Die großen Apologeten des frühen Christentums haben sich mit dem denkerischen Ansatz und literarischen Werk der renommierten Christengegner intensiv auseinandergesetzt. Traditioneller Religiösität und philosophischer Rationalität stellten sich die Apologeten argumentativ entgegen.
Ein historischer Überblick (2.-5. Jh.) informiert zunächst über die verschiedenen Phasen und Repräsentanten der von beiden Seiten brilliant geführten Auseinandersetzung. Der anschließende systematische Teil behandelt zentrale Themen - christliche Lebenspraxis, geschichtliche Einordnung des Christentums, Vernünftigkeit des Glaubens -, die sowohl unüberbrückbare Differenzen als auch Anknüpfungspunkte zwischen dem antiken und christlichen Verständnis von Gott, Welt und Mensch erkennen lassen. Theologen, Philosophen, Historiker und Klassischer Philologen finden in dieser bibliografisch detaillierten Gesamtdarstellung ein Nachschlagewerk, dessen historisch-systematische Konzeption einzelne Autoren, Werke undA rgumente in größere geistesgeschichtliche Zusammenhänge stellt.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Ein historischer Überblick (2.-5. Jh.) informiert zunächst über die verschiedenen Phasen und Repräsentanten der von beiden Seiten brilliant geführten Auseinandersetzung. Der anschließende systematische Teil behandelt zentrale Themen - christliche Lebenspraxis, geschichtliche Einordnung des Christentums, Vernünftigkeit des Glaubens -, die sowohl unüberbrückbare Differenzen als auch Anknüpfungspunkte zwischen dem antiken und christlichen Verständnis von Gott, Welt und Mensch erkennen lassen. Theologen, Philosophen, Historiker und Klassischer Philologen finden in dieser bibliografisch detaillierten Gesamtdarstellung ein Nachschlagewerk, dessen historisch-systematische Konzeption einzelne Autoren, Werke undA rgumente in größere geistesgeschichtliche Zusammenhänge stellt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2001Die Patristik besteht den Vaterschaftstest
Michael Fiedrowicz sät Vernunftkörnchen / Von Christian Geyer
Die Kontroverse um den christlichen Wahrheitsanspruch sei "überraschend aktuell" geblieben: "Nicht wenige der damals gegen das Christentum formulierten Einwände finden sich noch heute unter den Argumenten seiner Kritiker." So schreibt Michael Fiedrowicz im Vorwort seines Buches, ohne sich ausdrücklich auf die jüngste Debatte um die Erklärung "Dominus Iesus" zu beziehen. Dies hätte freilich eine Paradoxie noch deutlicher gemacht, die dieses Buch ohnehin nahelegt: daß nämlich bei Beibehaltung der kontroversen Gehalte im Laufe der Jahrhunderte vor allem die Adressaten gewechselt haben. Wie sich die Bilder gleichen - und doch auch wieder vollkommen verschieden erscheinen. Auch heute macht das Christentum wieder von sich reden, indem es die "Fülle der Wahrheit" reklamiert, sich als die "wahre Philosophie" präsentiert und seinen Stifter als den einzigen Erlöser unter der Sonne behauptet. Insoweit paßt kein Blatt zwischen gegenwärtige Erklärungen der Weltkirche über die "Universalität und Einzigartigkeit" Christi und etwa der Provokation des Origines aus dem dritten Jahrhundert, mit Jesus Christus sei die "Wahrheit in Person" definitiv in die Geschichte eingetreten.
Was hat sich zwischen dem dritten und dem einundzwanzigsten Jahrhundert geändert? In der Antike waren es Kaiser, Statthalter und pagane Philosophen, denen die Christen mit einer weit verzweigten apologetischen Literatur den Wahrheitsanspruch ihres Glaubens argumentativ verdeutlichen wollten. Heute, so scheint es, verlaufen derartige Frontlinien - von den selten gewordenen Disputen zwischen kantigen Leuten wie Klaus Berger und Herbert Schnädelbach einmal abgesehen - vor allem innerhalb der Kirche.
Aber nicht nur im Blick auf solche Verschiebungen in der Rezeptionsgeschichte ist Fiedrowiczs Arbeit über "Die Kontroverse um den christlichen Wahrheitsanspruch in den ersten Jahrhunderten" eine ungemein anregende Lektüre. Die Entscheidung des frühen Christentums, in einen Disput mit dem nichtgläubigen Denken einzutreten, den Glauben - wie es in antimythologischer Stoßrichtung heißt - vor dem Forum der Vernunft zu verantworten und den eigenen Wahrheitsanspruch argumentativ zu begründen, wird in den Schriften der sogenannten Apologeten erstmals literarisch greifbar. Hierin, schreibt Fiedrowicz, nicht in den historisch bedingten Einzelargumenten, liege die bleibende Bedeutung der frühchristlichen Apologie.
Diese fundierte und sprachlich geschliffene Gesamtdarstellung der Thematik schließt eine empfindliche Lücke. Mit Recht weist der Autor, der an der Universität Bochum Alte Kirchengeschichte und Patrologie lehrt, darauf hin, daß benachbarte Arbeiten nicht nur vielfach veraltet, sondern auch auf einzelne Epochen beschränkt oder Sammelwerke von Einzelstudien aus unterschiedlicher Hand sind. Einer Fülle von Spezialuntersuchungen stand bislang kein Werk zur Seite, das deren Ergebnisse zusammenfaßt und einem breiteren Leserkreis erschließt. Mit dem vorliegenden Band hat sich diese Situation entschieden gebessert. Man bedauert allenfalls ein wenig, daß die Positionen des paganen Umfeldes nicht detaillierter beschrieben werden, die für die Apologie ja die Folie abgaben und insoweit mehr Aufmerksamkeit verdient haben könnten. Denunziationen, Pogrome und Prozesse werden als Anlässe für die Entstehung der ersten Apologien nur summarisch erwähnt. Die bahnbrechende Analyse, die Friedrich Vittinghoff den sozialen Anlässen und Rechtsgrundlagen der antichristlichen Ausschreitungen gewidmet hat, kommt bei Fiedrowicz zwar vor, wird aber nicht, wie es reizvoll gewesen wäre, zu einer strategischen Linie der Darstellung ausgebaut.
Gleichwohl darf der synoptische Einblick in die frühchristlichen Argumentationsstrategien, der mit diesem Buch gegeben wird, als ein großer Wurf gelten. In systematischer Darstellung werden die Auseinandersetzungen mit dem Neoplatonismus und dem Synkretismus untersucht, die Apologie in der dioletianisch-konstantinischen Epoche, die pagane Restauration unter Kaiser Julian Apostata, der Disput mit der römischen Senatsaristokratie und die geschichtstheologische Apologetik gegenüber neuen Angriffen nach dem Fall Roms. Nimmt man die Anstrengungen zur Kenntnis, die die frühe christliche Literatur unternahm, um die Vereinbarkeit von Fides und Ratio, von Glaube und Vernunft, aufzuzeigen, so sticht die Differenz zur theologischen Szene der Gegenwart scharf ins Auge. Die "Vernünftigkeit" des christlichen Glaubens, so selbstverständlich sie seinen frühen Anhängern auch gewesen sein mag, ist heute kein Thema mehr, mit dem Theologen in ihrer paganen Umwelt Punkte machen möchten.
Zu einschüchternd vielfältig wirken offenbar, wissenssoziologisch gesehen, die unterschiedlichen Konzeptionen der Vernunft, als daß man mit Justin noch einmal sagen möchte: "Unsere Lehre ist jeder menschlichen Philosophie überlegen." Die Überzeugung, in der Selbstoffenbarung Gottes eine Quelle zu besitzen, durch die die Antworten der paganen Wahrheitssuche überboten werden, führte gleich zu Beginn des Christentums zu dem Anspruch, die wahre Gestalt der Philosophie zu repräsentieren. Über dessen Ungeheuerlichkeit waren sich seine Vertreter von Anfang an im klaren. In Sachen postmetaphysischer Reflektiertheit bedurfte Justin keiner Nachhilfestunden von Habermas oder Rawls. Sein Martyrium war kein unterkomplexer Irrtum eines antiken Menschen, der noch nicht gelernt hätte, seine Wahrheitsansprüche nach dem liberalen Modell der angelsächsischen Vertragstheorie abzugleichen.
Auch Paulus hatte die Kontexte der Rechtfertigung gut sortiert, als er gleichwohl glaubte, die Kolosser vor "falschen Philosophien" warnen zu müssen: "Gebt acht, daß euch niemand mit seiner Philosophie und falscher Lehre verführt, die sich nur auf menschliche Überlieferung stützen und sich auf die Elementarmächte der Welt, nicht auf Christus berufen." Spricht sich hier nicht eine unzulässige Vermengung von Glaube und Vernunft aus? Daß beide Pole unterschieden, aber eben nicht getrennt werden sollen, ist bereits ganz früh das Konzept des Christentums für die Verhältnisbestimmung von Glaube und Vernunft. Daß hiermit zugleich ein bestimmter Begriff von "Vernunft" eingeführt wird, der andere ausschließt, hat das Christentum gleich nach seiner Entstehung in das philosophische Universalisierungsproblem hineingestellt. Es sollte Jahrhunderte dauern, bis mit der Erklärung der Religionsfreiheit auf dem letzten Konzil von der Kirche öffentlich anerkannt wurde, daß das Christentum mit seiner universalen Vernunftkonzeption nicht etwa den Anspruch auf globale Durchsetzbarkeit verbindet.
Justin war das schon früher klar. Seine Lehre vom logos spermatikos ging davon aus, daß alle Menschen gleichsam vom Logos eingepflanzte Samenkörner, "Teilkräfte des Logos", besitzen und damit die Fähigkeit, "das Wahre zu erwählen und das Gute zu tun". Doch wird die tatsächliche Wahrheitserkenntnis infolge der Logos-Teilhabe von einem Denker wie Justin stets nur einzelnen herausragenden Gestalten der vorchristlichen Antike - wie etwa Heraklit, Sokrates, Platon - zugeschrieben, und mehrfach wird die "Dunkelheit" und "Unvollkommenheit" auch dieser Erkenntnis unterstrichen.
Ein starker, sich seiner Voraussetzungen bewußter Vernunftbegriff blieb die Basis für die frühen Projekte der christlichen Inkulturation. Bemüht um entschiedene Anknüpfung an die Kategorien der platonischen Philosophie, war man zugleich auf klare Unterscheidung von ihr bedacht. Die Sprengkraft Jerusalems für Athen ist im weiteren Verlauf der Theologiegeschichte unverkennbar: Das in die Theologie übernommene platonische Denken hat selbst tiefgreifende Veränderungen erfahren, insbesondere im Blick auf Begriffe wie Unsterblichkeit der Seele, Vergöttlichung des Menschen und Ursprung des Bösen. Die Frage Tertullians: "Was haben Athen und Jerusalem gemein? Was die Akademie und die Kirche?" ist als solche bereits ein Signal für das unterscheidende Bewußtsein, mit dem sich christliche Denker daran machten, das Verhältnis von Glaube und Vernunft auszuloten.
Unterderhand liest sich Fiedrowiczs Arbeit über die Vergangenheit des Christentums wie eines über dessen Zukunft. Als solches ist das Buch ein Plädoyer für die Anstrengung, das religiöse Proprium in einer Philosophie zu artikulieren, die es nicht etwa aufzehrt, sondern recht eigentlich erst zur Geltung bringt. Anderenfalls verurteilt es sich zu einem Schicksal, dem es am Anfang noch mit allen intellektuellen Mitteln zu entkommen suchte: zur Bedeutungslosigkeit einer Mythologie.
Michael Fiedrowicz: "Apologie im frühen Christentum". Die Kontroverse um den Wahrheitsanspruch in den ersten Jahrhunderten. Schöningh Verlag, Paderborn 2000. 361 S., br., 88,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Michael Fiedrowicz sät Vernunftkörnchen / Von Christian Geyer
Die Kontroverse um den christlichen Wahrheitsanspruch sei "überraschend aktuell" geblieben: "Nicht wenige der damals gegen das Christentum formulierten Einwände finden sich noch heute unter den Argumenten seiner Kritiker." So schreibt Michael Fiedrowicz im Vorwort seines Buches, ohne sich ausdrücklich auf die jüngste Debatte um die Erklärung "Dominus Iesus" zu beziehen. Dies hätte freilich eine Paradoxie noch deutlicher gemacht, die dieses Buch ohnehin nahelegt: daß nämlich bei Beibehaltung der kontroversen Gehalte im Laufe der Jahrhunderte vor allem die Adressaten gewechselt haben. Wie sich die Bilder gleichen - und doch auch wieder vollkommen verschieden erscheinen. Auch heute macht das Christentum wieder von sich reden, indem es die "Fülle der Wahrheit" reklamiert, sich als die "wahre Philosophie" präsentiert und seinen Stifter als den einzigen Erlöser unter der Sonne behauptet. Insoweit paßt kein Blatt zwischen gegenwärtige Erklärungen der Weltkirche über die "Universalität und Einzigartigkeit" Christi und etwa der Provokation des Origines aus dem dritten Jahrhundert, mit Jesus Christus sei die "Wahrheit in Person" definitiv in die Geschichte eingetreten.
Was hat sich zwischen dem dritten und dem einundzwanzigsten Jahrhundert geändert? In der Antike waren es Kaiser, Statthalter und pagane Philosophen, denen die Christen mit einer weit verzweigten apologetischen Literatur den Wahrheitsanspruch ihres Glaubens argumentativ verdeutlichen wollten. Heute, so scheint es, verlaufen derartige Frontlinien - von den selten gewordenen Disputen zwischen kantigen Leuten wie Klaus Berger und Herbert Schnädelbach einmal abgesehen - vor allem innerhalb der Kirche.
Aber nicht nur im Blick auf solche Verschiebungen in der Rezeptionsgeschichte ist Fiedrowiczs Arbeit über "Die Kontroverse um den christlichen Wahrheitsanspruch in den ersten Jahrhunderten" eine ungemein anregende Lektüre. Die Entscheidung des frühen Christentums, in einen Disput mit dem nichtgläubigen Denken einzutreten, den Glauben - wie es in antimythologischer Stoßrichtung heißt - vor dem Forum der Vernunft zu verantworten und den eigenen Wahrheitsanspruch argumentativ zu begründen, wird in den Schriften der sogenannten Apologeten erstmals literarisch greifbar. Hierin, schreibt Fiedrowicz, nicht in den historisch bedingten Einzelargumenten, liege die bleibende Bedeutung der frühchristlichen Apologie.
Diese fundierte und sprachlich geschliffene Gesamtdarstellung der Thematik schließt eine empfindliche Lücke. Mit Recht weist der Autor, der an der Universität Bochum Alte Kirchengeschichte und Patrologie lehrt, darauf hin, daß benachbarte Arbeiten nicht nur vielfach veraltet, sondern auch auf einzelne Epochen beschränkt oder Sammelwerke von Einzelstudien aus unterschiedlicher Hand sind. Einer Fülle von Spezialuntersuchungen stand bislang kein Werk zur Seite, das deren Ergebnisse zusammenfaßt und einem breiteren Leserkreis erschließt. Mit dem vorliegenden Band hat sich diese Situation entschieden gebessert. Man bedauert allenfalls ein wenig, daß die Positionen des paganen Umfeldes nicht detaillierter beschrieben werden, die für die Apologie ja die Folie abgaben und insoweit mehr Aufmerksamkeit verdient haben könnten. Denunziationen, Pogrome und Prozesse werden als Anlässe für die Entstehung der ersten Apologien nur summarisch erwähnt. Die bahnbrechende Analyse, die Friedrich Vittinghoff den sozialen Anlässen und Rechtsgrundlagen der antichristlichen Ausschreitungen gewidmet hat, kommt bei Fiedrowicz zwar vor, wird aber nicht, wie es reizvoll gewesen wäre, zu einer strategischen Linie der Darstellung ausgebaut.
Gleichwohl darf der synoptische Einblick in die frühchristlichen Argumentationsstrategien, der mit diesem Buch gegeben wird, als ein großer Wurf gelten. In systematischer Darstellung werden die Auseinandersetzungen mit dem Neoplatonismus und dem Synkretismus untersucht, die Apologie in der dioletianisch-konstantinischen Epoche, die pagane Restauration unter Kaiser Julian Apostata, der Disput mit der römischen Senatsaristokratie und die geschichtstheologische Apologetik gegenüber neuen Angriffen nach dem Fall Roms. Nimmt man die Anstrengungen zur Kenntnis, die die frühe christliche Literatur unternahm, um die Vereinbarkeit von Fides und Ratio, von Glaube und Vernunft, aufzuzeigen, so sticht die Differenz zur theologischen Szene der Gegenwart scharf ins Auge. Die "Vernünftigkeit" des christlichen Glaubens, so selbstverständlich sie seinen frühen Anhängern auch gewesen sein mag, ist heute kein Thema mehr, mit dem Theologen in ihrer paganen Umwelt Punkte machen möchten.
Zu einschüchternd vielfältig wirken offenbar, wissenssoziologisch gesehen, die unterschiedlichen Konzeptionen der Vernunft, als daß man mit Justin noch einmal sagen möchte: "Unsere Lehre ist jeder menschlichen Philosophie überlegen." Die Überzeugung, in der Selbstoffenbarung Gottes eine Quelle zu besitzen, durch die die Antworten der paganen Wahrheitssuche überboten werden, führte gleich zu Beginn des Christentums zu dem Anspruch, die wahre Gestalt der Philosophie zu repräsentieren. Über dessen Ungeheuerlichkeit waren sich seine Vertreter von Anfang an im klaren. In Sachen postmetaphysischer Reflektiertheit bedurfte Justin keiner Nachhilfestunden von Habermas oder Rawls. Sein Martyrium war kein unterkomplexer Irrtum eines antiken Menschen, der noch nicht gelernt hätte, seine Wahrheitsansprüche nach dem liberalen Modell der angelsächsischen Vertragstheorie abzugleichen.
Auch Paulus hatte die Kontexte der Rechtfertigung gut sortiert, als er gleichwohl glaubte, die Kolosser vor "falschen Philosophien" warnen zu müssen: "Gebt acht, daß euch niemand mit seiner Philosophie und falscher Lehre verführt, die sich nur auf menschliche Überlieferung stützen und sich auf die Elementarmächte der Welt, nicht auf Christus berufen." Spricht sich hier nicht eine unzulässige Vermengung von Glaube und Vernunft aus? Daß beide Pole unterschieden, aber eben nicht getrennt werden sollen, ist bereits ganz früh das Konzept des Christentums für die Verhältnisbestimmung von Glaube und Vernunft. Daß hiermit zugleich ein bestimmter Begriff von "Vernunft" eingeführt wird, der andere ausschließt, hat das Christentum gleich nach seiner Entstehung in das philosophische Universalisierungsproblem hineingestellt. Es sollte Jahrhunderte dauern, bis mit der Erklärung der Religionsfreiheit auf dem letzten Konzil von der Kirche öffentlich anerkannt wurde, daß das Christentum mit seiner universalen Vernunftkonzeption nicht etwa den Anspruch auf globale Durchsetzbarkeit verbindet.
Justin war das schon früher klar. Seine Lehre vom logos spermatikos ging davon aus, daß alle Menschen gleichsam vom Logos eingepflanzte Samenkörner, "Teilkräfte des Logos", besitzen und damit die Fähigkeit, "das Wahre zu erwählen und das Gute zu tun". Doch wird die tatsächliche Wahrheitserkenntnis infolge der Logos-Teilhabe von einem Denker wie Justin stets nur einzelnen herausragenden Gestalten der vorchristlichen Antike - wie etwa Heraklit, Sokrates, Platon - zugeschrieben, und mehrfach wird die "Dunkelheit" und "Unvollkommenheit" auch dieser Erkenntnis unterstrichen.
Ein starker, sich seiner Voraussetzungen bewußter Vernunftbegriff blieb die Basis für die frühen Projekte der christlichen Inkulturation. Bemüht um entschiedene Anknüpfung an die Kategorien der platonischen Philosophie, war man zugleich auf klare Unterscheidung von ihr bedacht. Die Sprengkraft Jerusalems für Athen ist im weiteren Verlauf der Theologiegeschichte unverkennbar: Das in die Theologie übernommene platonische Denken hat selbst tiefgreifende Veränderungen erfahren, insbesondere im Blick auf Begriffe wie Unsterblichkeit der Seele, Vergöttlichung des Menschen und Ursprung des Bösen. Die Frage Tertullians: "Was haben Athen und Jerusalem gemein? Was die Akademie und die Kirche?" ist als solche bereits ein Signal für das unterscheidende Bewußtsein, mit dem sich christliche Denker daran machten, das Verhältnis von Glaube und Vernunft auszuloten.
Unterderhand liest sich Fiedrowiczs Arbeit über die Vergangenheit des Christentums wie eines über dessen Zukunft. Als solches ist das Buch ein Plädoyer für die Anstrengung, das religiöse Proprium in einer Philosophie zu artikulieren, die es nicht etwa aufzehrt, sondern recht eigentlich erst zur Geltung bringt. Anderenfalls verurteilt es sich zu einem Schicksal, dem es am Anfang noch mit allen intellektuellen Mitteln zu entkommen suchte: zur Bedeutungslosigkeit einer Mythologie.
Michael Fiedrowicz: "Apologie im frühen Christentum". Die Kontroverse um den Wahrheitsanspruch in den ersten Jahrhunderten. Schöningh Verlag, Paderborn 2000. 361 S., br., 88,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Die Frage nach dem Wahrheitsanspruch der katholischen Kirche, also dem Vernunftkern des Offenbarungsglaubens, hat sich für die Kirchenväter gestellt - und sie stellt sich, so der Rezensent Christian Geyer, auch heute noch. Verschoben haben sich jedoch die Grenzen der Auseinandersetzung: heute "verlaufen derartige Frontlinien vor allem innerhalb der Kirche." Auch in diesem Kontext aber handelt es sich, so Geyer, bei Friedrowicz` Buch um "eine ungemein anregende Lektüre", nicht zuletzt auch deshalb, weil es im deutschen Sprachraum die erste Gesamtdarstellung des Themas sei. Gerade deshalb findet es der Rezensent ein wenig bedauerlich, dass der heidnische Kontext der patristischen Argumentation zu kurz kommt. Geyer selbst unternimmt dann für beinahe den ganzen Rest der sehr ausführlichen Besprechung den beherzten Versuch, die "postmetaphysische Reflektiertheit" der Kirchenväter zu belegen und damit einen eigenständigen Vernunftbegriff des Glaubens noch in die gegenwärtigen philosophischen und theologischen Diskussionen hinüberzuretten. Wenn sich die Theologie nicht auf ihren eigenen Entwurf einer Glaubens-Vernunft besinnt, so sein Argument, droht ihr die Gefahr, in die "Bedeutungslosigkeit einer Mythologie" herabzusinken. Das besprochene Buch, das nebenbei noch einmal als "großer Wurf" gepriesen wird, scheint allerdings nicht viel mehr als der willkommene Anlass für diese Argumentation.
© Perlentaucher Medien GmbH"
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