Der Autor untersucht Argumentationslinien gegenwärtiger arabischer Historiker und Publizisten zu turbulenten Entwicklungen im Bagdader Kalifat des 9./10. Jh., die ein fruchtbares Feld für die Begründung heutiger nationaler Geschichtsbilder darstellen. Ausgangspunkt sind Interpretationen von Autoren in ca. 100 arabischsprachigen neueren Publikationen, insbesondere aus dem Irak, Ägypten, Syrien, Libanon, Jordanien und Bahrain. Als kontroverse und damit zugleich aussagekräftige Bezugspunkte werden das Verhältnis zwischen irakischer Zentrale und arabischen Nachbarregionen, die sozialen Wirkungen politischer Verhältnisse, die Aktionsräume sozial-religiöser Oppositionsbewegungen, das Ausmaß von Stammes-, Volks- und Gruppensolidaritäten sowie die Hauptzüge wirtschaftlicher Entwicklung charakterisiert. Die Studie leistet mit der Einbeziehung arabisch-nationaler und islamischer, nicht dem Westen entlehnter Begrifflichkeiten und Kriterien gleichzeitig einen Beitrag zum internatonal anwachsenden Diskurs über nichtwestliche Historiographien. Dies wird insbesondere an einer für das arabische Geschichtsbild bis in die Gegenwart wichtigen Fragestellung verdeutlicht: Welche Entwicklungstendenzen im mittelalterlichen Vorderen Orient gelten heutigen arabischen Historikern als Zeichen zeitweiliger Anarchie, als Symptome einer anhaltenden gesellschaftlichen Dauerkrise oder als Ausdruck historischer Normalität?