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Im öffentlichen Diskurs wird die Arbeitsrealität sogenannter Solo- und Mikroselbstständiger meist nur mit Klischeebildern von Selbstverwirklichung und Selbstausbeutung belegt. Und das, obwohl der Wandel der Beschäftigungsverhältnisse und die Zunahme neuer Beschäftigungsformen die Arbeitszeit der »neuen« Selbstständigen zum gesellschaftspolitischen Thema werden lässt. Johanna Muckenhuber bricht mit ihrer Untersuchung dieses Halb- oder auch Nicht-Wissen auf und ermöglicht differenzierte Einsichten in die arbeitszeitbezogenen Realitäten der Personengruppe. Die Arbeitszeiten von Solo- und…mehr

Produktbeschreibung
Im öffentlichen Diskurs wird die Arbeitsrealität sogenannter Solo- und Mikroselbstständiger meist nur mit Klischeebildern von Selbstverwirklichung und Selbstausbeutung belegt. Und das, obwohl der Wandel der Beschäftigungsverhältnisse und die Zunahme neuer Beschäftigungsformen die Arbeitszeit der »neuen« Selbstständigen zum gesellschaftspolitischen Thema werden lässt. Johanna Muckenhuber bricht mit ihrer Untersuchung dieses Halb- oder auch Nicht-Wissen auf und ermöglicht differenzierte Einsichten in die arbeitszeitbezogenen Realitäten der Personengruppe. Die Arbeitszeiten von Solo- und Mikroselbstständigen werden nicht von Interessensvertretungen kollektivvertraglich ausgehandelt, sondern müssen von den Einzelnen für sich selbst festgelegt werden. Eine systematische Erfassung der Arbeitszeiten oder eine kollektive Interessenorganisation fehlen. Dabei treten die Unterschiede zu den traditionellen Berufen verstärkt hervor: nicht-routinisierbare Arbeitsleistungen, welche zu variablen Preisen verkauft werden, eine damit einhergehende Unsicherheit hinsichtlich des Einkommens und die ständige Anspannung, ob die eigene Kreativität und Leistungsfähigkeit ausreichen werden, um den Kunden zufriedenzustellen. Mit einer Kombination aus quantitativen und qualitativen Forschungsansätzen entmystifiziert Johanna Muckenhuber diese Arbeitswelt. In der Auseinandersetzung mit dem Phänomen Zeit führt sie eine Analyse der Bewertung davon durch, wie viel Arbeitszeit für beruflichen Erfolg, aber auch für eine gute Lebensführung als notwendig erachtet wird.
Autorenporträt
Johanna Muckenhuber promovierte 2009 am Institut für Soziologie der Universität Wien. Sie ist derzeit Professorin am Institut für Soziologie der Karl-Franzens-Universität Graz.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.04.2014

Lohnt die viele Arbeit?
Über Reize und Lasten beruflicher Selbständigkeit

"Das Problem bei der Arbeit ist das Nie-aufhören-können", klagt die Fotografin Gudrun. "Bei der Selbständigkeit gibt es eben immer so tausend Sachen, die zu tun sind. Und man wird nie fertig." Die Neunundzwanzigjährige ist Einzelkämpferin. Ebenso die Unternehmensberaterin Andrea, der EDV-Techniker Florian, die Friseuse Maya, der Journalist Maximilian und gut 30 weitere österreichische Selbständige verschiedener Sparten, die Johanna Muckenhuber zur jeweiligen beruflichen Realität befragt hat. In ihrer Untersuchung geht die Grazer Soziologie-Professorin dem Problem nach, warum Selbständige länger arbeiten als abhängig Beschäftigte und was das für ihr Leben bedeutet.

Während Angestellte, Arbeiter, Vertragsbedienstete und Beamte in Österreich im Mittel 37 Stunden pro Woche arbeiten, liegen die mittleren Arbeitszeiten von Selbständigen ohne Angestellte bei 48 Stunden die Woche. Zusätzlich verunsichert offenbar, dass sie sich ihre Arbeitszeiten selbst einteilen müssen. Anders als klassische Freiberufler wie beispielsweise Ärzte sind viele Selbständige oft Geringverdiener ohne finanzielle Rücklagen und sehr abhängig von nur wenigen Auftraggebern.

In der öffentlichen Diskussion wird die wenig beachtete Arbeitsrealität solcher Kleinstunternehmer irgendwo zwischen privilegierter Selbstverwirklichung und prekärer Selbstausbeutung angesiedelt. Mit Hilfe umfangreicher Interviews sowie explorativer und quantitativer Analyse bemüht sich Muckenhuber um mehr Aufmerksamkeit für Kleinstunternehmer und um ein differenzierteres Bild von ihrer zeitlichen Autonomie. Im Mittelpunkt ihres Interesses steht die Frage, wie viele Arbeitsstunden für den Beruf als nötig erachtet werden, aber auch wie viel Freizeit für eine gute Lebensführung gewünscht wird. Neben den Gründen und Zwängen, die zu überlangen Arbeitszeiten führen, sucht sie herauszufinden, wie die gängige Mehrbelastung empfunden wird und welche gesellschaftlichen Mechanismen zu einem durchaus ambivalenten Erleben von ausufernder Arbeit und Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit führen.

Muckenhubers Studie beginnt mit den sozioökonomischen Rahmenbedingungen beruflicher Selbständigkeit in Österreich. Für das Problem der Diskrepanz zwischen gewünschten und realen Arbeitszeiten gibt es anscheinend institutionell wenig Unterstützung. Muckenhubers Interviews zeigen allerdings, dass nicht nur von den Betroffenen selbst wenig Druck kommt, sondern keineswegs alle Kleinstunternehmer überlange Arbeitszeiten gleichermaßen anstrengend und negativ erleben. Das unterschiedliche Empfinden und der verschiedenartige Umgang mit der Arbeitszeit haben mit individuellen soziodemographischen Faktoren wie der Familiensituation, dem Alter, dem Geschlecht und der Persönlichkeit, aber natürlich auch mit der Vorstellung von Arbeit an sich, der Art der Tätigkeit und dem eigenen Ideal von Selbständigkeit, also dem unternehmerischen Selbstbild, zu tun.

Das komplexe Phänomen der selbständigen "Arbeit ohne Ende" wird bei Muckenhuber trocken und mit viel methodischem Ballast abgehandelt. Das Ganze gipfelt im Versuch einer theoretischen Bewertung, wie viel Arbeitszeit für verschieden gestrickte Typen von Selbständigen gut sein mag. Die Autorin packt ihre Ergebnisse etwas gewaltsam in das Bourdieusche Konzept vom "Habitus" als verinnerlichtes System individueller Lebensführung. Das bringt weder wissenschaftlich noch politisch einen sonderlichen Erkenntnisgewinn.

Sinnvoller scheint es, das Buch als aktuelle Sozialreportage und Momentaufnahme aus einer speziellen Nische wachsender prekärer Arbeits- und Lebensverhältnisse zu lesen. So wird dargestellt, wie Selbständige ihre Arbeitszeit konkret gestalten, warum es zu überlangen Arbeitszeiten kommt und was letztlich subjektives Wohlbefinden auch unter solchen Bedingungen ausmacht.

Kaum verwunderlich, dass die Arbeitszufriedenheit bei Kleinstunternehmern um so größer ist, je mehr ihre Arbeitsleistung anerkannt wird. Positiv wirkt auch das Phänomen, dass schon die Illusion, über die eigene Zeit frei verfügen zu können, von vielen Selbständigen wohltuend und als Vorteil erlebt wird, auch wenn der Alltag letztlich kaum etwas anderes als die Zwänge der Arbeit zulässt. Am besten beschreibt die Unternehmensberaterin Andrea dieses Gefühl: "Mir reicht schon der Gedanke, ich könnte jetzt ganz einfach zwei Tage wegfahren, wenn ich wollte. Das geht eigentlich nie, aber mir reicht schon, dass ich mir denke, es würde gehen."

Familienpflichten sind für weibliche Kleinstunternehmer angesichts ihres hohen Arbeitspensums meist kaum denkbar. Gleichwohl hat Muckenhuber bei Elternpaaren, die sich die häuslichen Pflichten teilten, beobachtet, dass sich Selbständigkeit erfolgreich mit Betreuungspflichten und regulären Arbeitszeiten kombinieren lässt: "Wenn der Beruf mit einer Familie vereinbar sein muss, so scheint dies auch machbar zu sein."

Bei hoher Qualifikation und guter Vernetzung im erlernten Beruf schafft es manchmal auch ein Elternteil allein. Die selbständige Werbefachfrau Michaela, die als Mutter von zwei kleinen Kindern nicht mehr als 30 Stunden die Woche arbeitet, aber hohe Stundensätze verdient, ist ein Paradebeispiel für die geglückte Doppelrolle.

Die prekären Selbstdefinitionen zwischen Unternehmertum, neuer Heimarbeit und selbständigem Proletariat in Kapitel 16 zeigen, welchen physischen und psychischen Belastungen sich die "neuen" Selbständigen ausgesetzt sehen und welche Schwierigkeiten, Nöte und Sorgen sie haben. Neben fast durchgängig erlebter Existenzunsicherheit wird aber auch deutlich, welche Hoffnungen, Erwartungen und Unabhängigkeitsgefühle sich mit freiberuflicher Tätigkeit verbinden. Karrierebewusste jedoch wie die 34 Jahre alte Astrid, die in intensiven Zeiten oft bis zu 18 Stunden täglich am Schreibtisch investiert, macht zeitlicher Druck offenbar keineswegs unglücklich: "Für mich ist es wichtig, dass ich meinen Beruf ausüben kann und dass ich gut darin bin."

ULLA FÖLSING

Johanna Muckenhuber: Arbeit ohne Ende? UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz und München 2014. 242 Seiten, 41 Euro

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