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Berthold Hinz erzählt, wie die schöne nackte Göttin Aphrodite im christlichen Mittelalter verdrängt wurde, wie dann aber die wunderbaren gotischen Marienstatuen immer schöner und aphroditengleicher wurden. Und wie schließlich die Renaissance sinnliche, ganz und gar menschliche Frauenbildnisse schuf als Wiedergeburt der heidnischen Göttin. Eine mit großer Spannung erzählte Kunstgeschichte mit vielen Bildern.

Produktbeschreibung
Berthold Hinz erzählt, wie die schöne nackte Göttin Aphrodite im christlichen Mittelalter verdrängt wurde, wie dann aber die wunderbaren gotischen Marienstatuen immer schöner und aphroditengleicher wurden. Und wie schließlich die Renaissance sinnliche, ganz und gar menschliche Frauenbildnisse schuf als Wiedergeburt der heidnischen Göttin. Eine mit großer Spannung erzählte Kunstgeschichte mit vielen Bildern.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.1998

Erst Dürer ging dann wieder ran wie Blücher
Allgemeine Lehrpflicht hinter der Skulpturenfront: Berthold Hinz feiert Aphrodite / Von Rose-Maria Gropp

Das Übliche: eine Herrenpartie. Und die Dame überlebensgroß. Die Knidische Aphrodite maß 205 Zentimeter in der Höhe. Das immerhin ist bekannt und daß Praxiteles sie zwischen 350 und 340 vor Christus schuf. Auf uns gekommen ist sie nur als Abglanz, in Form der Venus Colonna in den Vatikanischen Museen. Bestimmt hatte sie ein anderes Antlitz, es wird göttlicher gewesen sein und auf jeden Fall dem irdischen Betrachter nicht so zugewandt. Von hinten, a tergo, muß die Knidia ebenfalls großen Reiz gehabt haben, wie die uns von Plinius überlieferte Herrentour unzweideutig hinterbringt. Durch die Hintertür ihrer Cella nämlich konnte man seiner ansichtig werden, des berückenden Rückens der Göttin in ihrem Heiligtum. Was die jungen Männer auf ihrer antiken Grand Tour - rund vierhundert Jahre, nachdem der Meister die Frau in makellosen Marmor gemeißelt hatte - goutieren, um dann einen häßlichen Fleck zu konstatieren. Den kann ihnen die Tempelwärterin, gegen ein geringes Entgelt, mit dem Hinweis auf einen weiland Jüngling aus bester Familie erklären, dessen Leidenschaft so weit ging, daß er sich eines schönen Abends unbemerkt mit der Göttin in ihrem Tempel habe einschließen lassen - und "als es tagte, fand sich die Spur der leidenschaftlichen Umarmung, und die Göttin trug den Flecken als Mal der ihr widerfahrenen Schmach".

So etwas könnte man mit Fug eine Urszene nennen. Und wenn schon nicht die Göttin, so doch der längst verzweifelnd verblichene Jüngling wäre überreif für die Couch gewesen. Natürlich hat auch Berthold Hinz seinen Sigmund Freud gelesen (und Krafft-Ebing auch), aber so einfach macht er es sich wirklich nicht. Hinz wirft nicht die Fiktionen aus bald zwei Jahrtausenden aufs Sofa, sondern er rückt erst einmal dem "knidischen Syndrom" zu Leibe, um die Geschichte einer abendländischen Leidenschaft aufzurollen. Dieses Syndrom umspielt die Statuenliebe, auch Statuophilie geheißen, ihre pathologischen Implikationen inklusive.

Das erste Drittel der Untersuchung widmet sich diesem Phänomen nun von - buchstäblich - allen Seiten. Mit seiner Kypris von Knidos ist dem Praxiteles die erste, in all ihren Formen vollständig weibliche Skulptur der griechischen Plastik gelungen, wenngleich unter dem Vorzeichen der geglätteten Anatomie. Ihre Anziehungskraft hatte wahrhaft tourismuspolitische Auswirkungen für die Küstenstadt, und das Aufscheinen der Aphrodite leitete jene Tendenz in der griechischen Plastik ein, die schon Zeitgenossen als den Wettstreit der Kunst mit der Natur verstanden - auch ohne ungebührliche Annäherungsversuche, die indessen in der Überlieferung immer wieder erwähnt werden.

Der Kasseler Kunsthistoriker erzählt das alles mit wunderhübschen Belegen. Im zweiten Teil muß er dann sein Sujet über die schreckliche, die rundbildfreie Zeit, über das Mittelalter und seine, nennen wir es einmal hilfsweise, Statuophobie retten. Das Christentum, kurz gefaßt, mit seinem traumatisierten Körperbild macht die antiken Statuen, allen voran unsere alte Freundin, infektiös; es bevölkert sie mit Dämonen und läßt sie sozusagen in die Fläche verschwinden, aus der sie mühsam erst in der Romanik wieder hervorbrechen. Hinz verschmilzt also diverse Stränge zu einem Diskurs, der sich dann (nicht gerade originell) eine Spurensuche nennt. Es sei dies, so definiert er an einer Stelle den Zweck des Unterfangens, die Spurensuche der "psycho-somatischen" Realitäten in der Folge des Aufkommens und der Verdrängung der anthropomorphischen Skulptur. Sein Buch bündelt artverwandte Fragestellungen zu einem Ganzen, das damit nicht organisch wird; aber es gibt ein Stück inspirierender kulturhistorischer Prosa.

Sittsame Kunstgeschichtsschreibung wird da manchmal ein bißchen aufjaulen müssen: So kann der brave Weg zum Wissen nicht funktionieren; schon gar nicht, wenn das Präfix "psycho-" als Kitt immer mal wieder zum Einsatz kommt. Hinz balanciert kühn auf dem Seil seiner Belege, bis er in der Renaissance endlich seine geliebten Statuen wiederhat. Aber schon die versammelten schriftlichen und bildlichen Quellen machen es wert, ihm zu folgen, vom Spaß bei der Lektüre abgesehen. Was dabei Hinzes Buch im Innersten zusammenhält, ist die sprachliche Verve seines Autors, der Witz, die Ironie - die Sinnlichkeit seiner durch die Zeitläufte reitenden Untersuchung.

Ein bißchen ist es bei diesem eigenwilligen "Frauenlob" wie mit den Frauenleibern des Albrecht Dürer, die Hinz mit empathischem Feinsinn im dritten Teil verfolgt: Sie schwanken zwischen sexualisierter Naturnähe und erstrebter Vermessungs-Perfektion. Im Zentrum des keineswegs interessefreien Wohlgefallens steht die A-tergo-Hexe auf Dürers berühmtem Blatt, eine Rückenansichts des Typs "Venus pudica" zweifellos. Wie immer gebrochen durch des Künstlers komplizierte Psyche: Da taucht sie jedenfalls wieder auf, die Statue als Feier weiblicher Physis nach der Natur, befreit vom tausendjährigen Mehltau des Idol-Fluchs.

Der Ausblick und Rückblick hastet dann ein wenig, stolpert über eine frühe, akademische "Baigneuse" von Renoir und den Auftritt (einer Variante) der Knidischen Aphrodite am Anfang von Leni Riefenstahls Film "Fest der Völker - Fest der Schönheit", verbunden aber mit ganz knappen harten Gedanken über das die Millenien durchziehende Dilemma vom Verhältnis der Bilder zur Natur. Womöglich liegt darin der Keim für ein weiteres Buch über die Fährnisse der Allerschönsten, wo man sie dann vielleicht sieht, wie sie Urstände feiert in Burne-Jones' überdrehtem Pygmalion-Zyklus - als Bild ihrerselbst von ihrer eigenen Göttlichkeit gewissermaßen belebt. Oder mit der Kettensäge aus Holz zum Leben erweckt - in Gestalt ihrer etwas jüngeren Schwester von der Insel Melos -, wie sie Jim Dine jüngst zur Szenegöttin geschnitzt hat.

Atergo übrigens darf man die Knidia bis heute nicht wieder betrachten. Gerade, daß man sie von der züchtigen Schürze, die ihr das neunzehnte Jahrhundert gegeben hatte, befreite. Aber sie steht korrekt, recto ansichtig und ansehnlich, in ihrer Nische.

Berthold Hinz: "Aphrodite". Geschichte einer abendländischen Passion. Carl Hanser Verlag, München 1998. 296 S., 70 Abb., geb., 58.- DM.

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