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Das Zentrum der Welt hat sich nach Nordafrika verlagert. Ägypten, Tunesien, Libyen. Welche anderen Länder werden noch folgen? Das Volk geht auf die Straße und besetzt die Plätze: Kifaya - es reicht! Manchmal solidarisieren sich Polizei und Militär und alles geht ganz schnell, in anderen Fällen wird die Revolte blutig unterdrückt. Diese Länder sind dabei, den Wert von bürgerlichen Freiheiten und der Autonomie des Individuums zu entdecken, erklärt Tahar Ben Jelloun. Es ist wie der Fall einer riesigen Berliner Mauer. Nichts wird mehr sein wie zuvor, weder in der arabischen noch in der westlichen…mehr

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Produktbeschreibung
Das Zentrum der Welt hat sich nach Nordafrika verlagert. Ägypten, Tunesien, Libyen. Welche anderen Länder werden noch folgen? Das Volk geht auf die Straße und besetzt die Plätze: Kifaya - es reicht! Manchmal solidarisieren sich Polizei und Militär und alles geht ganz schnell, in anderen Fällen wird die Revolte blutig unterdrückt. Diese Länder sind dabei, den Wert von bürgerlichen Freiheiten und der Autonomie des Individuums zu entdecken, erklärt Tahar Ben Jelloun. Es ist wie der Fall einer riesigen Berliner Mauer. Nichts wird mehr sein wie zuvor, weder in der arabischen noch in der westlichen Welt. Nach seinen Bestsellern über den Rassismus und über den Islam wendet sich der marokkanische Autor mit französischem Pass der unmittelbaren Aktualität zu, erklärt die kulturellen und historischen Hintergründe, stellt aber auch ein paar unbequeme Fragen an den Westen.
Autorenporträt
Tahar Ben Jelloun, geboren 1944 in Fès (Marokko), lebt in Paris. Er gilt als bedeutendster Vertreter der französischsprachigen Literatur des Maghreb. 1987 wurde er mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet, 2004 mit dem renommierten International IMPAC Dublin Literary Award. Im Jahr 2011 wurde ihm der Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis verliehen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.04.2011

Jubelgesang
Der Marokkaner Tahar Ben Jelloun hat eine Hymne
auf die Revolutionen in der arabischen Welt verfasst
Die arabischen Despoten hätten auf ihre Dichter hören sollen. Dann hätten sie wissen können, dass die Liebe ihrer Völker pure Heuchelei ist, Selbstbetrug bestenfalls. Aber die Mächtigen des Maghreb und die Alleinherrscher in Ägypten und anderswo haben all die Bücher, die davon kündeten, wo die kalte Wut wohnt, allenfalls von ihren Zensoren lesen lassen. Weil die Despoten die Dichter verachten, so wie sie auch ihr Volk gering schätzen, waren sie nicht gewarnt. Für Tahar Ben Jelloun erzählen die aktuellen Aufstände daher vom „Wiedererlangen der arabischen Würde“.
Der Schriftsteller Jelloun wurde in Marokko geboren und lebt in Paris. Auch dort und in den anderen europäischen Metropolen hat man die Bücher der arabischen Autoren, trotz zum Teil glänzender Übersetzungen, zu wenig gelesen oder sie für literarische Fiktion statt für Gesellschaftskritik gehalten. In der Tat: Beschäftigt man sich heute mit den Romanen des inzwischen international zum Star aufgestiegenen Alaa al-Aswani oder den Satiren seines bei uns weniger bekannten ägyptischen Landsmanns Sun’allah Ibrahim, und nicht zu vergessen den literarischen Streitschriften der auffallend vielen weiblichen Mythenzerstörerinnen von Dschidda bis Beirut, dann bleibt ein Staunen im Nachhinein über das, was man hätte wissen oder wenigstens ahnen können.
Aber im Westen haben sich zu viele von dem „alten Schlaflied vom ,Kampf der Kulturen‘“ (so die Libanesin Joumana Haddad) einlullen lassen. Auf diese kollektive Lethargie weist Jelloun zu Recht hin. Jelloun ist aber nicht nur ein mit vielen Preisen ausgezeichneter Autor, er ist auch Psychotherapeut, weshalb er sich in den Kopf des aus dem Amt gejagten Tunesiers Ben Ali begibt. Er lässt den Ex-Machthaber im saudischen Exil über sein „undankbares“ aufständisches Volk räsonieren. Das ist hübsch zu lesen, und Jelloun dürfte mit seiner satirischen Fiktion der Wirklichkeit recht nahe kommen: beispielsweise wenn er Ben Ali über den Emir von Katar und dessen agile Gattin wettern lässt, weil sie vor 15 Jahren die Idee hatten, den Nachrichtensender al-Dschasira zu gründen.
Wie es die Werke der Dichter tun, so lässt auch die Geschichte dieses TV-Kanals aus dem märchenhaft reichen Ministaat Katar vermuten, dass der Aufbruchsgeist nicht über Nacht entstanden ist. Al-Dschasira hat in Nordafrika und im Nahen Osten viele Fenster in die Welt geöffnet und erwies sich damit als wahrhaft revolutionäres Projekt. Und kein anderes Medium, auch nicht die britische BBC, war und ist so nah am revolutionären Geschehen auf den Straßen von Kairo, Tunis oder Bengasi.
Jellouns schmaler Band gibt zahlreiche Hinweise zum Verständnis des Aufbegehrens. Es sind kluge Analysen, wie man sie zuletzt auch schon von anderen kundigen Beobachtern der Umwälzungen in der arabischen Welt lesen konnte. Aber Jelloun ging es wohl weniger um die weitere Vertiefung der Ursachenforschung. Er hat einen Lobgesang verfasst, eine Hymne auf die Revolutionen, niedergeschrieben im Gestus der Bewegung. (Der Eile geschuldet, mit der dieses Buch auf den Markt kommt, sind wohl ein paar Flüchtigkeitsfehler, die ein Lektor bemerken hätte können, beispielsweise wenn Mubaraks-Staatspartei mit einem falschen Kürzel genannt wird.)
Der Mentalitätswandel in einem Teil der Welt, der bisher als nicht reformierbar galt, ist unumkehrbar, das ist die Botschaft Jellouns und der Grund für seinen Jubel. Keine Repression könne die „befreiende Wucht“ der Bewegung des arabischen Frühlings aufhalten. Es werde Irrtümer und auch Unrecht geben, aber so wie es war, werde es nicht mehr sein, lautet das Fazit des Autors. Auch das Land seiner Geburt hat er im Blick und muss dabei feststellen, dass er als Chronist mit den Entwicklungen kaum Schritt halten kann. Während Jelloun seinen Text verfasste, geschah schon wieder Unerwartetes. Der marokkanische König Mohammed VI. hielt eine wegweisende Rede, Jelloun nennt sie „historisch“: Das Land soll eine reformierte Verfassung erhalten, mit Garantien für Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung. Vielleicht reicht es ja mancherorts schon, wenn die Machthaber ahnen, das Volk könnte sich erheben – dann muss es das gar nicht mehr tun. CHRISTIANE SCHLÖTZER
TAHAR BEN JELLOUN: Arabischer Frühling. Vom Wiedererlangen der arabischen Würde. Aus dem Französischen von Christiane Kayser. Berlin Verlag, Berlin 2011. 128 Seiten, 10 Euro .
Jelloun lässt Ben Ali über sein
„undankbares“ Volk räsonieren.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.04.2011

Die komfortable Art der Revolution

Der in Paris lebende Marokkaner Tahar Ben Jelloun begreift sich als Sprachrohr der arabischen Revolution. Sein aktuelles Buch aber zeigt ihn nur als Trittbrettfahrer.

Im Französischen gibt es die Wendung "les résistants de la dernière heure", die Widerständler der letzten Stunde. Gemeint sind diejenigen, die sich ganz zum Schluss einer Sache anschließen, um noch auf der richtigen Seite zu sein. Tahar Ben Jelloun ist so ein Aktivist auf den letzten Drücker. Und nicht einmal diese Rolle erfüllt er ganz, zumindest, was sein Herkunftsland Marokko angeht.

Ben Jelloun publiziert einen Band zu den aktuellen Ereignissen, es heißt "Arabischer Frühling. Vom Wiedererlangen der arabischen Würde". Das Buch ist in Deutschland erschienen, in Frankreich wird es im Mai auf den Ladentischen liegen. Es handelt sich um eine Mischung aus essayistischen Reflexionen, literarischen Darstellungen und Zeitungsartikeln. Im Essayteil liefert Ben Jelloun einen "Erklärungsversuch der Ereignisse in den arabischen Gesellschaften". Die Novelle "Der Funke" erzählt, wie Mohamed Bouazizi zur Selbstverbrennung getrieben wurde - jener tunesische Gemüsehändler, dessen Freitod Auslöser der Volksaufstände war. Die zwei Zeitungsartikel am Schluss des Bandes stammen aus dem Jahr 2003 und sollen langjähriges Engagement belegen. Die dort formulierte Kritik freilich ist nicht sonderlich gewagt, sie bleibt vielmehr, von eindeutigen Fällen wie Gaddafi abgesehen, diffus.

Zugegeben: Es gibt aufschlussreiche Passagen. So begreift man zum Beispiel, wie fremd aus arabischer Sicht der Akt der Selbstverbrennung ist, welche Verzweiflung nötig war, ihn zu begehen. Ben Jelloun gibt Opfern Gesichter, indem er diverse Fälle schildert. Sein Appell an den Westen, in den Revolten keinen Islamismus zu sehen, überzeugt. Die Meriten treten jedoch zurück hinter die Widersprüchlichkeit des Bandes, der in seinem Gesamtanliegen geradezu abstößt: Ben Jelloun gibt den engagierten Intellektuellen in der Folge von Voltaire und Sartre, dabei ist er bestenfalls Mitläufer gewesen. Man nimmt Ben Jelloun zwar ab, dass er die Repression in Tunesien bei Besuchen als bedrückend empfunden hat; auch schreibt er seit Jahren gegen die Zustände in Teilen der arabischen Welt an. Aber wenn er kritisiert, dass westliche Regierungschefs arabische Gewaltherrscher umschmeichelten, dann muss man lächeln: Gaddafi "der Abscheuliche" (Ben Jelloun) war im Dezember 2007 in Paris und ließ sich von Sarkozy hofieren; der Besuch wurde heftig kritisiert. Wenige Wochen später, am 1. Februar 2008, nahm der Autor das Großkreuz eines Offiziers der Ehrenlegion aus Präsidentenhand entgegen; Sarkozys Rede steht auf der Website des Schriftstellers. Es ist nicht jeder Sartre, der es gern wäre.

Erschütternd ist das Marokko gewidmete Kapitel: Ben Jelloun singt ein Loblied auf den marokkanischen Sonderweg und auf Mohamed VI. Nun mag es sein, dass die Verhältnisse in der Monarchie anders liegen als in den Nachbarländern, dass Mohamed VI. ein eher aufgeklärter König ist. Dennoch liegt vieles im Argen, auch in Marokko gab es Versuche von Selbstverbrennung. Vor allem aber ist eine relative Fortschrittlichkeit kein Grund für Katzbuckelei: "Der König arbeitet, er tut sein Bestes. Er ist beliebt, und viele politische Parteien sollten sich an ihm ein Beispiel nehmen." Eifrig beweist Ben Jelloun Höflingsqualitäten: "Seit seiner Machtübernahme im Juli 1999 hat König Mohamed VI. vieles im Land verändert. Das wird von allen gesagt und anerkannt. Es ist andererseits auch verständlich, dass manche Marokkaner enttäuscht sind. Denn der König hat keinen Zauberstab." Kinder, geduldet euch, Papa kann nicht hexen. Es wundert nicht, dass eine Rede des Monarchen als "revolutionär" bezeichnet wird - eine Revolution von Seiten des Volkes, die Katalysator für die Entstehung eines Bürgerbewusstseins wäre, braucht es da nicht.

Man muss der Person und der Institution gerecht werden: Tahar Ben Jelloun ist ein eminenter Autor, er schreibt exzellente Romane, die ihn zu einer der wichtigsten Stimmen des Maghreb haben werden lassen. Als junger Mann hat er Mut bewiesen, wurde 1965 in einem Straflager interniert. Seitdem ist Ben Jelloun als Aktivist allerdings zurückhaltend. Ein trauriger Tiefpunkt war der Skandal um seinen Roman "Das Schweigen des Lichts" (2001) über das marokkanische Lager Tazmamart, in dem Hassan II. nach einem Putschversuch Militärs unter grausamen Bedingungen einkerkerte. Literarisch gesehen ist der Text brillant, politisch hat er einen scharfen Beigeschmack: Ben Jelloun hat ihn lange nach der Schließung des Lagers geschrieben - und nach Ableben des Despoten, dessen Gunst er genoss. Zudem wurde Ben Jelloun vorgeworfen, eine Leidensgeschichte ausgeschlachtet zu haben. Das gilt auch für die Novelle "Der Funke" im vorliegenden Band: Erneut schlüpft der Dichter in die Haut eines Opfers, eignet sich fremde Stigmata an. Das ist dreist, bedenkt man die diplomatische Haltung des Schriftstellers Machthabern gegenüber. Vor allem ist der Opportunismus des Intellektuellen Ben Jelloun das genaue Gegenteil dessen, was sich derzeit in den arabischen Ländern bildet, nämlich eine bürgerlich-demokratische Bewegung voller Zivilcourage, die sich weigert, Arrangements und Übergangslösungen zu akzeptieren. Ben Jelloun hingegen steht für das alte System des Protektionismus und der intellektuellen Korruption. Man wünscht der arabischen Welt in der Tat, sie möge nun "den Zug der Moderne" besteigen - auf Trittbrettfahrer wie Tahar Ben Jelloun kann sie gut verzichten.

NIKLAS BENDER

Tahar Ben Jelloun: "Arabischer Frühling".

Aus dem Französischen von Christiane Kayser. Berlin Verlag, Berlin 2011. 128 S., broschiert, 10,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Niklas Bender geht mit Tahar Ben Jelloun hart ins Gericht. Einen Trittbrettfahrer nennt er ihn, einen intellektuellen Opportunisten des alten protektionistischen Systems, der sich probeweise Opferrollen überstülpt und die Revolution erst begrüßt, wenn der Herrscher abgetreten ist und er selbst seine Protektion verloren hat. Nichts gegen Jellouns Verdienste als Autor exzellenter Romane, meint Bender. Doch auf den Aktivisten Jelloun kann die arabische Welt im Umbruch verzichten. Den aufklärerischen Wert des Buches (so erläutert der Autor einem westlichen Publikum z. B. die Bedeutung der Selbstverbrennung) sieht Bender angesichts, wie er findet, fragwürdiger "Höflingsqualitäten" des Autors (gegenüber der marokkanischen Monarchie) schwinden.

© Perlentaucher Medien GmbH
"In seinem Buch 'Arabischer Frühling' erklärt er, wie die neuen alten Werte wie Freiheit, Würde und Gerechtigkeit die Machthaber in den arabischen Staaten überrumpelt haben. [...] Ben Jelloun deutet die Entwicklung im Maghreb und anderswo auch als Niederlage des Islamismus.", Deutschlandradio, Christoph Heinemann, 15.04.2011