»Wer Schweine erzieht, ist ein produktives, und wer Menschen erzieht, ein unproduktives Mitglied der Gesellschaft.« Dieses Buch plädiert für die ökonomische Aufwertung von Familienarbeit. Es analysiert den Arbeitsbegriff wie den Liebesbegriff und entwickelt eine humanistische Alternative zur handelsüblichen Vorstellung von Gerechtigkeit als Gleichheit. Auf dieser Basis begründet es das Recht auf ökonomische Anerkennung von Familienarbeit.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.04.2002Vom seligen Nutzen der Sklaverei
Warum erhält der Arbeiter im Weinberg, der erst in der elften Stunde beginnt, genausoviel Lohn wie der Arbeiter, der schon seit dem frühen Morgen schuftet? Es gibt drei Möglichkeiten, die Ungerechtigkeit im Gleichnis zu deuten. Die funktionalistische Deutung ist kaltherzig: In der ungerechten Bezahlung spiegeln sich die Zufälligkeiten von individuellen Motivationen und konjunkturellen Marktgegebenheiten. Die theologische Deutung ist grausam: Die Ungerechtigkeit ist die paradoxe Erscheinungsform eines - wenn auch undurchschaubaren - höheren Willens, eines Wesens, das dem Dasein einen oft nicht nachvollziehbaren Sinn verleiht und für das es nie zu spät ist, eine Gnade zu erlangen, die nicht von unseren Werken und Taten abhängt. Die moralphilosophische Deutung ist ehrlich: Sie nennt die schreiende Ungerechtigkeit beim Namen und beschreibt die gleiche Entlohnung als Kränkung. Die funktionalistische Deutung verletzt unser Gefühl, die theologische beleidigt unseren Verstand. Die moralphilosophische Interpretation hingegen demütigt beide. Denn weder gönnt sie den Privilegierten Genuß, noch spendet sie den Zukurzgekommenen Trost. Das ist demoralisierend. Wozu also brauchen wir eigentlich Moralphilosophie? Jedenfalls bringt sie den sich stets verfeinernden, sich weiter ausdifferenzierenden Klassenkampf der Privilegierten mit den Zukurzgekommenen auf immer neue Begriffe. So etwa die Basler Philosophieprofessorin Angelika Krebs in ihrer Studie "Arbeit und Liebe". Die philosophischen Grundlagen sozialer Gerechtigkeit (Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2002. 323 S., br., 12,- [Euro]). Ihr Beitrag zur genaueren Wahrnehmung der politischen Welt ist die Unterscheidung zwischen zwei Arten von "Familienarbeit": Fürsorgeleistungen für Kinder, Alte und Kranke einerseits sowie Fürsorgeleistungen für erwachsene, gesunde Personen - also Männer - andererseits. Das Problem der Aufteilung von Hausarbeit, das so viele Ehen, Partnerschaften und Wohngemeinschaften belastet, hebt die Autorin auf eine neue Stufe begrifflicher Entflechtung. Sie versucht sich einer Lösung des Problems zu nähern, daß die Gesellschaft Hausarbeit nicht als Arbeit anerkennt, wodurch sich diejenigen, die sie verrichten müssen - meist Frauen -, natürlich gedemütigt fühlen. Der radikalfeministische Vorschlag, diese Ungerechtigkeit zu beseitigen, besteht darin, Hausarbeit durch einen wohl vom Staat zu entrichtenden Lohn zu bezahlen. Dieser Vorschlag sieht sich dem moralphilosophischen Einwand ausgesetzt, daß seine Verwirklichung die auf Zuneigung basierenden informellen familiären und partnerschaftlichen Beziehungen formalisieren und damit möglicherweise abtöten würde. Aus der mit reichlich theoriegeschichtlichem Pomp gekleideten Unterscheidung von Angelika Krebs dagegen folgt die politische Forderung, daß Pflege-, Fortpflanzungs- und Erziehungsdienstleistungen zu entlohnen seien, denn diese Leistungen dienten der Reproduktion der Gesellschaft und seien nicht ersetzbar. Sie entzögen sich gewissermaßen der individuellen Willkür, sie seien gesellschaftlich notwendig. Ein Grundeinkommen für die Produktion des öffentlichen Gutes Kindererziehung und Altenpflege würde solche Tätigkeiten als Arbeit anerkennen und dadurch Mütter mit ihren Ehegatten gleichstellen. Anders verhält es sich mit Dienstleistungen wie dem Waschen, Einkaufen, Kochen, Putzen oder Sexualität: Die mit dieser von der Autorin so genannten "Partnerarbeit" verbundene Demütigung sei nur durch Liebe kompensierbar. Denn womit, so fragte einmal André Gide, soll sich der Mensch nach einer Erniedrigung trösten, wenn nicht mit dem, was ihn erniedrigt hat? An den Grenzen der Liebe, so Krebs, müsse Gerechtigkeit haltmachen, und sie unterscheidet zwei Arten unbezahlter erzwungener Arbeit, also Sklaverei: "Familienarbeit" und "Partnerarbeit". Doch nach diesem Durchgang durch moralphilosophische Unterscheidungen fühlen wir uns wieder an die Kaltherzigkeit und die Grausamkeit funktionalistischer und theologischer Weltdeutungen verwiesen. Einerseits an die Frage nach dem (vermutlich zunehmenden) volkswirtschaftlichen Nutzen einer Emanzipation der Frauen, andererseits an die Frage nach dem metaphysischen Sinn der Liebe.
CHRISTOPH ALBRECHT
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Warum erhält der Arbeiter im Weinberg, der erst in der elften Stunde beginnt, genausoviel Lohn wie der Arbeiter, der schon seit dem frühen Morgen schuftet? Es gibt drei Möglichkeiten, die Ungerechtigkeit im Gleichnis zu deuten. Die funktionalistische Deutung ist kaltherzig: In der ungerechten Bezahlung spiegeln sich die Zufälligkeiten von individuellen Motivationen und konjunkturellen Marktgegebenheiten. Die theologische Deutung ist grausam: Die Ungerechtigkeit ist die paradoxe Erscheinungsform eines - wenn auch undurchschaubaren - höheren Willens, eines Wesens, das dem Dasein einen oft nicht nachvollziehbaren Sinn verleiht und für das es nie zu spät ist, eine Gnade zu erlangen, die nicht von unseren Werken und Taten abhängt. Die moralphilosophische Deutung ist ehrlich: Sie nennt die schreiende Ungerechtigkeit beim Namen und beschreibt die gleiche Entlohnung als Kränkung. Die funktionalistische Deutung verletzt unser Gefühl, die theologische beleidigt unseren Verstand. Die moralphilosophische Interpretation hingegen demütigt beide. Denn weder gönnt sie den Privilegierten Genuß, noch spendet sie den Zukurzgekommenen Trost. Das ist demoralisierend. Wozu also brauchen wir eigentlich Moralphilosophie? Jedenfalls bringt sie den sich stets verfeinernden, sich weiter ausdifferenzierenden Klassenkampf der Privilegierten mit den Zukurzgekommenen auf immer neue Begriffe. So etwa die Basler Philosophieprofessorin Angelika Krebs in ihrer Studie "Arbeit und Liebe". Die philosophischen Grundlagen sozialer Gerechtigkeit (Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2002. 323 S., br., 12,- [Euro]). Ihr Beitrag zur genaueren Wahrnehmung der politischen Welt ist die Unterscheidung zwischen zwei Arten von "Familienarbeit": Fürsorgeleistungen für Kinder, Alte und Kranke einerseits sowie Fürsorgeleistungen für erwachsene, gesunde Personen - also Männer - andererseits. Das Problem der Aufteilung von Hausarbeit, das so viele Ehen, Partnerschaften und Wohngemeinschaften belastet, hebt die Autorin auf eine neue Stufe begrifflicher Entflechtung. Sie versucht sich einer Lösung des Problems zu nähern, daß die Gesellschaft Hausarbeit nicht als Arbeit anerkennt, wodurch sich diejenigen, die sie verrichten müssen - meist Frauen -, natürlich gedemütigt fühlen. Der radikalfeministische Vorschlag, diese Ungerechtigkeit zu beseitigen, besteht darin, Hausarbeit durch einen wohl vom Staat zu entrichtenden Lohn zu bezahlen. Dieser Vorschlag sieht sich dem moralphilosophischen Einwand ausgesetzt, daß seine Verwirklichung die auf Zuneigung basierenden informellen familiären und partnerschaftlichen Beziehungen formalisieren und damit möglicherweise abtöten würde. Aus der mit reichlich theoriegeschichtlichem Pomp gekleideten Unterscheidung von Angelika Krebs dagegen folgt die politische Forderung, daß Pflege-, Fortpflanzungs- und Erziehungsdienstleistungen zu entlohnen seien, denn diese Leistungen dienten der Reproduktion der Gesellschaft und seien nicht ersetzbar. Sie entzögen sich gewissermaßen der individuellen Willkür, sie seien gesellschaftlich notwendig. Ein Grundeinkommen für die Produktion des öffentlichen Gutes Kindererziehung und Altenpflege würde solche Tätigkeiten als Arbeit anerkennen und dadurch Mütter mit ihren Ehegatten gleichstellen. Anders verhält es sich mit Dienstleistungen wie dem Waschen, Einkaufen, Kochen, Putzen oder Sexualität: Die mit dieser von der Autorin so genannten "Partnerarbeit" verbundene Demütigung sei nur durch Liebe kompensierbar. Denn womit, so fragte einmal André Gide, soll sich der Mensch nach einer Erniedrigung trösten, wenn nicht mit dem, was ihn erniedrigt hat? An den Grenzen der Liebe, so Krebs, müsse Gerechtigkeit haltmachen, und sie unterscheidet zwei Arten unbezahlter erzwungener Arbeit, also Sklaverei: "Familienarbeit" und "Partnerarbeit". Doch nach diesem Durchgang durch moralphilosophische Unterscheidungen fühlen wir uns wieder an die Kaltherzigkeit und die Grausamkeit funktionalistischer und theologischer Weltdeutungen verwiesen. Einerseits an die Frage nach dem (vermutlich zunehmenden) volkswirtschaftlichen Nutzen einer Emanzipation der Frauen, andererseits an die Frage nach dem metaphysischen Sinn der Liebe.
CHRISTOPH ALBRECHT
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Restlos zufrieden ist Michael Schefczyk mit diesem Buch der Basler Philosophieprofessorin Angelika Krebs nicht. Seiner Auffassung nach läuft die Egalitarismuskritik der Autorin dort ins Leere, wo sie nahe legt, den Egalitaristen sei entgangen, es komme darauf an, ob Menschen ein gutes Leben führten, und nicht, wie deren Leben relativ zu dem Leben anderer stehe. Dem Rezensenten drängt sich am Ende der Verdacht auf, der des Hauses verwiesene Egalitarismus steige durchs Fenster wieder ein. Überzeugender findet Schefczyk die Ausführungen der Autorin "zu der pekuniären Anerkennung von Familienarbeit". Hier lasse sich Krebs "von dem ideologischen Schwindel mit dem romantischen Liebesbegriff" nicht irremachen. Für philosophische Studien ungewöhnlich, pflege Krebs ein Interesse am politischen Detail und gehe auch auf vorliegende Machbarkeitsstudien zur entlohnten Familienarbeit ein. Ein Stil, meint der Rezensent, der Anschluss an die einzelwissenschaftliche Forschung erlaube. In dieser Hinsicht hätte es "sogar noch etwas mehr sein können".
© Perlentaucher Medien GmbH
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