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Der bedeutende französische Historiker Marc Bloch, Mitbegründer der Annales-Schule, war eines der Opfer von Klaus Barbie. Er wurde am 16. Juni 1944 von der Gestapo erschossen. In seinem Nachlaß fand sich ein unvollendetes methodologisches Werk, "Apologie der Geschichtswissenschaft oder Der Beruf des Historikers" - die Erstausgabe trug noch den Untertitel "Wie und warum ein Historiker arbeitet".
Das Werk war ursprünglich 1949 von Lucien Febvre herausgegeben worden, der noch nicht alle Manuskripte zur Verfügung hatte und darüber hinaus einige Eingriffe in den Text vornahm. Mit dieser von
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Produktbeschreibung
Der bedeutende französische Historiker Marc Bloch, Mitbegründer der Annales-Schule, war eines der Opfer von Klaus Barbie. Er wurde am 16. Juni 1944 von der Gestapo erschossen. In seinem Nachlaß fand sich ein unvollendetes methodologisches Werk, "Apologie der Geschichtswissenschaft oder Der Beruf des Historikers" - die Erstausgabe trug noch den Untertitel "Wie und warum ein Historiker arbeitet".

Das Werk war ursprünglich 1949 von Lucien Febvre herausgegeben worden, der noch nicht alle Manuskripte zur Verfügung hatte und darüber hinaus einige Eingriffe in den Text vornahm. Mit dieser von Etienne Bloch, dem Sohn des Verfassers, besorgten Neuausgabe liegt nun erstmals der vollständige und authentische Text dieses epochalen Werks der modernen Geschichtswissenschaft vor. Er wurde von Grund auf neu ins Deutsche übertragen.

Dieses Buch bietet wertvolle Einblicke in das Selbstverständnis und die Denkweisen modernen Geschichtsforschung, in die Ziele, aber auch Grenzen historischer Erkenntnis, in die Methodik und nicht zuletzt auch in die Ethik dieser "Wissenschaft in Bewegung".
Autorenporträt
Jacques Le Goff, Jahrgang 1924, ehemaliger Präsident der Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales, Paris, war einer der führenden Historiker Europas. Zahlreiche Werke, die größtenteils auch in deutscher Übersetzung Furore machten, weisen ihn als herausragenden Kenner des Mittelalters und als exzellenten Vertreter der Sozial- und Mentalitätsgeschichtsschreibung, der »Nouvelle Histoire«, aus. Le Goff starb am 1. April 2014. An der monumentalen Studie »Ludwig der Heilige« arbeitete Le Goff über 15 Jahre; es handelt sich zweifellos um die umfassendste und bedeutendste Biographie über den französischen König aus der Feder eines Historikers der Annales-Schule. Er erhielt zahlreiche Preise: 1987 den »Grand Prix National d'histoire du ministère de la Culture«, 1991 die »médaille d or du CNRS«, 1994 den Hegelpreis der Stadt Stuttgart, 1996 den »grand prix Gobert de l Académie française«, 1997 den »grand prix d histoire de la Ville de Paris«.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.07.2002

Fräser und Geigenbauer
Marc Blochs Apologie der Geschichte in einer neuen Ausgabe
14. Juni 1940. Deutsche Truppen besetzen Paris. In einem bretonischen Hotelzimmer grübelt der „älteste Hauptmann der französischen Armee” Marc Bloch, im Zivilleben Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Sorbonne, über die Gründe der „seltsamen Niederlage” der Grande Nation. Doch die anspruchsvollste Frage stellt ihm im Angesicht der Katastrophe sein kleiner Sohn: „Papa, je voudrais que tu me dises à quoi sert l’histoire – Sag’ mir, Papa, wozu dient eigentlich die Geschichtswissenschaft?” Im Frühjahr 1943 bricht Bloch seine Arbeit an einem Buch ab, das seinem Sohn eine Antwort geben soll. Der Kampf gegen die Besatzer hat Vorrang. Bloch geht in den Untergrund. Im März 1944 fällt er den Schergen Klaus Barbies in die Hände. Am 16. Juni, wenige Tage nach der Landung der alliierten Streitkräfte, wird der französische Patriot und jüdische Historiker mit 29 weiteren Mitgliedern der Résistance von der Gestapo auf einem Feld nördlich von Lyon erschossen.
1949 erschien Blochs unvollendete Theorie historischer Erkenntnis unter dem Titel „Apologie de l’histoire ou Métier d’historien”. Verantwortlich zeichnete sein Freund und Kollege Lucien Febvre, der gemeinsam mit Bloch 1929 die Annales d’histoire économique et sociale ins Leben gerufen hatte. Blochs Märtyrertod für Frankreichs Freiheit und der rasante Aufstieg der Annales-Schule nach dem Zweiten Weltkrieg machten das Buch zu einem Klassiker. Jeder Historiker las es, der sich von der Ereignis- und Politikgeschichte des 19. Jahrhunderts abwandte und sich das Programm einer interdisziplinären Wirtschafts-, Mentalitäts- und Sozialgeschichte zu eigen machte. Obwohl die westdeutsche Geschichtswissenschaft seit den 60er Jahren die Annales- Geschichtsschreibung breit rezipierte, kam erst 1974 eine deutsche Übersetzung der „Apologie” in die Buchhandlungen.
Im Übergang
Seit Mitte der achtziger Jahre mehrten sich die Stimmen, die Febvres Edition erhebliche Mängel vorwarfen. Forschungen im Nachlass des Historikers bestätigten, dass die Ausgabe von 1949 die handschriftliche Überlieferung des Textes nicht zuverlässig wiedergegeben hatte. Blochs ältester Sohn Étienne unternahm es daher, die Manuskripte und Typoskripte seines Vaters, die durch die Ungunst der Zeit durcheinander gewirbelt worden waren, zu prüfen, und konnte 1993 eine neue Edition vorlegen – ein Jahr, nachdem Klett-Cotta die alte deutsche Übertragung in vierter Auflage nochmals veröffentlicht hatte. Der Verlag hat sich jetzt entschlossen, auf der Basis einer 1997 erschienenen französischen Studienausgabe eine neue deutsche Version auf den Markt zu bringen, die zumindest ansatzweise die komplexe Überlieferungssituation dokumentiert und einen zuverlässigeren Text als Febvres Edition bietet. Eine editio critica ist immer noch ein Desiderat.
Besteht aber überhaupt noch ein Grund, die „Apologie der Geschichtswissenschaft” in einem neuen Gewand zu lesen? Ist der von Bloch attackierte Positivismus der historischen Forschung nicht längst überwunden? Reiben wir uns nicht an Blochs emphatischem Wahrheitsbegriff? Ist das Buch nicht, wie Jacques Le Goff in seinem einleitenden Essay schreibt und Peter Schöttler in einem instruktiven Nachwort bestätigt, das „Produkt eines historischen Augenblicks” und folglich Angelegenheit der Wissenschaftshistoriker? Mitnichten.
Zum einen ist Blochs dialektische Verbindung von historischer Erkenntnis und Gegenwartserkenntnis nach wie vor bestechend. Der Historiker und Citoyen Bloch zeigt eindrücklich, dass den Anforderungen seiner Zeit nur der gewachsen ist, der um die Vergangenheit weiß. Die intellektuelle Auseinandersetzung mit der Vergangenheit befähigt zum richtigen Handeln in der Gegenwart. Der Blick auf die Geschichte wiederum macht aus der Gegenwart ein transitorisches Stadium. Die absolute Scheidung von „Gegenwart” und „Vergangenheit” ist ebenso wie die Vorstellung vom „Gegebensein” geschichtlicher Tatsachen ein naives Konstrukt. Blochs luzide Ausführungen zu diesem Thema sind die rechte Antwort auf die Renaissance positivistischer Konstruktionen, wie sie etwa Richard J. Evans vorträgt, der in „historischen Fakten” Dinge erkennen will, „die in der Geschichte geschehen sind” und „vollkommen unabhängig von den Historikern” existierten.
Zum anderen formuliert Bloch sein Misstrauen gegen jede geschichtsphilosophische Spekulation. Statt abstrakter Konstruktion verlangt er die Selbstvergewisserung durch pragmatische Arbeit. Methodische Reflexion und handwerkliche Organisation sind ihm gleichermaßen wichtig. Geschichte ist ein geistiges Handwerkszeug, das auf Quellenkritik baut. Gegen den Dilettantismus einer Geschichtswissenschaft, die genialisch daherkommt, aber das Handwerk nicht beherrscht, setzt der Mediävist Bloch seinen Entwurf einer Geschichte der kritischen Methode. Der Historiker ist ihm ein Handwerker, der auf den Millimeter genau arbeiten muss, er ist „Fräser” und „Geigenbauer” zugleich: „Während aber der Fräser mechanische Präzisionsinstrumente zur Verfügung hat, lässt sich der Geigenbauer vor allem von seinen Gehör und seinem Fingerspitzengefühl leiten.”
Und schließlich: Auch heute lohnt es sich, auf das Plädoyer für eine historische Kulturwissenschaft zu hören, oder wie Bloch in anderem Zusammenhang formulierte, für eine science humaine plus vaste, die historische Überlieferung präzise erforscht und die unterschiedliche Fächer und Methoden integriert. Auch in den Jahren des nationalsozialistischen Terrors beharrte Bloch auf der Notwendigkeit einer rationalen Verständigung unter den Wissenschaftlern und verfocht sein revolutionäres Programm einer international vergleichenden Problem- und Begriffsgeschichte, die „in der Lage ist, die Konturen der Phänomene präzise nachzuzeichnen und trotzdem geschmeidig genug ist, um sich ständig neuen Entdeckungen anzupassen.”
Die Neuedition wirft auch die Frage auf, wie heute am Pariser Boulevard Raspail mit Blochs Erbe umgegangen wird. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die dritte und vierte Generation der Annales ihre Archegeten Marc Bloch, Fernand Braudel und Lucien Febvre feiert, um sich in Zeiten wachsender Konkurrenz affirmativ ihrer Ursprünge zu versichern. Die Historisierung ihrer Ahnväter geht einher mit einem Paradigmenwechsel in der französischen Historiographie. So ist der biographische Essay auch bei den Vertretern der in die Jahre gekommenen Nouvelle Histoire bisweilen beliebter als die analytische Strukturgeschichte, und die vergleichende europäische Sozialgeschichte scheint weniger attraktiv als die großen nationalen Themen, die das kollektive Gedächtnis Frankreichs begründen. Bloch hingegen führte die Geschichtswissenschaft durch die Abkehr von der Nationalgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts zu neuen Ufern. Die französischen Vertreter einer neo- nationalen Traditionsbildung können sich seiner als Kronzeugen jedenfalls nicht bedienen.
STEFAN REBENICH
MARC BLOCH: Apologie der Geschichtswissenschaft oder Der Beruf des Historikers. Aus d. Französischen von Wolfram Bayer, mit Annotationen und einem Nachwort von Peter Schöttler. Klett-Cotta, Stuttgart 2002. 280 Seiten, 25 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Stefan Rebenich erläutert zunächst die Vorgeschichte dieses Buches, das nun in einer Neubearbeitung erscheint: Bloch, Wirtschaftshistoriker und mit Lucien Febvre Begründer der französischen Annales-Schule, die Wirtschafts-, Sozial- und Mentalitätsgeschichte miteinander verflicht, hatte die "Apologie" zum Wert historischer Erkenntnis Anfang der 40er Jahre für seinen kleinen Sohn begonnen und nicht mehr zu Ende gebracht: Bloch war Mitglied der "Résistance" und wurde 1944 ermordet. Die nach dem Krieg durch Febvre besorgte Veröffentlichung des Textes wurde erst in den 90-er Jahren durch eine genauere französische Studienausgabe ersetzt. Aber lohnt eine solche Neuedition überhaupt? fragt Rebenich Unbedingt, meint er. Blochs dialektische Verbindung von historischer und Gegenwartserkenntnis sei nach wie vor bestechend luzide und eine passende Antwort auf die neuerliche Renaissance positivistischer Konstruktionen à la R. J. Evans oder auch neo-nationaler Anwandlungen der jüngeren französischen Historiographen. Vor allem imponiert Rebenich Blochs handwerkliches Selbstverständnis eines Historikers, der präzise Quellenarbeit leisten muss statt geschichtsphilosophischer Spekulation. Ein Buch, so Rebenich, das zu den Ursprüngen der in die Jahre gekommenen Annales-Schule zurückführt, die sich neuerdings durch einen Trend zum autobiografischen Essay und eher affirmative Selbstvergewisserung ihrer Wurzeln auszeichne.

© Perlentaucher Medien GmbH
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