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  • Buch

Produktdetails
  • Verlag: Hanser
  • ISBN-13: 9783446199958
  • ISBN-10: 3446199950
  • Artikelnr.: 09386576
Autorenporträt
Philippe Jaccottet, 1925 in Moudon/Waadtland geboren, lebt seit 1953 im südfranzösischen Grignan/Drôme. Für sein umfangreiches Werk wurde er u.a. mit dem Petrarca-Preis und dem Friedrich-Hölderlin-Preis ausgezeichnet. 2014 wurde sein Gesamtwerk in die Bibliothèque de la Pléiade aufgenommen. Auf Deutsch erschienen zuletzt Der Unwissende (Gedichte und Prosa, 2003), Truinas, 21. April 2001 (2005), die Anthologie Die Lyrik der Romandie (2008), Notizen aus der Tiefe (2009), Sonnenflecken, Schattenflecken (2015) und Gedanken unter den Wolken (2018).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2001

Fragmente des Bärenwurz
Philippe Jaccottets "Antworten am Wegrand" / Von Thomas Poiss

Als pastellfarbene Idyllen von blühenden Quittengärten und von Blumenwiesen im Kolorit portugiesischer Fayencen erscheinen Philippe Jaccottets Texte nur dem hastigen Leser. Wer aber nur kurz innehält, kann einem Dichter zusehen, der mit Schälmesser und Schräglicht die feinsten Fasern der Empfindung und die materielle Struktur der Sprache präpariert, stillstellt und erst dann wieder durchscheinend werden läßt auf Mächte, die durch Sprache immer nur indirekt bezeichnet werden können: Trauer, Tod, Zerfall auch des Geistes. Das ganze Lichte und Leichte der vorliegenden Prosagedichte ist also nur ein durch kunstvolle Anordnung gewonnener Einblick in den Farbfilm, der als Glanz auf der sichtbaren Welt liegt; die Welt selbst ist, was sie immer war: Nacht, Kälte und fruchtbare Finsternis des Erdreichs.

Daher sind auch die "Antworten", die der deutsche Titel verheißt, sehr begrenzt und im letzten sogar stumm. Denn die wortlose Frage, auf die "Kreuzkraut, Wegwarte, Bärenwurz" antworten, wird auf dem Weg zu einem Sterbenden gestellt. Die Pflanzennamen bedeuten nichts, helfen nicht, trösten nicht, aber als irdische Manifestationen des Lichts in den "kalten" Farben Weiß, Blau und Gelb tragen sie zum Bild der Wiese bei, die über der dunklen Erdnarbe grünt. Auch andere beliebte Sinnträger in symbolischen Naturbeschwörungen werden bei Jaccottet paradox ins Bild gesetzt: Der Lerchengesang vor Morgen schrillt in eine eisige Bergnacht, die Erregung der Vögel wird sogar als "Beharrlichkeit und Wut" gedeutet, als Wut, die das Morgenlicht herbeizwingen soll. Jaccottets Welt ist nicht heil, sondern allenfalls im Akt der Heilung begriffen; Jaccottet erzeugt "Bilder, deren Bewegung, wie die der Vögel, das Universum von neuem vernäht". Die zarten Töne und Linien der Texte schweben bloß über dem Riß der Welt als "Augenblicke des Übergangs". Genau für diese Aspekte will das "Cahier de verdure" - so der unübersetzbare Originaltitel - die "Zuflucht eines Augenblicks" finden. "Verdure" im Sinne von Vegetation und als Farbname bezeichnet zugleich den Prozeß des Grünens wie das Material des Künstlers. Im französischen Original wie in der in Detail und Duktus ungetrübten Übersetzung fügen sich Wörter wie "verdure" zu einer "Sprache aus Glas", einer "durchsichtigen Sprache", die nicht mehr bloß auf Außersprachliches verweist, sondern deren Zusammenspiel einen Bereich reziproken Bedeutens erschließt. Wohl jeder hat schon einmal - als Kind, in mystischer Experimentierlust oder Ergriffenheit - auf einem Spaziergang mit einem Baum Zwiesprache gehalten, wie Martin Buber es einst zum Paradigma seines dialogischen Denkens gemacht hat, aber nur einem Dichter wie Jaccottet gelingt es, anderes als das Rauschen des eigenen Ohres zu hören und sich in der Beschreibung eines abendlichen Kirschbaums seiner Sprache so zu entäußern, daß dem mit Worten Bedachten ein Eigenlicht zuwächst, "viel zu schön, um nichts anderes zu sein als Trug". Jaccottet meidet Mystik, er justiert vielmehr in steter Selbstkorrektur seine Worte so um, bis aus Prosa Verse entspringen und bis wir, die "auf dem Dach der Hölle" gehen, die Blüten nicht bloß anschauen, sondern erkennen: "Erinnert euch, / gäbe es einen Blitz, langsam, / und zum Sterben zart, / der den Leib durchströmt, / dann ist es das, was das Sterben uns nimmt."

Philippe Jaccottet: "Antworten am Wegrand". Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Edl und Wolfgang Matz. Carl Hanser Verlag, München/Wien 2001. 80 S., br., 25,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Thomas Poiss hält Philippe Jaccottet für einen ganz besonderen Dichter. Seine Gedichte sind für den Rezensenten das Resultat einer bedachten Schälung. Trauer, Tod, Zerfall des Geistes - das sind allesamt "Mächte", die mit Sprache nur indirekt bezeichnet werden können, denkt Poiss. Der Dichter lege die feinsten Fasern und Empfindungen, die mit diesen Mächten verbunden sind, frei. Und zwar ohne Mystik. In steter "Selbstkorrektur" drehe Jaccottet vielmehr seine Worte so lange, bis aus Prosa Verse würden, so der bewundernde Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH"