Ayad Al-Ani beschreibt die Entstehung des westlichen Bildes über die Araber zu einer Zeit, als diese Teil der hellenistisch-römischen Welt waren, beginnend mit den Eroberungen Alexanders des Großen bis zum Sieg der Araber über Rom 636. Al-Ani zeichnet nach, wie stark und mannigfaltig die Araber in der hellenistisch-römischen Welt vertreten waren und wie sie gleichermaßen konsequent in der westlichen Darstellung als Außenseiter ihrer eigenen Geschichte dekonstruiert wurden. Dies ist bemerkenswert, weil gerade die hohe Anzahl arabischer Senatoren, arabischer und halbarabischer Cäsaren (Elagabal, Alexander Severus, Caracalla, Philippus Arabs) durchaus einen beachtlichen Einfluss auf die römische Lebensart, Religion und Politik hatten. Diese westliche Negativschablone wurde auch nicht dadurch gemildert, dass eine große Zahl der Araber der römischen Provinzen ab dem vierten Jahrhundert Christen waren. Im Gegenteil: Durch den späteren Verlust des christlichen Kernlandes im Zuge der arabischen Eroberung des römischen Ostens, dem Oriens, entstand ein Trauma, welches Eingang in den aktuellen "Kampf der Kulturen" findet.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.04.2015Dionysos kam bis nach Mekka
Vergessenes Erbe: Ayad Al-Ani zeigt, dass die Araber auch vor dem Islam eine reiche Geschichte hatten
Sind die Araber erst mit dem Islam in die Geschichte eingetreten? Das ist die im Westen vorherrschende Meinung. Oder gab es sie schon lange zuvor als Volk? So argumentieren die arabischen Historiker. Die Meinungsverschiedenheit ist nicht unerheblich. Denn sind die Araber erst mit dem Islam sichtbar geworden, sind sie eben eng mit dem Islam verbunden und damit die "anderen". Haben sie jedoch eine lange zurückreichende Geschichte, gehörten dabei zur griechischen Welt und zum Römischen Reich, sind auch sie Teil der westlichen Welt, selbst wenn sie nach der Schlacht von Yarmuk im Jahr 636, in der das arabische Heer die Byzantiner besiegte, eine andere Entwicklung nahmen.
Der am Berliner Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft forschende und aus dem Irak stammende Sozialwissenschaftler Ayad Al-Ani legt mit seiner Monographie ein über weite Strecken überzeugendes Plädoyer für die zweite Sicht vor. Demnach begann die Geschichte der Araber 3000 v. Chr. im Jemen. Sie breiteten sich nach Norden aus, etwa nach Syrien und Palästina, schufen Zivilisationen, wie die von Palmyra oder Hatra, sprachen Dialekte einer "arabischen Matrixsprache", die den Zugang zu Keilschrifttexten und semitischen Sprachen erlaubt, und waren als maßgebliche politische Kraft in das Römische Reich integriert, ohne ihre arabische Identität dabei aufzugeben. Die Römer nannten die Region "Provincia Arabia", und bereits im 8. Jahrhundert v. Chr. hatten mesopotamische Urkunden die Bezeichnung "Land der Araber" verwendet. Über das Ziel schießt Al-Ani jedoch hinaus, wenn er die Existenz der "semitischen" Sprachfamilie leugnet und aus allen "Semiten" letztlich Araber machen will.
Den westlichen Autoren wirft Al-Ani vor, die vorislamische Geschichte der Araber zu "de-arabisieren" und damit auszublenden. Zudem suggerierten sie, die Araber seien mit der Gründung des islamischen Staats aus dem Nichts zur Staatsnation geworden. Al-Ani stellt die berechtigte Frage, wie das junge islamische Reich so schnell und erfolgreich in ethnisch angeblich fremde Gebiete habe eindringen können.
Ein Ansatz, der die vorislamische Geschichte der Araber nicht ausblendet, kann diese rasche Ausbreitung erklären. Sie gelang deshalb so einfach, weil in der Levante ja ebenfalls Araber lebten - christliche Araber, die die byzantinische Fremdherrschaft abschütteln wollten. Diesen Christen waren die neuen Muslime nicht suspekt. Mohammed hatte ja nicht die monotheistischen Christen seiner Zeit zurückgewiesen, sondern die Heiden. Daher leisteten die Christen keinen Widerstand, es gab keine Zerstörungen, keinen Religionskrieg. So vollzog Mohammed den Übergang von einer Kulturnation zur Staatsnation. Die Herrscher der Omayyaden (661 bis 750) integrierten die christlichen Araber über die "arabische Klammer". Nachdem immer mehr Völker Teil des Reichs wurden, funktionierte diese ethnische Klammer immer weniger und wurde unter den Abbasiden (nach 750) durch die "islamische Klammer" ersetzt.
Da entwickelten sich Europa und Arabien schon auseinander. Der römische Osten war im Jahr 636 nach der Schlacht von Yarmuk unter arabische Herrschaft gefallen. Mit den Kreuzzügen vollzog sich dann die Abtrennung: Das Christentum verlor sein religiöses Kernland und schnitt seine östlichen Wurzeln ab. Die Geschichte des christlich-arabischen Orients geriet in Vergessenheit.
Dabei stand der arabische Orient, beginnend mit den Feldzügen Alexanders des Großen, fast tausend Jahre unter griechischer und römisch-byzantinischer Herrschaft, wovon zahlreiche schriftliche und archäologische Quellen zeugen. Die seleukidischen Nachfolgestaaten siedelten bis an den Golf, etwa auf der Insel Failaka und im heutigen Bahrein. In Fau, einer Handelsstadt südlich von Mekka, wurden südarabische Inschriften in der Musnadschrift gefunden, aber auch farbenprächtige hellenistische Wandmalereien des Dionysoskults und hellenistische Bronzestatuen, die zu den schönsten ihrer Art zählen.
Unter der römischen Herrschaft stiegen Araber in Rom in hohe Ämter auf, wurden Cäsaren und Senatoren; die Frauen der fünf Kaiser der Severus-Dynastie waren Araberinnen. Andererseits begehrte die arabische Provinz wiederholt gegen die römische Herrschaft auf, etwa der Araber Avidius Cassius gegen Marc Aurelius oder auch Zenobia (240 bis 273), die Kaiserin von Palmyra. Nach ihrer Niederlage ebnete der Wegfall Palmyras als urbanes Zentrum den Weg für den Aufstieg Mekkas als Handelsstadt.
Auch wenn arabische Stämme wie die Ghassaniden über Jahrhunderte erfolgreich die Grenzen im Osten Roms verteidigten: Die heidnischen Historiker und Schriftsteller Roms hatten von den überwiegend christlichen Arabern keine gute Meinung. Später konnten sich die arabischen Christen vom islamischen Reich aus weit nach Asien ausbreiten, um Heiden zu missionieren. Für diese - meist nestorianischen - Christen habe die islamische Welt lediglich im Hintergrund gestanden, schreibt Al-Ani. Es war ihnen lediglich verboten, Muslime zu bekehren. Nach Rom schickten sie während der Herrschaft der Omayyaden drei Päpste. Damals sei das Verständnis von Religion noch stark von einer abrahamitischen Ökumene geprägt gewesen. Erst der Mongolensturm drängte im 13. Jahrhundert das orientalische Christentum zurück. Das griechische und römische Erbe wurde in der arabischen Welt verdrängt, im Westen aber geriet es ganz in Vergessenheit.
RAINER HERMANN
Ayad Al-Ani: "Araber als Teil der hellenistisch-römischen und christlichen Welt". Von Alexander dem Großen bis zur islamischen Eroberung. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2014. 182 S., br., 29,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vergessenes Erbe: Ayad Al-Ani zeigt, dass die Araber auch vor dem Islam eine reiche Geschichte hatten
Sind die Araber erst mit dem Islam in die Geschichte eingetreten? Das ist die im Westen vorherrschende Meinung. Oder gab es sie schon lange zuvor als Volk? So argumentieren die arabischen Historiker. Die Meinungsverschiedenheit ist nicht unerheblich. Denn sind die Araber erst mit dem Islam sichtbar geworden, sind sie eben eng mit dem Islam verbunden und damit die "anderen". Haben sie jedoch eine lange zurückreichende Geschichte, gehörten dabei zur griechischen Welt und zum Römischen Reich, sind auch sie Teil der westlichen Welt, selbst wenn sie nach der Schlacht von Yarmuk im Jahr 636, in der das arabische Heer die Byzantiner besiegte, eine andere Entwicklung nahmen.
Der am Berliner Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft forschende und aus dem Irak stammende Sozialwissenschaftler Ayad Al-Ani legt mit seiner Monographie ein über weite Strecken überzeugendes Plädoyer für die zweite Sicht vor. Demnach begann die Geschichte der Araber 3000 v. Chr. im Jemen. Sie breiteten sich nach Norden aus, etwa nach Syrien und Palästina, schufen Zivilisationen, wie die von Palmyra oder Hatra, sprachen Dialekte einer "arabischen Matrixsprache", die den Zugang zu Keilschrifttexten und semitischen Sprachen erlaubt, und waren als maßgebliche politische Kraft in das Römische Reich integriert, ohne ihre arabische Identität dabei aufzugeben. Die Römer nannten die Region "Provincia Arabia", und bereits im 8. Jahrhundert v. Chr. hatten mesopotamische Urkunden die Bezeichnung "Land der Araber" verwendet. Über das Ziel schießt Al-Ani jedoch hinaus, wenn er die Existenz der "semitischen" Sprachfamilie leugnet und aus allen "Semiten" letztlich Araber machen will.
Den westlichen Autoren wirft Al-Ani vor, die vorislamische Geschichte der Araber zu "de-arabisieren" und damit auszublenden. Zudem suggerierten sie, die Araber seien mit der Gründung des islamischen Staats aus dem Nichts zur Staatsnation geworden. Al-Ani stellt die berechtigte Frage, wie das junge islamische Reich so schnell und erfolgreich in ethnisch angeblich fremde Gebiete habe eindringen können.
Ein Ansatz, der die vorislamische Geschichte der Araber nicht ausblendet, kann diese rasche Ausbreitung erklären. Sie gelang deshalb so einfach, weil in der Levante ja ebenfalls Araber lebten - christliche Araber, die die byzantinische Fremdherrschaft abschütteln wollten. Diesen Christen waren die neuen Muslime nicht suspekt. Mohammed hatte ja nicht die monotheistischen Christen seiner Zeit zurückgewiesen, sondern die Heiden. Daher leisteten die Christen keinen Widerstand, es gab keine Zerstörungen, keinen Religionskrieg. So vollzog Mohammed den Übergang von einer Kulturnation zur Staatsnation. Die Herrscher der Omayyaden (661 bis 750) integrierten die christlichen Araber über die "arabische Klammer". Nachdem immer mehr Völker Teil des Reichs wurden, funktionierte diese ethnische Klammer immer weniger und wurde unter den Abbasiden (nach 750) durch die "islamische Klammer" ersetzt.
Da entwickelten sich Europa und Arabien schon auseinander. Der römische Osten war im Jahr 636 nach der Schlacht von Yarmuk unter arabische Herrschaft gefallen. Mit den Kreuzzügen vollzog sich dann die Abtrennung: Das Christentum verlor sein religiöses Kernland und schnitt seine östlichen Wurzeln ab. Die Geschichte des christlich-arabischen Orients geriet in Vergessenheit.
Dabei stand der arabische Orient, beginnend mit den Feldzügen Alexanders des Großen, fast tausend Jahre unter griechischer und römisch-byzantinischer Herrschaft, wovon zahlreiche schriftliche und archäologische Quellen zeugen. Die seleukidischen Nachfolgestaaten siedelten bis an den Golf, etwa auf der Insel Failaka und im heutigen Bahrein. In Fau, einer Handelsstadt südlich von Mekka, wurden südarabische Inschriften in der Musnadschrift gefunden, aber auch farbenprächtige hellenistische Wandmalereien des Dionysoskults und hellenistische Bronzestatuen, die zu den schönsten ihrer Art zählen.
Unter der römischen Herrschaft stiegen Araber in Rom in hohe Ämter auf, wurden Cäsaren und Senatoren; die Frauen der fünf Kaiser der Severus-Dynastie waren Araberinnen. Andererseits begehrte die arabische Provinz wiederholt gegen die römische Herrschaft auf, etwa der Araber Avidius Cassius gegen Marc Aurelius oder auch Zenobia (240 bis 273), die Kaiserin von Palmyra. Nach ihrer Niederlage ebnete der Wegfall Palmyras als urbanes Zentrum den Weg für den Aufstieg Mekkas als Handelsstadt.
Auch wenn arabische Stämme wie die Ghassaniden über Jahrhunderte erfolgreich die Grenzen im Osten Roms verteidigten: Die heidnischen Historiker und Schriftsteller Roms hatten von den überwiegend christlichen Arabern keine gute Meinung. Später konnten sich die arabischen Christen vom islamischen Reich aus weit nach Asien ausbreiten, um Heiden zu missionieren. Für diese - meist nestorianischen - Christen habe die islamische Welt lediglich im Hintergrund gestanden, schreibt Al-Ani. Es war ihnen lediglich verboten, Muslime zu bekehren. Nach Rom schickten sie während der Herrschaft der Omayyaden drei Päpste. Damals sei das Verständnis von Religion noch stark von einer abrahamitischen Ökumene geprägt gewesen. Erst der Mongolensturm drängte im 13. Jahrhundert das orientalische Christentum zurück. Das griechische und römische Erbe wurde in der arabischen Welt verdrängt, im Westen aber geriet es ganz in Vergessenheit.
RAINER HERMANN
Ayad Al-Ani: "Araber als Teil der hellenistisch-römischen und christlichen Welt". Von Alexander dem Großen bis zur islamischen Eroberung. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2014. 182 S., br., 29,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Attraktiv ist das Buch besonders aus zwei Gründen. Die akribische Aufarbeitung historischer Gegebenheiten lassen die gerade so aktuelle Thematik 'Islam' für den interessierten Leser allgemein verständlich in einem aus der Vergangenheit her überaus fundierten, sehr differenzierten und lehrreichen Licht erscheinen. Sehr relevant ist darüber hinaus der praktisch interdisziplinäre Ansatz im gekonnten Grenzgang zwischen Geschichte, Kultur und Politik, besonders in einer Zeit, in der sich Autoren immer sehr eng in ihren fachlichen Grenzen halten. [...] Hier geht der Blick über derartige Grenzen weit hinaus. Genau dieser Umstand macht das Buch überaus wertvoll.« Herbert Strunz, in: International, 1/2015
»Ein wichtiges Buch zur Aufklärung von Missverständnissen, Ungereimtheiten und eine Erinnerung, dass christliche Araber, Perser, Christen, Juden u.a. im Nahen Osten und auf der arabischen Halbinsel eine gemeinsame Geschichte schrieben und zusammenlebten, bevor der Islam sich als Religion etablierte und alle Religionen mehr Gemeinsames als Trennende beinhalten.« Birgit Agada, in: AFARA, online veröffentlicht am 21.01.2015
»Auch wenn die Gegenüberstellung 'westlicher' und 'arabischer' Wissenschaftler streckenweise überzogen erscheint, so handelt es sich bei der Studie Al-Anis um ein vehement formuliertes Plädoyer für einen internationalen und interdisziplinären Austausch zwischen den Forschern, was nur zu begrüßen ist.« Helga Scholten, in: Das Historisch-Politische Buch, 2/2015
»Ein wichtiges Buch zur Aufklärung von Missverständnissen, Ungereimtheiten und eine Erinnerung, dass christliche Araber, Perser, Christen, Juden u.a. im Nahen Osten und auf der arabischen Halbinsel eine gemeinsame Geschichte schrieben und zusammenlebten, bevor der Islam sich als Religion etablierte und alle Religionen mehr Gemeinsames als Trennende beinhalten.« Birgit Agada, in: AFARA, online veröffentlicht am 21.01.2015
»Auch wenn die Gegenüberstellung 'westlicher' und 'arabischer' Wissenschaftler streckenweise überzogen erscheint, so handelt es sich bei der Studie Al-Anis um ein vehement formuliertes Plädoyer für einen internationalen und interdisziplinären Austausch zwischen den Forschern, was nur zu begrüßen ist.« Helga Scholten, in: Das Historisch-Politische Buch, 2/2015