Max Frisch debutierte 1934 mit dem Roman Jürg Reinhart. Eine sommerliche Schicksalsfahrt. Drei Jahre später publizierte er, ebenfalls in der Deutschen Verlagsanstalt (Stuttgart / Berlin), die "Erzählung aus den Bergen" mit dem Titel Antwort aus der Stille.
In der Ausgabe seiner Gesammelten Werke, veranstaltet anläßlich des 60. Geburtstags, erscheint diese Erzählung auf Wunsch des Autors nicht.
Mehr als 70 Jahre später ist dieses Frühwerk nun zum ersten Mal wieder zugänglich. Bereits hier wird das in Frischs Oeuvre dominante Motto der biographischen Identität - das in dieser Lebensphase des Autors auch eine autobiographische Dimension besitzt - zum Thema: Gibt es eine Selbstverwirklichung außerhalb der künstlerischen Existenz? Oder in den Worten der Antwort aus der Stille: War man nur ein zu verachtender "gewöhnlicher Bürger", wenn man auf das Wagnis des Außerordentlich verzichtet?Wenn Max Frisch das kurz nach Erscheinen von Antwort aus der Stille abgelegte Gelübde, nie wieder etwas zu schreiben, bricht - dann ist die Erklärung der Entscheidung für den Beruf des Schriftstellers in dieser Erzählung zu finden: Sie bildet somit das zentrale Movens seines gesamten Schaffens.
In der Ausgabe seiner Gesammelten Werke, veranstaltet anläßlich des 60. Geburtstags, erscheint diese Erzählung auf Wunsch des Autors nicht.
Mehr als 70 Jahre später ist dieses Frühwerk nun zum ersten Mal wieder zugänglich. Bereits hier wird das in Frischs Oeuvre dominante Motto der biographischen Identität - das in dieser Lebensphase des Autors auch eine autobiographische Dimension besitzt - zum Thema: Gibt es eine Selbstverwirklichung außerhalb der künstlerischen Existenz? Oder in den Worten der Antwort aus der Stille: War man nur ein zu verachtender "gewöhnlicher Bürger", wenn man auf das Wagnis des Außerordentlich verzichtet?Wenn Max Frisch das kurz nach Erscheinen von Antwort aus der Stille abgelegte Gelübde, nie wieder etwas zu schreiben, bricht - dann ist die Erklärung der Entscheidung für den Beruf des Schriftstellers in dieser Erzählung zu finden: Sie bildet somit das zentrale Movens seines gesamten Schaffens.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.2009Küsse in der Gipfelhütte
Fingerübung, missglückt: Max Frischs frühe Erzählung "Antwort aus der Stille"
Natürlich geht der Neuauflage eines Werkes, das der Autor selbst nicht mehr gedruckt sehen wollte, eine Güterabwägung voraus. Max Frisch hatte "Antwort aus der Stille", seine Erzählung aus den Bergen (erstmals publiziert 1937), gegenüber Hans Mayer, dem Herausgeber der "Gesammelten Werke", als missglückt bezeichnet und eigenhändig von der Ausgabe ausgeschlossen. Soll der Wille des Schriftstellers akzeptiert werden, der einen Hang zur zwanghaften Kontrolle seines OEuvres hatte und Missratenes jeweils lustvoll verbrannte? Oder ist die literarische Substanz so augenfällig, dass sich die Übertretung des Autorengebotes geradezu aufdrängt?
Der Germanist und Stiftungsratspräsident der Zürcher Max-Frisch-Stiftung, Peter von Matt, hat sich für die zweite Variante entschieden und die Erzählung in einer eigenständigen Publikation neu herausgebracht. Das ist, angesichts der Schwäche dieses frühen Textes - Frisch schrieb das "Jugendwerk" mit fünfundzwanzig Jahren -, mit Sicherheit eine unglückliche Entscheidung. Frisch selbst hatte die Sache genau richtig gesehen. Die Geschichte des dreißigjährigen, kurz vor der Heirat stehenden Dr. Balz Leuthold, der sich auf einer Gebirgstour in eine gefährliche Grenzsituation manövriert, um daraus als Geläuterter und Gewandelter zurückzukehren, wirkt heute hochgradig kitschig und rührselig. Junge Leser, welche die Lektüre vielleicht als erstes Werk in die Hände bekommen, werden ein schiefes Bild des bedeutenden Schriftstellers gewinnen. Dass die Geschichte trotzdem erscheint, begründet von Matt mit der in Fällen solcher "Jugendsünden"-Literatur üblichen Standarderklärung aller Germanisten: Im Kern sei hier schon Frischs späteres Werk vorweggenommen. Die Publikation fülle eine Lücke - auch für die Forschung. Dagegen ist nun allerdings einzuwenden, dass Typoskript und Erstausgabe keineswegs verschollen waren, sondern im Archiv an der ETH schon immer zugänglich gemacht wurden. Nichts wäre leichter gewesen, als die Erzählung im Zuge der kürzlich erfolgten Digitalisierung des Frisch-Archivs für Interessierte im Internet oder als "book on demand" anzubieten. Als eigenständige Publikation setzt man sie, vielleicht ohne es zu wollen, einem Anspruch aus, dem sie nicht gerecht werden kann.
Max Frisch arbeitet in "Antwort aus der Stille" mit einer durchaus konventionellen metaphorischen Versuchsanlage, wie sie von anderen Schweizer Schriftstellern wie Ludwig Hohl in seinem "Jugendtagebuch" oder von Meinrad Inglin in "Furggel" ebenfalls erprobt wurde: der Berg als Ort der Selbstfindung und des Umschlags des Schicksals. Der auf seinen Körper zurückgeworfene, mit dem Überleben kämpfende, von diffusen Sehnsüchten getriebene Protagonist kehrt als Verwandelter in ein Leben zurück, das sich ihm von jetzt an von einer neuen Seite präsentiert. Das wäre kein schlechter Ausgangspunkt, hätte Max Frisch seinen Plot nicht mit einer Mischung aus Verstiegenheit und Pathos aufwerten wollen und in einer mehr oder weniger naiven Sprache umgesetzt.
Dr. Leuthold nämlich ist sich seiner Identität nicht sicher. Er befürchtet, ein gewöhnlicher Mensch zu sein, "lächerlicher und dümmer und schlechter und wertloser als alle Menschen dieser Erde, so war es wohl ein schmerzlicher Gedanke, aber noch kein trostloser; denn noch war ja die Süße darin, dass man mindestens auf diese Weise ein besonderer Mensch sei, vielleicht ein Verbrecher, und erst als man auch im Schlechten nichts leistete, was andere nicht ebenso konnten, wuchs eine neue und trostlosere Angst, dass es vielleicht überhaupt ausbleiben könnte". Dieses jugendliche Hoffen und Bangen wird kurz vor der gefährlichen Bergfahrt unterbrochen von einer jungen Fremden im roten Kleid, die Leuthold plötzlich, Blumen pflückend, auf der Wiese entdeckt, "am Waldrand weiden auch wieder die schwarzen Ziegen, deren verstreutes Gebimmel man jeden Morgen hört". Kurz und gut, der Held schläft im Zelt mit der schönen Dänin, bevor er sich zur Tour aufmacht. Mirakulöserweise treffen jetzt die Verlobte Barbara und die Geliebte Irene in der Hütte aufeinander. Allein, sie kennen keine Rivalität. In der Angst um den plötzlich Verschwundenen und am Berg verunglückt Geglaubten verbünden sie sich. Sie leiden ohne Worte gemeinsam, so dass sich "Irene einmal über das reglose Mädchen beugt und es küsst, mütterlich und fast segnend, auf Mund und Stirn und Augen". Doch die Sorge ist überflüssig. Der Held kehrt zurück, zwar mit erfrorenen Gliedern, aber er sinkt sofort mit neuer Sehnsucht und "wissendem Herzen" in den schweren Schlaf.
Dass ein großer Autor in seiner Jugend eine Erzählung mit trivialen Elementen publiziert, ist allenfalls eine lässliche Sünde. Trotzdem wäre es gewiss klüger gewesen, diesen Text innerhalb einer neuen Gesamtausgabe zu publizieren oder, noch besser, im Kontext der elf Reportagen aus den Alpen, die Frisch in den dreißiger Jahren für die "Neue Zürcher Zeitung" verfasst hat. In diesem Umfeld wäre nicht nur das Pathos relativiert worden, sondern die Beschäftigung des jungen Frisch mit der Identitäts- und Bildungsproblematik wä- re offensichtlich geworden, denn sie zeigt sich auch in diesen Reportagen. So aber, ohne relativierendes Umfeld, wurde nicht mehr publiziert als die Fingerübung eines pröbelnden, sich testenden Nachwuchsschriftstellers.
PIA REINACHER
Max Frisch: "Antwort aus der Stille". Eine Erzählung aus den Bergen. Mit einem Nachwort von Peter von Matt. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 172 S., geb., 18,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Fingerübung, missglückt: Max Frischs frühe Erzählung "Antwort aus der Stille"
Natürlich geht der Neuauflage eines Werkes, das der Autor selbst nicht mehr gedruckt sehen wollte, eine Güterabwägung voraus. Max Frisch hatte "Antwort aus der Stille", seine Erzählung aus den Bergen (erstmals publiziert 1937), gegenüber Hans Mayer, dem Herausgeber der "Gesammelten Werke", als missglückt bezeichnet und eigenhändig von der Ausgabe ausgeschlossen. Soll der Wille des Schriftstellers akzeptiert werden, der einen Hang zur zwanghaften Kontrolle seines OEuvres hatte und Missratenes jeweils lustvoll verbrannte? Oder ist die literarische Substanz so augenfällig, dass sich die Übertretung des Autorengebotes geradezu aufdrängt?
Der Germanist und Stiftungsratspräsident der Zürcher Max-Frisch-Stiftung, Peter von Matt, hat sich für die zweite Variante entschieden und die Erzählung in einer eigenständigen Publikation neu herausgebracht. Das ist, angesichts der Schwäche dieses frühen Textes - Frisch schrieb das "Jugendwerk" mit fünfundzwanzig Jahren -, mit Sicherheit eine unglückliche Entscheidung. Frisch selbst hatte die Sache genau richtig gesehen. Die Geschichte des dreißigjährigen, kurz vor der Heirat stehenden Dr. Balz Leuthold, der sich auf einer Gebirgstour in eine gefährliche Grenzsituation manövriert, um daraus als Geläuterter und Gewandelter zurückzukehren, wirkt heute hochgradig kitschig und rührselig. Junge Leser, welche die Lektüre vielleicht als erstes Werk in die Hände bekommen, werden ein schiefes Bild des bedeutenden Schriftstellers gewinnen. Dass die Geschichte trotzdem erscheint, begründet von Matt mit der in Fällen solcher "Jugendsünden"-Literatur üblichen Standarderklärung aller Germanisten: Im Kern sei hier schon Frischs späteres Werk vorweggenommen. Die Publikation fülle eine Lücke - auch für die Forschung. Dagegen ist nun allerdings einzuwenden, dass Typoskript und Erstausgabe keineswegs verschollen waren, sondern im Archiv an der ETH schon immer zugänglich gemacht wurden. Nichts wäre leichter gewesen, als die Erzählung im Zuge der kürzlich erfolgten Digitalisierung des Frisch-Archivs für Interessierte im Internet oder als "book on demand" anzubieten. Als eigenständige Publikation setzt man sie, vielleicht ohne es zu wollen, einem Anspruch aus, dem sie nicht gerecht werden kann.
Max Frisch arbeitet in "Antwort aus der Stille" mit einer durchaus konventionellen metaphorischen Versuchsanlage, wie sie von anderen Schweizer Schriftstellern wie Ludwig Hohl in seinem "Jugendtagebuch" oder von Meinrad Inglin in "Furggel" ebenfalls erprobt wurde: der Berg als Ort der Selbstfindung und des Umschlags des Schicksals. Der auf seinen Körper zurückgeworfene, mit dem Überleben kämpfende, von diffusen Sehnsüchten getriebene Protagonist kehrt als Verwandelter in ein Leben zurück, das sich ihm von jetzt an von einer neuen Seite präsentiert. Das wäre kein schlechter Ausgangspunkt, hätte Max Frisch seinen Plot nicht mit einer Mischung aus Verstiegenheit und Pathos aufwerten wollen und in einer mehr oder weniger naiven Sprache umgesetzt.
Dr. Leuthold nämlich ist sich seiner Identität nicht sicher. Er befürchtet, ein gewöhnlicher Mensch zu sein, "lächerlicher und dümmer und schlechter und wertloser als alle Menschen dieser Erde, so war es wohl ein schmerzlicher Gedanke, aber noch kein trostloser; denn noch war ja die Süße darin, dass man mindestens auf diese Weise ein besonderer Mensch sei, vielleicht ein Verbrecher, und erst als man auch im Schlechten nichts leistete, was andere nicht ebenso konnten, wuchs eine neue und trostlosere Angst, dass es vielleicht überhaupt ausbleiben könnte". Dieses jugendliche Hoffen und Bangen wird kurz vor der gefährlichen Bergfahrt unterbrochen von einer jungen Fremden im roten Kleid, die Leuthold plötzlich, Blumen pflückend, auf der Wiese entdeckt, "am Waldrand weiden auch wieder die schwarzen Ziegen, deren verstreutes Gebimmel man jeden Morgen hört". Kurz und gut, der Held schläft im Zelt mit der schönen Dänin, bevor er sich zur Tour aufmacht. Mirakulöserweise treffen jetzt die Verlobte Barbara und die Geliebte Irene in der Hütte aufeinander. Allein, sie kennen keine Rivalität. In der Angst um den plötzlich Verschwundenen und am Berg verunglückt Geglaubten verbünden sie sich. Sie leiden ohne Worte gemeinsam, so dass sich "Irene einmal über das reglose Mädchen beugt und es küsst, mütterlich und fast segnend, auf Mund und Stirn und Augen". Doch die Sorge ist überflüssig. Der Held kehrt zurück, zwar mit erfrorenen Gliedern, aber er sinkt sofort mit neuer Sehnsucht und "wissendem Herzen" in den schweren Schlaf.
Dass ein großer Autor in seiner Jugend eine Erzählung mit trivialen Elementen publiziert, ist allenfalls eine lässliche Sünde. Trotzdem wäre es gewiss klüger gewesen, diesen Text innerhalb einer neuen Gesamtausgabe zu publizieren oder, noch besser, im Kontext der elf Reportagen aus den Alpen, die Frisch in den dreißiger Jahren für die "Neue Zürcher Zeitung" verfasst hat. In diesem Umfeld wäre nicht nur das Pathos relativiert worden, sondern die Beschäftigung des jungen Frisch mit der Identitäts- und Bildungsproblematik wä- re offensichtlich geworden, denn sie zeigt sich auch in diesen Reportagen. So aber, ohne relativierendes Umfeld, wurde nicht mehr publiziert als die Fingerübung eines pröbelnden, sich testenden Nachwuchsschriftstellers.
PIA REINACHER
Max Frisch: "Antwort aus der Stille". Eine Erzählung aus den Bergen. Mit einem Nachwort von Peter von Matt. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 172 S., geb., 18,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Zurecht verworfen hat Max Frisch die nun wiederaufgelegte Erzählung "Antwort aus der Stille", urteilt Lothar Müller in direkter Entgegnung auf den Verfasser des Nachworts, Peter von Matt. Der Erzählband sei eben kein Vorgriff auf Frischs spätere Werke, wenigstens nicht stilistisch. Eher kommt das Buch als ein Spiegelbild von Frischs damaliger Lektüre daher, erklärt Müller, beispielsweise Hans Carossas "Führung und Geleit" und Ernst Wiecherts "Die Majorin". Dadurch lasse sich auch der holpernde pathetische Stil erklären, der mit "prätentios raunenden" Adverbien aufwartet und eine auffällige Vielzahl an Sätzen mit drei Punkten enden lässt. Hermann Hesses Einschätzung eines misslungenen Jungwerks, die Müller in seiner Rezension anführt, erklärt er denn auch für weiterhin gültig. Allerdings ist die Neuauflage dennoch nützlich, denn dadurch und durch das "lesenswerte Nachwort" werde deutlich, warum Max Frisch diese Erzählung in seiner Gesamtausgabe nicht haben wollte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Antwort aus der Stille ist nicht nur ein literaturhistorisches Dokument. Es zeigt den Schriftsteller als Anfänger, gewiss; aber ist nicht hier schon fast alles Spätere im Kern angelegt? Hier sind die pathetischen, an der Welt leidenden Figuren vorgezeichnet, die Frisch später ... unter den Namen Stiller, Gantenbein oder Geiser auftreten ließ. Diese Neuausgabe war längst überfällig.« Roman Bucheli Neue Zürcher Zeitung 20091013