Fachkräftemangel, Industrie 4.0, Arbeitszeitpolitik, erschöpfte Beschäftigte - die Zukunft der Arbeit in Deutschland ist mit drängenden Themen unserer Zeit gekoppelt. Detlef Wetzel, der Mann an der Spitze der größten europäischen Gewerkschaft, hat sich auf die Reise gemacht durch das Industrieland Deutschland und spürt in diesem Buch den Grundlagen guter Arbeit nach. In Interviews und Gesprächen mit Beschäftigten, Unternehmern und Arbeitsexperten wird eines klar: Vielerorts sind bereits kluge, kreative und überraschende Lösungsansätze vorhanden; Orte, an denen die Zukunft der Arbeit bereits begonnen hat.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.01.2016Arbeit 4.0
Blumiges und Einsichtiges von Detlef Wetzel
Es kommt nicht oft vor, dass Gewerkschaftsführer Bücher schreiben. Der bis vor einiger Zeit amtierende Erste Vorsitzende der IG Metall Detlef Wetzel bildet eine Ausnahme. Er hat erkannt, dass sich wegen der drei sich überlappenden Megatrends Digitalisierung, demographischer Wandel mit dem daraus resultierenden Fachkräftemangel sowie Beschleunigung der Wirtschaft ein gewaltiger Umbruch in der Arbeitswelt vollzieht, in deren Gestaltung sich die IG Metall einbringen müsse. So verweist er darauf, dass die industrielle Produktion noch mehr automatisiert werde und dass neue Formen der Vernetzung, Integration und Arbeitsteilung zwischen Unternehmen entstehen würden. Infolge der Digitalisierung würden klassische Branchengrenzen verschwimmen, wodurch sich neue Wertschöpfungsketten herausbildeten, deren sich die IG Metall annehmen müsse.
So ist ein Kampf um die Deutungshoheit über die Arbeitswelt der Zukunft entbrannt, in dem die IG Metall versucht, ihre Pflöcke einzuschlagen. Dazu dient auch das vorliegende Buch, mit dessen Titel Wetzel auf den hohe Erwartungen weckenden Arbeit 4.0-Hype aufspringt. Nach der Lektüre muss man jedoch feststellen, dass dies wohl ein Werbe-Gag war, denn über Arbeit-4.0 wird nicht viel Greifbares präsentiert. Stattdessen behandelt der Autor die Frage: Was muss Deutschland tun, damit die Zukunft nicht nur genug Arbeit, sondern vor allem genug gute Arbeit im Sinne der Arbeitnehmer bereithält?
Um zu ersten Antworten zu gelangen, hat Wetzel erfreulicherweise nicht die Denkfabriken der Gewerkschaftszentrale bemüht. Vielmehr hat er sich auf eine Reise durch die Republik begeben auf der Suche nach Orten, an denen schon heute an guten Lösungen für die Arbeitswelt von morgen gearbeitet wird. Er ist fündig geworden. Getreu seinem der IG Metall verordneten Mantra "zuhören und gestalten" hat er direkt mit den Praktikern vor Ort - insbesondere mit den Betriebsräten, leider nicht mit den Betriebsleitern - über ihre Sicht der Dinge gesprochen. Das vorliegende Buch ergänzt insofern die von Wetzel in seiner Amtszeit institutionalisierten Mitgliederbefragungen.
Die in den Gesprächsprotokollen angesprochenen Themen seiner Reise waren vielfältig: Industrie 4.0, Aus- und Weiterbildung, Arbeitszeitpolitik, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, aber auch psychische Belastungen am Arbeitsplatz sowie Fragen der alterssensiblen Arbeitsplatzgestaltung. Bei der durchaus lohnenden Lektüre der Gespräche gewinnt der Leser interessante Einblicke mit Licht und Schatten.
So ist das erste Kapitel über die Gestaltung von Industrie 4.0, das auf Gesprächen des Autors mit Professoren beruht, enttäuschend. Es offenbart, dass es momentan mehr blumigen Diskurs zu Industrie 4.0 gibt als eine entsprechende Realität. An den eher laienhaften Fragen, die Wetzel stellt, wird deutlich, wie sehr er bei diesem Thema noch im Nebel stochert.
Dagegen ist er voll in seinem Element in den folgenden Kapiteln. Eines widmet sich der Umsetzung des Tarifvertrages "Förderjahr", der die Startchancen für förderbedürftige Jugendliche und noch nicht ausbildungsreife Schulabsolventen verbessern soll und dies, wie am Beispiel der Porsche AG dargelegt wird, auch tut. Hier werden in vorbildlicher Weise Schwache gestärkt und zu wertvollen Teammitgliedern gemacht. Natürlich greift Wetzel in einem weiteren Kapitel auch das Thema Weiterbildung und das Weiterbildungsgesetz, ein Steckenpferd der Gewerkschaften, auf. Lesenswert sind auch die dokumentierten Gespräche zu den Themen betriebliche Gesundheitspolitik, Stressminderung am Arbeitsplatz sowie eine Arbeitszeitgestaltung, die eine Balance zwischen Arbeitsleben und Privatleben gestattet.
Leider diskutiert Wetzel nicht, dass gute Arbeit am besten solche Unternehmen zu bieten vermögen, die profitabel und wettbewerbsfähig sind. In der digitalisierten Arbeitswelt, in der es vor allem um mehr Kollaboration in der Wertschöpfung geht, gehören die Sichten der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber zusammen.
ROBERT FIETEN.
Detlef Wetzel: Arbeit 4.0. Was Beschäftigte und Unternehmen verändern müssen. Herder, Freiburg im Breisgau 2015, 200 Seiten, 18,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Blumiges und Einsichtiges von Detlef Wetzel
Es kommt nicht oft vor, dass Gewerkschaftsführer Bücher schreiben. Der bis vor einiger Zeit amtierende Erste Vorsitzende der IG Metall Detlef Wetzel bildet eine Ausnahme. Er hat erkannt, dass sich wegen der drei sich überlappenden Megatrends Digitalisierung, demographischer Wandel mit dem daraus resultierenden Fachkräftemangel sowie Beschleunigung der Wirtschaft ein gewaltiger Umbruch in der Arbeitswelt vollzieht, in deren Gestaltung sich die IG Metall einbringen müsse. So verweist er darauf, dass die industrielle Produktion noch mehr automatisiert werde und dass neue Formen der Vernetzung, Integration und Arbeitsteilung zwischen Unternehmen entstehen würden. Infolge der Digitalisierung würden klassische Branchengrenzen verschwimmen, wodurch sich neue Wertschöpfungsketten herausbildeten, deren sich die IG Metall annehmen müsse.
So ist ein Kampf um die Deutungshoheit über die Arbeitswelt der Zukunft entbrannt, in dem die IG Metall versucht, ihre Pflöcke einzuschlagen. Dazu dient auch das vorliegende Buch, mit dessen Titel Wetzel auf den hohe Erwartungen weckenden Arbeit 4.0-Hype aufspringt. Nach der Lektüre muss man jedoch feststellen, dass dies wohl ein Werbe-Gag war, denn über Arbeit-4.0 wird nicht viel Greifbares präsentiert. Stattdessen behandelt der Autor die Frage: Was muss Deutschland tun, damit die Zukunft nicht nur genug Arbeit, sondern vor allem genug gute Arbeit im Sinne der Arbeitnehmer bereithält?
Um zu ersten Antworten zu gelangen, hat Wetzel erfreulicherweise nicht die Denkfabriken der Gewerkschaftszentrale bemüht. Vielmehr hat er sich auf eine Reise durch die Republik begeben auf der Suche nach Orten, an denen schon heute an guten Lösungen für die Arbeitswelt von morgen gearbeitet wird. Er ist fündig geworden. Getreu seinem der IG Metall verordneten Mantra "zuhören und gestalten" hat er direkt mit den Praktikern vor Ort - insbesondere mit den Betriebsräten, leider nicht mit den Betriebsleitern - über ihre Sicht der Dinge gesprochen. Das vorliegende Buch ergänzt insofern die von Wetzel in seiner Amtszeit institutionalisierten Mitgliederbefragungen.
Die in den Gesprächsprotokollen angesprochenen Themen seiner Reise waren vielfältig: Industrie 4.0, Aus- und Weiterbildung, Arbeitszeitpolitik, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, aber auch psychische Belastungen am Arbeitsplatz sowie Fragen der alterssensiblen Arbeitsplatzgestaltung. Bei der durchaus lohnenden Lektüre der Gespräche gewinnt der Leser interessante Einblicke mit Licht und Schatten.
So ist das erste Kapitel über die Gestaltung von Industrie 4.0, das auf Gesprächen des Autors mit Professoren beruht, enttäuschend. Es offenbart, dass es momentan mehr blumigen Diskurs zu Industrie 4.0 gibt als eine entsprechende Realität. An den eher laienhaften Fragen, die Wetzel stellt, wird deutlich, wie sehr er bei diesem Thema noch im Nebel stochert.
Dagegen ist er voll in seinem Element in den folgenden Kapiteln. Eines widmet sich der Umsetzung des Tarifvertrages "Förderjahr", der die Startchancen für förderbedürftige Jugendliche und noch nicht ausbildungsreife Schulabsolventen verbessern soll und dies, wie am Beispiel der Porsche AG dargelegt wird, auch tut. Hier werden in vorbildlicher Weise Schwache gestärkt und zu wertvollen Teammitgliedern gemacht. Natürlich greift Wetzel in einem weiteren Kapitel auch das Thema Weiterbildung und das Weiterbildungsgesetz, ein Steckenpferd der Gewerkschaften, auf. Lesenswert sind auch die dokumentierten Gespräche zu den Themen betriebliche Gesundheitspolitik, Stressminderung am Arbeitsplatz sowie eine Arbeitszeitgestaltung, die eine Balance zwischen Arbeitsleben und Privatleben gestattet.
Leider diskutiert Wetzel nicht, dass gute Arbeit am besten solche Unternehmen zu bieten vermögen, die profitabel und wettbewerbsfähig sind. In der digitalisierten Arbeitswelt, in der es vor allem um mehr Kollaboration in der Wertschöpfung geht, gehören die Sichten der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber zusammen.
ROBERT FIETEN.
Detlef Wetzel: Arbeit 4.0. Was Beschäftigte und Unternehmen verändern müssen. Herder, Freiburg im Breisgau 2015, 200 Seiten, 18,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main