am fertigen Werk Spuren der Hast zu entdecken, die ein letzter Bearbeitungsgang hätte beseitigen können. Etliche Verweise auf die laufenden Nummern des Kataloges stimmen nicht - was immerhin anzeigt, wieviel dem OEuvre im Zuge der Recherchen zugewachsen ist. Zwar möchte Steffi Roettgen bescheiden einen Anfang der Mengs-Forschung setzen, indem sie auf hundertvierzig zweispaltig bedruckten Seiten sämtliche biographischen Nachrichten abdruckt. Aber nicht allein durch die Vollständigkeit der Dokumentation, sondern auch durch die Gesamtschau der Gesichtspunkte zeigt dieses Buch, daß es in der Wissenschaft gibt, was in der nachklassischen Kunst als Ding der Unmöglichkeit gilt: das unüberholbare Werk.
Nicht bloß dem frühen Tod ist es zuzuschreiben, daß die Lebensleistung von Mengs den Eindruck des Fragmentarischen macht. Als Hofkünstler hatte er aufwendige Auftragsarbeiten auszuführen. Während die Programme vorgegeben waren, brachte er strenge formale Prinzipien mit, die sich für das gefällige Arrangement vielköpfiger Gruppen, wie sie an Kirchendecken oder Schloßwänden unterzubringen waren, nicht besonders eigneten. So fand er für die großen Dekorationsprojekte in mehrfachem Sinne problematische Lösungen. Wie Loriots Kunstpfeifer stolz darauf ist, daß seine Darbietungen nicht so leicht ins Ohr gehen wie Peter Alexander, so müssen Mengs' Bewunderer der Tatsache Rechnung tragen, daß der Parnaß in der Villa Albani oder die Allegorie auf die Gründung des Museums Clementinum an der Decke der Stanza dei Papiri im Vatikan nicht in demselben Sinne Augenweiden sind wie die Himmelslandschaften seines Madrider Kollegen und Rivalen Tiepolo.
Nicht immer führte Mengs den Pinsel des Hofmalers so pflichteifrig wie in der letzten Stunde. Zumal den Erwartungen des sächsisch-polnischen Hofes, der ihn entdeckt und ihm mit der Italien-Reise die europäische Karriere ermöglicht hatte, verstand er sich zu entziehen. Jedoch suchte er sich kein alternatives Auskommen auf dem freien Markt. Wo sein römischer Rivale Pompeo Batoni nach einer Monopolstellung bei britischen Touristen durch die Standardisierung standesgemäßer Souvenirs strebte, da porträtierte Mengs seine Freunde und Gönner. Batoni war, machiavellistisch gesprochen, der neue Malerfürst, der ein Markenzeichen durchsetzte: Ein Batoni ist unverwechselbar, weil man ihn mit jedem anderen Batoni verwechseln kann. Mengs bildete keine Handschrift aus und signierte nie.
Sein Wirkungswille fand Erfüllung im Unterricht. Obwohl Lehrhaftigkeit und Rationalität der Kunst aus dem klassischen Primat des Allgemeinen vor dem Individuellen und der Idee vor der Erscheinung folgten, galt die diskursive Ausbildungsmethode schon zu seinen Lebzeiten als deutscher Nationalstil. Tatsächlich meint man Kant zu hören, wenn Mengs beklagt, daß die "edle Kunst fast als ein mechanisches Handwerk betrieben wird und man beständig vorgibt, sie könne nicht anders als durch andauernde Übung erlernt werden, nach Art, wie ein Schuster seinem Lehrjungen Schuhe machen lernt". So genau wie aus Akten von Künstlerhand möglich rekonstruiert die Biographin Mengs' Akademiereformpläne für Madrid und Rom. Im Fall der spanischen Academia de San Fernando tritt sie einer umgekehrten schwarzen Legende entgegen: Mengs habe die spanische Schultradition übermalen wollen. So hatte der berühmte Kunsthistoriker Roberto Longhi 1954 in Mengs' Kampf gegen die Akademie eine "ideologische Grausamkeit" entdeckt, die an Hitlers Kampagne gegen die "entartete Kunst" erinnere.
Weshalb mußte Mengs in seinen Selbstbildnissen auch den in die Ferne gerichteten Blick der barocken Feldherrnporträts nachahmen? Um seine Objektivität zu demonstrieren. Die Hand auf der geschlossenen Zeichenmappe verweist auf dieselbe Botschaft: Überlegenes Sehen ist ein geistiger Akt. Nicht nur trat Mengs mit den Winckelmann gewidmeten "Gedanken über die Schönheit und den Geschmack in der Malerei" als Kunsttheoretiker hervor. Steffi Roettgen möchte ihn auch als den ersten Kunsthistoriker gewürdigt sehen, der die von Winckelmann entwickelten Möglichkeiten einer inneren Geschichte der Kunst nach Stilkriterien für die Neuzeit nutzte. Obwohl Mengs nicht zur Schule gegangen war und sein Vater, ein sächsischer Hofmaler, ihm die Grundbegriffe eingetrichtert hatte, als wäre die Malerei eben doch nur ein spezialistisches Handwerk, wurde er als pictor doctus weithin berühmt. Die Kunstepoche, die in der Renaissance mit der Aufrichtung des klassischen Ideals begonnen hatte, führte Mengs an ihr Ende, in der theoretischen Konsequenz, wenn er dem Kopieren der Antiken den Vorzug gab vor der Nachahmung der Natur, wie in der geistigen Erscheinung: Der Intellektualismus der klassischen Ästhetik entließ den Künstler als Intellektuellen in eine Freiheit, von der erst die folgende Generation Gebrauch machte, Goya, der Maskenbildner der Hofgesellschaft, und David, der in Mengs' römischem Gipsmuseum den Abguß des Menelaos mit der Leiche des Patroklos zeichnete. In der Isolierung der wie Standbilder aufgefaßten Figuren des Musenhains der Villa Albani, der Atomisierung der Göttergruppen auf den Madrider Deckengemälden erkennt Steffi Roettgen eine Voraussetzung für die revolutionäre Neukonstruktion des Bildraums in Davids Bruderbundgründungsszenen: So wendet sie die Wertung des Walhalla-Führers Ludwig I. ins Positive, Komposition sei bei Mengs "meistens dieses Worts buchstäbliche Übersetzung: Zusammenstellung". Es ist faszinierend zu sehen, wie sich der späte Perseus auf dem Weg vom Entwurf zum Gemälde, das nach Mengs' Tod Katharina die Große erwarb, aus der Umarmung Andromedas löst und mit ausgestreckter Rechter in die heroische Einsamkeit hinaustritt.
Da er wußte, daß er sterben sollte, konnte Mengs sein letztes Bild als letztes gestalten. Schon die Freunde, die seine ersten Biographien schrieben, stellten den Vermächtnischarakter heraus - womit sie einem Topos der Künstlerbiographik die Ehre geben. An das erhabenste neuere Beispiel, Raffaels Verklärung, erinnert die Madrider Verkündigung durch den zweigeschossigen Bildaufbau. Canova übernahm den über dem Zwiegespräch schwebenden Gottvater in das Gemälde der Beweinung Christi, das er seinerseits zur Aufstellung in seiner eigenen Grabeskirche bestimmte.
In der Jungfrau Maria hat Mengs seiner Frau Margarita ein Denkmal gesetzt. Sanft schloß sich der Kreis eines Künstlerlebens, der uns im ersten Moment so künstlich erscheinen will, daß wir nicht glauben möchten, die Lebenslinie hätte sich ohne Gewalt zur vollkommenen, in sich zurücklaufenden Kurve biegen lassen. Denn als Modell für die Madonna hatte Mengs die Kutscherstochter kennengelernt, die ihn zum Katholizismus bekehrte. Nicht erst die Biographen deuteten die Suche nach dem Marienidealbild bei den römischen Mädchen im Lichte der Künstlerlegenden vom heiligen Lukas, der die Madonna malte, und von Apelles, der sich in die Geliebte Alexanders verliebte. Mengs selbst hat sein Leben nicht nur vom Ende her so angesehen, sondern von Anfang an geführt, wie es geschrieben werden mußte. Mit dieser These reiht sich Steffi Roettgen selbst in die Tradition der Künstlerbiographen ein, die sie abschließt wie Mengs die Tradition der Kunst: Die letzte Künstlerlegende handelt vom Künstlerintellektuellen, für den wie in unserer Epoche bei Dieter Roth Kunst und Leben zur Deckung kommen.
Die Heilige Familie für den Dresdner Hof, für die Margarita Guazzi ihrem künftigen Mann Modell saß, folgt ersichtlich in der Komposition dem Vorbild Raffaels - was wir nicht sehen, ist, daß die Komposition hier wirklich die Zusammenstellung der Gruppe im buchstäblichsten Sinne einschließt. Die fromme Nachschöpfung des Schülers triumphiert als Rechtfertigung des Meisters - der getadelt worden war, weil er seine Madonnen unter dem Volk suchte.
"Für diesen Maler kann man sich nur nach Büchern interessieren, er ist vielleicht der uninteressanteste und fadeste, den es je gegeben hat." Ein Jahrhundert nach dem Verdikt Justis hat die Idee unter dem Namen des Konzepts wieder die Herrschaft in der Kunst übernommen. Als einen Maler, mit dem man sich ernsthaft befassen muß, um seine Größe zu verstehen, charakterisiert Mengs in den "Gedanken" Raffael. In diesem Sinne, das zeigt Steffi Roettgen, ist Anton Raphael Mengs, dem sein Vater mit den Taufnamen das Schicksal in die Wiege legte, wirklich der zweite Raffael, als den Winckelmann ihn begrüßt hat.
Steffi Roettgen: "Anton Raphael Mengs". Band 2: Leben und Wirken. Hirmer Verlag, München 2003. 672 S., 388 Abb., geb., nur zus. mit Bd. 1 zu beziehen, 398,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Maler, bleib bei deinen Ideen: Warum Anton Raphael Mengs nicht ins Souvenirgeschäft einstieg / Von Patrick Bahners
Lesen bildet. Was lernt man nicht alles aus Büchern, und nicht allein aus denen unserer Dichter und Denker. Sogar das Sehen. "Wie gut und nützlich wäre es angehenden jungen Künstlern, wenn sie diese Lebensbeschreibung täglich vor Augen hätten und sich nach einem solchen Muster bildeten." So urteilte 1787 ein anonymer Rezensent über den schriftlichen Nachlaß des acht Jahre zuvor in Rom verstorbenen deutschen Malers Anton Raphael Mengs. Man möchte hoffen, daß die Mengs-Biographie von Steffi Roettgen dem einen oder anderen jungen Künstler unserer Tage in die Hände oder, mit Blick auf das Gewicht des Werkes, besser gesagt vor die Füße fällt. Nicht, daß sich heute noch ein Kollege nach diesem Muster wird bilden wollen. Dem steht schon entgegen, daß die wissenschaftliche Kunstgeschichte im Unterschied zur klassischen Kunstliteratur, von der sie das biographische Format übernommen hat, keine didaktischen Zwecke mehr verfolgt. Der Grund für die Publikation künstlerbiographischer Materialien war ursprünglich die Übermacht der Tradition. Für Mengs lautete die Lebensfrage, welchen Platz die Alten Meister einem neuen Maler ließen. In der Nachwelt herrschte lange die Antwort vor, die Frage sei falsch gestellt gewesen. Der Mengs-Mythos ist eine komische Variante der Geschichte des Ikarus: Er stürzte ab, weil er nicht hoch genug hinauswollte.
Seit die Kunst autonom ist, trägt ihre Historie die Last der Überlieferung alleine. Kein Maler arbeitet mehr sein Leben lang im Schatten Raffaels, wohl aber mancher Gelehrte. Steffi Roettgens Lebensbeschreibung des Anton Raphael Mengs ist ein Lebenswerk - obgleich die Verfasserin nebenbei auch ein zweibändiges Standardwerk über die Wandmalerei der Frührenaissance produziert hat. Ihr erster Mengs-Aufsatz ging 1968 in Druck, 1991 reichte sie die Werkmonographie in Berlin als Habilitationsschrift ein, 1999 erschien der Katalogband, jetzt endlich liegt mit naturgemäß umfangreichen Nachträgen und Anhängen der Darstellungsteil vor. Mit erfrischender Offenheit bekennt Steffi Roettgen im Vorwort, die jahrzehntelange Beschäftigung mit dem Menschen Mengs und seinen "charakterlichen Eigenarten" habe "eine Art der Identifikation" erzwungen, "die im Rückblick durchaus zwiespältig erscheint".
Mengs wurde nur einundfünfzig Jahre alt. Den Tod vor Augen, hatte er über Monate Abschied vom Leben genommen, hatte Vorsorge getroffen für seine Kinder und für eine postume Edition seiner Schriften. Nur von der Arbeit wollte er nicht lassen. Der König von Spanien, der ihn aus den Dienstpflichten des Ersten Hofmalers entlassen hatte, wartete auf eine Verkündigung. Freunden, die voll Sorge sahen, daß ihm die Palette aus der Hand zu fallen drohte, erklärte er, so viele Gnaden habe ihm der König erwiesen, daß er nicht anders könne, "als mit dem Pinsel in der Hand für ihn zu sterben". Wieviel Überwindung mag es Steffi Roettgen gekostet haben, den Pinsel aus der Hand zu legen? Merkwürdig, nach so langem Warten am fertigen Werk Spuren der Hast zu entdecken, die ein letzter Bearbeitungsgang hätte beseitigen können. Etliche Verweise auf die laufenden Nummern des Kataloges stimmen nicht - was immerhin anzeigt, wieviel dem OEuvre im Zuge der Recherchen zugewachsen ist. Zwar möchte Steffi Roettgen bescheiden einen Anfang der Mengs-Forschung setzen, indem sie auf hundertvierzig zweispaltig bedruckten Seiten sämtliche biographischen Nachrichten abdruckt. Aber nicht allein durch die Vollständigkeit der Dokumentation, sondern auch durch die Gesamtschau der Gesichtspunkte zeigt dieses Buch, daß es in der Wissenschaft gibt, was in der nachklassischen Kunst als Ding der Unmöglichkeit gilt: das unüberholbare Werk.
Nicht bloß dem frühen Tod ist es zuzuschreiben, daß die Lebensleistung von Mengs den Eindruck des Fragmentarischen macht. Als Hofkünstler hatte er aufwendige Auftragsarbeiten auszuführen. Während die Programme vorgegeben waren, brachte er strenge formale Prinzipien mit, die sich für das gefällige Arrangement vielköpfiger Gruppen, wie sie an Kirchendecken oder Schloßwänden unterzubringen waren, nicht besonders eigneten. So fand er für die großen Dekorationsprojekte in mehrfachem Sinne problematische Lösungen. Wie Loriots Kunstpfeifer stolz darauf ist, daß seine Darbietungen nicht so leicht ins Ohr gehen wie Peter Alexander, so müssen Mengs' Bewunderer der Tatsache Rechnung tragen, daß der Parnaß in der Villa Albani oder die Allegorie auf die Gründung des Museums Clementinum an der Decke der Stanza dei Papiri im Vatikan nicht in demselben Sinne Augenweiden sind wie die Himmelslandschaften seines Madrider Kollegen und Rivalen Tiepolo.
Nicht immer führte Mengs den Pinsel des Hofmalers so pflichteifrig wie in der letzten Stunde. Zumal den Erwartungen des sächsisch-polnischen Hofes, der ihn entdeckt und ihm mit der Italien-Reise die europäische Karriere ermöglicht hatte, verstand er sich zu entziehen. Jedoch suchte er sich kein alternatives Auskommen auf dem freien Markt. Wo sein römischer Rivale Pompeo Batoni nach einer Monopolstellung bei britischen Touristen durch die Standardisierung standesgemäßer Souvenirs strebte, da porträtierte Mengs seine Freunde und Gönner. Batoni war, machiavellistisch gesprochen, der neue Malerfürst, der ein Markenzeichen durchsetzte: Ein Batoni ist unverwechselbar, weil man ihn mit jedem anderen Batoni verwechseln kann. Mengs bildete keine Handschrift aus und signierte nie.
Sein Wirkungswille fand Erfüllung im Unterricht. Obwohl Lehrhaftigkeit und Rationalität der Kunst aus dem klassischen Primat des Allgemeinen vor dem Individuellen und der Idee vor der Erscheinung folgten, galt die diskursive Ausbildungsmethode schon zu seinen Lebzeiten als deutscher Nationalstil. Tatsächlich meint man Kant zu hören, wenn Mengs beklagt, daß die "edle Kunst fast als ein mechanisches Handwerk betrieben wird und man beständig vorgibt, sie könne nicht anders als durch andauernde Übung erlernt werden, nach Art, wie ein Schuster seinem Lehrjungen Schuhe machen lernt". So genau wie aus Akten von Künstlerhand möglich rekonstruiert die Biographin Mengs' Akademiereformpläne für Madrid und Rom. Im Fall der spanischen Academia de San Fernando tritt sie einer umgekehrten schwarzen Legende entgegen: Mengs habe die spanische Schultradition übermalen wollen. So hatte der berühmte Kunsthistoriker Roberto Longhi 1954 in Mengs' Kampf gegen die Akademie eine "ideologische Grausamkeit" entdeckt, die an Hitlers Kampagne gegen die "entartete Kunst" erinnere.
Weshalb mußte Mengs in seinen Selbstbildnissen auch den in die Ferne gerichteten Blick der barocken Feldherrnporträts nachahmen? Um seine Objektivität zu demonstrieren. Die Hand auf der geschlossenen Zeichenmappe verweist auf dieselbe Botschaft: Überlegenes Sehen ist ein geistiger Akt. Nicht nur trat Mengs mit den Winckelmann gewidmeten "Gedanken über die Schönheit und den Geschmack in der Malerei" als Kunsttheoretiker hervor. Steffi Roettgen möchte ihn auch als den ersten Kunsthistoriker gewürdigt sehen, der die von Winckelmann entwickelten Möglichkeiten einer inneren Geschichte der Kunst nach Stilkriterien für die Neuzeit nutzte. Obwohl Mengs nicht zur Schule gegangen war und sein Vater, ein sächsischer Hofmaler, ihm die Grundbegriffe eingetrichtert hatte, als wäre die Malerei eben doch nur ein spezialistisches Handwerk, wurde er als pictor doctus weithin berühmt. Die Kunstepoche, die in der Renaissance mit der Aufrichtung des klassischen Ideals begonnen hatte, führte Mengs an ihr Ende, in der theoretischen Konsequenz, wenn er dem Kopieren der Antiken den Vorzug gab vor der Nachahmung der Natur, wie in der geistigen Erscheinung: Der Intellektualismus der klassischen Ästhetik entließ den Künstler als Intellektuellen in eine Freiheit, von der erst die folgende Generation Gebrauch machte, Goya, der Maskenbildner der Hofgesellschaft, und David, der in Mengs' römischem Gipsmuseum den Abguß des Menelaos mit der Leiche des Patroklos zeichnete. In der Isolierung der wie Standbilder aufgefaßten Figuren des Musenhains der Villa Albani, der Atomisierung der Göttergruppen auf den Madrider Deckengemälden erkennt Steffi Roettgen eine Voraussetzung für die revolutionäre Neukonstruktion des Bildraums in Davids Bruderbundgründungsszenen: So wendet sie die Wertung des Walhalla-Führers Ludwig I. ins Positive, Komposition sei bei Mengs "meistens dieses Worts buchstäbliche Übersetzung: Zusammenstellung". Es ist faszinierend zu sehen, wie sich der späte Perseus auf dem Weg vom Entwurf zum Gemälde, das nach Mengs' Tod Katharina die Große erwarb, aus der Umarmung Andromedas löst und mit ausgestreckter Rechter in die heroische Einsamkeit hinaustritt.
Da er wußte, daß er sterben sollte, konnte Mengs sein letztes Bild als letztes gestalten. Schon die Freunde, die seine ersten Biographien schrieben, stellten den Vermächtnischarakter heraus - womit sie einem Topos der Künstlerbiographik die Ehre geben. An das erhabenste neuere Beispiel, Raffaels Verklärung, erinnert die Madrider Verkündigung durch den zweigeschossigen Bildaufbau. Canova übernahm den über dem Zwiegespräch schwebenden Gottvater in das Gemälde der Beweinung Christi, das er seinerseits zur Aufstellung in seiner eigenen Grabeskirche bestimmte.
In der Jungfrau Maria hat Mengs seiner Frau Margarita ein Denkmal gesetzt. Sanft schloß sich der Kreis eines Künstlerlebens, der uns im ersten Moment so künstlich erscheinen will, daß wir nicht glauben möchten, die Lebenslinie hätte sich ohne Gewalt zur vollkommenen, in sich zurücklaufenden Kurve biegen lassen. Denn als Modell für die Madonna hatte Mengs die Kutscherstochter kennengelernt, die ihn zum Katholizismus bekehrte. Nicht erst die Biographen deuteten die Suche nach dem Marienidealbild bei den römischen Mädchen im Lichte der Künstlerlegenden vom heiligen Lukas, der die Madonna malte, und von Apelles, der sich in die Geliebte Alexanders verliebte. Mengs selbst hat sein Leben nicht nur vom Ende her so angesehen, sondern von Anfang an geführt, wie es geschrieben werden mußte. Mit dieser These reiht sich Steffi Roettgen selbst in die Tradition der Künstlerbiographen ein, die sie abschließt wie Mengs die Tradition der Kunst: Die letzte Künstlerlegende handelt vom Künstlerintellektuellen, für den wie in unserer Epoche bei Dieter Roth Kunst und Leben zur Deckung kommen.
Die Heilige Familie für den Dresdner Hof, für die Margarita Guazzi ihrem künftigen Mann Modell saß, folgt ersichtlich in der Komposition dem Vorbild Raffaels - was wir nicht sehen, ist, daß die Komposition hier wirklich die Zusammenstellung der Gruppe im buchstäblichsten Sinne einschließt. Die fromme Nachschöpfung des Schülers triumphiert als Rechtfertigung des Meisters - der getadelt worden war, weil er seine Madonnen unter dem Volk suchte.
"Für diesen Maler kann man sich nur nach Büchern interessieren, er ist vielleicht der uninteressanteste und fadeste, den es je gegeben hat." Ein Jahrhundert nach dem Verdikt Justis hat die Idee unter dem Namen des Konzepts wieder die Herrschaft in der Kunst übernommen. Als einen Maler, mit dem man sich ernsthaft befassen muß, um seine Größe zu verstehen, charakterisiert Mengs in den "Gedanken" Raffael. In diesem Sinne, das zeigt Steffi Roettgen, ist Anton Raphael Mengs, dem sein Vater mit den Taufnamen das Schicksal in die Wiege legte, wirklich der zweite Raffael, als den Winckelmann ihn begrüßt hat.
Steffi Roettgen: "Anton Raphael Mengs". Band 2: Leben und Wirken. Hirmer Verlag, München 2003. 672 S., 388 Abb., geb., nur zus. mit Bd. 1 zu beziehen, 398,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
In dem zweiten Band der großen Mengs-Monografie sind "nun endlich die Materialien beisammen", um das Lebenswerk des klassizistischen Hofmalers "aus den Voraussetzungen seiner Zeit zu begreifen", staunt Jens Bisky. Steffi Roettgen sei es gelungen, das Bild Anton Raphael Mengs, der häufig als eine "Karikatur eines 'seelenlosen Kopisten' oder 'pedantischer Eklektiker'" dargestellt wurde, zu korrigieren und die "ausgeschriebenen Klischees" über jenen Maler zu zerstören, der später Goyas Mentor wurde. Dank Roettgen erscheint Mengs nicht mehr länger als ein "Betriebsunfall der Kunstgeschichte", so Bisky. Denn die Autorin lege einen Zusammenhang zwischen den künstlerischen Leistungen des späteren Goya und denen des "sächsischen Raffael" nahe. So fühlt sich Bisky von der "gewichtigen" Monografie zum "Blättern, Festlesen, Spurenverfolgen" eingeladen. Und wenn auch "die wenigsten der voraussetzungsreichen Mengschen Gemälde" den heutigen Betrachter "unmittelbar zu fesseln" vermögen, so fesseln doch "Leben und Werk in ihren Widersprüchen", versichert unser Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Die gewichtige Monografie ist eine Einladung zum Blättern, Festlesen und Spurenverfolgen."
Süddeutsche Zeitung
Süddeutsche Zeitung